HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 495
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, StB 36/18, Beschluss v. 12.02.2020, HRRS 2020 Nr. 495
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 25. Mai 2018 wird zurückgewiesen.
Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
1. Am 7. und 8. Juli 2017 fand in H. ein Treffen der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20-Gipfel) statt. Insbesondere an diesen beiden Tagen, aber auch schon im Vorfeld des Gipfeltreffens, führten dessen Gegner in der Stadt zahlreiche Demonstrationen und Protestaktionen durch, die teilweise mit schwerwiegenden Ausschreitungen einhergingen.
Bereits am Abend des 6. Juli 2017 kam es im Zusammenhang mit einer Demonstration (" ") zu mehrstündigen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Protestierern und der Polizei. Gegen 20:45 Uhr warf der Betroffene - mit einem schwarzbraun gemusterten Tuch vor dem Mund, einer Kapuze auf dem Kopf und einer Sonnenbrille vermummt - im Bereich des Straßenzugs“ " aus der versammelten Menschenmenge heraus Glasflaschen auf Einsatzkräfte der Polizei und einen Wasserwerfer, wobei er einen Polizeibeamten an der Schulter traf. Anschließend besprach er sich mit zwei unbekannten Begleitern, auf welche Weise sie unerkannt an den polizeilichen Einsatzkräften vorbeikommen könnten. All dies wurde von einem nicht uniformierten Polizeibeamten beobachtet.
Um 21:12 Uhr wurde der Betroffene vor Ort in Gewahrsam genommen und anschließend in die eigens für die Dauer des G20-Gipfels eingerichtete und durchgängig mit einem Bereitschaftsdienst von Gericht, Staatsanwaltschaft und Polizei besetzte Gefangenensammelstelle (GESA) verbracht, um dort eine richterliche Entscheidung über die vorübergehende Entziehung seiner Freiheit herbeizuführen. Bei der Durchsuchung seiner Sachen wurde ein Flyer mit der Aufschrift“ " gefunden, der unter anderem zu Störaktionen gegen den Schiffs- und Bahnverkehr aufrief.
2. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht H. am 7. Juli 2017 um 17:25 Uhr die Zulässigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme des Betroffenen bestätigt und die Fortdauer der Freiheitsentziehung bis längstens zum Sonntag, dem 9. Juli 2017, um 20 Uhr angeordnet. Zugleich hat es den weiteren Gewahrsam unter den Auflagen außer Vollzug gesetzt, das Stadtgebiet H. unverzüglich zu verlassen, sich anschließend dort nicht mehr aufzuhalten und sich viermal zu näher bestimmten Zeiten persönlich bei der Polizeiinspektion L. zu melden. Sodann ist der Betroffene freigelassen worden.
Mit Beschluss vom 25. Mai 2018 hat das Landgericht auf die Beschwerde des Betroffenen festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts ihn in seinen Rechten verletzt hat, soweit darin die Freiheitsentziehung in der Zeit von der Festnahme des Betroffenen bis zur Bekanntgabe des Beschlusses (mithin der behördliche Gewahrsam) für zulässig erklärt worden ist; die richterliche Entscheidung sei nicht unverzüglich im Sinne des § 13a Abs. 1 Satz 1 HmbSOG herbeigeführt worden. Darüber hinaus hat das Landgericht die Feststellung getroffen, dass die im Rahmen der Freiheitsentziehung in der GESA bei einer Durchsuchung veranlasste Ganzkörperentkleidung den Betroffenen ebenfalls in seinen Rechten verletzt hat. Im Übrigen hat es seine Beschwerde zurückgewiesen, weil es die - außer Vollzug gesetzte - Freiheitsentziehung für den Zeitraum ab und aufgrund der Entscheidung des Amtsgerichts bis zu dem in diesem Beschluss festgelegten Zeitpunkt (mithin den richterlichen Gewahrsam) als rechtmäßig beurteilt hat. Das Landgericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.
3. Gegen den Beschluss des Landgerichts wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde. Er beantragt, die Entscheidung aufzuheben, soweit seine Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts zurückgewiesen worden ist, und festzustellen, dass die Anordnung der Fortdauer der Freiheitsentziehung durch das Amtsgericht rechtswidrig war.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zwar zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zulässig.
a) Das Hamburgische Sicherheits- und Ordnungsrecht sieht als Rechtsmittel gegen die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts grundsätzlich die Rechtsbeschwerde gemäß §§ 70 ff. FamFG vor. Nach der im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO abdrängenden Sonderzuweisung des § 13a Abs. 2 Satz 2 HmbSOG ist für das Verfahren über den Gewahrsam gemäß § 13 HmbSOG das Buch 7 des FamFG in der jeweils geltenden Fassung heranzuziehen. In diesem Buch, welches das Verfahren für bundesrechtlich angeordnete Freiheitsentziehungen zum Gegenstand hat, sind zwar die Rechtsmittel - mit Ausnahme der ergänzenden Vorschrift des § 429 FamFG - nicht gesondert geregelt. Indes finden die §§ 70 ff. FamFG als - im Buch 1 enthaltene - allgemeine Vorschriften Anwendung auf die in den weiteren Büchern normierten Verfahren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. September 2016 - StB 26/16, NStZ-RR 2017, 24; vom 19. April 2018 - StB 5/18, NStZ-RR 2018, 262 f.; ferner Drews in Prütting/Helms, FamFG, 4. Aufl., § 429 Rn. 1; Grotkopp in Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl., § 429 Rn. 16).
b) Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund der bindenden Zulassung durch das Landgericht (§ 70 Abs. 2 Satz 2 FamFG) gemäß § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und form- und fristgerecht eingelegt (§ 10 Abs. 4 Satz 1, § 71 FamFG). Die Rechtsbeschwerdeberechtigung des Betroffenen folgt bereits daraus, dass dessen (Erst-)Beschwerde hinsichtlich des richterlichen Gewahrsams zurückgewiesen worden ist. Diese formelle Beschwer genügt; deshalb ist insoweit ohne Bedeutung, ob auch für die Beschwerde die Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen (s. BGH, Beschluss vom 3. Februar 2005 - V ZB 44/04, BGHZ 162, 137, 138 f.; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Aufl., § 74 Rn. 6; ferner BGH, Beschluss vom 18. April 2012 - XII ZB 623/11, NJW 2012, 2039 Rn. 3).
Da das Landgericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat, hängt ihre Zulässigkeit nicht davon ab, ob sie mit dem weiterverfolgten Fortsetzungsfeststellungsantrag - abhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 13a Abs. 2 Satz 3 HmbSOG oder des § 62 FamFG - auch ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft wäre (vgl. BGH, Beschlüsse 10 11 vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 727; vom 28. April 2011 - V ZB 292/10, juris Rn. 9; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Aufl., § 70 Rn. 46 mwN).
2. Prüfungsgegenstand ist allein der Beschluss des Landgerichts vom 25. Mai 2018.
Hat nämlich - wie hier - bereits das Beschwerdegericht nach Hauptsacheerledigung über den Fortsetzungsfeststellungsantrag befunden, geht es im Rechtsbeschwerdeverfahren nur um die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung. Ob die gerichtliche Anordnung des Gewahrsams zu Recht ergangen ist, ist dabei lediglich inzident zu prüfen. Einzig für den Fall der Hauptsacheerledigung nach Erlass der Beschwerdeentscheidung gilt, dass neben diesem Erkenntnis die Rechtmäßigkeit der Gewahrsamsanordnung selbst Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens sein kann (s. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, juris Rn. 4 mwN).
3. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet (zum eingeschränkten Prüfungsmaßstab s. § 72 Abs. 1 Satz 2, § 74 Abs. 2 FamFG).
a) Allerdings bleibt dem Rechtsmittel nicht schon deshalb der Erfolg versagt, weil das Landgericht die Beschwerde als unzulässig hätte verwerfen müssen. Für diese lagen vielmehr sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen vor.
Sofern - wie hier - im Fall einer Freiheitsentziehung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 HmbSOG die amtsgerichtliche Gewahrsamsanordnung in der Hauptsache erledigt ist, können nach § 13a Abs. 2 Satz 3 HmbSOG sowohl der Betroffene als auch die beteiligte Polizeibehörde die Richtigkeit der Entscheidung nachträglich im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom Landgericht überprüfen lassen, ohne dass es auf ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis, namentlich ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 62 FamFG, ankommt. Der Fortfall der Beschwer wirkt sich insoweit nicht auf die Zulässigkeit der Beschwerde aus (vgl. Hans. OLG Hamburg, Beschluss vom 21. Mai 1997 - 2 Wx 16/97, NJW 1998, 2231 f.). Darauf, ob § 13a Abs. 2 Satz 3 HmbSOG auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Rechtsbeschwerde modifiziert, kommt es vorliegend nicht an.
Ebenso kann dahinstehen, inwieweit trotz der Außervollzugsetzung der Freiheitsentziehung (§ 424 FamFG) die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 und 2 Nr. 1 FamFG - was freilich naheliegt (zur Grundrechtsrelevanz von Haftverschonungsauflagen im Rahmen der Untersuchungshaft s. etwa BVerfG, Beschluss vom 29. November 2005 - 2 BvR 1737/05, NJW 2006, 668, 669; BGH, Beschluss vom 7. Februar 2019 - StB 1/19, juris Rn. 8) - erfüllt sind.
b) In der Sache hält der angefochtene Beschluss der rechtlichen Nachprüfung stand. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht angenommen, dass die vom Amtsgericht angeordnete und unter Auflagen außer Vollzug gesetzte Freiheitsentziehung sowohl dem Grunde als auch der Dauer nach der Sach- und Rechtslage entsprach. Auch sonst begegnet die Beschwerdeentscheidung keinen rechtlichen Bedenken, die dem Rechtsmittel zum Erfolg verhelfen würden.
aa) Das Landgericht hat die tatbestandlichen Voraussetzungen des Unterbindungsgewahrsams gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 HmbSOG im Anordnungszeitpunkt als gegeben erachtet. Dies ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
(1) Nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 2 HmbSOG darf eine Person in Gewahrsam genommen werden, wenn die Maßnahme unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern; die Begehung oder Fortsetzung steht insbesondere unmittelbar bevor, wenn die Person früher mehrfach in vergleichbarer Lage mit einer derartigen Ordnungswidrigkeit oder einer Straftat als Störer in Erscheinung getreten ist und nach den Umständen eine Wiederholung bevorsteht.
(2) Das Landgericht hat angenommen, dass die Begehung oder Fortsetzung einer Straftat durch den Betroffenen unmittelbar bevorstand. So liegt es, wenn im konkreten Fall nachvollziehbare Tatsachen indizieren, dass sofort oder in allernächster Zeit ein straftatbedingter Schaden eintreten wird (s. Beaucamp/Ettemeyer/Rogosch/Stammer, Hamburger Sicherheits- und Ordnungsrecht, 2. Aufl., § 13 SOG Rn. 18). Ausreichend ist die tatsachengestützte Überzeugung von der hohen Wahrscheinlichkeit einer künftigen Tatbegehung. Soweit im Schrifttum darüber hinaus eine „Gewissheit“ verlangt wird (so Merten/Merten, Hamburgisches Polizei- und Ordnungsrecht, § 13 SOG Rn. 7), ist dem nicht zu folgen; diese Forderung überschätzt die Möglichkeiten der prognostischen Beurteilung.
Eine Gefahr in diesem Sinne hat das Landgericht namentlich aufgrund des festgestellten Sachverhalts bejaht, der zur Ingewahrsamnahme des Betroffenen führte. Es hat aus der Feststellung, dass er aus einer Demonstrationsgruppe heraus mehrere Glasflaschen auf Einsatzkräfte der Polizei und einen Wasserwerfer geworfen hatte, geschlossen, dass weitere Straftaten - in Betracht kommen Körperverletzungen zum Nachteil von Polizeibeamten, Sachbeschädigungen, Landfriedensbruch oder Bildung bewaffneter Gruppen - zu erwarten waren. Diese Beurteilung hat es auf folgender Grundlage vorgenommen: Der Betroffene, der eigens wegen des Protests gegen den G20-Gipfel nach H. gereist war, hatte durch sein Verhalten vor der Ingewahrsamnahme seine Bereitschaft zur Ausübung von Gewalt und Begehung von Straftaten im Rahmen von Demonstrationen gegen den Gipfel gezeigt. Am Tag der Entscheidung des Amtsgerichts fand der Gipfel statt. Bereits zum Zeitpunkt der Anordnung waren Demonstrationen durchgeführt worden, die mit schweren Ausschreitungen einhergingen; hiermit war auch weiterhin zu rechnen.
Die Gefahrprognose des Landgerichts, ein erneutes Mitwirken des Betroffenen an derartigen Demonstrationen sei aufgrund der konkreten Umstände hochwahrscheinlich, ist hiernach nicht zu beanstanden. Daher kommt es nicht darauf an, ob und unter welchen Voraussetzungen es für eine solche Prognoseentscheidung ausreichend sein kann, dass ein Betroffener Teil einer gewalttätigen und weiterhin gewaltbereiten, nach außen homogen erscheinenden Gruppe war, ohne dass ihm persönlich eine konkrete eigene Gewalthandlung nachgewiesen werden kann (s. hierzu OLG Rostock, Beschluss vom 21. August 2007 - 3 W 102/07, juris Rn. 19; Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl., Kapitel E Rn. 488).
(3) Ebenfalls ohne Rechtsfehler hat das Landgericht angenommen, dass die Anordnung der Fortdauer des Gewahrsams unerlässlich war.
Als unerlässlich erweist sich die Freiheitsentziehung, wenn sie das äußerste bzw. letzte Mittel zur Verhinderung von Schäden ist (s. Pewestorf/Söllner/Tölle, Praxishandbuch Polizei- und Ordnungsrecht, Kapitel 3 Rn. 105). Die Unerlässlichkeit verlangt, dass die Gefahrenabwehr nur auf diese Weise möglich und nicht durch eine andere Maßnahme ersetzbar ist (s. BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 1990 - 2 BvR 562/88, BVerfGE 83, 24, 33 f.; BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 - I C 31.72, BVerwGE 45, 51, 56; ferner Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl., Kapitel E Rn. 487).
Diese Voraussetzungen hat das Landgericht - unter Bezugnahme auf die Gründe der Entscheidung des Amtsgerichts - als erfüllt angesehen. Entgegen dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde ist das Landgericht hinsichtlich des für die Beurteilung maßgebenden Kenntnisstandes vom zutreffenden Zeitpunkt ausgegangen. Zwar hat es zunächst auf die Situation unmittelbar vor dem polizeilichen Zugriff abgestellt. Jedoch legt der angefochtene Beschluss anschließend dar, es sei nicht ersichtlich, dass sich an diesen Umständen bis zum maßgebenden Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung etwas geändert habe. Dabei hat das Landgericht insbesondere das Verhalten des Betroffenen im Anhörungstermin in den Blick genommen. Berufliche und private Verpflichtungen des Betroffenen als Mitarbeiter einer Kindertagesstätte bedurften in Anbetracht seines vorausgegangenen Verhaltens nicht der ausdrücklichen Erörterung in den Beschlussgründen.
Ohne dass dagegen rechtlich etwas zu erinnern wäre, ist das Landgericht zu der Einschätzung gelangt, dass die Unterbindung weiterer Straftaten nicht anders als durch die Anordnung des Gewahrsams zu erreichen war. Weniger eingriffsintensive Maßnahmen, welche die Verhinderung derartiger Straftaten mit gleicher Wirksamkeit hätten gewährleisten können, waren für das Landgericht unter den gegebenen Umständen nicht ersichtlich. Insbesondere lag es fern, dass eine Platzverweisung (§ 12a HmbSOG) oder ein Aufenthaltsverbot (§ 12b Abs. 2 HmbSOG) ebenso wirksam hätte sicherstellen können, die erneute aktive Teilnahme des Betroffenen an gewalttätigen Protestaktionen gegen den G20-Gipfel zu unterbinden. Für beide Maßnahmen mangelt es an gleichermaßen effektiven Sanktionsmöglichkeiten. Daher ist es unschädlich, dass sich der angefochtene Beschluss hierzu nicht verhält. Der in Ansehung des betroffenen Grundrechts gebotenen besonders kritischen Abwägung hat das Amtsgericht dadurch Rechnung getragen, dass es die Vollstreckung des Gewahrsams gegen geeignete Auflagen außer Vollzug gesetzt hat.
bb) Der vom Amtsgericht bestimmte Zeitraum des Gewahrsams nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 HmbSOG begegnet ebenso wenig rechtlichen Bedenken.
Die Bemessung der Dauer der richterlichen Freiheitsentziehung bestimmt sich nach § 13c Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Halbsatz 2 HmbSOG. Danach darf die Zeitspanne im Fall des Unterbindungsgewahrsams nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 HmbSOG zehn Tage nicht überschreiten. Innerhalb dieses Rahmens gilt der in § 13c Abs. 1 Nr. 1 HmbSOG verankerte Grundsatz, dass die festgehaltene Person zu entlassen ist, sobald der Grund für die Maßnahme weggefallen ist. Das bedeutet, dass der Zeitraum der Freiheitsentziehung an dem materiellen Grund der Ingewahrsamnahme auszurichten ist. Die Dauer des Unterbindungsgewahrsams hängt somit vom Fortbestehen einer hohen Wahrscheinlichkeit für die Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung ab. In diesem Sinne muss die Freiheitsentziehung zum einen zur Gefahrenabwehr geeignet sein; zum anderen muss angesichts des hohen Ranges der Freiheit der Person der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Dabei ist neben der Wahrscheinlichkeit der Rechtsgüterverletzung auch das Gewicht der gefährdeten Rechtsgüter in die Gesamtbewertung einzustellen. Bei der Abwägung muss sodann ein Zugewinn an Rechtsgüterschutz durch die Freiheitsentziehung zu prognostizieren sein, dessen Maß den tiefgreifenden Eingriff in das Grundrecht rechtfertigt (s. zum Ganzen Beaucamp/Ettemeyer/Rogosch/Stammer, Hamburger Sicherheits- und Ordnungsrecht, 2. Aufl., § 13c SOG Rn. 7).
Nach diesen Grundsätzen erweist es sich als rechtsfehlerfrei, dass das Landgericht die vom Amtsgericht angeordnete Fortdauer des Gewahrsams (für maximal 50 Stunden 35 Minuten) bis längstens zum 9. Juli 2017, dem Tag nach dem G20-Gipfel, um 20 Uhr für rechtmäßig erklärt hat. Dabei versteht es sich von selbst, dass den Rechtsgütern, die durch weitere Straftaten des Betroffenen bedroht waren, in Anbetracht der vorausgegangenen Ereignisse ein hoher Rang zukam.
cc) Ferner führt die vom Landgericht festgestellte Rechtswidrigkeit des behördlichen Gewahrsams nicht zur Rechtswidrigkeit der vom Amtsgericht angeordneten Fortdauer des Gewahrsams und damit zur Rechtsfehlerhaftigkeit des die amtsgerichtliche Entscheidung insoweit bestätigenden Beschlusses des Landgerichts.
Zwar hat der Verstoß gegen das in § 13a Abs. 1 Satz 1 HmbSOG verankerte Unverzüglichkeitsgebot grundsätzlich zur Folge, dass die behördliche Ingewahrsamnahme des Betroffenen rechtswidrig war und dies auf Antrag des Betroffenen nach Maßgabe des § 428 Abs. 2 FamFG festzustellen ist. Jedoch schlägt der Mangel nicht auf die von dem Gericht angeordnete Freiheitsentziehung durch; diese ergeht aufgrund eines Antrags der beteiligten Behörde in einem eigenen Verfahren unter selbständigen Voraussetzungen (s. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2013 - V ZB 224/12, juris Rn. 13; Keidel/Göbel, FamFG, 20. Aufl., § 428 Rn. 9; Haußleiter/Heidebach, FamFG, 2. Aufl., § 428 Rn. 10). Ihre Rechtmäßigkeit hängt allein davon ab, dass das für sie vorgeschriebene Verfahren eingehalten wird und die für sie bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind, der Richter selbst also fehlerfrei vorgeht und entscheidet (s. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2013 - V ZB 224/12, aaO).
Ohne Erfolg beruft sich der Rechtsbeschwerdeführer für seine gegenteilige Auffassung auf Ausführungen im Schrifttum, wonach der Betroffene sofort freizulassen ist, wenn nicht „unverzüglich“ eine richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung ergeht (so beispielsweise Degenhart in Sachs, GG, 8. Aufl., Art. 104 Rn. 37; Merten/Merten, Hamburgisches Polizei- und Ordnungsrecht, § 13a SOG Rn. 6; BeckOK GG/Epping/Hillgruber, Art. 104 Rn. 25 f.; Schulze-Fielitz in Dreier, GG, Bd. III, 3. Aufl., Art. 104 Rn. 55). Denn diese Ausführungen betreffen nicht den richterlichen Gewahrsam, sondern allein den vorgelagerten Zeitraum des behördlichen Gewahrsams. Sie besagen, dass in diesem Stadium die Freilassung des Betroffenen sofort zu veranlassen ist, wenn etwa absehbar ist, dass eine richterliche Entscheidung - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr rechtzeitig bis zum Ablauf der Höchstfrist oder nur bei sachlich nicht gerechtfertigten Verzögerungen wird herbeigeführt werden können (s. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl., Art. 104 Rn. 27). Den vom Rechtsbeschwerdeführer gezogenen Schluss auf eine Rechtswidrigkeit der richterlichen Entscheidung lassen die zitierten Fundstellen nicht zu.
dd) Schließlich scheidet aus den genannten Gründen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 5 MRK aus. Aus diesen Garantien ergeben sich keine Anforderungen an die richterliche Anordnung des Unterbindungsgewahrsams, die über das - hier näher dargelegte - einfache Recht hinausgehen. Entgegen dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde ist auch den in der Begründungsschrift zitierten - zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c MRK ergangenen - Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht zu entnehmen, dass der Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot gemäß § 13a Abs. 1 Satz 1 HmbSOG auf den vom Amtsgericht angeordneten Gewahrsam durchschlüge.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Gegenstandswerts des Rechtsbeschwerdeverfahrens auf § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 495
Bearbeiter: Christian Becker