HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 759
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 92/17, Urteil v. 28.06.2017, HRRS 2017 Nr. 759
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 28. November 2016 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung, vorsätzlichem unerlaubten Besitz einer „halbautomatisierten“ Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition und „mit“ vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Munition zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Dagegen richtet sich die auf eine Formal- und auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten und wirksam auf den Strafausspruch beschränkten Revision gegen die Strafrahmenwahl und die Strafzumessung im engeren Sinne.
Die Revision des Angeklagten erweist sich als unbegründet. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Der Angeklagte begab sich am frühen Morgen des 31. Juli 2015 gegen 3.30 Uhr in das in A. gelegene und von dem Zeugen K. betriebene Café Ak., um die dort aufgestellten Geldspielautomaten aufzubrechen und das darin enthaltene Bargeld zu entwenden. Mit einer mit Sehschlitzen versehenen „Wollmaske“ maskiert betrat der Angeklagte, der zur Überwindung etwaigen Widerstands eine - möglicherweise ungeladene - Pistole, eine halbautomatische Kurzwaffe der Marke Zavodi Crvena Zastava, Kaliber 9 mm, sowie ein Elektroschockgerät mit sich führte, das Café, in dem sich zu diesem Zeitpunkt der Angestellte Ka. sowie ein unbekannt gebliebener Gast aufhielten. Der Angeklagte hielt dem Geschädigten Ka. die Pistole in den Nacken und forderte ihn ebenso wie die weitere Person auf, sein Mobiltelefon auszuschalten und sich auf den Boden zu legen. Nachdem beide dieser Aufforderung gefolgt waren, packte der Angeklagte den Geschädigten Ka. am Kragen, versetzte ihm Faustschläge in den Rücken- und Schulterbereich und schob ihn vor sich her hinter die Theke des Cafés. Dort forderte er den Geschädigten erneut auf, sich auf den Boden zu legen. Er fesselte Hände und Füße des Geschädigten mit den zu diesem Zweck mitgeführten Kabelbindern und unterband dessen Gegenwehr, indem er ihm mit dem Elektroschockgerät zwei Stromstöße in den Rückenbereich versetzte; hierdurch erlitt der Geschädigte - wie vom Angeklagten billigend in Kauf genommen - nicht unerhebliche Schmerzen und trug Verletzungen in Form von Hautrötungen sowie oberflächliche Hautverletzungen („Kratzer“) davon. Nach Anlegen der Kabelbinder knebelte der Angeklagte den Geschädigten, indem er ihm Servietten in den Mund stopfte, und riss die Überwachungskamera aus ihrer Verankerung.
Anschließend nahm er die Wollmütze ab und sprach den Geschädigten Ka. in türkischer Sprache mit dessen Vornamen an. Nach rund 15 bis 20 Minuten befreite er den Geschädigten von den Kabelbindern und forderte ihn auf, sich an einen Tisch zu setzen. Nachdem der unbekannt gebliebene Gast eine Tasche mit Werkzeug aus dem Fahrzeug des Angeklagten geholt hatte, brach der Angeklagte zwei der drei Geldspielautomaten auf. Dabei erklärte er, dass er der „Ö.“ sei und drohte dem Geschädigten, er werde ihn umbringen, wenn er ihn anzeige. Nachdem es ihm gelungen war, die Geldspielautomaten aufzubrechen, nahm er das darin befindliche Bargeld - rund 2.500 € - an sich. Er verstaute die Tatbeute in Taschen, wiederholte seinen Vornamen und die Todesdrohung und verließ schließlich das Café. Der durch die Tat verursachte Sachschaden betrug mindestens 2.500 €.
Einige Tage nach der Tat traf der Zeuge K. mit dem Angeklagten Ö. und weiteren Personen zusammen; dabei räumte der Angeklagte Ö. den Überfall ein und erklärte dem Zeugen K. sinngemäß, dass dieser „die Sache nicht weiter in die Länge ziehen solle“.
In der Hauptverhandlung am 7. November 2016 forderte der in Untersuchungshaft genommene Angeklagte Ö. den auf freiem Fuß befindlichen Mitangeklagten B. auf, Einfluss auf den Zeugen Ka. zu nehmen, dessen Vernehmung am nächsten Sitzungstag erfolgen sollte („Kümmere Dich darum; rede mit ihm. Er soll keinen Blödsinn machen.“).
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
1. Die Formalrügen sind aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift genannten Gründen jedenfalls unbegründet.
2. Die auf die Sachrüge hin gebotene umfassende Prüfung des angegriffenen Urteils lässt einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler nicht erkennen. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
aa) Die Strafkammer war sich des eingeschränkten Beweiswerts der polizeilichen Angaben des Zeugen Ka. bewusst, der in der Hauptverhandlung wegen bestehender Vernehmungsunfähigkeit nicht gehört und von den Verfahrensbeteiligten nicht unmittelbar befragt werden konnte. Sie hat im Rahmen der Beweiswürdigung ausdrücklich berücksichtigt, dass „weder für das Gericht noch für die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung Gelegenheit für Nachfragen oder auch eine konfrontative Befragung bestand“. Dies und die im Übrigen sorgfältige, auf weitere, außerhalb der Aussage des Zeugen liegende, den Angeklagten belastende Beweisanzeichen gestützte Beweiswürdigung genügt den insoweit bestehenden Anforderungen in sachlichrechtlicher Hinsicht (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 - 1 StR 169/00, insoweit in BGHSt 46, 93 nicht abgedruckt; Beschluss vom 29. November 2006 - 1 StR 493/06, BGHSt 51, 150, 157).
bb) Es ist rechtlich unbedenklich, dass die Strafkammer die vorliegend festgestellte versuchte Einflussnahme des Angeklagten über einen Dritten auf den Zeugen Ka. während laufender Hauptverhandlung als ein den Angeklagten belastendes Indiz bewertet hat.
Der in Untersuchungshaft genommene Angeklagte hatte ausweislich der Feststellungen versucht, den auf freiem Fuß befindlichen Mitangeklagten B. vor der für den Folgetag vorgesehenen Vernehmung des Belastungszeugen Ka. dazu zu bestimmen, auf diesen Zeugen bzw. den Inhalt seiner Aussage „in unlauterer Weise Einfluss zu nehmen“ („Rede mit ihm; er soll keinen Blödsinn machen.“).
Zwar enthielte diese Beweiserwägung Elemente eines Zirkelschlusses, wenn sie gedanklich bereits voraussetzte, was erst zu beweisen wäre, dass der Angeklagte die Tat tatsächlich begangen hätte (vgl. Senat, Urteil vom 8. Dezember 2004 - 2 StR 441/04, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 32). In diesem Sinne versteht der Senat die von der Strafkammer ersichtlich als ein die übrigen Beweiserwägungen abrundendes Indiz angeführte Erwägung jedoch nicht. Dass die Strafkammer hier die versuchte Einwirkung auf den Zeugen als ein die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens eindeutig überschreitendes und auf eine „unlautere“ Einflussnahme auf den Belastungszeugen zielendes Verhalten des Angeklagten angesehen hat, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden, sondern hält sich im Rahmen des tatrichterlichen Wertungsspielraums. Die Strafkammer hat diese Würdigung nicht nur auf den Inhalt der Äußerung, sondern auf das damit in Zusammenhang stehende Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung gestützt. Dieser hatte geleugnet, dass seine Aufforderung überhaupt dahin zu verstehen sei, dass der Mitangeklagte auf den Belastungszeugen Einfluss nehmen solle. So hatte er zunächst behauptet, seine Äußerung sei auf den Mitangeklagten und dessen Verhalten in der Hauptverhandlung bezogen gewesen. Nachdem der Mitangeklagte dies nicht bestätigt hatte, hat der Angeklagte behauptet, seine Äußerung sei auf „seine Ehefrau und den Wunsch“ bezogen, dass diese sich „um das Kind kümmern“ solle. Auch diese Version hat die Strafkammer tragfähig widerlegt. Vor diesem Hintergrund begegnet weder die Annahme einer versuchten unlauteren Einflussnahme noch deren Würdigung als ein den Angeklagten belastendes Indiz rechtlichen Bedenken, zumal diese Würdigung zu dem festgestellten Vorverhalten des Angeklagten passt; dieser hatte seine Täterschaft nach der Tat gegenüber Dritten offen eingeräumt, aber für den Fall der Namensnennung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden mit Konsequenzen gedroht.
cc) Die Feststellungen und Wertungen der Strafkammer tragen die Annahme, dass der Angeklagte, der mit Wollmütze maskiert und mit Pistole sowie Elektroschockgerät bewaffnet das Café betrat und Einbruchswerkzeug zum Aufbruch der Spielautomaten in seinem Fahrzeug mitführte, von Beginn an mit Raubvorsatz handelte. Auch wenn die Art der Tatausführung einige Besonderheiten aufweist, welche die Strafkammer letztlich nicht aufzuklären vermochte, und der Angeklagte mit seiner Tat möglicherweise weitere Ziele verfolgte, stellt dies die subjektive Tatseite nicht in Frage. Erörterungen dazu, ob der Angeklagte das Café aus anderen Gründen betrat und den Raubvorsatz etwa erst spontan und nach dem Einsatz der Gewalt gegen den Zeugen Ka. gefasst haben könnte, waren entbehrlich. Der Tatrichter ist von Rechts wegen nicht verpflichtet, sich in den Urteilsgründen mit möglichen Geschehensabläufen auseinander zu setzen, für die nach dem festgestellten Sachverhalt Anhaltspunkte nicht ersichtlich sind und die deshalb fern liegen.
b) Die tateinheitliche Verurteilung wegen Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Zwar tritt § 239 StGB im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter den Tatbestand des Raubes (§ 249 StGB) zurück, wenn die Freiheitsberaubung nur das tatbestandliche Gewaltmittel zur Begehung des Raubes ist (Senat, Urteil vom 11. September 2014 - 2 StR 269/14, StV 2015, 113; Beschluss vom 9. Juli 2004 - 2 StR 150/04; BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2007 - 4 StR 470/07, juris Rn. 1). So lag es hier jedoch nicht. Der Angeklagte fesselte sein Tatopfer vielmehr während des mehraktigen Raubgeschehens über einen Zeitraum von 15 bis 20 Minuten an Händen und Füßen, nachdem er es mit einer Pistole bedroht, massiv körperlich misshandelt und ihm mit einem Elektroschockgerät Stromstöße versetzt hatte. Bei dieser Sachlage begegnet die Annahme von Tateinheit keinen rechtlichen Bedenken.
c) Dass die Strafkammer nicht auch eine Strafbarkeit wegen Führens der halbautomatischen Kurzwaffe (vgl. Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 WaffG Abschnitt 2 Nr. 4) durch deren Verwendung bei dem Überfall erwogen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2008 - 4 StR 233/08, NStZ 2009, 628, 629), beschwert den Angeklagten nicht.
Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Strafrahmenwahl und Strafzumessung im engeren Sinne halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie weisen einen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf.
Das Landgericht hat sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er sich „einige Monate“ in Untersuchungshaft befand. Dies begegnet rechtlichen Bedenken. Untersuchungshaft ist, jedenfalls bei der Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe, kein Strafmilderungsgrund; sie wird gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet. Anderes gilt nur in Fällen, in denen der Vollzug von Untersuchungshaft ausnahmsweise mit ungewöhnlichen, über das übliche Maß deutlich hinausgehenden Beschwernissen verbunden ist (Senat, Urteil vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, NStZ-RR 2017, 40, 42; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 StR 303/13, NStZ-RR 2014, 82, 83). Will der Tatrichter wegen besonderer Nachteile für den Angeklagten den Vollzug der Untersuchungshaft bei der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigen, müssen diese Nachteile in den Urteilsgründen dargelegt werden (Senat, Urteil vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, aaO). Hieran fehlt es. Insoweit hat das Landgericht allein darauf abgestellt, dass der Angeklagte „als nicht der deutschen Sprache hinreichend mächtiger Angeklagter“ besonders haftempfindlich sei. Dabei hat es nicht erkennbar bedacht, dass der Angeklagte bereits seit dem Jahr 2000 in Deutschland lebt, mehrere Cafés betrieben hat und familiäre Bindungen im Inland hat. Bei dieser Sachlage genügte der bloße Hinweis auf unzureichende Sprachkenntnisse zur Begründung einer besonderen Haftempfindlichkeit nicht.
Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat vermag in Ansehung des festgestellten Tatbildes, der Intensität der eingesetzten Gewalt, der erheblichen physischen und psychischen Tatfolgen für das Tatopfer sowie des Nachtatverhaltens des Angeklagten nicht auszuschließen, dass der Tatrichter ohne den aufgezeigten Rechtsfehler die Annahme eines minder schweren Falles abgelehnt und auch im Übrigen eine höhere Strafe verhängt hätte. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
Die Feststellungen können aufrechterhalten werden, da es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt. Ergänzende, den bisherigen nicht widersprechende Feststellungen sind möglich.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 759
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede