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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1102

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, AK 23/20, Beschluss v. 03.09.2020, HRRS 2020 Nr. 1102


BGH AK 23/20 - Beschluss vom 3. September 2020

Dringender Tatverdacht wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

§ 129a StGB

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

Der Beschuldigte wurde am 14. Februar 2020 vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem 15. Februar 2020 ununterbrochen in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tag (3 BGs 111/20).

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe in M. und anderen Orten eine Vereinigung unterstützt, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB), Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 des Völkerstrafgesetzbuches) sowie gemeingefährliche Straftaten in den Fällen des § 308 Abs. 1 bis 4 StGB und Straftaten nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen zu begehen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 und 4, Abs. 5 Satz 1 StGB.

II.

Die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und deren Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Beschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Tat dringend verdächtig.

a) Nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Spätestens kurz vor dem 28. September 2019 kamen die Mitbeschuldigten S., E., N., B. und U. überein, sich auf unbestimmte Zeit zu der „Gruppe“ zusammenzuschließen. Diese Personenvereinigung war darauf ausgerichtet, ihre rechtsextremistische Ideologie gewaltsam durch koordinierte Anschläge auf Politiker, Asylsuchende und Personen muslimischen Glaubens durchzusetzen. Unter anderem planten die Mitglieder der Gruppe, als Einzeltäter oder in kleinen Einheiten Moscheen anzugreifen und eine möglichst große Zahl dort Anwesender zu töten oder zu verletzen. Die Anschläge sollten die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland sowie ihre demokratisch gewählten Vertreter in erheblicher Weise einschüchtern und bürgerkriegsartige Zustände im Land auslösen. Letztlich wollte die „Gruppe“ durch die Gewalttaten die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland erschüttern und überwinden.

Die Organisation verfügte über eine hierarchische Struktur und abgegrenzte Zuständigkeiten. Der Mitbeschuldigte S. war der „Kopf“ der Gruppe, der diese ins Leben rief, als treibende Kraft fungierte, die Treffen initiierte, die inhaltlichen Vorgaben machte, die Aufgaben zuwies und in allen wesentlichen Belangen das letzte Wort hatte. Der Mitbeschuldigte E. war die rechte Hand des Mitbeschuldigten S. Er war unter anderem mit der praktischen Organisation der Zusammenkünfte befasst und willens, zur Umsetzung der Gruppenziele erforderlichenfalls sein Leben zu opfern. Letzteres gilt gleichermaßen für den Mitbeschuldigten N., der sein Haus für ein Treffen der Vereinigung zur Verfügung stellte und dem Mitbeschuldigten S. Treue bis in den Tod versprochen hatte. Der Mitbeschuldigte B. konnte aufgrund seiner beruflichen Qualifikation Waffen bearbeiten und verändern; er wurde von S. als jemand geschätzt, der „zu allem bereit“ ist. Der Mitbeschuldigte U., der wegen zahlreicher Gewalttaten bereits über 20 Jahre Haft verbüßt hatte, bekleidete die Rolle eines „getreuen Fußsoldaten“.

Der Mitbeschuldigte S. suchte gemeinsam mit dem Mitbeschuldigten E. über diesen Kreis hinaus fortlaufend nach weiteren geeigneten Kämpfern für die geplanten Anschläge. Seine Vernetzung in der Szene ermöglichte es ihm, eine vierstellige Zahl gewaltbereiter Rechtsextremer anzusprechen und - nach seiner Vorstellung - für Anschläge zu mobilisieren. Zu diesem Zweck pflegte er persönliche Kontakte zu ihm ideologisch nahestehenden Mitgliedern anderer Organisationen, betätigte sich in rechtsextremistisch ausgerichteten Messenger-Chatgruppen und führte - unterstützt durch E. - Einzelgespräche mit Anwärtern, um ihre Gewaltbereitschaft zu überprüfen. Auf diese Weise fanden der Beschuldigte und die Mitbeschuldigten Ba., W., Wi. und K. zur „Gruppe ", während N. und E. gemeinsam den Mitbeschuldigten Kr. anwarben und N. allein den Mitbeschuldigten Wo. zur Organisation brachte. Sogenannte „Schwätzerpatrioten“, worunter S. jeden fasste, der nicht bereit war, zur Waffe zu greifen, sortierte er aus.

Der Beschuldigte gehört seit vielen Jahren der rechtsextremistischen Szene an und verfügt seit seiner Jugend über eine ebensolche Gesinnung. Bei der Gruppierung „Wod.“ bekleidete er die Position des „Präsidenten“, bei den „So.“ war er zuvor sogenannter „Sergeant at Arms“. Mit S. ist er seit dem Jahr 2016 eng bekannt. Dieser nahm ihn in die Chatgruppen“ " und“ " auf, in denen offen über von der Gruppe als notwendig erachtete Gewalt gegenüber Muslimen und politisch Andersdenkenden kommuniziert wurde. Außerdem lud S. ihn zum ersten Treffen der Gruppe am 28./29. September 2019 bei A. (" ") ein. Dem Beschuldigten war bereits damals bekannt, dass S. jemanden sucht, „der den Abzug zieht"; für ihn war es ein Treffen einer „gleichgesinnten Kampftruppe“ (so seine Chatnachrichten). Der Beschuldigte erschien in A. und wohnte der Versammlung bei, als S. seine terroristischen Ziele erläuterte. In einer Vorstellungsrunde äußerte er sich wie die anderen Teilnehmer zu seiner Bereitschaft, mit Waffengewalt „aktiv“ zu werden.

Kurz darauf kam die Vereinigung - wiederum mit dem Beschuldigten - am 3. Oktober 2019 in Be. anlässlich einer rechtsgerichteten Demonstration zum Tag der Deutschen Einheit zusammen. Im Anschluss versammelte sie sich zur weiteren Förderung der gemeinsamen Ziele bei einer Tankstelle nördlich von Be. Hier sprach der Mitbeschuldigte S. mit den Mitbeschuldigten Ba. und K. über die Beschaffung von sogenannten Slam-Guns für die Vereinigung. Ba. und K. bestellten in den Folgetagen nach weiterer Rücksprache mit S. bei ihrem Waffenlieferanten, dem gesondert verfolgten Sc., wenigstens sechs dieser selbstgebauten Gewehre. K. erklärte sich überdies dazu bereit, bei dem gesondert verfolgten Br. Munition zu ordern. Im Folgenden hielten die genannten Mitbeschuldigten untereinander und mit den Lieferanten regen Kontakt; dabei stand schließlich auch der Kauf eines Maschinengewehrs „Kalaschnikow“ nebst Munition für den Mitbeschuldigten S. in Rede („AK mit Zubehör für Ma. ").

Das dritte Treffen ging unter konspirativen Umständen am 7./8. Februar 2020 in M. (Westfalen) im Haus des Mitbeschuldigten N. vonstatten. Hieran nahm der Beschuldigte in Kenntnis der genannten terroristischen Ziele der Gruppierung teil. Vor Ort wurde über die konkrete Umsetzung der Umsturzpläne durch Anschläge auf Moscheen gesprochen. Der Beschuldigte erklärte sich insoweit zur „offensiven“ Mitwirkung bereit. S., der - ebenso wie weitere Teilnehmer - bereits über mindestens eine scharfe Schusswaffe, Kaliber 9 mm, verfügte, stellte seine Pläne vor, nach denen die Gruppe für die Durchführung der Anschläge weitere Waffen benötigte. In diesem Zusammenhang brachte der Mitbeschuldigte Ba., der über die Preise seines Lieferanten im Bilde war, eine aufzubringende Summe von 50.000 € ins Spiel. Daraufhin sagten die Anwesenden die individuelle Bereitstellung von namhaften Beträgen, der Beschuldigte von 5.000 €, zu, so dass 50.000 € zusammen kamen. Von diesem Geld sollten die Mitbeschuldigten Ba. und K. über ihre bereits laufende Lieferschiene Langwaffen besorgen. Der Beschuldigte, der über Kontakte zu einem Waffengeschäft in Tschechien verfügte, erhielt den Auftrag, die benötigten Kurzwaffen zu erwerben. Hierzu erklärte er sich bereit. Einige Teilnehmer des Treffens äußerten in diesem Zusammenhang konkrete Wünsche zu einem Waffentyp, den sie jeweils präferierten. Unter der Wortführung S. beschlossen die Anwesenden, anschließend zeitnah loszuschlagen. Hierzu kam es nicht mehr, weil kurze Zeit später zwölf von ihnen verhaftet wurden.

b) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der Bildung, der Struktur und der Zielsetzung der „Gruppe“ und des Verhaltens aller Beschuldigten stützt sich auf eine Vielzahl von Beweismitteln, unter anderem die geständigen Einlassungen des Mitbeschuldigten U., die Angaben des Beschuldigten sowie weiterer Mitbeschuldigter, von denen mehrere die Organisation, Planung und Ziele der „Gruppe“ bestätigt haben, sowie die Observationen im zeitlichen Umfeld der Gruppentreffen. Bei Durchsuchungen sind Waffen und Geldbeträge aufgefunden worden, beim Beschuldigten eine Armbrust und mehrere Hieb- und Stichwaffen sowie 4.270 € in bar. Aus der Telekommunikationsüberwachung gehen unter anderem das Zusammenwirken der Beschuldigten und ihr intensives Bemühen um die Beschaffung weiterer Waffen hervor. Ihre Gewaltbereitschaft gegenüber Migranten sowie politisch Andersdenkenden und ihre Forderung nach einem gesellschaftlichen Umsturz sind außerdem aus den gesicherten Chatverläufen ersichtlich. An diesen beteiligte sich der Beschuldigte rege. Exemplarisch hierfür sind seine Nachrichten: „das Gesocks wirst du ohne Gewalt nicht mehr los“, „Knarre raus Finger krümmen, erledigt“ sowie, bezogen auf die führenden Politiker Deutschlands, „Weg mit dem dreck“.

Der Beschuldigte hat sich in seiner Vernehmung vom 14. Februar 2020 teilgeständig eingelassen, was die Ziele der Gruppe, die Gesprächsthemen beim Treffen in M. sowie seinen eigenen Tatbeitrag angeht. Er hat insbesondere eingeräumt, dass unter seiner Beteiligung über Anschläge und Geld für Waffen gesprochen wurde und vom Mitbeschuldigten S. „die Ansage kam“, dass er, der Beschuldigte H., „kleinere oder Kurzwaffen“ in Tschechien besorgen werde. Er will sich allerdings weder dazu noch zu einer aktiven Mitwirkung bei Gewalttaten oder einer Geldzahlung bereit erklärt haben.

Dem stehen die Aussagen der Mitbeschuldigten U., Ba. und K. entgegen, die den Beschuldigten im oben genannten Sinne belastet haben. Nach ihrer Darstellung soll er sich nicht nur zu einer „offensiven“ Teilnahme an den Anschlägen und einer Zahlung von 5.000 € bekannt, sondern auch die Beschaffung von Kurzwaffen in Tschechien konkret zugesagt haben.

Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten der den dringenden Tatverdacht begründenden Tatsachen auf die ausführliche Darstellung und Würdigung im Haftbefehl vom 15. Februar 2020 und den Antrag des Generalbundesanwalts vom 7. August 2020 verwiesen.

c) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus jedenfalls, dass der Beschuldigte - wie im Haftbefehl angenommen - mit hoher Wahrscheinlichkeit eine terroristische Vereinigung unterstützte (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 StGB).

Die „Gruppe“ stellte nach den Ermittlungsergebnissen einen auf längere Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses im Sinne von § 129 Abs. 2 StGB dar, der darüber hinaus über - nach der Neuregelung durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2440) nicht mehr erforderliche - Strukturmerkmale wie etwa Führungspersonal und klare Aufgabenverteilung verfügte. Die Zwecke der Vereinigung waren jedenfalls auf die Verübung von bewaffneten Anschlägen auf Moscheen und damit auf die Begehung von Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) gerichtet.

Unter einem Unterstützen im Sinne des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB ist grundsätzlich jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds zu verstehen, das die innere Organisation der Vereinigung und ihren Zusammenhalt unmittelbar fördert, die Realisierung der von ihr geplanten Straftaten - wenngleich nicht unbedingt maßgebend - erleichtert oder sich sonst auf deren Aktionsmöglichkeiten und Zwecksetzung in irgendeiner Weise positiv auswirkt und damit die ihr eigene Gefährlichkeit festigt. Dies kann dadurch geschehen, dass ein Außenstehender mitgliedschaftliche Betätigungsakte eines Angehörigen der Vereinigung fördert; in diesem Sinne handelt es sich beim Unterstützen um eine zur Täterschaft verselbständigte Beihilfe zur Mitgliedschaft. Der Begriff des Unterstützens einer Vereinigung greift zudem über ein im strengeren Sinne des § 27 Abs. 1 StGB auf die Förderung der Tätigkeit eines Vereinigungsmitglieds beschränktes Verständnis hinaus; denn er bezieht sich in erster Linie auf die Vereinigung als solche, ohne dass im konkreten Fall die Aktivität des Nichtmitglieds zu einer einzelnen organisationsbezogenen Tätigkeit eines Organisationsmitglieds hilfreich beitragen muss. Das Wirken des Nichtmitglieds muss nicht zu einem von diesem erstrebten Erfolg führen, es genügt, wenn sein Tun für die Organisation objektiv nützlich ist, ohne dass ein messbarer Nutzen für diese eintritt. Die Wirksamkeit der Unterstützungsleistung und deren grundsätzliche Nützlichkeit müssen indes anhand belegter Fakten nachgewiesen sein (st. Rspr.; vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 19. April 2018 - 3 StR 286/17, BGHSt 63, 127 Rn. 17 f. mwN).

Nach den dargestellten Maßstäben kann schon allein in der Zusage eines Außenstehenden, zugunsten der Vereinigung Geld- oder Sachleistungen zu erbringen oder eine Straftat zu begehen, eine Unterstützungshandlung im Sinne von § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB liegen, selbst wenn es nicht zur Erfüllung der Zusage kommt. Voraussetzung ist insoweit allerdings, dass das Tun des Nichtmitglieds für die Vereinigung objektiven Nutzen entfaltet. Bereits die Zusage für sich genommen muss sich auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung oder eines ihrer Mitglieder in irgendeiner Weise positiv auswirken (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2015 - 3 StR 334/15, BGHR StGB § 129a Abs. 5 Unterstützen 6 Rn. 5 mwN; Urteil vom 19. April 2018 - 3 StR 286/17, BGHSt 63, 127 Rn. 21 ff.).

Hier sind die genannten Voraussetzungen einer Unterstützungshandlung erfüllt. Schon durch seine Teilnahme an den Gruppenchats und -treffen und insbesondere seine Diskussionsbeiträge bei dem Treffen am 7./8. Februar 2020 bestärkte der Beschuldigte die Mitglieder der Vereinigung, ihre terroristischen Bestrebungen in Form der Anschlagsplanungen fortzusetzen. Jedenfalls aber konnten die Zusagen, aktiv an den Anschlägen mitzuwirken, einen Teil der hierfür benötigten Waffen in Tschechien zu besorgen und sich an deren Finanzierung mit einem namhaften Betrag zu beteiligen, die Mitglieder der „Gruppe“ in ihrem Entschluss stärken, die geplanten Straftaten, die der Verwirklichung der terroristischen Ziele der Vereinigung dienten, tatsächlich zu begehen. Denn sie gewannen hierdurch den Eindruck, sie würden am entscheidenden Tag im Beschuldigten einen gewaltbereiten Komplizen an ihrer Seite haben und zugleich durch ihn in die Lage versetzt, die erforderlichen Tatmittel zu erwerben. Letzteres gilt besonders vor dem Hintergrund, dass der Beschuldigte nicht irgendeine beliebige Zahlung und die Beschaffung irgendwelcher Waffen zu einem unbestimmten Datum für wahllose Taten zusagte, sondern dass es um kurzfristig zu erwerbende spezifizierte Gewehre und Pistolen über bestehende Lieferschienen für konkrete Anschläge ging. Damit waren die Zusicherungen des Beschuldigten, zu deren Einlösung es wegen der Festnahmen nicht mehr kommen konnte, auch für die Vereinigung als solche objektiv nützlich und wirkten sich positiv auf ihr Bestehen und ihre Aktionsmöglichkeiten aus.

Ob dem Beschuldigten auch die mitgliedschaftliche Beteiligung an der „Gruppe“ angelastet werden kann, wofür vieles spricht, bedarf hier keiner Entscheidung.

2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Es ist wahrscheinlicher, dass sich der Beschuldigte - sollte er auf freien Fuß gelangen - dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm stellen wird. Der Beschuldigte hat im Fall seiner Verurteilung mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthemmenden Umstände entgegen. Zwar lebte der Beschuldigte zuletzt gemeinsam mit Ehefrau und Sohn in Mü. Seine Frau hat jedoch vor, zurück in ihr Heimatland zu gehen, wenn an den Vorwürfen „etwas dran“ sein sollte. Außerdem wurde dem Beschuldigten nach der Inhaftierung die Arbeitsstelle als Installateur bei einer Sanitätsfirma gekündigt. Es kommt hinzu, dass er durch seine Ehefrau über Kontakte ins Ausland verfügt. Darüber hinaus ist der Beschuldigte „Prepper“ und besitzt nach den Ermittlungserkenntnissen Erddepots im Wald, an denen er Vorräte, Kleidung und Waffen lagert. Dies und seine Kontakte zur rechtsextremistischen Szene sprechen für seine Bereitschaft und Fähigkeit zum jederzeitigen Untertauchen.

Weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO sind deshalb nicht erfolgversprechend.

3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen. Das Verfahren ist bisher mit der gebotenen Beschleunigung geführt worden.

Beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg ist eine Sonderkommission mit einer Vielzahl von Polizeibeamten mit den Ermittlungen zur „Gruppe“ befasst, die lageabhängig von weiteren Polizisten anderer Bundesländer und vom Bundeskriminalamt unterstützt wird. Es sind 53 Objekte durchsucht und 1.282 Asservate sichergestellt worden, darunter 97 Mobilfunkgeräte, 43 Computer und 149 Speichermedien. Dies entspricht einem Datenvolumen von 17,79 Terabyte bzw. über 59 Millionen Chatnachrichten, Bildern, Videos und Audiofiles. Deren Auswertung ist zu einem überwiegenden Teil fertiggestellt. Außerdem sind 13 Beschuldigten- und 53 Zeugenvernehmungen, umfangreiche Finanzermittlungen, daktyloskopische und molekulargenetische Untersuchungen sowie waffenrechtliche Bewertungen durchgeführt worden. Die Verfahrensakte umfasst derzeit 228 Stehordner. Der Abschluss der Ermittlungen ist für Herbst 2020 vorgesehen.

4. Schließlich steht die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1102

Bearbeiter: Christian Becker