HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 208
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 83/20, Urteil v. 21.10.2020, HRRS 2021 Nr. 208
1. Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 17. Oktober 2019 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten bleibt ohne Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erkrankte der strafrechtlich bisher nicht auffällig gewordene Beschuldigte Ende des Jahres 2017/Anfang 2018 an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie. Aufgrund dieses Krankheitsbildes kam es bei ihm zu akuten Wahnvorstellungen, welche sowohl Bedrohungs- als auch Verfolgungswahnvorstellungen umfassten. Weiter kam es zu Fremdbeeinflussungserleben und dem Hören fremder Stimmen. Aus diesem Grund bewaffnete sich der Beschuldigte mit „Waffen im untechnischen Sinn“ (Armbrust), verschiedenen Messern und einer Axt. Ausgehend von diesem Krankheitsbild kam es zu folgenden Taten des Beschuldigten, der sich bereits zuvor psychisch auffällig verhalten hatte.
a) Am 12. Februar 2019 gab der Beschuldigte in seiner Wohnung drei Schüsse mit einer Armbrust ab. Anschließend verließ er die Wohnung und traf im Hausflur auf zwei Hausbewohner, die durch die Schüsse aufgeschreckt worden waren. Darauf angesprochen erwiderte der Beschuldigte: „Halten Sie sich raus, ich könnte Sie beide jetzt hier abknallen, wenn Sie nicht Ihren Mund halten“. Der Vorfall wurde dem Hauseigentümer gemeldet, der die Polizei rief. Als eine Polizeibeamtin bei dem Beschuldigten an der Wohnungstür klingelte, öffnete dieser und teilte - angesprochen auf die Schüsse - mit, er habe eine Armbrust, würde selbst Pfeilspitzen herstellen und in seiner Wohnung damit üben. Weiter erklärte er, er würde im Dunkeln leben und sehen. Das mit dem Schießen habe er bei den Russen gelernt. Polizeiliche Maßnahmen ergriff die Beamtin nicht.
b) Am 14. Februar 2019 bat der Hauseigentümer den Beschuldigten zu einem Gespräch in seine Wohnung. Dabei legte er ihm nahe, aus der von ihm bewohnten Wohnung auszuziehen, da die anderen Hausbewohner verängstigt seien. Der Beschuldigte lehnte ab. Im Verlauf des zunächst ruhig geführten Gesprächs sprang er plötzlich auf, zog ein Messer mit einer ca. 10 cm langen Klinge aus seiner rechten Hosentasche und hielt es der Ehefrau seines Vermieters dicht an den Hals, ohne sie zu berühren. Die hierdurch verängstigte Zeugin teilte ihm mit, dies sei eine Bedrohung, und fragte ihn, was er da mache. Der Beschuldigte erwiderte, er wolle sie nicht bedrohen, ihr nur das Messer zeigen. Mit diesem würde er „schnitzen“. Der Hauseigentümer beendete das Gespräch und forderte den Beschuldigten zum Verlassen der Wohnung auf. Darauf nahm der Beschuldigte das Messer vom Hals der Ehefrau und verließ die Wohnung mit den Worten „Ich ziehe hier nie aus“.
c) Der Beschuldigte litt zu den Tatzeiten - so das sachverständig beratene Landgericht - jeweils an einer krankhaften seelischen Störung in Form einer paranoid-halluzinatorischen Störung, die handlungsleitend gewesen sei. Deshalb handelte er jedenfalls im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB. Zudem konnte das Landgericht nicht ausschließen, dass er im Zustand der Schuldunfähigkeit agiert habe.
2. Das Landgericht hat den Beschuldigten nach § 63 StGB in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Er habe zwei Taten der Bedrohung nach § 241 StGB begangen, dies aufgrund einer dauerhaften und erheblichen seelischen Störung, namentlich einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie mit ausgeprägtem Wahnsystem. Eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten und der von ihm begangenen Taten ergebe, dass von ihm infolge seines Zustands auch erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Besondere Umstände rechtfertigten diese Erwartung.
Zur Frage der sicher feststellbar verminderten, nicht ausschließbar aufgehobenen Schuldfähigkeit hat die Strafkammer ausgeführt, er habe zwar Einsicht in die Strafbarkeit der Handlungen, jedoch auf dem Boden von Realitätsverzerrungen. Die Fähigkeit des Beschuldigten, das Unrecht seines Tuns zu erkennen, sei daher unter Berücksichtigung der wahnhaften Realitätsverzerrung erheblich vermindert. Darüber hinaus habe die akute Schizophrenie dazu geführt, dass der Beschuldigte in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen sei, wobei nicht auszuschließen sei, dass diese gänzlich aufgehoben gewesen sei.
Zwar könne nicht sicher festgestellt werden, was Auslöser für die jeweiligen Bedrohungen gewesen sei und ob die betroffenen Personen in das bei dem Beschuldigten bestehende Wahnsystem eingebunden gewesen seien. Bei dem Beschuldigten sei jedoch die gesamte Persönlichkeit durchsetzt von der schizophrenen Psychose, es gebe keine Distanz zu dem eigenen Wahnsystem. Daher sei durchgehend davon auszugehen, dass der Beschuldigte die Realität verkenne und aufgrund dessen nicht in der Lage sei, aufkommenden Impulsen Widerstand zu leisten.
Die Revision des Beschuldigten bleibt ohne Erfolg. Die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus begegnet keinen durchgreifenden Bedenken.
Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB liegen vor. Die Feststellungen belegen, dass der Beschuldigte, der an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidet, die ihm zur Last gelegten Taten zumindest im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB begangen hat und zudem besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass von ihm erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch und körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden, zu erwarten sind. Der Erörterung bedarf hier nur, ob die bei dem Beschuldigten festgestellte psychische Störung sich bei der jeweiligen Tatbegehung auf dessen Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat.
1. Bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds sowie bei der Prüfung der Steuerungsfähigkeit eines Beschuldigten nach § 21 StGB zur Tatzeit handelt es sich um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 5. Februar 2019 - 2 StR 505/18, NStZ-RR 2019, 134 mwN). Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass der Tat, die Motivlage des Angeklagten und sein Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können (BGHSt 37, 397, 402; Senat, Beschluss vom 1. Juni 2017 - 2 StR 57/17).
2. Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung noch gerecht.
a) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts ist die Prüfung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten nicht deshalb rechtlich bedenklich, weil unklar bliebe, ob das Landgericht bei seiner Annahme erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit davon ausgegangen ist, dass die Unrechtseinsicht des Beschuldigten in den konkreten Tatsituationen, auf deren Nichtvorliegen es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Anwendbarkeit, des § 21 StGB ankommt (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl., § 21, Rn. 3 mwN), jeweils noch vorhanden gewesen sei. Die Strafkammer, die zugleich das Vorliegen einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit bejaht, stützt sich bei ihrer Wertung zur erheblichen verminderten Einsichtsfähigkeit auf den Sachverständigen, der ausdrücklich feststellt, der Beschuldigte habe „Einsicht in die Strafbarkeit der Handlungen, jedoch auf dem Boden der Realitätsverzerrungen“ gehabt. Soweit dies zu der weiteren Feststellung führt, „die Fähigkeit des Beschuldigten, das Unrecht seines Tuns zu erkennen, sei daher unter Berücksichtigung der wahnhaften Realitätsverkennung erheblich vermindert“, stellt dies aus Sicht des Senats die vorangegangene Annahme von Unrechtseinsicht nicht in Frage, sondern beschreibt nur die durch die Krankheit grundsätzlich erschwerte Einsicht in das Unrecht des Tuns, ohne damit in Frage zu stellen, dass sie tatsächlich vorhanden gewesen ist. Aus diesem Grund ist auch nicht zu besorgen, dass die Strafkammer die Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit bereits auf das Vorliegen einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit gestützt haben könnte.
b) Das Landgericht hat auch konkretisierende und im Ergebnis widerspruchsfreie Feststellungen getroffen, dass sich die festgestellte psychische Störung auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in den Tatsituationen und damit auch auf seine Steuerungsfähigkeit maßgeblich ausgewirkt hat.
Das Landgericht hat zunächst - mit Blick auf die Ereignisse vor den Anlasstaten und die anschließenden Erkenntnisse während der vorläufigen Unterbringung des Beschuldigten - ohne Rechtsfehler dargelegt, dass der Beschuldigte bereits zur Tatzeit an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie gelitten hat. Sie hat auch hinreichend belegt, dass diese sich handlungsbestimmend auf die dem Beschuldigten vorgeworfenen Taten ausgewirkt hat, weil er in der Tatsituation - entsprechend den Angaben des Sachverständigen - nicht in der Lage gewesen ist, aufkommenden Impulsen Widerstand zu leisten.
Die Diagnose einer Schizophrenie führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 13. August 2013 - 2 StR 128/13, StV 2015, 215). Erforderlich ist die Feststellung des konkreten Einflusses der Erkrankung auf das Verhalten in den jeweiligen Tatsituationen. Das Landgericht hat zwar weder feststellen können, was konkreter Auslöser für die Bedrohung der Tatopfer in den jeweiligen Situationen gewesen ist, noch, ob die betroffenen Personen in das bei dem Beschuldigten bestehende Wahnsystem eingebunden gewesen seien (UA S. 19). Die Strafkammer ist aber - gestützt auf den Sachverständigen - weiter davon ausgegangen, „bei dem Beschuldigten sei die gesamte Persönlichkeit durchsetzt von der schizophrenen Psychose, es gebe keine Distanz zu dem eigenen Wahnsystem“, und hat daraus den Schluss gezogen, dass „der Beschuldigte die Realität verkenne und aufgrund dessen nicht in der Lage sei, aufkommenden Impulsen Widerstand zu leisten“.
Dies erweist sich als im konkreten Fall tragfähige Erwägung und ist auch nicht in sich widersprüchlich. Das Landgericht hat in einer ersten Überlegung die Einbindung der betroffenen Personen in das Wahnsystem des Beschuldigten und damit bestimmte „Realitätsverzerrungen“ in seiner Person im Handlungszeitpunkt vor allem mangels näherer Angaben des Beschuldigten zum Tatmotiv nicht konkret feststellen können. Es hat sodann aber in einem zweiten Schritt eine seit längerem bestehende „Durchsetzung der gesamten Persönlichkeit durch die schizophrene Psychose“ und eine fehlende Distanz zum eigenen Wahnsystem angenommen und daraus - unabhängig vom konkreten Nachweis einer wahnhaften Verkennung der Handlungsgegebenheiten durch den Beschuldigten in den Tatzeitpunkten - eine durchgehende Realitätsverkennung und eine darauf beruhende Einschränkung der Steuerungsfähigkeit abgeleitet. Es ist damit noch hinreichend dargetan, dass sich bei dem Beschuldigten, der sich nach den Ausführungen der Sachverständigen bereits länger andauernd in einer „permanent bestehenden Bedrohungs- und Verteidigungssituation“ befindet und auf den „Verteidigungsfall“ durch Kampfsporttraining und Bewaffnung vorbereitet, ein von ihm infolgedessen erlebtes Bedrohungs- und Verteidigungsszenario in den jeweiligen Tatsituationen niedergeschlagen hat und es aufgrund dessen zu der mit der Realitätsverkennung einhergehenden Impulskontrollstörung (belegt etwa durch das festgestellte plötzliche Aufspringen des Beschuldigten im Fall II. 2 der Urteilsgründe) und damit zu einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit gekommen ist. Dies steht ersichtlich nicht in Widerspruch zur Eingangsüberlegung des Landgerichts, das lediglich eine konkrete und bestimmte wahnhafte Verkennung der Realität in den Tatsituationen nicht festzustellen vermochte.
Zweifel an der Feststellung einer erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten wegen einer Störung der Impulskontrolle ergeben sich im Übrigen nicht daraus, dass er im Fall II. 2 der Urteilsgründe nach Beendigung des Gesprächs durch den Vermieter dessen Aufforderung, die Wohnung zu verlassen, ohne Weiteres nachkam. Das Landgericht hat - jedenfalls mit Blick auf den Umstand, dass der Beschuldigte sich insoweit kontrollieren konnte, als er mit dem eingesetzten Messer nicht zustach - gesehen, dass ein Rest an Impulskontrolle bei dem Beschuldigten vorhanden war und ist deshalb nur von einer positiv festgestellten erheblich verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen. Weitergehend hat es lediglich nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit womöglich gänzlich aufgehoben war. Wie auch das Nichtzustechen mit dem Messer gibt auch das Verlassen der Wohnung nach Aufforderung einen Hinweis darauf, dass der Beschuldigte in Grenzen noch zu einer Steuerung seines Tuns in der Lage war, ohne damit allerdings in Frage zu stellen, dass die Steuerungsfähigkeit jedenfalls erheblich vermindert war.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 208
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 69
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner