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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 857

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 2 BGs 468/20, Beschluss v. 09.07.2020, HRRS 2021 Nr. 857


BGH 2 BGs 468/20 - Beschluss vom 9. Juli 2020 (Ermittlungsrichter)

Telekommunikationsüberwachung (Anwendung auf internetbasierte Chat- und Messaging-Dienste: „WhatsApp“, richterliche Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit); Beschlagnahmeverbot (Angehörigenverhältnis; Verzicht: Einwilligungserklärung, unvollständige Tatsachengrundlage); Belehrungspflichten bei der Zeugenvernehmung; eigenverantwortliche Prüfung des Ermittlungsrichters (Entscheidung auf Vorlage einzelner schriftlicher Antragsunterlagen; Unvollständigkeit der staatsanwaltschaftlich ausgewählten Teile der Ermittlungsakte: Verlust der erlangten Beweismittel, fortan grundsätzliche Vorlage der gesamten Ermittlungsakte).

Art. 10 GG; Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG; § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO; § 97 StPO; § 163 Abs. 3 Satz 2 StPO; § 52 Abs. 3 StPO; § 162 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zu den Voraussetzungen der Überwachung der Kommunikation über einen internetbasierten Instant-Messaging-Dienst („WhatsApp“).

2. Der in verschiedenen Vorschriften des Strafverfahrens garantierte Schutz eines Angehörigenverhältnisses zählt in seinem Kernbestand zu den rechtsstaatlich unverzichtbaren Erfordernissen eines fairen Verfahrens.

3. Grundsätzlich kann der zeugnisverweigerungsberechtigte Gewahrsamsinhaber auf das Beschlagnahme- und Verwertungsverbot aus § 97 Abs. 1 StPO verzichten. Denn das Verbot ist eine Folge seines Zeugnisverweigerungsrechts, über dessen Ausübung er entscheiden kann.

4. Allein dem angerufenen Richter obliegt vom Zeitpunkt seiner Befassung an die Entscheidung, in welcher Form und in welchem Umfang ihm die Entscheidungsgrundlagen vermittelt werden. Zur eigenverantwortlichen gerichtlichen Prüfung bedarf es nicht stets der Vorlage der gesamten Ermittlungsakten in Papierform. Ist der Verfahrenssachverhalt etwa bereits durch eine kurz zuvor erfolgte umfassende gerichtliche Prüfung bekannt und seither nach eigenständiger Prüfung der Staatsanwaltschaft kein bedeutsames Beweismaterial angefallen oder die Sache besonders eilbedürftig, kann auch auf Vorlage einzelner schriftlicher Antragsunterlagen entschieden werden.

5. Schließt die Staatsanwaltschaft in diesen Konstellationen ihrem Antrag auf Anordnung einer gerichtlichen Untersuchungshandlung (§ 162 StPO) nur ausgewählte Teile der Ermittlungsakten bei, so erklärt sie hierdurch zugleich, dass diese Auswahl nach ihrer eigenverantwortlichen Prüfung sämtliche bis zum Zeitpunkt der Antragsstellung angefallenen maßgeblichen Ermittlungsergebnisse enthält. Anderenfalls blieben Zweifel an der Vollständigkeit der gerichtlichen Entscheidungsgrundlage, die mit dem - von Verfassungs wegen - gebotenen präventiven Rechtsschutz durch den Ermittlungsrichter unvereinbar wären.

6. Erweist sich später, dass die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Auswahl entgegen einer solcherart abgegebenen Vollständigkeitserklärung für die Entscheidung der konkreten gerichtlichen Untersuchungshandlung unvollständig war, so kann dies im Einzelfall den Verlust der hierdurch erlangten Beweismittel besorgen lassen.

7. In diesen Verfahrenskonstellationen besteht grundsätzlich kein Raum mehr, auch fortan weitere ermittlungsrichterliche Anordnungen lediglich auf der Grundlage einer staatsanwaltschaftlichen Auswahl von Ermittlungsergebnissen zu erwirken. Der angerufene Ermittlungsrichter wird in dem betroffenen Verfahren nämlich nicht mehr davon ausgehen können, dass zukünftig zusammengestellte Aktenteile alle aktuellen und maßgebenden Ermittlungsergebnisse enthalten. Deshalb ist jedenfalls von diesem Zeitpunkt an grundsätzlich die Vorlage der gesamten Ermittlungsakte zur Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen der beantragten gerichtlichen Untersuchungshandlungen erforderlich.

Entscheidungstenor

1. Gemäß § 100a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1d), Abs. 3 Var. 3, § 100e Abs. 1 und 3, § 162, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO wird die Überwachung und Aufzeichnung der über den durch den unverdächtigen P. genutzten Mobilfunkanschluss mit der Rufnummer ... Anschlussinhaber: P., ... Netzbetreiber: ... geführten Telekommunikation (Telefongespräche und Datenverkehr) bis einschließlich 6. September 2020, 24:00 Uhr, angeordnet.

2. Der Zurückstellung der Benachrichtigung der Beteiligten der betroffenen Telekommunikation von der Erhebung der Verkehrsdaten bis zwölf Monate nach Beendigung der Maßnahme wird zugestimmt (§ 101a Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 StPO).

3. Hinsichtlich der Kenntnisnahme und Speicherung der aus der Anordnung gemäß Nummer 1 gewonnenen Daten wird Folgendes angeordnet:

a) Telekommunikation und Datenverkehr, die/der offensichtlich nicht von der Beschuldigten herrührt oder für diese bestimmt ist oder bei der/dem offensichtlich ist, dass kein Bezug zur Beschuldigten vorliegt, darf weder geöffnet, gelesen noch sonst zur Kenntnis genommen werden, sondern ist mit den dazugehörigen Verkehrsdaten unverzüglich zu löschen.

b) Telekommunikation und Datenverkehr, bei der/dem nicht offensichtlich ist, dass sie/er von der Beschuldigten herrührt, für sie bestimmt ist oder einen Bezug zur Beschuldigten aufweist, ist mit den dazugehörigen Verkehrsdaten unverzüglich zu löschen, sobald erkennbar ist, dass sie/er weder von der Beschuldigten herrührt noch für sie bestimmt ist oder keinen Bezug zu ihr aufweist.

c) Die Regelung des § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO bleibt unberührt.

Gründe

A.

Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof führt gegen die Beschuldigte A. ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland ("...“ ) nach § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 in Verbindung mit § 129a Abs. 1 Nrn. 1 und 2 StGB.

1. ...

2. ...

3. Auf Antrag des Generalbundesanwaltes beim Bundesgerichtshof ordnete der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes mit Beschlüssen vom 16. September 2019 - 2 BGs ... - die Überwachung und Aufzeichnung der über den in der Beschlussformel benannten Mobilfunkanschluss des Vaters der Beschuldigten geführten Telekommunikation nach § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO an.

4. ...

5. ...

Die Maßnahme wurde durch Beschluss vom 13. März 2020 - 2 BGs ... - bis zum ... verlängert.

6. Am 10. Juni 2020 beantragte der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof die weitere Verlängerung der Maßnahme und führte hierzu in seiner Antragsschrift aus:

„Der Anschluss wird von den Eltern als Nachrichtenmittler genutzt. Nach den Erkenntnissen aus der bislang durchgeführten Überwachung des oben genannten Anschlusses steht die Beschuldigte mit ihrer Mutter fortlaufend über Messengerdienste in Kontakt. Darüber hinaus wird die Mutter über den Mobilfunkanschluss durch weitere - ... jedenfalls nahestehende - Personen kontaktiert, die ihr Nachrichten der Beschuldigten konspirativ übermitteln…“ Beigeschlossen waren dem Antrag eine Beschlussanregung des LKA vom 9. Juni 2020 nebst Anlagen sowie ein Stehordner „Anlagen zu Anträgen an den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs Auszüge aus der Sachakte und den Sachakten-Sonderheften TKÜ“. In der Beschlussanregung wurde festgehalten, dass die „WhatsApp Accounts der Eltern seit dem 12. Januar 2020 überwacht werden“ und hierdurch dessen Kontakte zur Beschuldigten belegt werden könnten.

7. Auf gerichtliche Nachfrage wurde durch den Generalbundesanwalt per E-Mail vom 10. Juni 2020 ein polizeilicher Vermerk vom 13. Januar 2020 übersandt, in dem festgehalten wird:

„Am 12. Januar 2020 kam es zur Vernehmung der Eheleute P. Im Rahmen der Vernehmung überließen P. den Vernehmungsbeamten freiwillig für einen kurzen Zeitraum ihre mitgeführten Mobiltelefone, damit darauf enthaltene Nachrichten von ihrer Tochter eingesehen und u.a. fotografiert werden konnten. Im Zuge der Fertigung von entsprechenden Fotos konnte die computerbasierte Anwendung WhatsApp Web, über eine vom BKA online zur Verfügung gestellte Internetseite verdeckt aktiviert werden, sodass die Nachrichten über einen BKA Rechner mitgelesen werden können. Es liegt kein Eingriff in Form eines Trojaners o.ä. vor. Die Planung und Durchführung der Maßnahme wurde im Vorfeld am 7. Januar 2020 mit der Bundesanwaltschaft besprochen.“ Am 15. Juni 2020 wurde ergänzend auch der Vermerk des Kriminalhauptkommissars W. vom selben Tage übersandt, der zur Situation am 12. Januar 2020 festhält:

Am 12.01.2020 kam es zur Vernehmung der Zeugen P. Nach Belehrung gem. StPO wurde die Vernehmung der Eheleute nacheinander durch PK'in W. und mich durchgeführt. Schon im Vorfeld der Vernehmung hatten die Eheleute angekündigt ihre Mobiltelefone freiwillig herauszugeben, um Nachrichten von ihrer Tochter polizeilich sicherstellen zu lassen. So wurden sie insbesondere in Hinblick auf ihr freiwilliges Mitwirken gem. § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO belehrt. Im Rahmen der Vernehmung kam es dann zur freiwilligen Herausgabe der Smartphones durch die Zeugen an die neben PK’in W. und mir eingesetzten Beamten POK C. und PK T. So sollten wie o.a. mit Einwilligung der Betroffenen Chatverläufe zwischen den Eltern und der Besch. A. (Tochter) kopiert und zudem fotographisch gesichert werden. Die Maßnahme der Sicherung der Chatverläufe fand parallel zu der jeweiligen Vernehmung im selben Raum statt. Gemäß Absprache mit der Bundesanwaltschaft vom 07.01.2020 sollte im Rahmen dessen aufgrund der bestehenden TKÜ Beschlüsse v. 13.12.2019 … die künftige WhatsApp-Webb-Überwachung in die Wege geleitet werden.“ Ein staatsanwaltschaftlicher Vermerk über die mit der Polizei getroffene Absprache wurde nicht vorgelegt.

B.

Die Voraussetzungen für die erneute Verlängerung der Maßnahme liegen vor.

I.

Die Beschuldigte ist verdächtig, sich seit September 2014 in Syrien an der terroristischen Vereinigung im Ausland "...“ mitgliedschaftlich beteiligt zu haben, indem sie sich dieser Vereinigung anschloss, sich deren Befehlsgewalt unterwarf, sich in ihr ... betätigte und darüber hinaus ... dadurch förderte, dass sie sich ...

II.

Hinsichtlich der rechtlichen Würdigung wird Bezug genommen auf den Beschluss vom 16. September 2019 - 2 BGs ... ; hinsichtlich der Bewertung des Tatverdachts wird Bezug genommen auf den Beschluss vom 12. März 2020 - 2 BGs ...

III.

Auch die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen liegen vor.

1. Gegen die Beschuldigte besteht der Verdacht, sich wegen einer Katalogtat im Sinne des § 100a Abs. 2 Nr. 1 d) StPO. Es handelt es sich wegen des langen Aufenthalts im Gebiet ... auch im konkreten Einzelfall um eine schwerwiegende Straftat im Sinne des § 100a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Nr. 1d) StPO.

2. Der Anschluss wird vom Vater der Beschuldigten als Nachrichtenmittler genutzt.

3. Die Überwachung der Telekommunikation über den genannten Anschluss ist zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts jedenfalls für den in der Beschlussformel benannten Zeitraum noch geeignet und auch noch erforderlich; insbesondere tragen die im vergangenen Anordnungszeitraum gewonnenen Erkenntnisse die Verlängerungsanordnung (§ 100e Abs. 1 Satz 5 StPO). Zumindest die Angaben der Eltern... belegen die naheliegend auch derzeit noch fortbestehenden Kontakte zu ihrer Tochter.

4. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass durch die beantragte Maßnahme allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung im Sinne des § 100d Abs. 1 StPO erlangt würden.

5. Eine Erforschung des Sachverhalts mit anderen Mitteln wäre wesentlich erschwert, vermutlich sogar aussichtslos.

IV.

Lediglich ergänzend sei auf Folgendes hingewiesen:

1. Die bisher durch den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof gestellten Anträge auf Überwachung der über den in der Beschlussformel benannten Mobilfunkanschluss abgewickelten Telekommunikation des Drittbetroffenen umfassten nicht zugleich die durchgeführte spezifische Überwachung der mittels des Messenger-Dienstes WhatsApp ausgetauschten Nachrichten. Den Anträgen war zunächst nur die Absicht zu entnehmen, auf dort nicht näher konkretisierte Art und Weise über die richterliche Anordnung nach „§ 100a Abs. 1 Satz 1 und 3 StPO“ auch Zugriff auf einen Messanger-Dienst zu nehmen (vgl. Antrag vom 19. Dezember 2019, S. 4). Auch die Folgeanträge vom 18. März und 10. Juni 2020 haben dies nicht ausdrücklich zum Gegenstand des Anordnungsbegehrens gemacht. Es wurde vielmehr nur nur mitgeteilt, dass aus der Überwachung von WhatsApp Erkenntnisse gewonnen wurden. Dass in den polizeilichen Anregungen etwa die „Überwachung“ des WhatsApp-Accounts „im Rahmen der TKÜ-Maßnahme“ erwähnt wird, ändert am Fehlen einer eindeutig auf die hier im Raum stehende spezifische Messenger-Überwachung abzielenden Prozesserklärung der Staatsanwaltschaft nichts (vgl. zur notwendigen Konkretisierung des Antrags als Prozesserklärung auch G. Schäfer, FS Roxin [2011], S. 1299, 1304).

Damit wurde die - notwendige spezifische (vgl. nachstehend B.IV.2) - richterliche Anordnung für diese Überwachungsmaßnahme (§ 100e Abs.1 Satz StPO) nicht erwirkt.

2. Allerdings erweist sich § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich als einschlägige gesetzliche Anordnungsgrundlage für diese spezifische Überwachungstechnik.

a) Hierdurch wird auf Telekommunikation im Sinne des § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO zugegriffen.

aa) Unter den Begriff der Telekommunikation fallen alle Kommunikationsvorgänge, die sich der Telekommunikationstechnik unter Nutzung einer entsprechenden Anlage und der darauf bezogenen Dienstleistungen eines Dritten bedienen. Erfasst sind daher das Aussenden, Ãœbermitteln und Empfangen von Nachrichten jeglicher Art, sofern dabei Telekommunikationsanlagen verwendet werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2016 - 2 BvR 1454/13, NJW 2016, 3508; Urteil vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07, NJW 2008, 822, 825; BGH, Urteil vom 14. März 2003 - 2 StR 341/02, NJW 2003, 2034). Die nähere Auslegung des Begriffs muss sich insbesondere auch an dem grundrechtlichen Schutz des Betroffenen durch Art. 10 GG orientieren, denn das Fernmeldegeheimnis ist der verfassungsrechtliche Maßstab für die heimliche Ãœberwachung flüchtiger Daten (BVerfG, a.a.O., 3509). Es kommt im Rahmen des Art. 10 Abs. 1 GG weder auf die technische Umsetzung der Kommunikation noch auf deren Inhalt und Empfängerkreis an. Ob sie leitungsgebunden oder drahtlos, analog oder digital, offen oder verdeckt erfolgt, ist ebenso ohne Belang wie die Länge des Ãœbermittlungswegs, die sinnliche Wahrnehmbarkeit des Ãœbermittelten oder die Frage, ob Massen-, Individual- oder Maschinenkommunikation vorliegt. Entscheidend ist die fehlende Verkörperung der zunächst übermittelten, dann empfangenen und schließlich wiedererzeugten Information (vgl. BVerfG, a.a.O.). Ebenso irrelevant ist, wer Betreiber der Ãœbertragungs- und Vermittlungseinrichtungen ist; das Grundrecht ist insgesamt „entwicklungsoffen“ (vgl. BVerfG, a.a.O., 3510). Unabhängig vom Ãœbertragungsweg und der Ãœbermittlungsform ist also allein maßgeblich, dass die Informationen körperlos befördert werden und dass sie am Empfangsort wieder erzeugt werden können. Dies macht ihre Vulnerabilität für heimliche Ausforschungsmaßnahmen aus (vgl. BVerfG, a.a.O.).

bb) Hiervon erfasst wird auch der Nachrichtenaustausch über internetbasierte Chat- und Messaging-Dienste (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07, NJW 2008, 822, 825; ferner im Einzelnen von zur Mühlen, Zugriffe auf elektronische Kommunikation [2019], S. 41 f.). Namentlich bei WhatsApp handelt es sich um einen Instant-Messaging-Dienst, mittels dessen Benutzer Textnachrichten, Bild-, Video- und Ton-Dateien, Dokumente, Standortinformationen und Kontaktdaten zwischen zwei Personen oder in Gruppen austauschen können (vgl. näher Kühling/Schall, CR 2015, 641, 642; BeckOK-StPO/Graf, 36. Ed., § 100a Rn. 71). Die Kommunikation erfolgt grundsätzlich durch den auf einem Smartphone installierten lokalen Client („App“). Eine mit dem Anwendungsprogramm „WhatsApp-Messenger“ in diesem Client vom Nutzer erstellte, zwischengespeicherte (vgl. BeckOK-TKG/Graf, 36. Ed., § 107 Rn. 10) und sodann abgesandte Nachricht wird - nach Auskunft des Bundeskriminalamtes - verschlüsselt zunächst über das Internet an den zwischengeschalteten Server von WhatApp übertragen und von dort an den adressierten Nutzer weitervermittelt; in der App des Empfängers wird die Nachricht abschließend entschlüsselt (vgl. auch Kühling/Schall, a.a.O., 648).

cc) Dass die vom Betroffenen erzeugten und über das Internet versandten Nachrichten nach ihrem Eingang auf dem Server durch den spezifischen Eingriff der Ermittlungsbehörden - nach Auskunft des Bundeskriminalamtes - allein von dort nicht nur an den Adressaten der Nachricht, sondern auch an die Ermittlungsbehörden ausgeleitet werden, ändert an der Einordnung des Überwachungsgegenstandes als Telekommunikation nichts. Inmitten steht damit vielmehr ein internetbasiertes funktionales Äquivalent zur herkömmlichen Telekommunikationsüberwachung (vgl. § 100a Abs. 1 Satz 3 StPO).

dd) Die demzufolge notwendigen hohen Anforderungen an die Bedeutung der zu verfolgenden Straftat im jeweiligen Einzelfall (vgl. § 100a Abs. 1 Satz Nr. 2 und Absatz 2 StPO) und den für den Zugriff erforderlichen Tatverdacht (vgl. § 100a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO; vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 2 BvR 902/06, BVerfGE 124, 43, 62) werden von § 100a Abs. 2 StPO erfüllt (vgl. hierzu ferner von zur Mühlen, .a.a.O., S. 198 m.w.N.).

ee) Eine Anordnung nach § 100a Abs. 1 Satz 1, § 100e Abs. 1 Satz 1, Absatz 3 Satz 1 Nr. 4 StPO ist auch nicht auf Maßnahmen beschränkt, die zwingend die Einbindung eines Telekommunikationsdienstes erfordern. Vielmehr kann die Überwachung und Aufzeichnung - sofern technisch möglich und in der Entscheidungsformel nicht ausdrücklich anders bestimmt (vgl. § 100e Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 StPO) - durch die Ermittlungsbehörden auch mit eigenen Mitteln, etwa durch Anmeldung eines weiteren Endgerätes oder Generierung einer webbasierten Datenausleitung, durchgeführt werden (vgl. BT-Drucks. 16/5846, S. 47; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 63. Aufl., § 100a Rn. 8).

ff) Soweit aus den vorstehenden Gründen der Schutzbereich des Artikels 10 Abs. 1 GG eröffnet ist, kommt das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht bzw. das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht zur Anwendung (vgl. nur BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08, NJW 2010, 833).

gg) Dies gilt gleichermaßen für das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Ein Ausnahmefall, in dem die anderen Freiheitsgewährleistungen keinen hinreichenden Schutz gewähren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2016 - 2 BvR 1454/13, NJW 2016, 3508, 3509), liegt hier nicht vor. Im Ãœbrigen wäre auch der Schutzbereich dieses Grundrechts hier nicht eröffnet. Es wird durch die Zwangsmaßnahme nicht auf ein informationstechnisches System insgesamt zugegriffen, sondern allein auf die über den in der Beschlussformel benannten WhatsApp-Account geführte Korrespondenz (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07, NJW 2008, 822, 827). Damit werden Inhalte und Umstände einer laufenden Telekommunikation im Rechnernetz erhoben und ausgewertet; bedeutungslos ist für die Einordnung, dass das Endgerät ein komplexes informationstechnisches System ist, dessen Einsatz zur Telekommunikation nur eine unter mehreren Nutzungsarten darstellt (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07, NJW 2008, 822, 825). Alle anderen weiteren Nutzungsmöglichkeiten des Endgeräts sind von der Maßnahme nicht betroffen. So sind beispielsweise weder das im informationstechnischen System gespeicherte Kontaktverzeichnis noch sonstige Applikationen oder Speicherorte durch das eingesetzte Mittel auszulesen („Sandboxing“-Konzept). Vielmehr werden allein die dem Provider aus spezifischer WhatsApp-Kommunikation vorliegenden Daten vom Server übermittelt. Die weiteren Nutzungsmöglichkeiten des Endgerätes werden auch nicht etwa als Reflex des Zugriffs hiervon erfasst. Soweit auch retrograde Kommunikationsdaten und Inhalte aus der Nutzung des Clients „WhatsApp“ hierdurch übermittelt werden, sind die Erhebungsakte strikten maßnahmespezifischen Anordnungen zu unterwerfen (s. B.II.2.b]dd]).

b) Allerdings umfasst eine allgemeine richterliche Anordnung zur Überwachung und Aufzeichnung der über einen Mobilfunkanschluss abgewickelten („herkömmlichen“) Telekommunikation die spezifische WhatsApp-Überwachung nicht. Erforderlich ist vielmehr eine bei jedem Einsatz dieser operativen Maßnahme am Einzelfall zu messende Verhältnismäßigkeitsprüfung und hieraus gegebenenfalls folgende Eingriffsbeschränkungen.

aa) Zwar sind Gegenstand der Telekommunikation auch solche Inhalte, welche die Ermittlungsbehörden - sofern sie nicht verschlüsselt wären - in Echtzeit aufgrund der Überwachung des Mobilfunkanschlusses mitlesen könnten (insoweit vergleichbar mit SMS).

bb) Auch kann dem auf der Erhebungsebene - wegen der automatisierten Aufzeichnung und wegen fehlender softwaretechnischer Steuerung - nicht umfassend zu gewährleistenden Kernbereichsschutz mit dem absoluten Verwertungsverbot, dem unverzüglichen Löschungsgebot und der dazugehörigen Dokumentationsverpflichtung (§ 100a Abs. 1 und 2 StPO) wirksam begegnet und der notwendige Grundrechtsschutz auch bei dieser spezifischen Ãœberwachungsmaßnahme im Rahmen von § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO auf der Auswertungsebene - verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2011 - 2 BvR 236, 237, 422/08, BVerfGE 208, 249; BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2016 - 2 BvR 1454/13, NJW 2016, 3508, 3511) - gewährleistet werden.

cc) Erforderlich ist aber eingedenk der damit verbundenen Eingriffstiefe stets eine richterliche Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit der spezifischen Überwachungsmaßnahme.

(1) Vom Anwendungsbereich des § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO werden grundsätzlich auch bei WhatsApp gespeicherte Nachrichteninhalte und Dateien erfasst, die bereits vor Erlass einer entsprechenden Anordnung versandt oder empfangen worden waren (Entwürfe werden nach Auskunft des Bundeskriminalamts durch den Nutzer-Client nicht übermittelt).

Hierfür spricht schon die bei § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO im Gesetzeswortlaut fehlende Einschränkung auf laufende Telekommunikation; diese Beschränkung findet sich lediglich in § 100a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 lit. a) StPO für die Quellen-TKÜ. Dies erweist sich mit Blick auf die mit dieser Maßnahme verbundene erheblich größere Eingriffstiefe auch systematisch als stimmig. Denn dort wird auf das gesamte informationstechnische System und nicht lediglich auf einen Client („Sandbox“) zugegriffen (vgl. - zu retrograden E-Mails - nur Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, 63. Aufl., § 100a Rn. 6c). Soweit hiergegen unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme aus dem Gesetzgebungsverfahren (Änderungsantrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung [BT-Drucks. 18/11272] vom 15. Mai 2017 [Ausschussdrucksache 18(6)334]) eingewandt wird, dass - entgegen dem eindeutigen und auch systematisch stimmigen Gesetzeswortlaut - durch die Neufassung der Norm durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 [BGBl. I, S. 3202) eine Angleichung des Regelungsbereichs von § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO mit dem des § 100a Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO erstrebt worden sei (vgl. von zur Mühlen, a.a.O., S. 406), überzeugt dies nicht. Es ist schon nicht erkennbar, dass die Stellungnahme aus dem laufenden Gesetzgebungsverfahren auch die hier in Rede stehende spezifische Überwachungsmaßnahme im Blick hatte.

Schließlich streitet für die Erfassung retrograder Chatinhalte durch § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO - ebenso wie bei der Kommunikation mittels E-Mail (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, § 100a Rn. 6b m.w.N.) - das durch die Eingriffsnorm zudem gewährleistete besonders hohe Schutzniveau (vgl. hingegen die niederschwelligen Anforderungen nach §§ 94, 98 StPO). Dieses entspricht insbesondere den hier zu erfüllenden verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 10 GG. Denn Artikel 10 Abs. 1 GG knüpft nicht an den technischen Begriff der Telekommunikation in § 3 Nr. 22 TKG an, sondern an den Grundrechtsträger und dessen Schutzbedürftigkeit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 2 BvR 902/06, BVerfGE 124, 43, 56; ferner von zur Mühlen, a.a.O., S. 403; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, a.a.O.). Diese Schutzbedürftigkeit ist bei den beim Provider gespeicherten Chats nach wie vor gegeben. Denn die gespeicherten Kommunikationsinhalte befinden sich gerade nicht im alleinigen Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers, sondern beim Provider. Eine Weitergabe der Daten durch diesen kann der Kommunikationsteilnehmer faktisch nicht verhindern, sodass diese Auslagerung die betroffenen Daten einem potentiellen neuerlichen verdeckten staatlichen Zugriff aussetzt (vgl. BVerfG, a.a.O.). Der Betroffene kann nur auf seine gespeicherten Kommunikationsinhalte zugreifen, wenn er eine technische Verbindung und eine vertragliche Beziehung zum Provider weiter unterhält.

(2) Dem zum Grundrechtsschutz der Betroffenen berufenen Ermittlungsrichter obliegt es allerdings insbesondere, die Ausgestaltung einer Ãœberwachung in jedem Einzelfall den Erfordernissen anzupassen und die Angemessenheit jeder Maßnahme sorgfältig zu überprüfen. In diese richterliche Gesamtbewertung sind namentlich einzustellen das im Einzelfall zu bestimmende Gewicht der inmitten stehenden Straftat (vgl. § 100e Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO; ferner BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 2 BvR 902/06, BVerfGE 124, 43, 66 f.; BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2016 - 2 BvR 1454/13, NJW 2016, 3508, 3511), die Erforderlichkeit einer etwa kumulativen Anordnung der spezifischen Messenger-Ãœberwachung neben bereits durchgeführter oder zugleich beantragter Maßnahmen nach § 100a Abs. 1 StPO und die Reichweite der Messenger-Ãœberwachung im Einzelfall. So ist namentlich zu prüfen und zu bestimmen, ob und ggf. in wie weit die zwangsläufig durch den Sever übermittelten und aufgezeichneten retrograden Kommunikationsinhalte auch ausgewertet werden dürfen oder - naheliegend verbundenen mit einer Dokumentationsverpflichtung - unverzüglich gelöscht werden müssen; die Eingriffstiefe kann ferner dahin begrenzt werden, dass etwa nur die Kommunikation mit einzelnen Beteiligten auszuwerten und die übrigen Inhalte zu löschen sind (vgl. § 100e Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und 4 StPO). Ãœberwölbt wird diese Abwägung freilich in jedem Fall vom Gepräge der Messenger-Kommunikation; die hierüber vermittelten Text- und Sprachnachrichten bleiben nämlich hinter dem Gewicht der durch spontane - auch Emotionen unvermittelt transportierenden - Interaktion mittels herkömmlicher Sprachtelefonie zurück. Allein die von einem Provider angebotene Verschlüsselung schafft für die von richterlich angeordneten Ãœberwachungsmaßnahmen betroffenen Kommunikationsinhalte keine gesteigerte Grundrechtsrelevanz.

3. Ferner ist anzumerken, dass auch der Zugriff der Ermittlungsbehörden auf das Mobiltelefon des Zeugen hier rechtlichen Bedenken begegnet.

a) Der Zeuge wurde als Vater der Beschuldigten ausweislich der beiden polizeilichen Vermerke und der Vernehmungsniederschriften über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt und auf das Beschlagnahmeverbot aus § 97 StPO hingewiesen. In Kenntnis seiner Rechte übergab er den eingesetzten Polizeibeamten „freiwillig“ sein mitgeführtes Mobiltelefon, „damit darauf enthaltene Nachrichten von ihrer Tochter eingesehen und u.a. fotografiert werden konnten“ ... Die auf dem Mobiltelefon gespeicherten Chatverläufe mit der beschuldigten Tochter wurden - „mit Einwilligung“ des Zeugen ... - sodann gesichert. Allerdings wurde darüber hinaus durch die eingesetzten Polizeikräfte - in „Absprache“ mit der Staatsanwaltschaft - in dem Client „WhatsApp“ auf dem Mobiltelefon des Zeugen „verdeckt“ die spezifische Messenger-Überwachung „aktiviert“, sodass fortan sämtliche über WhatsApp versandte oder aber empfangene Nachrichten sowie noch bei WhatsApp gespeicherte retrograde Chat-Nachrichten durch die Ermittlungsbehörden überwacht, aufgezeichnet und ausgewertet wurden.

b) Zwar sind die Ermittlungsbehörden damit ihren Belehrungspflichten im Rahmen der durchgeführten Zeugenvernehmung nachgekommen (§ 163 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 52 Abs. 3 StPO; ferner Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 63. Aufl., § 97 Rn. 5 f.). Auch werden die erlangten Erkenntnisse nicht schon vom Beweisverwertungsverbot aus § 163 Abs. 2, § 69 Abs. 3 i.V.m. § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO erfasst; sie wurden nämlich außerhalb und - soweit ersichtlich wohl - überwiegend erst im Anschluss an die Zeugenvernehmung durch einen softwaregestützten Ausleitungsvorgang erhoben und mit dem Zeugen freilich auch nicht besprochen; diese Erkenntnisse waren daher kein Aussagegegenstand (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2012 - 1 StR 137/12, NStZ 2013, 247; ferner LR/Cirener/Sander, 27. Aufl., § 252 Rn. 36), der ursächlich auf eine verbotene Vernehmungsmethode zurückzuführen ist (vgl. hierzu nur Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 136a Rn. 27 f. m.w.N.).

c) Die eingesetzten Polizeibeamten haben aber - in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft - durch den durch sie begründeten Gewahrsam an dem Mobiltelefon das Vertrauensverhältnis zwischen der Beschuldigten und ihrem Vater missachtet. Dies erweist sich als Rechtsverstoß. Denn der in verschiedenen Vorschriften des Strafverfahrens garantierte Schutz eines Angehörigenverhältnisses (vgl. § 52 Abs. 1 und 3, § 97 Abs. 1, § 100d Abs. 4 Satz 2, § 252 StPO) zählt in seinem Kernbestand zu den rechtsstaatlich unverzichtbaren Erfordernissen eines fairen Verfahrens (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. März 2000 - 2 BvR 2017 u. 2039/94, NStZ 2000, 489, 490).

aa) Der polizeiliche Gewahrsam an dem grundsätzlich beschlagnahmefreien Mobiltelefon war - in der hier gegeben Verfahrenskonstellation - nur möglich durch eine einverständliche Herausgabe durch den Zeugen. Grundsätzlich kann der zeugnisverweigerungsberechtigte Gewahrsamsinhaber auf das Beschlagnahme- und Verwertungsverbot aus § 97 Abs. 1 StPO verzichten. Denn das Verbot ist eine Folge seines Zeugnisverweigerungsrechts, über dessen Ausübung er entscheiden kann (vgl. bereits BGH, Urteil vom 23. Januar 1963 - 2 StR 534/62, BGHSt 18, 227, 230; ferner LR/Menges, 27. Aufl., § 97 Rn. 55 m.w.N.).

bb) Dies setzt allerdings eine wirksame Einwilligungserklärung des Zeugen voraus. Hieran fehlt es. Zwar hat der Zeuge - ausweislich der insoweit eindeutigen polizeilichen Vermerke - sein Einverständnis damit erklärt, dass die Ermittlungsbehörden die in der Applikation „WhatsApp“ auf seinem Mobiltelefon gespeicherten Chatnachrichten mit der Beschuldigten nach Übergabe des Gerätes auslesen oder fotografieren. Er wurde dabei aber über die Reichweite des tatsächlich von Beginn an erstrebten Zugriffs bewusst im Unklaren gelassen. Seine Einwilligung konnte daher nicht zugleich das Vorhaben der Ermittlungsbehörden umfassen, durch eine Manipulation der Applikation fortan die gesamte zukünftige Kommunikation - unabhängig von seinen jeweiligen Dispositionen - aufzuzeichnen und zu überwachen. Auf dieser unvollständigen Tatsachengrundlage war hier eine wirksame autonome Disposition des Gewahrsamsinhabers über seine Rechtspositionen nicht wirksam möglich (vgl. hierzu etwa Rogall, JZ 1996, 944, 945; Fezer, JuS 1978, 765, 768).

d) Auch eine richterliche Anordnung der spezifischen WhatsApp-Überwachung hätte den Zugriff der Ermittlungsbehörden in der vorbeschriebenen Art und Weise freilich nicht gerechtfertigt (vgl. hier allgemein Derin/Golla, NJW 2019, 1111 ff.).

4. Abschließend ist - abermals (vgl. Beschlüsse vom 12. Mai 2020 - 1 BGs 154-259/20, 22. Mai 2020 - 2 BGs 342/20 und vom 15. Juni 2020 - 2 BGs 373/20) - anzumerken, dass die Staatsanwaltschaft als Herrin des Vorverfahrens gewissenhaft dafür Sorge zu tragen hat, dass der Ermittlungsrichter seine Entscheidungen auf der Grundlage aller maßgeblichen, bis zu dem jeweiligen Zeitpunkt angefallenen - be- und entlastenden - Ermittlungsergebnisse treffen kann (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 26. Februar 2020 - StB 5/20 Rn. 26 - und vom 11. März 2010 - StB 16/09, NStZ 2010, 711, 712)

a) Allein dem angerufenen Richter obliegt vom Zeitpunkt seiner Befassung an die Entscheidung, in welcher Form und in welchem Umfang ihm die Entscheidungsgrundlagen vermittelt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 - 2 BvR 2718/10, 1849 und 2808/11, BVerfGE 139, 245, 274, 277 ff.; G. Schäfer, FS Roxin [2011], S. 1299, 1305). Zur eigenverantwortlichen gerichtlichen Prüfung bedarf es nicht stets der Vorlage der gesamten Ermittlungsakten in Papierform. Ist der Verfahrenssachverhalt etwa bereits durch eine kurz zuvor erfolgte umfassende gerichtliche Prüfung bekannt und seither nach eigenständiger Prüfung der Staatsanwaltschaft kein bedeutsames Beweismaterial angefallen oder die Sache besonders eilbedürftig, kann auch auf Vorlage einzelner schriftlicher Antragsunterlagen entschieden werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 - 2 BvR 2718/10, 1849 und 2808/11, BVerfGE 139, 245, 275; BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 - 2 BvR 2718/10, 1849 und 2808/11, BVerfGE 139, 245, 270; BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - 2 StR 46/15, NStZ 2017, 367, 369; vgl. aus amtshaftungsrechtlicher Sicht auch BGH, Urteil vom 23. Oktober 2003 - III ZR 9/03, NJW 2003, 3693, 3695).

b) Schließt die Staatsanwaltschaft in diesen Konstellationen allerdings ihrem Antrag auf Anordnung einer gerichtlichen Untersuchungshandlung bei (§ 162 StPO) nur ausgewählte Teile der Ermittlungsakten bei, so erklärt sie hierdurch zugleich, dass diese Auswahl nach ihrer eigenverantwortlichen Prüfung sämtliche bis zum Zeitpunkt der Antragsstellung angefallenen maßgeblichen Ermittlungsergebnisse enthält. Anderenfalls blieben Zweifel an der Vollständigkeit der gerichtlichen Entscheidungsgrundlage, die mit dem - von Verfassungs wegen - gebotenen präventiven Rechtsschutz durch den Ermittlungsrichter unvereinbar wären.

c) Erweist sich später, dass die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Auswahl entgegen einer solcherart abgegebenen Vollständigkeitserklärung für die Entscheidung der konkreten gerichtlichen Untersuchungshandlung unvollständig war, so kann dies im Einzelfall den Verlust der hierdurch erlangten Beweismittel besorgen lassen (vgl. G. Schäfer, FS Roxin [2011], S. 1299, 1310; Krehl, StraFo 2018, 265, 271; OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. Oktober 2018 - V-6 Kart7/17 [OWi], WuW 2020, 101; vgl. zu amtshaftungsrechtlichen Folgen BGH, Urteil vom 23. Oktober 2003 - III ZR 9/03, NJW 2003, 3693, 3696); Versäumnisse ihrer Ermittlungspersonen hat sich die Staatsanwaltschaft wegen ihrer Leitungsfunktion und als aktenführende Stelle im Strafverfahren zurechnen zu lassen (§ 161 StPO, § 152 GVG; vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2016 - 2 BvR 2474/14, StV 2017, 361, 362 f.; BGH, Beschluss vom 26. April 2017 - 2 StR 247/16, NJW 2017, 3173; Wohlers/Schlegel, NStZ 2010, 486, 487).

d) Zugleich besteht in diesen Verfahrenskonstellationen grundsätzlich kein Raum mehr, auch fortan weitere ermittlungsrichterliche Anordnungen lediglich auf der Grundlage einer staatsanwaltschaftlichen Auswahl von Ermittlungsergebnissen zu erwirken. Der angerufene Ermittlungsrichter wird in dem betroffenen Verfahren nämlich nicht mehr davon ausgehen können, dass zukünftig zusammengestellte Aktenteile alle aktuellen und maßgebenden Ermittlungsergebnisse enthalten. Deshalb ist jedenfalls von diesem Zeitpunkt an grundsätzlich die Vorlage der gesamten Ermittlungsakte zur Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen der beantragten gerichtlichen Untersuchungshandlungen erforderlich.

e) So liegt es hier. Dass die Ermittlungsbehörden die spezifische Messenger-Überwachung hinsichtlich des WhatsApp-Accounts des Drittbetroffenen einsetzten, wurde erst durch die - auf gerichtliche Nachfrage vom 10. Juni 2020 hin erfolgte - Übersendung des polizeilichen Vermerks vom 13. Januar 2020 bekannt. Damit bestand bis dahin aber keine Möglichkeit, den erfolgten umfassenden Zugriff auf die Chat-Nachrichten im Rahmen von gerichtlichen Verhältnismäßigkeitserwägungen bei den im März 2020 beantragten Verlängerungsanordnungen zu prüfen. Überdies konnte gerichtlich nicht gewürdigt werden, ob die mit den Verlängerungsanträgen jeweils vorgelegten Erkenntnisse aus der spezifischen Messenger-Überwachung - auch mit Blick auf den dargestelltem Fairnessverstoß beim Zugriff auf das Mobiltelefon des Drittbetroffenen - verwertbar und damit geeignet waren, die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Verlängerung der Anordnungen zu tragen (§ 100e Abs. 1 Satz 5 StPO). Vor diesem Hintergrund wird darum gebeten, weiteren Anträgen in diesem Verfahren die vollständigen Ermittlungsakten in Papierform beizuschließen.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 857

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß