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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 816

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, AK 32/19, Beschluss v. 26.06.2019, HRRS 2019 Nr. 816


BGH AK 32/19 - Beschluss vom 26. Juni 2019 (OLG Hamburg)

Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland (konkreter, nicht notwendig messbarer Nutzen für die Vereinigung; Bereitschaft zur Heirat eines Mitglieds; Schaffung von Kommunikationsmöglichkeiten); Fortdauer der Untersuchungshaft.

§ 129a StGB; § 129b StGB; § 112 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Erforderlich, aber auch ausreichend für ein Unterstützten im Sinne des § 129a Abs. 5 S. 1 StGB ist, dass die Förderungshandlung an sich konkret wirksam ist, für die Organisation objektiv nützlich ist und dieser mithin irgendeinen Vorteil bringt; ob der Vorteil genutzt wird und daher etwa eine konkrete, aus der Organisation heraus begangene Straftat oder auch nur eine organisationsbezogene Handlung eines ihrer Mitglieder mitprägt, ist dagegen ohne Belang. In diesem Sinne muss der Organisation durch die Tathandlung kein messbarer Nutzen entstehen. Die Wirksamkeit der Unterstützungsleistung und deren grundsätzliche Nützlichkeit müssen indes stets anhand belegter Fakten nachgewiesen sein.

2. Die Zusage der Bereitschaft zur Heirat des Mitglieds einer ausländischen terroristischen Organisation (hier der sog. „Islamische Staat“) erbringt jedenfalls dann den für das Tatbestandsmerkmal des Unterstützens erforderlichen objektiven Nutzen für die Vereinigung, wenn dadurch Planungen für die Ausreise des im Ausland befindlichen Mitglieds ermöglicht werden und sich so die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung erweitern.

3. Die Schaffung von Kommunikationsmöglichkeiten (hier durch Einrichtung von Profilen für Kommunikationsdienste) für eine im Umfeld der terroristischen Vereinigung tätige Person kann auch dann die Voraussetzungen des Unterstützens erfüllen, wenn die Person nicht selbst Mitglied ist. Es genügt, dass sie ihrerseits mit einem Mitglied unterstützend in Verbindung steht und dabei auf die geschaffenen Kommunikationsmöglichkeiten zurückgreift.

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg übertragen.

Gründe

I.

Die Angeschuldigte ist am 11. Dezember 2018 aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 4. Dezember 2018 (2 BGs 978/18) festgenommen worden und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, die Angeschuldigte habe im September 2016 in Bremen durch vier selbständige Handlungen eine ausländische terroristische Vereinigung - den „Islamischen Staat“ (IS) - unterstützt, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen.

Der Generalbundesanwalt hat mit Anklageschrift vom 10. Mai 2019 wegen der dem Haftbefehl zugrundeliegenden Tatvorwürfe Anklage zum Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg erhoben.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die sich mit dem Ausrufen des „Kalifats“ im Juni 2014 von „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) in IS umbenannte und damit von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm, hat seit 2010 der „Emir“ Abu Bakr al Baghdadi inne. Al Baghdadi war von seinem Sprecher zum „Kalifen“ erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Dem „Kalifen“ unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Shura Räte“. Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung „Al Furqan“ produziert und über die Medienstelle „al l’tisam“ verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-Kanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift: „Allah - Rasul - Muhammad“) auf schwarzem Grund, ergänzt um das islamische Glaubensbekenntnis. Die mehreren Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die Vereinigung teilte die von ihr besetzten Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf das Schaffen totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellen, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom ISIG bzw. IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht die Vereinigung immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb ihres Machtbereichs Terroranschläge. So hat sie für Anschläge in Europa, etwa in Frankreich, Belgien und Deutschland, die Verantwortung übernommen.

bb) Die Angeschuldigte stand in Kontakt mit M., die sich in damals vom IS kontrolliertem Gebiet in Syrien mit ihrem nach islamischem Ritus angetrauten Mann aufhielt. In Kenntnis dieser Umstände stellte die Angeschuldigte der gesondert verfolgten M. den individuellen Zugang zu drei Kommunikationsdiensten zur Verfügung und erklärte sich zur Aufnahme eines IS-Mitglieds bereit, um die Aktionsmöglichkeiten des IS zu erweitern und dessen Ziele zu fördern.

(1) Die Angeschuldigte legte am 21. September 2016 ein Nutzerkonto für den Dienst „Telegram“ mit der Identifikationsnummer an und überließ noch am selben Tag durch Übermittlung der erforderlichen Daten die Nutzung des Dienstes M. Diese setzte ihn im Zusammenhang mit ihren Aktivitäten für den IS ein und kommunizierte darüber, um in Deutschland Frauen zu gewinnen, die jeweils ein männliches IS-Mitglied heiraten und beherbergen sollten.

(2) Ebenfalls am 21. September 2016 war die Angeschuldigte an der Einrichtung eines WhatsApp-Profils für M. beteiligt. Nachdem der für die Freischaltung des Zugangs erforderliche Code an eine Rufnummer gesendet worden war, auf welche die Angeschuldigte Zugriff hatte, leitete sie den Code an M. weiter. Diese konnte die Registrierung sodann abschließen und den Dienst für ihre Bemühungen zugunsten des IS nutzen.

(3) Darüber hinaus richtete die Angeschuldigte am 27. September 2016 einen Zugang zu dem Kommunikationsdienst „Facebook“ ein und stellte die Zugangsdaten alsbald M. zur Verfügung, die diese zu den bereits genannten Zwecken verwenden konnte.

(4) Ferner erklärte sich die Angeschuldigte spätestens am 19. September 2016 gegenüber M. bereit, einen von dem IS aus Syrien nach Deutschland geschickten Mann bei sich aufzunehmen und zu heiraten. Diese Zusage hatte zur Folge, dass die Vorbereitungen des IS für die Schleusung weiter konkretisiert werden konnten. M. handelte in Absprache mit ihrem nach islamischen Ritus Angetrauten Gü., der mit ihr gemeinsam im September 2015 von Deutschland nach Syrien gereist war, sich dort dem IS angeschlossen hatte und für diesen kämpfte. Zu einer Ausreise der ausersehenen IS-Mitglieder nach Deutschland kam es letztlich nicht.

b) Der dringende Tatverdacht beruht hinsichtlich der außereuropäischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ auf den Erkenntnissen, die zu dieser Organisation in den entsprechenden „Strukturordnern IS“ zusammengetragen sind, namentlich aus einem islamwissenschaftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. S. und detaillierten Auswerteberichten des Bundeskriminalamts sowie den dort in Bezug genommenen und dargestellten weiteren Quellen.

Hinsichtlich des Zugangs zu den Kommunikationsdiensten ergibt sich der dringende Tatverdacht insbesondere aus den von Dienstanbietern übermittelten Daten, der (vom Bundesamt für Verfassungsschutz zur Verfügung gestellten) Kommunikation von M. mit einer weiblichen Gesprächspartnerin und der Auswertung von Telekommunikation, die auf bei der Angeschuldigten sichergestellten Geräten gesichert worden ist. Extraktionsberichten zu Kommunikationsverläufen ist zu entnehmen, dass die Angeschuldigte mit M. in regelmäßigem Kontakt stand und von deren Ausreise nach Syrien sowie den Kampfeinsätzen deren Mannes wusste. Den die drei Telekommunikationsdienste betreffenden Ermittlungen zufolge waren alle drei Dienste mit derselben Mobiltelefonnummer registriert, als deren Inhaber eine nicht existierende Person verzeichnet war. Die zur Telefonnummer zugehörige SIM-Karte wurde in der Wohnung der Angeschuldigten aufgefunden. Dieser Gesichtspunkt, die technischen Abläufe bei der Einrichtung der Zugänge zu den Kommunikationsdiensten und damit in zeitlichem Zusammenhang stehende Kommunikation lassen den Schluss zu, dass die Angeschuldigte an der Einrichtung beteiligt war und M. die Nutzung der Dienste ermöglichte. Dem Nachrichtenaustausch zufolge nutzte M. den „Telegram"-Dienst kurze Zeit später, um sich mit einer weiblichen Gesprächspartnerin unter Hinweis auf das Geheimhaltungsbedürfnis über den aufzunehmenden Mann auszutauschen.

Der die Zusage betreffende dringende Tatverdacht ist einer Zusammenschau der gesicherten Kommunikation zwischen der Angeschuldigten und M., deren Mitteilungen gegenüber einer anderen Gesprächspartnerin und ergänzend einer Behördenerklärung des Bundesnachrichtendienstes zu entnehmen. So teilte M. am 19. September 2016 mit, dass es eine Möglichkeit gebe, sich „für den Staat“ (IS) in Deutschland nützlich zu machen, nämlich „Brüder“, die dort für den IS tätig werden („dort arbeiten“) sollen, zu heiraten und sie „bei ihren Sachen“ zu unterstützen. Eine „Schwester“, „die das macht“, habe sie schon gefunden. Bereits wegen der engen und sehr vertraulichen Kommunikation im selben Zeitraum zwischen M. und der Angeschuldigten liegt nicht fern, dass diese eine entsprechende Zusage gegeben hat. Hierin fügt sich eine Behördenerklärung des Bundesnachrichtendienstes ein, dass eine „U.“ eine Heirat mit einem vom IS nach Deutschland geschickten Mann als die für sie einzige Möglichkeit angesehen habe, den IS von Deutschland aus zu unterstützen. Die in der Erklärung weiter aufgeführten Hinweise zu der Frau deuten auf die Angeschuldigte hin. Auch ihre durch entsprechende Nachrichten belegten späteren Planungen, nach Syrien zu M. auszureisen, verdeutlichen ihre Bereitschaft, sich im Sinne des IS einzusetzen. Dass auf die Zusicherung, einen Mann aufzunehmen, entsprechende weitere Vorbereitungen in Syrien getroffen und bereits individuelle Personen sowie schließlich ein bestimmter Abreisetag ausersehen wurden, ergeben entsprechende Mitteilungen von M. sowie eine weitere Behördenerklärung des Bundesnachrichtendienstes.

Wegen näherer Einzelheiten zur vorläufigen Bewertung der Beweisergebnisse wird auf den Haftbefehl und die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts Bezug genommen.

c) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass sich die Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in mehreren Fällen nach § 129b Abs. 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 Variante 1, § 53 StGB strafbar gemacht hat.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung ist unter einem Unterstützen im Sinne des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB grundsätzlich jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds zu verstehen, das die innere Organisation der Vereinigung und ihren Zusammenhalt unmittelbar fördert, die Realisierung der von ihr geplanten Straftaten - wenngleich nicht unbedingt maßgebend - erleichtert oder sich sonst auf deren Aktionsmöglichkeiten und Zwecksetzung in irgendeiner Weise positiv auswirkt und damit die ihr eigene Gefährlichkeit festigt (vgl. nur BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 117; Beschluss vom 19. Oktober 2017 - AK 56/17, juris Rn. 18 mwN).

Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die Förderungshandlung an sich konkret wirksam ist, für die Organisation objektiv nützlich ist und dieser mithin irgendeinen Vorteil bringt; ob der Vorteil genutzt wird und daher etwa eine konkrete, aus der Organisation heraus begangene Straftat oder auch nur eine organisationsbezogene Handlung eines ihrer Mitglieder mitprägt, ist dagegen ohne Belang (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, aaO, S. 116; Beschlüsse vom 16. Mai 2007 - AK 6/07, BGHSt 51, 345, 348 f.; vom 27. Oktober 2015 - 3 StR 334/15, BGHR StGB § 129a Abs. 5 Unterstützen 6). In diesem Sinne muss der Organisation durch die Tathandlung kein messbarer Nutzen entstehen (vgl. BGH, Urteile vom 25. Januar 1984 - 3 StR 526/83 [S], BGHSt 32, 243, 244; vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, aaO). Die Wirksamkeit der Unterstützungsleistung und deren grundsätzliche Nützlichkeit müssen indes stets anhand belegter Fakten nachgewiesen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Juli 2013 - AK 13 u. 14/13, BGHSt 58, 318, 323 f.; vom 19. Oktober 2017 - AK 56/17, juris Rn. 18).

bb) Nach diesen Maßgaben stellen sowohl die Weiterleitung der Zugangsdaten für Kommunikationskonten als auch die Zusage, einen vom IS nach Deutschland gesandten Aktivisten zu heiraten und zu beherbergen, Unterstützungshandlungen dar.

(1) In Bezug auf die Eröffnung von Kommunikationsmöglichkeiten handelt es sich um eine logistische Tätigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2018 - AK 36/18, juris Rn. 36 ff.). Diese war für den IS objektiv nützlich und vorteilhaft unabhängig davon, ob M. selbst Mitglied des IS war; denn jedenfalls war sie nach dem hier zugrunde zu legenden Sachverhalt im Zusammenhang mit geplanten Schleusungen nach Deutschland in Absprache mit dem IS-Mitglied Gü. für die Vereinigung tätig (vgl. zur Förderung einer Unterstützungshandlung BGH, Beschlüsse vom 7. März 2019 - AK 5/19, juris Rn. 32 mwN; vom 9. Dezember 1983 - 3 StR 438/83 [S], bei Schmidt, MDR 1985, 183, 185). Hierbei konnte sie auf die Kommunikationsdienste zurückgreifen und nutzte diese Möglichkeit tatsächlich.

(2) Die Zusage, einen vom IS nach Deutschland geschickten Mann aufzunehmen und zu heiraten, entfaltete nach den konkreten Umständen bereits einen objektiven Nutzen für die Vereinigung (s. allgemein zur Zusage BGH, Urteil vom 19. April 2018 - 3 StR 286/17, NJW 2018, 2425, 2426; Beschluss vom 27. Oktober 2015 - 3 StR 334/15, BGHR StGB § 129a Abs. 5 Unterstützen 6), da die Planungen für die Ausreise fortgesetzt sowie weiter konkretisiert werden konnten und sich so die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung erweiterten. Die Vorbereitungen wurden so weit vorangebracht, dass am 22. November 2016 die Abreise eines Mannes nach Deutschland für den Folgetag fest beabsichtigt war.

cc) Die sowohl im Haftbefehl als auch in der Anklageschrift vorgenommene Bewertung, dass die vier Unterstützungshandlungen allesamt in Tatmehrheit (§ 53 StGB) zueinander stünden, erscheint zwar fraglich. Allerdings steht eine andere konkurrenzrechtliche Bewertung der Fortdauer der Untersuchungshaft nicht entgegen, da sie den Unrechtsund Schuldgehalt nicht maßgeblich berührt (vgl. allgemein BGH, Beschluss vom 28. Mai 2018 - 3 StR 95/18, juris Rn. 9; BVerfG, Beschluss vom 1. März 2004 - 2 BvR 2251/03, BVerfGK 3, 20 f. mwN).

Grundsätzlich besteht bei einer Mehrzahl von Unterstützungshandlungen zwischen diesen jeweils Tatmehrheit (BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 131; vgl. auch Beschluss vom 19. Oktober 2017 - AK 56/17, juris Rn. 24). Jedoch kommt eine tatbestandliche Handlungseinheit etwa in Betracht, wenn es um ein und denselben Unterstützungserfolg geht und die einzelnen Akte einen engen räumlichen, zeitlichen und bezugsmäßigen Handlungszusammenhang aufweisen (BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, aaO). Hiernach könnten aufgrund der gegenwärtigen Beweislage und der allgemeinen rechtlichen Maßstäbe zumindest die Handlungen der Angeschuldigten, welche die Einrichtung des Telegram- und des WhatsApp-Zugangs am 21. September 2016 betreffen, als Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) zu bewerten sein. Die Angeschuldigte stellte M. am selben Tag die Zugangsmöglichkeit zu den beiden Diensten zur Verfügung. Nach den Gesamtumständen liegt nicht fern und ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass dies durch dieselbe Mitteilung geschah. Je nach den weiteren Erkenntnissen, insbesondere zur Frage einer etwaigen eigenen Mitgliedschaft M. im IS, kann unter Umständen auch mit dem Geschehen, das den dritten mit derselben Telefonnummer eingerichteten Kommunikationsdienst betrifft, Tateinheit anzunehmen sein.

dd) Da die Angeschuldigte in Deutschland handelte, ist eine Strafbarkeit in Bezug auf den IS als Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB eröffnet und deutsches Strafrecht nach § 3 StGB anwendbar. Die gemäß § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB für die Strafverfolgung erforderliche Ermächtigung hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz unter dem 13. Oktober 2015 für den IS in allgemeiner Form neu gefasst und erteilt.

2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Diese gründet sich nicht allein auf den Fluchtanreiz, der sich aus der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden empfindlichen Strafe ergibt, sondern auch daraus, dass die Angeschuldigte im Jahr 2017 zu einer Ausreise nach Syrien bereit war und dafür konkrete Vorbereitungen traf.

Die Ausreiseabsichten lassen sich einem konspirativen Nachrichtenaustausch mit M. entnehmen, in dem die Angeschuldigte auf die Mitteilung, die Lage in Syrien sei „umkämpft“, ihre Pläne äußert, in „ungefähr 10 wochen“ zu kommen. Hiermit korrespondieren verschiedene Verhaltensweisen, die auf tatsächliche Ausreisebemühungen hindeuten. Sie überwies anders als zuvor üblich in den Monaten Januar und Februar 2017 keine Miete von ihrem Konto, ließ sich den Rückkaufswert einer Lebensversicherung auszahlen und bestellte eine Vielzahl von „Outdoor"-Artikeln.

Wenngleich die dargestellten Ausreisepläne bereits über zwei Jahre zurückliegen, sprechen sie für die grundsätzliche Bereitschaft der Angeschuldigten, ihren bisherigen Lebensmittelpunkt in Deutschland ungeachtet ihrer teils noch minderjährigen Kinder zu verlassen. Obschon sie zwischenzeitlich ihr Umfeld durch eine Ausbildung zur Fahrlehrerin sowie einen Umzug nach Hamburg änderte, polizeirechtlichen Meldeauflagen nachkam, die ihr im Zusammenhang mit dem Entzug ihres Bundespersonalausweises mit Verfügung vom 17. Februar 2017 erteilt worden waren, und sich bei ihrer Festnahme sowie im Zusammenhang mit Durchsuchungsmaßnahmen kooperativ zeigte, lässt dies die Fluchtgefahr nicht entfallen. So waren die strafrechtlichen Ermittlungen der Angeschuldigten vor ihrer Festnahme noch nicht bekanntgegeben worden. Die weitere Entwicklung erscheint nicht ausreichend gefestigt, zumal die Angeschuldigte ihre aktuelle - vor allem berufliche - Situation in einem sichergestell27 28 29 ten Brief negativ bewertet und mit den Worten zusammenfasst: "[…] wenn ich hier raus komme, ist es vorbei.“ Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO erreicht werden. Namentlich die Anmeldung von Telekommunikationsmitteln mit Daten einer fremden, nicht existierenden Person und die Bereitschaft zur Ausreise in das syrische Konfliktgebiet wecken Bedenken an einer hinreichenden Zuverlässigkeit, die eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls zuließe.

3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen.

Nach der Festnahme der Angeschuldigten und der Durchsuchung ihrer Wohnung am 11. Dezember 2018 waren eine Vielzahl sichergestellter Speichermedien (Mobiltelefone, Speicherkarten, USB-Sticks) auszuwerten. Beispielsweise befanden sich auf einem Mobiltelefon tausende Chatnachrichten, die auf ihre Verfahrensrelevanz zu prüfen waren und die teils M. zugeordnet wurden. Nachdem das Bundeskriminalamt am 5. April 2019 den Sachstand zusammengefasst hatte, hat der Generalbundesanwalt unter dem 10. Mai 2019 Anklage erhoben. Die Vorsitzende des 8. Strafsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts hat zwei Tage nach Eingang der Akten die Zustellung der Anklageschrift am 16. Mai 2019 verfügt, eine Erklärungsfrist bis zum 7. Juni 2019 gesetzt sowie den Verteidigern für den Fall der Eröffnung Verhandlungstermine ab Mitte Juli 2019 angeboten. Nach alledem ist das Verfahren bisher mit der in Haftsachen gebotenen Intensität beschleunigt und gefördert worden.

4. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht der Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 816

Bearbeiter: Christian Becker