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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 1145

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 219/11, Beschluss v. 04.08.2011, HRRS 2011 Nr. 1145


BGH 2 StR 219/11 - Beschluss vom 4. August 2011 (LG Mühlhausen)

Doppelselbstmord (Garantenstellung; Suizid; Totschlag); Rücktritt vom Versuch (erforderliche Vorstellungen: Verhindern, ernsthaftes Bemühen).

§ 13 StGB; § 212 StGB; § 24 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB setzt voraus, dass der Täter tut, was in seinen Kräften steht und nach seiner Überzeugung zur Erfolgsabwendung erforderlich ist. Dabei reicht nicht bereits ein irgendwie geartetes Bemühen aus; erforderlich ist vielmehr ein solches Bemühen, das sich in der Vorstellung des Täters als ein Abbrechen des in Gang gesetzten Kausalverlaufs darstellt.

2. Für die Anwendung dieses Maßstabes müssen die Vorstellungen des Angeklagten als Grundlage der Beurteilung festgestellt werden. So muss zum Beispiel bei der vorsätzlichen Verursachung einer Explosionslage festgestellt werden, ob der Täter dachte, er könne eine zweite, möglicherweise zum Tod eines Menschen führende Explosion noch abwenden. Ebenso ist auszuschließen, dass der Angeklagte nach der ersten Explosion dachte, es nun nur noch mit einem Brand zu rechnen.

3. Soweit in der Vorstellung des Angeklagten keine besseren Rettungsmöglichkeiten existieren, kann er auch durch einen Warnruf im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB vom Versuch eines Tötungsdelikts zurücktreten.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 20. Januar 2011 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrecht erhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in fünf tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion "mit versuchter Todesfolge" in fünf tateinheitlichen Fällen sowie in weiterer Tateinheit mit Tötung auf Verlangen zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Das Rechtsmittel ist mit der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Einschränkung begründet.

Das Landgericht hat Folgendes festgestellt: Der Angeklagte und seine Ehefrau Elfriede befanden sich nach Verlust ihrer Arbeitsplätze in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten. Nach der Zwangsversteigerung ihres Wohnhauses mieteten sie eine Doppelhaushälfte. Im Jahr 2009 kam es zu Mietrückständen und zur fristlosen Kündigung sowie zum Räumungsurteil. Elfriede H. litt seit 1990 unter Depressionen. Ärztliche Behandlungen lehnte sie ab; stattdessen gab sie sich dem Alkoholkonsum hin. Auch der Angeklagte fühlte sich hoffnungslos. Etwa drei Monate vor der Tat begannen gemeinsame Selbstmordüberlegungen, die eine Tötung durch Gas nach Einnahme von Schlaftabletten vorsahen. Für den 25. Mai 2010 war die Zwangsräumung des Hauses angekündigt; zur Tat kam es am Tag zuvor. Gegen 10.00 Uhr fassten der Angeklagte und seine Ehefrau endgültig den Entschluss, sich zu töten. Gegen 19.00 Uhr tranken die Eheleute Sekt, dann nahmen sie Schlaftabletten ein. Elfriede H. legte sich schon im Schlafzimmer im Obergeschoss zu Bett, während der Angeklagte im Gäste-WC im Erdgeschoss an der Gastherme den Hauptanschluss öffnete, so dass Gas austreten konnte. Dann stellte er im Wohnzimmer und im Arbeitszimmer im Obergeschoß brennende Kerzen auf. Anschließend öffnete er den Gashahn vollständig, so dass ein Rauschen durch entweichendes Gas entstand.

Der Angeklagte rechnete mit einer Explosion. Er ging davon aus, dass dadurch auch die andere Doppelhaushälfte zerstört werden könnte, und nahm in Kauf, dass hierdurch die Eheleute K., deren zwei Kinder und die Freundin des Sohnes getötet werden könnten. Der Angeklagte legte sich sodann zu seiner Ehefrau auf das Bett. Gegen 20.00 Uhr vernahmen auch die Nachbarn ein Rauschen, dann hörten sie einen Knall. Hierauf lief Frank K. auf die Straße. In diesem Moment kam der Angeklagte um die Hausecke und rief dem Nachbarn zu: "hier brennt alles ab, haut ab". Dann entfernte sich der Angeklagte und Frank K. lief in seine Wohnung. In diesem Moment kam es zu einer zweiten Explosion, durch die der Dachstuhl der Doppelhaushälfte des Angeklagten abgesprengt wurde. Mauern wurden beschädigt, Fenster flogen heraus und die Doppelhaushälfte des Angeklagten brannte. In der anderen Hälfte des Doppelhauses wölbte sich die Trennwand nach innen, das Dach und die Treppe wurden beschädigt; die dortigen Bewohner blieben aber unverletzt. Elfriede H. starb dagegen. Der Angeklagte erlitt Verbrennungen und wurde von der Feuerwehr aus dem Obergeschoss gerettet.

Das Landgericht hat angenommen, ein strafbefreiender Rücktritt des Angeklagten vom Versuch der Tötung der Bewohner der benachbarten Doppelhaushälfte scheide aus. Er habe die Vollendung der Tat nicht verhindert (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB). Es hätten auch keine zur Strafbefreiung zumindest erforderlichen Verhinderungsbemühungen vorgelegen (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB). Der Angeklagte habe zwar den Nachbarn auf einen bevorstehenden Brand hingewiesen, aber nicht auf eine bevorstehende Explosion. Außerdem wäre von ihm zu fordern gewesen, die Explosionsgefahr durch Versperren des Gashahns zu beseitigen.

Die Begründung für die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Tötungsversuch trägt nicht. § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB setzt voraus, dass der Täter tut, was in seinen Kräften steht und nach seiner Überzeugung zur Erfolgsabwendung erforderlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 2010 - 3 StR 78/10, NStZ-RR 2010, 276 f.). Dabei reicht nicht bereits ein irgendwie geartetes Bemühen aus; erforderlich ist vielmehr ein solches Bemühen, das sich in der Vorstellung des Täters als ein Abbrechen des in Gang gesetzten Kausalverlaufs darstellt. Es fehlen jedoch Feststellungen des Landgerichts dazu, welche Vorstellung der Angeklagte zur Zeit der Warnung des Nachbarn vom weiteren Geschehen hatte. Nachdem die Entzündung des Gases zu einer ersten Explosion geführt hatte, könnte der Angeklagte angenommen haben, dass danach nur noch mit einem Brand zu rechnen war. Es liegt nicht auf der Hand, dass er die Vorstellung hatte, es könne zu einer zweiten, schwereren Explosion kommen.

Fehlte eine solche Vorstellung des Angeklagten, dann hätte er sich durch seinen Warnruf im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB auch unter Beachtung der bei Rettung eines Menschenlebens zu stellenden hohen Anforderungen innerhalb des rasch ablaufenden Geschehens ausreichend darum bemüht, die Vollendung der Tat zu verhindern. Dass ihm Zeit verblieben war, nach der Warnung des Nachbarn auch noch den Gashahn zu schließen, ist nicht ersichtlich.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 1145

Externe Fundstellen: NStZ 2012, 28

Bearbeiter: Karsten Gaede