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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1155

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, AK 43/17, Beschluss v. 21.09.2017, HRRS 2017 Nr. 1155


BGH AK 43/17 - Beschluss vom 21. September 2017 (OLG München)

Dringender Tatverdacht wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung; Fluchtgefahr; Fortdauer der Untersuchungshaft.

§ 129a StGB; § 129b StGB; § 112 StPO; § 116 StPO; § 121 StPO

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht München übertragen.

Gründe

I.

Der Angeschuldigte wurde auf Grund des Haftbefehls der Ermittlungsrichterin des Oberlandesgerichts München vom 23. Februar 2017 am 28. Februar 2017 festgenommen und befindet sich seit dem 1. März 2017 in Untersuchungshaft, unterbrochen durch die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe vom 23. März bis zum 28. März 2017.

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe in Syrien und anderswo - durch zwei selbständige Handlungen (gemeinschaftlich handelnd) jeweils eine ausländische Vereinigung unterstützt, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen, und durch jeweils dieselbe Handlung eine schwere staatsgefährdende Gewalttat, insbesondere gegen das Leben in den Fällen des § 211 StGB oder des § 212 StGB oder gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a StGB oder des § 239b StGB, die nach den Umständen bestimmt und geeignet sei, den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beeinträchtigen oder Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben, vorbereitet, indem er für deren Begehung nicht unerhebliche Vermögenswerte gesammelt, entgegengenommen oder zur Verfügung gestellt habe, sowie - durch eine weitere selbständige Handlung über eine Kriegswaffe sonst die tatsächliche Gewalt ausgeübt, ohne dass der Erwerb der tatsächlichen Gewalt auf einer Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz beruht habe, strafbar gemäß § 89a Abs. 1, 2 Nr. 4 aF, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1, 2, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 6 KWKG i.V.m. Teil B Abschnitt V Nr. 29 Buchst. c der Anlage zu § 1 Abs. 1 KWKG (Kriegswaffenliste).

Mit Anklageschrift vom 29. Mai 2017 hat die Generalstaatsanwaltschaft München am 16. Juni 2017 Anklage gegen den Angeschuldigten wegen der im Haftbefehl geschilderten Taten zum Oberlandesgericht München erhoben.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl vom 23. Februar 2017 zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.

a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Geschehen auszugehen:

aa) Die Vereinigung „Junud al Sham“

Bei der Junud al Sham (auch „Junud ash Sham“, übersetzt: „Soldaten Syriens“) handelt es sich um eine Gruppierung, die im August 2013 erstmals medial in Erscheinung trat und die auf Seiten der islamistischen Gegner des Assad-Regimes in den syrischen Bürgerkrieg eingriff. Ihr Anführer ist der Tschetschene Muslim Margoshvili alias Muslim Abu Walid, der über Kampferfahrung aus den russischen Tschetschenienkriegen verfügt und als lokaler Emir einer in Dagestan operierenden Gruppierung fungiert hatte. Da ihm die Rückkehr nach Tschetschenien nicht gelang, entschloss er sich im Jahr 2012 zusammen mit einem Teil seiner Kämpfer, überwiegend Tschetschenen, aber auch Angehörige westlicher Staaten, zur Auswanderung nach Syrien, um dort am Kampf gegen das Assad-Regime teilzunehmen.

Er sah seine Verbündeten vor allem in weiteren in Syrien kämpfenden Gruppierungen kaukasischer Herkunft und unterhielt unter anderem enge Beziehungen zu Saifullah Al Shishani, der sich im Juli 2013 mit mehrheitlich nordkaukasischen Kämpfern von einer anderen jihadistischen Organisation, der „Jaish al Muhajirin wal Ansar“ (kurz: JAMWA), getrennt hatte, nachdem diese sich dem sog. „Islamischem Staat im Irak und Großsyrien“ (ISIG) zugewandt hatte. Die Junud al Sham führte mit Saifullah Al Shishani und seinen Anhängern sowie mit einer Gruppierung um Abu Musa Al Shishani gemeinsame Operationen durch und blieb - trotz enger Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen wie etwa der Jabhat al Nusra, der sich wiederum Saifullah Al Shishani angeschlossen hatte, oder gemeinsamen Aktionen mit dem ISIG - selbständig, ohne sich einer anderen Gruppierung unterzuordnen. Die Eigenständigkeit der Organisation bekräftigte Abu Walid mit einer am 30. Juni 2014 über Twitter veröffentlichten Audiobotschaft, in der er erklärte, Emir einer eigenen Gruppe zu sein, die sich schon seit zwei Jahren in Syrien aufhalte und auch Kämpfer aus Deutschland in ihren Reihen habe. Die Junud al Sham bekennt sich zudem dazu, „junge Mujahidin, die aus der ganzen Welt zum Jihad kommen“, zu trainieren.

Anführer der Vereinigung ist - wie dargelegt - Muslim Abu Walid, dem sein Stellvertreter Abu Turab Shishani sowie mehrere Kommandeure zur Seite stehen. Die Stärke der Gruppierung ist nicht bekannt; die Anzahl der Kämpfer wird auf mehrere Hundert geschätzt.

Ziel der Junud al Sham ist der Kampf gegen die „Ungläubigen“ in Syrien und die Errichtung eines islamistischen Gottesstaates dort und in den angrenzenden Ländern sowie darüber hinaus letztlich auch im Kaukasus. Dieses Ziel sucht sie durch militärische Operationen zu erreichen. Im August 2013 beteiligte sich die Gruppierung an den Kämpfen gegen die Regierungstruppen um die Hügelkette von Durin nahe Latakia. Im Februar 2014 nahm sie gemeinsam mit der Jabhat al Nusra am Angriff auf das Zentralgefängnis in Aleppo teil, den Muslim Abu Walid befehligte. Im März 2014 führte die Vereinigung eine weitere Operation in der Nähe von Latakia namens „Anhöhe Turm 45" durch.

bb) Die Tathandlungen des Angeschuldigten

(1) Anfang oder Mitte des Jahres 2013 fassten der Angeschuldigte sowie die Mitangeschuldigten D. und Kaj., die allesamt extremistisch-islamisch eingestellt sind und der sog. Salafistenszene angehören, gemeinsam den Entschluss, die Junud al Sham durch die Lieferung von Kraftfahrzeugen nach Syrien zu unterstützen. Ihnen kam es darauf an, dass die Fahrzeuge von Mitgliedern der Vereinigung bei Kampfhandlungen in Syrien eingesetzt und somit der Fortbestand und die Betätigung der Organisation gefördert werden. In Ausführung dieses Tatentschlusses nahmen der Angeschuldigte und die beiden Mitangeschuldigten die folgenden zwei Lieferungen vor:

(a) Am oder nach dem 2. Juli 2013 beschafften sie sich einen gebrauchten Krankentransportwagen Mercedes Sprinter, den der Angeschuldigte am 15. Juli 2013 auf sich zuließ. Er und der Mitangeschuldigte D. brachten das Fahrzeug ab dem 16. Juli 2013 im Rahmen eines von der Organisation „Helfen in Not e.V.“ durchgeführten Hilfskonvois von Nürnberg nach Passau, wo der Angeschuldigte deutsche Ausfuhrkennzeichen anbringen ließ, und von dort über Österreich, Ungarn, Rumänien und Bulgarien in die Türkei. In Istanbul stieg am 19. Juli 2013 der Mitangeschuldigte Kaj. zu. Gemeinsam fuhren die drei Angeschuldigten weiter über den türkischen Grenzort Reyhanli nach Syrien, wo sie im Laufe des 24. Juli 2013 ankamen. Bis zum 29. Juli 2013 übergaben sie den Krankentransportwagen Mitgliedern der Junud al Sham.

(b) Im Zeitraum vom 20. September bis zum 26. November 2013 kaufte der Angeschuldigte - teilweise allein, teilweise zusammen mit den Mitangeschuldigten und teilweise über von ihm beauftragte Dritte - sechs gebrauchte Kraftfahrzeuge, nämlich einen Geländewagen Jeep Grand Cherokee, zwei geländegängige Pick Ups Nissan Navara, zwei Vans Chrysler Grand Voyager sowie einen Van Kia Carnival. Gemäß dem vom Mitangeschuldigten Kaj. in Abstimmung mit dem Angeschuldigten erteilten Auftrag brachte eine Spedition die Fahrzeuge in die Türkei:

Am 27. November 2013 holte sie ein Mitarbeiter des Unternehmens mit einem Autotransporter in Stein bei Nürnberg ab; dort verluden sie der Angeschuldigte sowie die anderweitig Verfolgten W., M., Ka. und K. Der Autotransporter fuhr die Fahrzeuge nach Antwerpen. Von dort wurden sie am 7. Dezember 2013 nach Mersin (Türkei) verschifft, wo sie am 19. Dezember 2013 ankamen. Entsprechend dem gemeinsamen Tatplan veranlasste der Mitangeschuldigte D. am 27. September 2013 die Überweisung des von der Spedition in Rechnung gestellten Transportentgelts von 4.500 €.

Der Angeschuldigte organisierte zwischen dem 7. Februar und dem 17. Februar 2014 bei dem Funktionär Mu. des sog. Stuttgarter Moscheevereins („Mesjid Sahabe“) die für den Weitertransport der Fahrzeuge von der Türkei nach Syrien erforderlichen 8.000 US-$. Die sechs Kraftfahrzeuge gelangten dementsprechend kurz vor dem oder am 17. Februar 2014 über den Grenzübergang Bab al Hawa nach Syrien zu einem Mitglied der Junud al Sham namens „A. ", der sie nach Rücksprache mit dem und auf Anweisung des Angeschuldigten weiterverteilte. Mehrere der Fahrzeuge wurden an den Anführer („Emir“) der Vereinigung, Muslim Abu Walid, übergeben.

(2) Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt vor dem 10. September 2013, vermutlich zwischen dem 23. und dem 30. Juli 2013, als sich der Angeschuldigte bei Übergabe des Krankentransportwagens (oben (1) a)) in der näheren Umgebung der syrischen Ortschaft Ghamam und/oder in der Gegend um den türkischen Grenzort Reyhanli in Syrien aufhielt, hatte er die Sachherrschaft über ein vollautomatisches Sturmgewehr Kalaschnikow AK 47 inne.

(3) Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Haftbefehl der Ermittlungsrichterin des Oberlandesgerichts München vom 23. Februar 2017 und die Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft München vom 29. Mai 2017 verwiesen.

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der ausländischen terroristischen Vereinigung Junud al Sham insbesondere aus den Gutachten des islamwissenschaftlichen Sachverständigen Dr. S. vom 22. März 2014 und vom 28. April 2015.

Zu den Tatvorwürfen hat sich der Angeschuldigte ebenso wie die Mitangeschuldigten Kaj. und D. bisher nicht eingelassen. Insoweit gründet sich der dringende Tatverdacht auf die in der Anklageschrift angegebenen Beweismittel. Nach Aktenlage werden die dem Angeschuldigten angelasteten Taten vor allem durch die Aussagen staatsanwaltlich und polizeilich einvernommener Zeugen, die Einträge in den Reisepässen des Angeschuldigten sowie der Mitangeschuldigten, die Auswertung der bei ihnen sichergestellten Mobiltelefone und Computer (Laptop, PC), die Ergebnisse der Telefonüberwachung sowie die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes, namentlich auf Grund von G-10-Beschränkungsmaßnahmen, belegt.

Von besonderer Relevanz ist dabei die Beweislage zu den Übergaben des Krankentransportwagens und der sechs anderen Kraftfahrzeuge an die Junud al Sham. Dass dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich die Fahrzeuge - dem Tatplan entsprechend - überlassen wurden, ergibt sich insbesondere aus den Angaben der Zeugen Kan. und P. sowie den aufgezeichneten Äußerungen der drei Angeschuldigten und des „A.“ bei überwachten Telefongesprächen am 15. Juni 2013, am 8. und 17. August 2013, am 3. März 2014 sowie am 19. und 28. April 2014.

Beweisbedeutung hat auch die Skype-Kommunikation der Angeschuldigten betreffend den hochrangigen Junud al Sham-Kämpfer C. vom 2. und 15. Oktober 2013, 22. November 2013 sowie 9. Januar 2014, ebenso das diesen zeigende auf dem Mobiltelefon Samsung Galaxy S4 des Angeschuldigten gespeicherte Lichtbild.

Ferner ist die Ausübung der Sachherrschaft über das vollautomatische Sturmgewehr Kalaschnikow AK 47 auf - durch die Ermittlungen gewonnenen - Lichtbildern zu erkennen.

Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf das in der Anklageschrift ausführlich dargelegte wesentliche Ergebnis der bisherigen Ermittlungen.

c) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass der Angeschuldigte jedenfalls dringend verdächtig ist, sich wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1, § 25 Abs. 2 StGB) in zwei Fällen sowie (§ 53 StGB) wegen vorsätzlicher Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe (§ 22a Abs. 1 Nr. 6 KWKG) strafbar gemacht zu haben.

aa) Die Gruppierung Junud al Sham stellt nach den vorliegenden Erkenntnissen eine außereuropäische terroristische Vereinigung dar, die der Angeschuldigte durch jede der beiden Lieferungen von Kraftfahrzeugen jeweils als Mittäter unterstütze.

Bei einem vollautomatischen (Sturm-)Gewehr handelt es sich um eine Kriegswaffe im Sinne von Teil B Abschnitt V Nr. 29 Buchst. c der Anlage zu § 1 Abs. 1 KWKG (Kriegswaffenliste), so dass der unmittelbare Besitz sowohl nach ungenehmigtem derivativen als auch nach nicht angezeigtem originären Erwerb (s. hierzu MüKoStGB/Heinrich, 2. Aufl., § 22a KWKG Rn. 75; Steindorf/Heinrich, Waffenrecht, 10. Aufl., § 22a KWKG Rn. 8, 8b) den Straftatbestand des § 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a oder b KWKG erfüllt.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kriegswaffenbesitz der Übergabe des Krankentransportwagens an die Junud al Sham diente, bestehen nicht. Daher begegnet die Annahme von Tatmehrheit keinen rechtlichen Bedenken.

Deutsches Strafrecht ist anwendbar (zum Strafanwendungsrecht in den Fällen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an oder Unterstützung einer außereuropäischen terroristischen Vereinigung sowie der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe in Syrien s. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 33 ff.).

Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Unterstützern der Junud al Sham liegt in der Fassung vom 28. März 2014 vor.

bb) Da bereits der dringende Tatverdacht bezüglich der genannten Delikte die Fortdauer der Untersuchungshaft trägt, kann offen bleiben, ob das bisherige Ermittlungsergebnis auch den dringenden Verdacht der mit den zwei Unterstützungshandlungen jeweils idealkonkurrierenden Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a Abs. 1, 2 Nr. 4 StGB aF) begründet. Dies könnte vor allem zweifelhaft sein, weil die Kampfhandlungen, für die die Angeschuldigten der Junud al Sham die Kraftfahrzeuge zur Verfügung stellten, nicht ansatzweise konkretisiert sind (vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. April 2017 - 3 StR 326/16, juris Rn. 12, 14, 17 ff.).

2. Beim Angeschuldigten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).

Die Gesamtwürdigung der Umstände des Falls macht es wahrscheinlicher, dass sich der Angeschuldigte, würde er aus der Haft entlassen, dem Strafverfahren entzieht, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde. Der Angeschuldigte ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zweimal bei der Beschaffung von Kraftfahrzeugen für die Junud al Sham unterstützend tätig geworden; jede Tat ist im Regelfall mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht (§ 129a Abs. 5 Satz 1 StGB). Ihm liegt nach den bisherigen Ermittlungen des Weiteren ein Verbrechen gemäß § 22a Abs. 1 Nr. 6 KWKG zur Last, für das der Regelstrafrahmen Freiheitsstrafe zwischen einem und fünf Jahren vorsieht. Der Angeschuldigte hat daher mit einer empfindlichen Gesamtfreiheitsstrafe zu rechnen, die einen hohen Fluchtanreiz bietet.

Fluchthemmende Umstände, die geeignet sind, dem von der zu erwartenden Haftstrafe ausgehenden Fluchtanreiz hinreichend entgegenzuwirken, liegen nicht vor; im Gegenteil: Der Angeschuldigte, über dessen Schul- und Berufsausbildung keine belastbaren Erkenntnisse vorliegen und der in Deutschland keiner geregelten Arbeit nachgegangen war, war mit seiner Familie am 10. Juli 2016 auf Dauer nach Bosnien umgesiedelt. Zwar war er im Inland noch mit einem Nebenwohnsitz bei einem Angehörigen der Salafistenszene gemeldet; dessen vormalige Wohnung unter der Meldeanschrift steht allerdings seit dem 30. Januar 2017 leer und ist bereits anderweitig vermietet. Außerdem hat der Angeschuldigte auf Grund seiner Einbindung in ein salafistisches Netzwerk gute Kontakte zu Personen im In- und Ausland, die seine extremistisch-islamische Einstellung teilen. Er entfaltete in der Vergangenheit eine rege Reisetätigkeit, insbesondere auch in die Türkei und nach Syrien. Daher steht zu befürchten, dass er seine Beziehungen und Erfahrungen nutzt, um sich - auf freien Fuß entlassen - dem Zugriff der deutschen Strafgewalt zu entziehen.

3. Unter den gegebenen Umständen vermögen Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO nicht die Erwartung zu begründen, dass auch durch sie der Zweck der Untersuchungshaft erreicht werden kann.

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

5. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sind gegeben; der Umfang der Ermittlungen und ihre Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft:

Die Sachakten umfassen mittlerweile 18 Bände, darunter acht Stehordner. Das komplexe Ermittlungsverfahren richtete sich ursprünglich gegen insgesamt sieben Personen. Bei der Durchsuchung von Wohnungen und der Überwachung der Telekommunikation mit technischen Mitteln (zuletzt angeordnet durch ermittlungsrichterliche Beschlüsse vom 8. Februar 2017) wurde umfangreiches Beweismaterial - überwiegend in elektronischer Form und fremder Sprache - gewonnen, welches zeitaufwändig aufbereitet und ausgewertet wurde. Das Bayerische Landeskriminalamt schloss die Ermittlungen zu den Taten, die Gegenstand des Haftbefehls sind, am 22. Mai 2017 ab.

Die Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft München ging am 16. Juni 2017 beim Oberlandesgericht München ein und wurde dem Angeschuldigten und dessen Verteidiger mit Verfügung des Vorsitzenden des 9. Strafsenats vom 20. Juni 2017 zur Stellungnahme binnen drei Wochen zugestellt, woraufhin jener mit Schriftsatz vom 14. Juli 2017 vollständige Akteneinsicht und angemessene Fristverlängerung beantragte.

In Anbetracht der bereits - vorbehaltlich der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens - laufenden Planungen für die Durchführung einer Hauptverhandlung ab dem 9. November 2017 ist von einem Urteil innerhalb angemessener Frist (s. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK) auszugehen.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1155

Bearbeiter: Karsten Gaede