HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 467
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 222/20, Urteil v. 17.02.2021, HRRS 2021 Nr. 467
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 26. November 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der räuberischen Erpressung freigesprochen. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage legt dem Angeklagten zur Last, am 24. Januar 2011 der Geschädigten K., die in F. als Prostituierte arbeitete, mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben gedroht, sie dadurch zu einem Handeln genötigt und ihrem Vermögen in Bereicherungsabsicht einen Nachteil zugefügt zu haben. Er habe mit der Geschädigten für deren Leistungen einen Preis von 80 € vereinbart, hierzu einen 100 €-Schein hingegeben und 20 € Wechselgeld erhalten. Nach Inanspruchnahme der Leistungen habe er sein Geld zurückgefordert und, als die Geschädigte sich weigerte, einen Revolver hervorgezogen und geäußert, er müsse nur einmal abdrücken und die Geschädigte wäre weg. Aus Angst habe die Geschädigte dem Angeklagten sodann den zuvor gezahlten 100 €-Schein ausgehändigt, mit dem dieser die Örtlichkeit verlassen habe.
Die Strafkammer hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Sie hat sich lediglich von einem Treffen des Angeklagten mit der Geschädigten und der Inanspruchnahme von deren Diensten nach getroffener Preisvereinbarung zu überzeugen vermocht. Dies hat der Angeklagte eingeräumt, die Tatbegehung und eine Bewaffnung aber bestritten. Auf die den Anklagevorwurf bestätigenden Angaben der Geschädigten hat die Strafkammer eine Verurteilung nicht gestützt. Zwar sei - insbesondere - nicht anzunehmen, dass diese bewusst etwas Falsches ausgesagt habe. Gleichwohl habe die aufgestellte Phantasie- bzw. Falschaussagehypothese „nach einer Gesamtwürdigung“ nicht eindeutig zurückgewiesen werden können.
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensbeanstandung kommt es daher nicht an. Die Beweiswürdigung der Strafkammer hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteile vom 30. Januar 2019 ? 2 StR 500/18 Rn. 14; vom 1. Februar 2017 - 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183 mwN). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 - 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH, aaO mwN). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 23. Juli 2008 - 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 mwN).
2. Gemessen daran begegnet die Beweiswürdigung durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie erweist sich als widersprüchlich und lückenhaft.
a) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Landgericht gesehen, dass in Fällen, in denen - wie hier - Aussage gegen Aussage steht, besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung zu stellen sind. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. August 2012 - 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Senat, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 Rn. 11 mwN). Erforderlich sind vor allem eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage (BGH, Beschluss vom 21. April 2005 - 4 StR 98/05, NStZ-RR 2005, 232, 233), eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2003 - 4 StR 73/03), sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (Senat, Urteil vom 7. März 2012 - 2 StR 565/11 Rn. 9; Urteil vom 7. Februar 2018 - 2 StR 447/17 Rn. 8).
b) Insofern folgerichtig hat die Strafkammer die Angaben der Geschädigten eingehend dahingehend geprüft, ob die Annahme, ihre Aussage sei falsch (sog. Nullhypothese, dazu vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 ? 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164), widerlegt werden kann. Die Beweiswürdigung ist aber insoweit widersprüchlich und lückenhaft, als die Strafkammer einerseits ausschließt, die Geschädigte könnte ein Motiv zur Falschaussage gehabt oder bewusst etwas Falsches gesagt haben, sich andererseits aber nicht mit der Frage befasst, warum es zu einer unbewusst falschen Verdächtigung des Angeklagten gekommen sein könnte. Geht das Gericht davon aus, dass die Zeugin unbewusst den Angeklagten fälschlich der Tat verdächtigt hat, so hätte es jedenfalls näherer Erörterung bedurft, auf welchen Umständen die Annahme einer solchen Phantasie- oder Falschaussagehypothese beruht und weshalb diese nicht zurückgewiesen werden konnte. Vorliegend stimmen die Angaben der Geschädigten und des Angeklagten im Kerngeschehen (dem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gegen Bezahlung, der Verhandlung über den Preis und das Problem mit dem Wechselgeld) nach Einschätzung des Landgerichts überein. Auch konnte die Geschädigte über das benutzte Kondom und über die genaue Angabe der Tätowierung des Angeklagten zu dessen Identifizierung beitragen. Die Strafkammer ist zudem davon ausgegangen, die Geschädigte habe sogleich nach der Tat Zeuginnen von einer Raubtat mit Schusswaffeneinsatz zu ihrem Nachteil berichtet und - obgleich sie als Prostituierte in einer F. Wohnung arbeitete - zeitnah die Polizei eingeschaltet. Hiervon ausgehend ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, wieso es seinerzeit zu einer unbewussten Falschbelastung gerade des Angeklagten gekommen sein könnte. Eine nähere Darlegung lassen die Urteilsgründe indes vermissen.
c) Auch die von der Strafkammer vorgenommene „Gesamtschau und Gegenüberstellung“ der Angaben der Geschädigten bei der Polizei und in der Hauptverhandlung erweist sich als lückenhaft. Die Strafkammer hätte hierbei - soweit es um Abweichungen in den Angaben der Geschädigten geht - nicht nur den erheblichen Zeitraum zwischen der Tat und der Hauptverhandlung sowie das Zustandekommen der seinerzeitigen polizeilichen Aussage (die russischsprachige Zeugin wurde zunächst von deutschen Polizeibeamten in englischer Sprache befragt) in den Blick nehmen müssen, sondern auch den Umstand, dass die Geschädigte nach den getroffenen Feststellungen in den neun Jahren seit der von ihr zur Anzeige gebrachten Tat und ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung weiterhin als Prostituierte in F. tätig war. Die Urteilsgründe lassen insoweit besorgen, dass die Strafkammer einem von ihr postulierten allgemeinen Erinnerungsvermögen Geschädigter und damit einhergehend Abweichungen in der Aussage der Geschädigten etwa zur Frage der Bekleidung des Angeklagten (nackt/angezogen) ein nach den Umständen des Falles unangebracht hohes Gewicht beigemessen hat. In eine Gesamtwürdigung wäre ferner einzustellen gewesen, dass der Angeklagte wegen Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe (die er sich von einer nur namentlich bekannten Person beschafft haben will) vorbestraft ist, und dass die Geschädigte unmittelbar nach der Tat mehreren Zeuginnen vom Tatgeschehen berichtet hat. Diesem Umstand kommt - selbst wenn diese Angaben nicht detailliert gewesen sein sollten - ein eigener Beweiswert zu.
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die freisprechende Entscheidung des Landgerichts auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht. Das angefochtene Urteil ist daher mit den Feststellungen aufzuheben. Die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 467
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede