Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 393/95, Urteil v. 22.08.1995, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 20. März 1995 aufgehoben
a) in den Feststellungen zu den Tatmotiven und
b) im Strafausspruch mit den Feststellungen.
In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
I. Der Angeklagte ist ein aus Kroatien stammender Serbe. Er wurde im Mai 1994 aus der Bundesrepublik ausgewiesen und in seine Heimat abgeschoben, nachdem er wegen Körperverletzung seiner Ehefrau - die sich, ohne den Kontakt zum Angeklagten völlig aufzugeben, einem anderen Mann zugewendet hatte - bestraft worden war. Der Kontakt zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau riß auch in der Folgezeit nicht ab.
Als der Angeklagte, der "als Serbe mit Repressalien in Kroatien rechnen mußte", erkannte, daß "seine Einberufung zum Militär bevorstand", kehrte er illegal in die Bundesrepublik zurück. Er hoffte, sich in dem Haus, das vor seiner Abschiebung von ihm und seiner Ehefrau gemeinsam bewohnt worden war, bis auf weiteres verbergen zu können. Als er bemerkte, daß seine Ehefrau gerade dabei war, aus dem Haus zu dem anderen Mann zu ziehen - daß sie dies beabsichtigte, hatte sie ihm zuvor nicht gesagt -, geriet er in Wut und beschloß, seine Ehefrau zu töten. Dabei war sein Motiv nicht Eifersucht, sondern der Ärger darüber, daß sie ihm durch ihren Auszug "die Möglichkeit verbaut hatte, bei ihr in Deutschland Unterschlupf und damit Hilfe gegen eine Einziehung zum Militär in Kroatien... zu finden".
Er verbarg sich in einem Zimmer; kurz nachdem seine ahnungslose Ehefrau das Zimmer betreten hatte, hielt er sie von hinten am Hals fest und versetzte ihr in Tötungsabsicht mehrere Messerstiche in Hals und Brust. Den ersten Stich konnte sie mit der Hand noch ablenken, die weiteren Stiche nicht mehr. Die Tat scheiterte schließlich, weil die Klinge des Messers abbrach und sich Zeugen im Haus bemerkbar machten. Die Ehefrau konnte durch eine Notoperation gerettet werden.
II. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht den Angeklagten wegen versuchten Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Als Mordmerkmal hat es sowohl Heimtücke als auch niedrige Beweggründe angenommen.
Die auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge teilweise Erfolg, da die Annahme niedriger Beweggründe rechtlicher Überprüfung nicht standhält. Dies führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.
1. Die auf die Ablehnung eines Beweisantrags gestützte Verfahrensrüge kann nicht durchdringen, da die Revision weder den Inhalt des Beweisantrags noch die Begründung des Ablehnungsbeschlusses in geschlossener Darstellung mitteilt. Damit wird das Revisionsvorbringen den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO an eine zulässig erhobene Verfahrensrüge nicht gerecht.
2. Das Mordmerkmal der Heimtücke ist entgegen der Auffassung der Revision rechtsfehlerfrei bejaht.
Der Umstand, daß die Geschädigte im letzten Moment das Messer sah und den ersten Stich noch abwehren konnte, steht der Annahme von Heimtücke nicht entgegen.
Heimtücke liegt u.a. vor, wenn der Täter - wie hier - dem ahnungslosen Opfer auflauert, um an es heranzukommen. Ist dies geschehen, so kommt es nicht darauf an, wann der Getäuschte die Gefahr erkennt. Im letzten Moment unternommene Abwehrversuche des durch einen solchen Angriff in seinen Verteidigungsmöglichkeiten behinderten Opfers stehen der Annahme von Heimtücke nicht entgegen (ständ. Rspr., vgl. d. Nachw. b. Jähnke in LK 10. Aufl. § 211 Rdn. 43, 44).
3. Die nicht konkretisierend begründete Annahme des Landgerichts, niedrige Beweggründe lägen vor, weil das festgestellte Motiv der Tat "nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert (sei) und auf niedrigster Stufe (stehe)", geht zwar von einem zutreffenden rechtlichen Ansatz aus, hält aber schon deshalb rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Feststellungen zum Motiv des Angeklagten widersprüchlich und unklar sind:
Die Strafkammer geht davon aus, daß sich der Angeklagte nicht - auch - deshalb zur Tat entschlossen hatte, weil er "eine Trennung von seinen Kindern nicht hätte verwinden können". Im Rahmen der Beweiswürdigung führt die Strafkammer dann aus, der Angeklagte habe "in der Hauptverhandlung ... wie auch schon zu deren Vorbereitung eine Anzahl von Behauptungen zur Erklärung für seine Tat aufgestellt, die ihm ... erst nach der Tat eingefallen sind und für die Tat ohne Bedeutung gewesen wären, selbst wenn sie sich als richtig erwiesen hätten". In diesem Zusammenhang ist u.a. ausgeführt, der Angeklagte habe wiederholt erklärt, "er habe seine Ehefrau umbringen wollen, weil sie ihn verlassen wollte und er dann seine Kinder verlieren würde". Die Annahme, dies sei dem Angeklagten erst nach der Tat eingefallen, steht im Widerspruch zu der Feststellung, daß der Angeklagte unmittelbar vor der Tat einen Brief an seine Kinder schrieb, in dem es heißt: "Schon längst vorher habe ich ihr (= der Geschädigten) gesagt, daß ich sie umbringen werde, wenn sie mit ihm leben wird und ich deswegen ohne Euch bleibe". In der Hauptverhandlung selbst hat der Angeklagte u.a. erklärt, "wenn mir jemand die Kinder nimmt, werde ich zum Raubtier". Diese Angabe würdigt die Strafkammer dahingehend, daß sie "solche Ausführungen des Angeklagten nicht für Theater (hält) um ... die Tat in einem ... günstigeren Licht" erscheinen zu lassen. Mit der Erwägung, es handle sich bei alledem nur um nachgeschobenes, unwahres und unbedeutendes Vorbringen, ist dies nicht vereinbar. Letztlich kommt die Strafkammer dann selbst zu dem Ergebnis, daß der Angeklagte, der seine Zuneigung zu seinen Kindern "überzeugend bekundet" hat, die Tat "in Bezug auf die Kinder begangen" hat. Dies wiederum widerspricht der Feststellung, daß es "keinen anderen Grund für die Tat gab", als den, daß die Geschädigte dem Angeklagten nicht den erhofften Schutz vor seiner Einziehung als Soldat gewährt hat.
Aufgrund dieser Widersprüche fehlt es bereits an einer hinreichenden Grundlage, auf der die für die Bewertung einer Tötung aus niedrigen Beweggründen gebotene Gesamtwürdigung eines Motivbündels (vgl. Jähnke aaO Rdn. 25 m.w.Nachw.) vorzunehmen ist.
4. Im übrigen könnte aber auch dann, wenn das von der Strafkammer festgestellte Motiv ausschließliches Tatmotiv gewesen wäre, dessen nicht näher begründete Bewertung als niedrig keinen Bestand haben:
a) Eine Fallgestaltung, bei der sich die Niedrigkeit der Beweggründe schon allein daraus ergibt, daß sie den in § 211 Abs. 2 StGB aufgeführten speziellen Mordmerkmalen (Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier) nahestehen (vgl. hierzu Jähnke aaO Rdn. 26), liegt offensichtlich nicht vor.
b) Darüber hinaus können niedrige Beweggründe auch bei einer völligen Mißachtung des personalen Eigenwerts des Opfers in Frage kommen (vgl. Jähnke aaO Rdn. 28), z.B. bei einer Tötung aus Rassenhaß oder wenn der Täter handelt, um eine Willkürherrschaft über andere aufrechtzuerhalten (vgl. Jähnke aaO Rdn. 29, 30). Auch ein solches oder ein damit vergleichbares Motiv liegt hier nicht vor.
c) Der Angeklagte handelte vielmehr aus Wut, Enttäuschung und Rachsucht. Derartige Motive, denen jedermann je nach Anlaß mehr oder weniger stark erliegen kann, tragen nicht von vornherein den Unwertstempel der Niedrigkeit (Jähnke aaO Rdn. 31 mit Rechtsprechungsnachweisen in Fußnote 43). Geboten ist bei einem aus derartigen Wurzeln entstammenden Tatmotiv vielmehr eine Würdigung aller Umstände, die die Strafkammer nicht vorgenommen hat. Bei dieser Gesamtwürdigung, die dem Tatrichter obliegt (vgl. BGH NJW 1967, 1140; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 1), hätte es sich aufgedrängt, etwa gegeneinander abzuwägen, daß der Angeklagte einerseits zwar keinen Anspruch darauf hatte, sich mit Hilfe seiner Ehefrau einen illegalen Aufenthalt in Deutschland zu sichern und sich so seiner Militärdienstpflicht zu entziehen, daß aber andererseits die Enttäuschung über das Scheitern dieser Hoffnung nicht ohne weiteres als auf tiefster Stufe stehend und verachtenswert zu beurteilen wäre.
5. Aus alledem ergibt sich, daß die Strafkammer zwar das Mordmerkmal der Heimtücke zutreffend bejaht hat, die Annahme, daß darüber hinaus auch das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe erfüllt sei, dagegen rechtlicher Überprüfung nicht standhält.
Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, daß bei zutreffender Bejahung eines Mordmerkmals die fehlerhafte Verneinung eines weiteren Mordmerkmals den Bestand des Schuldspruchs dann nicht gefährdet, wenn hinsichtlich des fehlerhaft behandelten Mordmerkmals weitere tatrichterliche Feststellungen nicht erforderlich sind (BGH NStZ 1994, 583; im Ergebnis ebenso BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 10 m.w.Nachw.). Für den hier vorliegenden Fall einer fehlerhaften Bejahung eines weiteren Mordmerkmals kann nichts anderes gelten.
Die in den genannten Entscheidungen offen gelassene Frage, wie es sich verhält, wenn hinsichtlich des weiteren Mordmerkmals weitere tatrichterliche Feststellungen erforderlich sind, war jedenfalls für die hier vorliegende Fallgestaltung dahin zu entscheiden, daß der Bestand des Schuldspruchs nicht berührt ist. Zwischen den Feststellungen zur Begehungsweise der Tat und deren Bewertung als heimtückisch und den Feststellungen zu den Beweggründen der Tat und deren Bewertung als niedrig besteht kein innerer Zusammenhang. Beide Fragen können vielmehr losgelöst voneinander geprüft und entschieden werden. Nachdem, wie dargelegt, das den Schuldspruch schon tragende Mordmerkmal der Heimtücke rechtsfehlerfrei festgestellt ist, ist kein Grund dafür ersichtlich, der hier eine nochmalige tatrichterliche Entscheidung über den Schuldspruch erforderlich machen würde.
6. Der aufgezeigte Mangel führt aber zur Aufhebung des Strafausspruchs.
Das Landgericht hat von einer Strafrahmenmilderung gemäß §§ 23, 49 StGB nicht zuletzt deshalb abgesehen, weil die Tat "vom Motiv und von der Ausführung her... versuchter Mord" war. Im Hinblick darauf, daß die Beweggründe des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei als niedrig im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB bewertet worden sind, ist dieser Erwägung die Grundlage entzogen. Daher muß über die Beweggründe der Tat und den Strafausspruch neu befunden werden.
Externe Fundstellen: BGHSt 41, 222; NJW 1996, 471; NStZ-RR 1996, 98
Bearbeiter: Rocco Beck