HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 928
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 473/16, Beschluss v. 18.05.2017, HRRS 2017 Nr. 928
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 17. Mai 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte zwischen dem Nebenkläger C. und der Schwester des Angeklagten, der Zeugin Os., eine mehrjährige Liebesbeziehung bestanden. Nach deren Ende stellte der Nebenkläger der Zeugin nach, indem er telefonischen Kontakt zu ihr suchte und häufig zum Wohnhaus der Familie des Angeklagten kam, dort klingelte oder vor der Tür wartete. Davon fühlte sich auch der Angeklagte betroffen, der sich an Wochenenden regelmäßig in der Wohnung aufhielt.
Am Tattag kam es zwischen dem Nebenkläger und der Schwester des Angeklagten zu einem Streit, in dessen Verlauf der Nebenkläger die Zeugin Os. beleidigte und ihr ins Gesicht schlug. Daraufhin lief diese weinend in Richtung ihres Wohnhauses, der Nebenkläger folgte ihr einige Minuten später. Dabei trug er eine Bauchtasche, in der sich eine Schreckschusspistole und ein Einhandmesser befanden. Um sich mit der Schwester des Angeklagten auszusprechen, klingelte der Nebenkläger gegen 21 Uhr an der Haustür der Wohnung. Der dort anwesende Angeklagte sah vom Fenster aus den Nebenkläger und entschloss sich, nach unten zu gehen, um ihn zur Rede zu stellen und von ihm ein Ende der Belästigungen zu fordern. Aufgrund früherer Schilderungen seiner Schwester ging er davon aus, dass der Nebenkläger immer ein Messer bei sich führe, und schätzte ihn als gefährlich ein. Daher nahm er aus der Küche ein Brotmesser und begab sich nach draußen. Der Nebenkläger hatte sich zwischenzeitlich entfernt.
Der Angeklagte folgte dem vermuteten Weg des Nebenklägers und entdeckte ihn kurz darauf in einer nahen Grünanlage. Während er das Brotmesser in der rechten Hand hielt, sprach er den Nebenkläger aus etwa fünf bis sieben Metern Entfernung von hinten an, worauf dieser sich umdrehte, und sich ihm näherte. Anschließend kam es zu einer Rangelei und einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger, zu der keine Einzelheiten festgestellt werden konnten. Jedenfalls gingen in deren Verlauf Angeklagter und Nebenkläger zu Boden. Um eine Stichbewegung des Angeklagten in Höhe des Oberkörpers abzuwehren, fasste der Nebenkläger in die Klinge des Brotmessers, wodurch er eine tiefe Schnittwunde am Mittelfinger der linken Hand erlitt. Beide standen wieder auf, wobei der Angeklagte schneller als der Nebenkläger war und diesem im Halsbereich eine tiefe Schnittwunde zufügte. Danach ließ der Angeklagte vom Nebenkläger ab.
Der Angeklagte hat den äußeren Rahmen und seine Beteiligung an der Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger im Wesentlichen eingeräumt und für das Geschehen eine „moralische Verantwortung“ übernommen. Erstmals in der Hauptverhandlung hat er sich dahin eingelassen, bei dem Zusammentreffen mit dem Nebenkläger auf der Grünfläche sei dieser mit einem aufgeklappten Messer auf ihn zugekommen. Er habe mit seiner linken Hand die messerführende Hand des Nebenklägers ergriffen und ihn mit seiner rechten Hand, in der er weiterhin das Brotmesser gehalten habe, am Kragen gepackt. Im Verlauf der Rangelei, bei der beide zu Boden gegangen seien, müsse es zu den Verletzungen des Nebenklägers am Hals und an der Hand gekommen sein.
Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten zum Tatgeschehen als nicht plausibel gewertet. Diese Wertung hat die Strafkammer insbesondere darauf gestützt, dass nach den Angaben des rechtsmedizinischen Sachverständigen die Schnittwunde am Hals des Nebenklägers nicht bei einem Gerangel habe entstanden sein können.
Die Angaben des Nebenklägers zum eigentlichen Tatablauf hat das Landgericht wegen „deutlich erkennbare[r] Belastungstendenz“ nur dann „zu Lasten des Angeklagten der Entscheidung zugrunde gelegt, wenn diese durch andere Beweismittel objektiviert werden konnten“. Dessen Behauptung, am Tattag kein Einhandmesser mit sich geführt zu haben, hat die Strafkammer als durch die Angaben des Zeugen P. widerlegt angesehen. Die Schilderung des Nebenklägers zum Kerngeschehen in der Hauptverhandlung hat die Strafkammer als „inhaltlich inkonstant“ zu dessen Angaben in den polizeilichen Vernehmungen gewertet.
Die Revision des Angeklagten ist begründet. Die Sachrüge deckt Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung auf.
1. Das Revisionsgericht hat die Beweiswürdigung des Tatrichters grundsätzlich hinzunehmen und sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die Urteilsgründe Rechtsfehler enthalten. Das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen, ist Sache des Tatrichters. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind und der Tatrichter von ihrer Richtigkeit nach rechtsfehlerfreier Würdigung, die nicht widersprüchlich, lückenhaft oder unklar sein darf, überzeugt ist. Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt aber objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und sich nicht als bloße Vermutung erweist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. November 1992 - 5 StR 456/92, StV 1993, 510; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2001 - 5 StR 520/01, StV 2002, 235; BGH, Beschluss vom 22. August 2013 - 1 StR 378/13, NStZ-RR 2013, 387).
2. Nach diesem Maßstab begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil sich aus ihr nicht ergibt, worauf die Strafkammer ihre Feststellungen zum Kerngeschehen - dem Zusammentreffen des Angeklagten mit dem Nebenkläger in der Grünanlage - stützt. Da die Widerlegung der Einlassung des Angeklagten nicht alleinige Grundlage einer ihm ungünstigen Tatsachenfeststellung sein kann (Senat, Urteil vom 5. Juli 1995 - 2 StR 137/95, BGHSt 41, 153, 156; BGH, Beschluss vom 17. Mai 2000 - 3 StR 161/00, NStZ 2000, 549, 550; Beschluss vom 16. Dezember 2010 - 4 StR 508/10, NStZ-RR 2011, 118), bedurfte die eine Notwehrlage ausschließende Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe den Nebenkläger nach dem Antreffen auf der Grünanlage mit dem Küchenmesser angegriffen, näherer Erörterung und Begründung.
Auf die insoweit vom Nebenkläger gemachten Angaben hat die Strafkammer ihre Überzeugung ausdrücklich nicht gestützt (UA S. 18 ff.). Ohne mitzuteilen, was der Nebenkläger im Einzelnen bei der Polizei und in der Hauptverhandlung zu den näheren Umständen der Begegnung mit dem Angeklagten in der Grünanlage bekundet hat, hat das Landgericht diese Angaben als „inhaltlich inkonstant“ gewertet. Dass andere Personen das Geschehen wie festgestellt beobachtet haben, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht.
Die Überzeugungsbildung der Strafkammer zum Tatgeschehen findet auch keine tragfähige Grundlage in den Angaben des Sachverständigen zur Entstehung der Verletzungen des Nebenklägers. Dass - wie das Landgericht aufgrund des Gutachtens annimmt - die Schnittverletzung am Hals nicht im Rahmen eines Gerangels zwischen zwei Personen erfolgt sein kann, lässt lediglich den Schluss zu, dass die Einlassung des Angeklagten über den späteren Ablauf des Kampfgeschehens widerlegt ist, besagt aber nichts über den Beginn und unmittelbar folgenden Verlauf der Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger. Die Annahme des Landgerichts, dass die Schnittwunde am Mittelfinger des Nebenklägers dadurch entstanden sei, dass dieser zur Abwehr einer Stichbewegung des Angeklagten auf den Oberkörper in die Klinge gefasst habe, ist nach den Ausführungen des Sachverständigen eine der möglichen Erklärungen. Aus welchem Grund das Landgericht dieser Erklärung und nicht der ebenfalls bestehenden Möglichkeit folgt, dass die Verletzung auch durch das vom Angeklagten geschilderte Hineingreifen in die Klinge verursacht worden sein kann (UA S. 21), wird vom Landgericht nicht begründet.
3. Der Tatvorwurf bedarf daher insgesamt neuer Aufklärung und Bewertung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Sollte das neue Tatgericht abermals zum Ergebnis gelangen, dass der Angeklagte dem Nebenkläger gegenüber zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verpflichtet ist, wird es die Höhe des Schmerzensgeldes an den Kriterien zu orientieren haben, die die Vereinigten Großen Senate des Bundesgerichtshofs in der Entscheidung vom 16. September 2016 festgehalten haben (VGS 1/16, JR 2017, 149 ff.). Danach können die wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nur dann anspruchserhöhend oder -mindernd berücksichtigt werden, wenn sie dem Fall ein „besonderes Gepräge“ geben.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 928
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede