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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 701

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 429/16, Urteil v. 08.03.2017, HRRS 2017 Nr. 701


BGH 2 StR 429/16 - Urteil vom 8. März 2017 (LG Wiesbaden)

Gefährliche Körperverletzung (lebensgefährliche Behandlung: Darstellung im Urteil).

§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

Entscheidungstenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 19. April 2016 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Vollstreckung der Strafe und der Maßregel hat es zur Bewährung ausgesetzt. Schließlich hat es eine halbautomatische Selbstladepistole eingezogen. Gegen dieses Urteil richten sich die Revision des Angeklagten und die zu seinen Ungunsten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet, dasjenige der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte nachts in W. als Taxifahrer tätig und führte währenddessen ein Taxi, das am Tage dem Zeugen B. zur Verfügung stand. Im Februar 2014 fragte der Angeklagte am Taxistand seinen Kollegen B. nach dem in der Nähe stehenden Fahrer eines anderen Taxis und erfuhr den Spitznamen des Nebenklägers sowie dessen Eigenschaft als Taxiunternehmer. Er äußerte gegenüber dem Zeugen B., dass der Nebenkläger ihn über Funk beschimpft habe und ergänzte: „Leider hat die Polizei meine Pistole genommen, sonst hätte ich ihn in seinem Auto geschossen.“ Tatsächlich war eine Kommunikation über Funk unter den Taxifahrern nicht möglich. Die Vorstellung einer Beleidigung über Funk war eine Wahnvorstellung des Angeklagten, die auf einer schizoaffektiven Störung beruhte.

Am 7. März 2014 gegen 21.00 Uhr stand der Nebenkläger mit einem Kollegen am Taxistand neben seinem Fahrzeug. Plötzlich lief der Angeklagte mit einer halbautomatischen Selbstladepistole Kaliber 7,62 mm in der Hand auf ihn zu, richtete die Pistole „in Höhe seines Bauches und der Beine“ auf ihn und sagte: „Du hast mich beleidigt über Funk. Jetzt kriegst du die Antwort auf die Beleidigung.“ Dann schoss er aus einer Entfernung von einem bis zwei Metern zweimal in Richtung der Füße des Nebenklägers. Ob er diesen bereits dabei traf, konnte nicht festgestellt werden. Der Nebenkläger wich zurück und fragte: „Was ist los? Ich kenne dich nicht. Ist das ein Spielzeug?“ Der Angeklagte gab darauf zwei weitere Schüsse in Richtung der Füße des Nebenklägers ab. Dieser erkannte nun, dass er mit einer echten Waffe beschossen wurde. Deshalb lief er um das Taxi herum auf eine Grünfläche, um sich dort zwischen Bäumen zu verstecken. Der Angeklagte folgte ihm und gab drei weitere Schüsse ab. Auf der Grünfläche kam es zu einem Gerangel, in dessen Verlauf die Pistole auf den Rasen fiel und der Nebenkläger von einem Schlag des Angeklagten gegen die Schläfe getroffen wurde. Ein Hotelbediensteter und zwei Taxifahrer kamen hinzu, überwältigten den Angeklagten und verständigten die Polizei.

Der Angeklagte hatte insgesamt sieben Schüsse abgegeben, die zu Weichteilverletzungen am rechten Unterschenkel und an beiden Füßen des Nebenklägers geführt hatten. Knochen und größere Blutgefäße wurden durch Zufall nicht getroffen.

2. Das Verfahren gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs, am 1. März 2013 unerlaubt eine andere halbautomatische Selbstladepistole Kaliber 6,35 mm nebst Munition besessen zu haben, hat das Landgericht gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.

3. Die verfahrensgegenständliche Tat hat das Landgericht als tateinheitlich begangene Vergehen gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, § 52 Abs. 1 Nr. 2 b WaffG gewertet. Die Qualifikation der Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB hat es nicht festgestellt. Zwar genüge dafür eine potentiell lebensgefährliche Handlung, wie sie hier vorgelegen habe. Jedoch müsse der Täter dabei mit dem Vorsatz zu einer das Leben gefährdenden Behandlung des Opfers gehandelt haben. Dies sei „nach den getroffenen Feststellungen und insbesondere der zutage getretenen Absicht des Angeklagten“ nicht sicher festzustellen.

Das Landgericht hat die Tat als minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung bewertet. Der Angeklagte habe bei der Begehung der Tat im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB gehandelt, weil er sich in der akuten Phase einer schizoaffektiven Störung befunden habe. Diesen vertypten Milderungsgrund hat das Landgericht in die Bewertung der gefährlichen Körperverletzung als minder schwerer Fall einbezogen. Außerdem hat es den so gemilderten Strafrahmen gemäß § 46a Nr. 1 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB weiter gemildert. Schließlich hat das Landgericht im Hinblick auf die schizoaffektive Störung des Angeklagten dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Die Vollstreckung von Strafe und Maßregel hat es zur Bewährung ausgesetzt.

II.

Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

Das Landgericht hat Feststellungen zur subjektiven Tatseite der Körperverletzung getroffen. Im Zusammenhang mit der rechtlichen Würdigung hat es ausgeführt: „Der Angeklagte nahm bei der jeweiligen Schussabgabe zumindest billigend in Kauf, dass der Zeuge H. durch Projektile oder Projektilteile an den Füßen bzw. den Beinen getroffen wird, sodass dessen tatsächliche Verletzungen von dem jedenfalls bedingten Vorsatz des Angeklagten erfasst sind.“ Nach den Gesamtumständen ist auch die zu Grunde liegende Beweiswürdigung rechtlich nicht zu beanstanden. Der Einlassung des Angeklagten, er habe „auf den Boden geschossen und versehentlich die Beine des Nebenklägers getroffen“, ist das Landgericht ohne Rechtsfehler nicht gefolgt.

Auch die Annahme der sachverständig beratenen Strafkammer, zur Tatzeit sei die Fähigkeit des Angeklagten zur Einsicht in das Unrecht der Tat und seine Fähigkeit, sich der Unrechtseinsicht gemäß zu verhalten, trotz einer akuten schizoaffektiven Störung nicht aufgehoben, die Steuerungsfähigkeit aber sicher erheblich eingeschränkt gewesen, ist rechtsfehlerfrei. Gleiches gilt für die Feststellung der weiteren Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB.

III.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.

1. Die Verneinung des Vorliegens einer Tat nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist nicht tragfähig begründet worden. Dies führt zur Urteilsaufhebung auch im Schuldspruch.

a) Das Landgericht hat ausgeführt, nach „den getroffenen Feststellungen und insbesondere der zutage getretenen Absicht des Angeklagten“ sei nicht sicher festzustellen, dass der Angeklagte den Nebenkläger „lebensgefährlich verletzen wollte oder dies auch nur billigend in Kauf nahm“. Auf welche konkreten Feststellungen damit Bezug genommen wurde, bleibt unklar. Die vom Landgericht hervorgehobene „Absicht“ des Angeklagten, dem Nebenkläger einen „Denkzettel“ zu verpassen, liefert keinen eindeutigen Hinweis auf eine Beschränkung seines Vorsatzes, die schon für sich genommen einen zumindest bedingten Lebensgefährdungsvorsatz ausschließen könnte (vgl. für bedingten Tötungsvorsatz bei der Abgabe von Schüssen zur Erteilung eines „Denkzettels“ Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2015 - 2 StR 312/15, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 66). Eine Gesamtwürdigung aller Umstände hätte auch erfordert, die Äußerung des Angeklagten bereits im Februar 2014 gegenüber dem Zeugen B. zu berücksichtigen, er hätte den Nebenkläger „in seinem Auto geschossen“, wenn nicht die weitere Pistole, die er zuvor besessen hatte, von der Polizei sichergestellt worden wäre. Dieser Bemerkung hatte dieselbe Fehlvorstellung des Angeklagten über Beleidigungen durch den Nebenkläger zu Grunde gelegen wie der abgeurteilten Tat.

b) Der Rechtsfehler betrifft nur eine von zwei Qualifikationsvarianten des § 224 Abs. 1 StGB unmittelbar. Der Senat hebt gleichwohl den Schuldspruch mit den Feststellungen auf, weil zwischen den Tatvarianten gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB hinsichtlich der Feststellungen zum subjektiven Tatbestand ein untrennbarer Zusammenhang besteht.

2. Die Aufhebung wegen gefährlicher Körperverletzung erfasst auch die Verurteilung wegen des tateinheitlich begangenen Waffendelikts.

Der neu entscheidende Tatrichter wird auch eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Besitzes von Munition zu erörtern haben (vgl. zur Tateinheit von Munitions- und Waffenbesitz Senat, Beschluss vom 7. Mai 2015 - 2 StR 478/14, NStZ-RR 2016, 155; zur Konkurrenz von Besitz und Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe BGH, Beschluss vom 15. Juni 2015 - 5 StR 197/15, NStZ 2015, 529).

3. Die Urteilsaufhebung im Schuldspruch und demzufolge im Strafausspruch zwingt zugleich zur Aufhebung der Maßregelentscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 701

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 243

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede