HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 43
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 466/18, Beschluss v. 16.10.2019, HRRS 2020 Nr. 43
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 11. April 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Erpressung und versuchter Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
Seine auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.
Nach den Feststellungen suchte der Angeklagte am 11. April 2016 in A. die als Prostituierte tätige Nebenklägerin auf. Nach einem kurzem Gespräch über die Preise äußerte der Angeklagte, er sei Mitglied einer Rockergruppierung und wolle „abkassieren“, die „Jungs“ seien vor dem Haus postiert.
Damit bezweckte der Angeklagte, die Nebenklägerin gefügig zu machen und zu verängstigen. Ihm kam es jedenfalls auch darauf an, den Geschlechtsverkehr mit ihr ohne Bezahlung zu vollziehen. Der Angeklagte entkleidete die durch die Drohungen sichtlich verängstigte und zitternde Nebenklägerin und vollzog mit ihr gegen ihren Willen den vaginalen Geschlechtsverkehr. Im Anschluss verließ der Angeklagte die Örtlichkeit. „Die Nebenklägerin unterließ es aus Furcht vor den angedrohten Zwangsmaßnahmen, den Angeklagten an das fällige Honorar zu erinnern, welches 50,-- € betragen hätte“ (Fall 1 der Urteilsgründe).
Am 18. Mai 2016 suchte der Angeklagte eine andere Prostituierte, die Zeugin B., in A. auf. Nach Betreten des Studios äußerte er, Mitglied einer Rockergruppierung zu sein und forderte 1.000 Euro Schutzgeld. Als die Prostituierte erklärte, sie werde kein Geld zahlen, erkannte der Angeklagte, dass er sein Ziel nicht mehr erreichen konnte, brach seine Bemühungen des „Geldeintreibens“ ab und verließ die Örtlichkeit (Fall 2 der Urteilsgründe).
1. Der Schuldspruch wegen Erpressung zum Nachteil der Nebenklägerin (Fall 1 der Urteilsgründe) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die Beweiswürdigung ungeachtet des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs wegen Lückenhaftigkeit durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
a) Das Landgericht hat die Verurteilung maßgeblich auf die Aussage der Nebenklägerin gestützt. Die Einlassung des Angeklagten, wonach er nie unbezahlten Geschlechtsverkehr mit der als Prostituierten tätigen Nebenklägerin gehabt und zu keinem Zeitpunkt Schutzgeld von ihr erpresst habe, hat es als unwahre Schutzbehauptung bewertet. Das Gleiche gilt für seine Angabe, die Nebenklägerin habe ihm Geld geschuldet, weshalb er „rumgeprahlt“ und ihr gedroht habe. Soweit die Nebenklägerin angegeben hat, den Angeklagten vor der Tat nicht gekannt zu haben, während der Angeklagte sich davon abweichend eingelassen hat, zwischen ihnen habe eine mehrere Jahre andauernde Stammkunden-Prostituierten-Beziehung bestanden, hat sich die Strafkammer weder von der Richtigkeit der einen noch der anderen Behauptung überzeugen können. Sie hat daher letztlich insoweit offengelassen, welchen der Aussagen sie Glauben schenkt.
Das Landgericht vermochte den Angaben der Nebenklägerin nur „betreffend der geschilderten Erpressungshandlung bezogen auf den aufgrund des drohenden Auftretens des Angeklagten durchgeführten Geschlechtsverkehr ohne Bezahlung“ zu folgen. Dabei hat sie sich im Wesentlichen auf deren Aussageverhalten in der Hauptverhandlung sowie auf die Konstanz ihrer Angaben während des gesamten Verfahrens gestützt. Zudem hat sie die Aussagen der Nebenklägerin durch dem Angeklagten zugeordnete SMS und die Angaben weiterer Zeugen als bestätigt angesehen.
Den Anklagevorwurf der Vergewaltigung hat die Strafkammer wegen Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin hingegen nicht als erfüllt angesehen. Aus demselben Grund hat sie den Angeklagten von dem weiteren Vorwurf freigesprochen, die Nebenklägerin im Frühjahr 2016 (richtig: im September 2016) vergewaltigt zu haben (Fall 2 der Anklage). Dazu hat sie im Urteil lediglich ausgeführt, dass die Angaben der Nebenklägerin zu den Vergewaltigungsvorwürfen teilweise widersprüchlich und nicht konstant gewesen und zudem mit dem Zeugen T. abgesprochen worden seien.
b) Schon diese differenzierende Bewertung der Glaubhaftigkeit einzelner Aussageteile hätte einer näheren Begründung bedurft, die das Urteil vermissen lässt. Glaubt das Gericht einen Teil der Aussage des Belastungszeugen, obwohl es ihm in anderen Teilen nicht folgt, bedarf dies regelmäßig einer besonderen Begründung (vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 2013 - 1 StR 206/13, juris Rn. 19; Beschluss vom 24. Juni 2003 - 3 StR 96/03, NStZ-RR 2003, 332 f.). Daher wäre das Landgericht gehalten gewesen, auch die Angaben, die die Nebenklägerin in ihren polizeilichen Vernehmungen sowie in der Hauptverhandlung zu den Vergewaltigungsvorwürfen gemacht hat, inhaltlich mitzuteilen und auf dieser Grundlage nachvollziehbar darzutun, aus welchen Erwägungen es deren Bekundungen zu den Vergewaltigungen als nicht ausreichend für den sicheren Nachweis entsprechender Übergriffe des Angeklagten erachtet, die übrige Schilderung der Tat im April 2016 aber für uneingeschränkt glaubhaft gehalten und als tragfähige Grundlage für eine Feststellung des Tatgeschehens angesehen hat. Angesichts dieses Darlegungsmangels kann der Schuldspruch keinen Bestand haben. Darauf, dass das Gericht im Übrigen verkennt, dass nach den von ihm getroffenen Feststellungen der Tatbestand der Vergewaltigung erfüllt wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 2011 - 3 StR 467/10, NStZ 2011, 278; Beschluss vom 1. August 2013 - 4 StR 189/13, NStZ 2013, 710 f.), kommt es daher nicht an.
c) Die Beweiswürdigung ist darüber hinaus lückenhaft, weil das Landgericht sich nicht mit allen wesentlichen Gesichtspunkten auseinandergesetzt hat, die gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin sprechen. Insoweit nimmt der Senat auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 9. Januar 2019 Bezug.
2. Von dem aufgezeigten Rechtsfehler im Fall 1 der Urteilsgründe ist auch der Schuldspruch wegen versuchter Erpressung zum Nachteil der Zeugin B. (Fall 2 der Urteilsgründe) beeinflusst, dieser kann ebenfalls keinen Bestand haben.
Die Strafkammer hat die Feststellungen zu dieser Tat zwar im Wesentlichen auf die Aussage der Zeugin gestützt. Von deren Richtigkeit hat sie sich aber unter anderem auch aufgrund des Umstands überzeugt, dass die Tat insoweit das gleiche Handlungsmuster aufweise wie die von der Nebenklägerin geschilderte Tat. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer im Rahmen der Gesamtwürdigung bei einer rechtsfehlerfreien Würdigung der Aussage der Nebenklägerin auch hinsichtlich der Tat zum Nachteil der Zeugin B. zu einer anderen Überzeugung gelangt wäre.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 43
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 43; StV 2020, 449
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner