HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1116
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 113/18, Urteil v. 12.09.2018, HRRS 2018 Nr. 1116
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 18. Oktober 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer und mit gefährlicher Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten, auf den Strafausspruch beschränkten Revision macht die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts geltend. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, bleibt erfolglos.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Der Angeklagte führte mit der Geschädigten S. seit 2006 eine Beziehung, aus der im Jahr 2008 ein gemeinsamer Sohn hervorging. Im Umgang mit der Geschädigten zeigte der stark eifersüchtige Angeklagte dominante und besitzergreifende Züge. Gleichzeitig fürchtete er, dass sich die Geschädigte von ihm entfernen und trennen werde. Auf Verhaltensweisen seiner Freundin, die nicht seinen partnerschaftlichen Vorstellungen entsprachen, reagierte er mehrfach mit aggressivem Verhalten. Daneben war er aber auch in der Lage, sich nach außen beherrscht und verständnisvoll zu geben, um seine Partnerin auszuhorchen und ihr das so in Erfahrung Gebrachte später vorzuhalten.
Anfang 2017 wuchs die Unzufriedenheit des Angeklagten mit der Beziehung. Die Geschädigte fühlte sich stark eingeengt und begann eine heimliche sexuelle Affäre mit einem Bekannten. Am 18. März 2017 richteten der Angeklagte und die Geschädigte auf ihrem Grundstück in H. eine gemeinsame Geburtstagsfeier aus. Als der Angeklagte im Verlauf des Abends bemerkte, dass die Geschädigte über ihr Smartphone Nachrichten mit einem anderen Mann austauschte, kam es zum Streit. Nach schlichtender Einwirkung von Gästen der Feier schlug der alkoholisierte Angeklagte (Blutalkoholkonzentration 1,8 Promille) der Geschädigten vor, ein klärendes Vier-Augen-Gespräch zu führen. Dazu begab er sich mit S. in deren Zimmer; auf dem Weg dorthin ergriff er unbemerkt ein langes Küchenmesser und versteckte es hinter seinem Rücken. Auf Veranlassung des Angeklagten setzte sich die Geschädigte in der Mitte des Raumes auf den Boden. Er selbst setzte sich dicht hinter sie, so dass ihr Kopf auf seiner Schulter lag. Er gab sich ruhig und verständnisvoll und befragte seine Lebensgefährtin zu ihrer Affäre. Die Geschädigte, die davon ausging, dass sich der Angeklagte beruhigt habe und kein körperlicher Angriff von ihm drohe, räumte daraufhin das Liebesverhältnis ein. „Dieses Geständnis kränkte den Angeklagten ungemein, er fühlte sich angesichts der eheähnlichen Beziehung zwischen ihm und der Geschädigten durch ihr ‚Fremdgehen‘ hintergangen und betrogen, auch betrachtete er die Geschädigte eigentlich als seinen Besitz. Gleichzeitig befürchtete er, dass die Geschädigte ihn verlassen werde, was ihn - nachdem er aus seiner Sicht viel in die Partnerschaft investiert hatte - verzweifeln ließ und wovor er große Angst hatte. Er entschloss sich spätestens jetzt, das hinter dem Rücken versteckte Messer einzusetzen und die Geschädigte hiermit zumindest schwer und auch lebensgefährlich zu verletzen. Darüber hinaus nahm er billigend in Kauf, dass die Geschädigte an den ihr zugefügten Verletzungen versterben könnte. Er führte - weiterhin hinter ihr sitzend - seine rechte Hand mit dem Messer seitlich an ihr vorbei und führte in schneller Folge mehrere kräftige Stiche seitlich und von vorne in ihren Brust- und Bauchraum aus.“ Im Rahmen des Angriffs fügte der Angeklagte der Geschädigten zehn zum Teil tiefe Schnitt- und Stichverletzungen in Bauch und Brust zu. Dadurch, dass die Geschädigte versuchte, sich der Stiche zu erwehren bzw. sich zu schützen, wurden ihre Finger und Hände erheblich verletzt. Als sie stark blutend zu flüchten versuchte, versetzte ihr der Angeklagte einen weiteren Stich in die obere Rückenpartie. Schließlich brach sie zusammen, woraufhin der Angeklagte beschloss zu fliehen. Er entledigte sich des Messers, verschloss von außen die Wohnungstür, verließ über die Treppe das Haus und zog die Hauseingangstür zu. Mit seinem Pkw fuhr er zu seinen nur wenige Minuten entfernt wohnenden Eltern. „Spätestens als er dort ankam, wurde er von Reue gepackt und teilte seinen Eltern und seiner (…) Schwester mit, dass er der Geschädigten etwas angetan habe und sie schnell dorthin fahren und nach ihr sehen sollten. Er selbst verließ das Haus seiner Eltern wieder und lief eine gewisse Zeit umher.“ Noch bevor die Eltern des Angeklagten das Haus erreicht hatten, gelangten zwei durch Hilferufe der Geschädigten alarmierte Freundinnen mit einem Haustürschlüssel, den eine von ihnen beim Verlassen der Feier aus einem unguten Gefühl heraus eingesteckt hatte, in die Wohnung und setzten einen Notruf ab. Die Geschädigte wurde von dem ca. 15 Minuten später eintreffenden Notarzt versorgt. Zwischenzeitlich waren auch Vater und Schwester des Angeklagten eingetroffen. Nach notärztlicher Versorgung wurde die Geschädigte ins Krankenhaus eingeliefert. Zuvor hatte der Vater des Angeklagten auf Aufforderung des Notarztes vorab eine Blutprobe zur Analyse ins Krankenhaus gefahren, um geeignete Blutkonserven vorzubereiten. Im Krankenhaus wurde die Geschädigte, die bereits mehrere Liter Blut verloren hatte und die bei nur wenig später erfolgter ärztlicher Versorgung verstorben wäre, durch eine sofortige Notoperation gerettet, wobei der Bauchraum durch einen großen vom Brustkorb bis unter den Bauchnabel reichenden Schnitt geöffnet werden musste. Dadurch und infolge der beim Angriff beigebrachten Stiche und Schnitte blieben erheblich entstellende Narben zurück.
II.
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Die dem Revisionsvorbringen zu entnehmende Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht ist unzulässig, da sie nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.
2. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge führt zu dessen Aufhebung. Zwar trifft auf der Grundlage der Feststellungen die Annahme zu, dass der Angeklagte sich zunächst des versuchten (Heimtücke-)Mordes schuldig gemacht hat. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch verneint hat, leiden jedoch an einem Erörterungsmangel und halten deshalb revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Im Ausgangspunkt hat das Landgericht zutreffend einen beendeten Versuch angenommen. Die sich daran anknüpfende Frage, ob der Angeklagte freiwillig die Vollendung der Tat verhindert hat (§ 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StGB), hat es mit der Begründung verneint, dass die lebensrettenden Maßnahmen bereits von Dritten eingeleitet und veranlasst worden waren, bevor der Vater und die Schwester des Angeklagten den Tatort erreichten, so dass deren Erscheinen am Tatort für die Rettung nicht mehr kausal gewesen sei. Nicht erörtert hat die Strafkammer hingegen, ob für die Rettung der Geschädigten durch ärztliche Behandlungsmaßnahmen (mit-)ursächlich geworden war, dass der Vater des Angeklagten vor der Einlieferung der Geschädigten eine Blutprobe ins Krankenhaus gebracht hatte, um geeignete Blutkonserven vorzubereiten. Dies wäre zu erwägen gewesen, weil der Täter für das gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StGB von ihm geforderte Ingangsetzen einer neuen Kausalkette, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich, oder jedenfalls mitursächlich wird, auch Dritte hinzuziehen kann (BGH, Urteil vom 22. August 1985 - 4 StR 326/85, BGHSt 33, 295 (302); Beschluss vom 25. Februar 1997 - 4 StR 49/97, NStZ-RR 1997, 193; Urteil vom 13. März 2008 - 4 StR 610/07, NStZ 2008, 508, 509). Dass daneben andere, vom Willen des Täters unabhängige Umstände zur Verhinderung der Tatvollendung beitragen, steht einem strafbefreienden Rücktritt ebenso wenig entgegen wie die Möglichkeit, etwas anderes oder mehr zu tun, um die Vollendung der Tat mit größerer Sicherheit zu verhindern (vgl. Senat, Urteil vom 7. November 1984 - 2 StR 521/84, NJW 1985, 813, 814; BGH, Beschluss vom 9. Dezember 1998 - 5 StR 584/98, NStZ 1999, 128).
Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft erzielt keinen Erfolg.
1. Die Revision ist zulässig und wirksam auf den Strafausspruch beschränkt.
Zwar hat die Staatsanwaltschaft nicht in der von § 344 Abs. 1 StPO geforderten Weise ausdrücklich erklärt, inwieweit sie das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage. Das Fehlen des Revisionsantrags ist jedoch unschädlich, da sich das Anfechtungsziel bereits eindeutig aus der Revisionsbegründungsschrift ergibt. Mit dieser greift die Staatsanwaltschaft nicht den Schuldspruch an, sondern macht mit der erhobenen Sachrüge lediglich geltend, das Landgericht habe eine zu niedrige Strafe verhängt, weil es neben dem Mordmerkmal der Heimtücke rechtsfehlerhaft nicht auch das Mordmerkmal sonstiger niedriger Beweggründe angenommen und im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend berücksichtigt habe; zudem habe es dem Angeklagten zu Unrecht eine alkoholbedingte Enthemmung zum Tatzeitpunkt zugutegehalten. Da die zuletzt genannte Erwägung ausschließlich die Strafzumessung betrifft und die Frage, ob der Angeklagte aus sonstigen niedrigen Beweggründen gehandelt hat, vorliegend für den Schuldspruch wegen Mordes rechtlich nicht von Bedeutung ist und in tatsächlicher Hinsicht selbständig beurteilt werden kann (BGH, Urteil vom 22. August 1995 - 1 StR 393/95, BGHSt 41, 222, 223), ist die Revision wirksam auf den Strafausspruch beschränkt.
2. Die Revision ist unbegründet. Der Strafausspruch lässt keinen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler erkennen.
a) Dass das Landgericht auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen das Vorliegen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe verneint hat, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
Nach den Feststellungen war die Persönlichkeit des Angeklagten durch „zwei höchst widersprüchliche Persönlichkeitsanteile, nämlich einerseits narzisstische und andererseits dependente“ geprägt. Der Angeklagte, der zu seinem Motiv keine Angaben gemacht hat, versuchte die Geschädigte „aus einem Bündel von Motiven, teilweise narzisstische Kränkung, teilweise aufgrund seines Besitzdenkens, teilweise Verzweiflung und Verlustängste“ zu töten. Dass eines dieser Motive für die Tat ausschlaggebend gewesen sei, vermochte die Strafkammer nicht festzustellen.
Die auf dieser Grundlage vorgenommene Bewertung der handlungsleitenden Gefühlsregungen des Angeklagten als „noch emotional nachvollziehbar“ und insgesamt nicht als auf niedrigster Stufe stehend lässt einen Wertungsfehler nicht erkennen. Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung nur dann auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv oder die vorherrschenden Motive, welche der Tat ihr Gepräge geben, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verwerflich sind (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 26. Februar 1993 - 3 StR 207/92, BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 25; Senat, Urteil vom 10. März 2006 - 2 StR 561/05, NStZ 2006, 338, 340).
b) Dass das Landgericht im Rahmen der konkreten Strafzumessung strafmildernd berücksichtigt hat, dass der Angeklagte alkoholbedingt enthemmt war, begegnet entgegen dem Revisionsvorbringen aus den zutreffenden Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 16. Mai 2018 ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1116
Externe Fundstellen: StV 2020, 82
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner