HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 35
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, StB 16/15, Beschluss v. 10.12.2015, HRRS 2016 Nr. 35
Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 8. Oktober 2015 - 2 BGs 468/15 - außer Vollzug gesetzt.
Der Beschuldigte wird angewiesen,
vorhandene Personalpapiere - Personalausweis und Reisepass - beim Generalbundesanwalt zu 2 BJs 81/15-9 zu hinterlegen,
unverzüglich nach der Haftentlassung in der Wohnung seiner Eltern in , Wohnsitz zu nehmen und jeden Wohnsitzwechsel dem Generalbundesanwalt anzukündigen und gleichzeitig die neue Wohnanschrift zum oben genannten Aktenzeichen mitzuteilen,
sich dreimal wöchentlich - montags, mittwochs und freitags - bei dem für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeirevier zu melden, erstmals am Montag, dem 14. Dezember 2015.
Bei jeder Zuwiderhandlung gegen diese Anweisungen hat der Beschuldigte mit sofortiger Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls zu rechnen.
Die weitergehende Beschwerde wird verworfen. 4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschuldigten dadurch entstandenen Auslagen trägt die Staatskasse.
Der Beschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 8. Oktober 2015 - 2 BGs 468/15 - am 9. Oktober 2015 festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte, ein deutscher Staatsangehöriger, habe sich als Heranwachsender von März bis Anfang Juli 2015 in Syrien als Mitglied an der dort bestehenden Vereinigung „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien (ISIG)" - seit dem 29. Juni 2014 auftretend unter „Islamischer Staat (IS)" - beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen; mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, strafbar nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB, § 105 Abs. 1 JGG.
Mit der durch Verteidigerschriftsatz vom 12. November 2015 eingelegten Beschwerde beantragt der Beschuldigte, den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs aufzuheben, hilfsweise, ihn gegen geeignete Auflagen außer Vollzug zu setzen.
Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
1. Der Beschuldigte ist des ihm in dem Haftbefehl vorgeworfenen Tatgeschehens dringend verdächtig.
a) Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien/ad Dawla al Islamiya fil Iraq wash Sham (ISIG/DAAISH)"
Beim „Islamischen Staat im Irak und in Großsyrien“ handelte es sich um eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ zu errichten. Wer sich den Ansprüchen dieser Vereinigung entgegensetzte, wurde begriffen als „Feind des Islam"; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte hielt sie für ein legitimes Mittel des Kampfes.
Die Organisation geht zurück auf die von Abu Musab az Zarqawi Anfang 2004 als Widerstandsgruppe gegen die US-Präsenz im Irak gegründete „Jama'at at Tauhid wal Dschihad“ („Gemeinschaft der göttlichen Einheit und des Kampfes“). Im Oktober 2004 leistete az Zarqawi die bai'at (den Treueeid) auf Osama bin Laden und dessen „al Qa'ida“, worauf sich die Gruppierung umbenannte in „Tanzim Qa'idat al Jihad fi Bilad ar Rafidain“ („Organisation der Basis des Jihad im Zweistromland“) und bekannt wurde als „al Qaida im Irak (AQI)". Im Dezember 2005 ernannte bin Laden az Zarqawi zu seinem Stellvertreter im Irak. Die „AQI“ trat zunächst hervor mit Angriffen auf zivile Angehörige westlicher Staaten im Irak, die Opfer von Anschlägen, Entführungen und - auf sodann verbreiteten Videofilmen festgehaltenen - Hinrichtungen wurden. Ab Herbst 2005 verlegte sie sich auf medienwirksame Sprengstoffanschläge, vornehmlich in Bagdad und im Nordwestirak, aber am 9. November 2005 auch auf mehrere Hotels in Amman/Jordanien.
Anfang 2006 schloss sich die „AQI“ zunächst unter der Dachorganisation „Schura Rat der Mudschaheddin im Irak“ mit weiteren Gruppierungen zusammen. Nach Zarqawis Tod im Juni 2006 rief dessen Nachfolger Abu Ayyub al Masri im Oktober 2006 einen das Gebiet von Bagdad und mehrere Nordwestprovinzen umfassenden islamischen Staat aus und benannte den Zusammenschluss um in „ad Dawlat al Islamiya fil Iraq“ („Islamischer Staat im Irak“, „ISI“). Die von den USA gegen den „ISI“ ins Leben gerufene und mit Waffen ausgerüstete, zeitweise bis zu 100.000 Stammesangehörige umfassende „Erweckungsbewegung“ führte zu keiner entscheidenden Schwächung. So fielen den Autobomben- und Selbstmordanschlägen des „ISI“ im Irak allein 2007 etwa 1.900 Menschen zum Opfer; 2008 bis 2012 kam es bei Anschlägen vor allem auf schiitische Moscheen und Pilger sowie auf frequentierte Märkte zu insgesamt etwa 3.000 Toten.
Im Frühjahr 2010 wurde al Masri bei einer Operation der US-Armee und der irakischen Regierungstruppen getötet. Sein Nachfolger wurde schließlich Abu Bakr al Baghdadi. Unter dessen Führung beteiligte sich der „ISI“ nach dem am 11. Februar 2012 veröffentlichten Aufruf des zwischenzeitlichen al Qaida-Anführers Aiman az Zawahiri an die Muslime des Nahen Ostens, den Kampf gegen das Assad-Regime aufzunehmen, auch am syrischen Bürgerkrieg. Dabei kooperierte er unter anderem mit der 2011 als Arm von „al Qa'ida“ in Syrien gegründeten, vom Syrer Muhammad al Jawlani angeführten Kämpfergruppe „Jabhat an Nusra li Ahl ash Sham“ („Hilfsfront für das syrische Volk"; „an Nusra Front“), deren Aktionen sich vornehmlich gegen Einrichtungen und Angehörige der Assad-Armee richteten. Im April 2013 verkündete al Baghdadi die Vereinigung von „ISI“ und „an Nusra“ zum „Islamischen Staat im Irak und in Großsyrien/ad Dawlat al Islamiya fil Iraq wash Sham (ISIG/DAAISH)". Dem widersprach al Jawlani und leistete seinerseits die bai'at auf az Zawahiri, worauf dieser den Zusammenschluss annullierte und beide Parteien zur Beilegung ihrer Streitigkeiten auf der Grundlage einer Gebietsabgrenzung - „ISIG“ im Irak, „an Nusra“ in Syrien - aufrief. Dies führte zum Bruch al Baghdadis sowohl mit „al Qa'ida“ als auch mit „an Nusra“. In Veröffentlichungen vom 15. und 28. Juni 2013 warf er az Zawahiri die „Heiligsprechung“ des Sykes-Picot-Abkommens vor und erklärte „an Nusra“ zum Teil des „ISIG“ sowie al Jawlani zum „Abtrünnigen“.
Dem „ISIG“ gelang es, sich in einigen Regionen Nordsyriens als Ordnungsmacht festzusetzen. Aus dem Kampf gegen das Assad-Regime zog sich die Organisation in der Folge weitgehend zurück und konzentrierte sich auf die Machterhaltung in den von ihr beherrschten Gebieten. Angehörige anderer Oppositionsgruppen sowie die Teile der Zivilbevölkerung, die den Herrschaftsanspruch des „ISIG“ in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Im August 2013 kam es bei Operationen mehrerer Gruppen in der Provinz Latakia unter der Führung des „ISIG“ zu Massakern unter der regierungstreuen alawitischen Zivilbevölkerung, denen 190 Menschen zum Opfer fielen; weitere ca. 200 wurden entführt. Unter den syrischen Oppositionsgruppen ist die Organisation wegen des von ihr eingeschlagenen Weges zwischenzeitlich isoliert; teils im offenen Kampf gegen den „ISIG“ haben andere Gruppierungen in einigen Regionen wieder die Oberhand gewonnen. Auch „al Qa'ida“ distanzierte sich Mitte Mai 2014 ausdrücklich vom Vorgehen des „ISIG“.
Wegen der Parteinahme der libanesischen „Hizbollah“ für das Assad-Regime verübte der „ISIG“ ferner am 2. Januar 2014 einen Bombenanschlag in einem schiitischen Wohngebiet in Beirut, der vier Menschen tötete und 77 verletzte. Daneben kam es zu weiteren Aktionen im Irak, so zu dem Überfall auf die Gefängnisse in Abu Ghuraib und Tadshi am 22. Juli 2013 sowie einen Selbstmordanschlag in Arbil am 29. September 2013 mit jeweils mehreren Todesopfern.
In der Folge verlagerte der „ISIG“ seine Aktivitäten zunehmend in den Irak, wo es ihm Anfang Juni 2014 u.a. gelang, die Stadt Mosul unter seine Gewalt zu bringen.
Die Führung des „ISIG“ bestand aus dem „Emir“ Abu Bakr al Baghdadi, dem „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche unterstellt waren, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Der Führungsebene zugeordnet waren beratende „Shura Räte“ sowie „Gerichte“, die über die Einhaltung der Regeln der Sharia wachten. Veröffentlichungen wurden in der Medienabteilung „Al Furqan“ produziert und über die Medienstelle „alI' tisam“ verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung bestand aus dem „Prophetensiegel“, einem weißen Oval mit der Inschrift: „Allah - Rasul - Muhammad“, auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die etwa 10.000 Kämpfer - im Kern sunnitische Teile der ehemaligen Streitkräfte des Regimes von Saddam Hussein - waren dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.
Am 29. Juni 2014 verkündete der Sprecher des „ISIG“, Abu Muhammad al Adnani, in einer Audiobotschaft die Ernennung des „Emirs“ Abu Bakr al Baghdadi zum „Khalifen“ (Nachfolger des Propheten) und die Umbenennung des „ISIG“ in „ad Dawlat al Islamiya/Islamischer Staat (IS)". Dies verdeutlicht - bei Beibehaltung der bisherigen ideologischen Ausrichtung - eine Abkehr von der regionalen Selbstbeschränkung auf ein „Großsyrien“ und die Erhebung eines Führungs- und Herrschaftsanspruchs in Bezug auf das gesamte „Haus des Islam“. Zugleich eingeleitete organisatorische Veränderungen, so die Bildung von „Räten“ für Einzelressorts, die Einteilung der besetzten Gebiete in Gouvernements und die Einrichtung eines Geheimdienstapparates zielen auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen.
bb) Die Tathandlungen des Angeschuldigten
Der damals 18-jährige, einem jihadistischen Verständnis des Islam zuneigende Beschuldigte fasste Anfang des Jahres 2015 den Entschluss, sich in Syrien dem „IS“ anzuschließen. Mit Unterstützung eines über den Nachrichtendienst „Twitter“ gefundenen Kontaktmannes flog er am 1. März 2015 von Frankfurt am Main nach Bulgarien, reiste von dort aus auf dem Landwege über Istanbul und Ankara in das türkischsyrische Grenzgebiet und begab sich am 2. März 2015 über die Grenze nach Syrien, wo er von Kämpfern des „IS“ in Empfang genommen wurde. In einem hinter der Grenze gelegenen Ausbildungslager des „IS“ erhielt er in der Folge eine 20-tägige Schulung im Umgang mit Kriegswaffen und wurde anschließend nach Raqqa zur Kampfeinheit „Katiba al Ghurabah“ verlegt. Von dort sollte er nach weiterer zweitägiger Ausbildung zusammen mit anderen Freiwilligen zum Kampfeinsatz nach Ain Issa verbracht werden. Wegen seiner bereits zu diesem Zeitpunkt aufkommenden Bedenken gegen den Kampf mit der Waffe wies man ihn stattdessen aber dem nicht unmittelbar an Kämpfen beteiligten Bataillon „Anwar al Awlaki“ zu. Dort erhielt er am 25. Mai 2015 Personaldokumente des „IS“, lautend auf den Kampfnamen „A.“ und versehen mit der Funktionsbezeichnung „Kämpfer“.
Zunehmend über die Verhältnisse schockiert und aus Sorge um seine zwischenzeitlich erkrankte Mutter entschloss sich der Beschuldigte während des weiteren Aufenthalts in Raqqa zur Rückkehr nach Deutschland. Beim Versuch, die Stadt per Anhalter zu verlassen, wurde er allerdings aufgegriffen und für zwei Wochen inhaftiert. Anschließend kam er in Kobane mit zwei der in Syrien kämpfenden kurdischen „Yekineyen Parasina Gel (YPG; Volksverteidigungseinheiten)" nahe stehenden Personen in Kontakt, die ihm eine Schleusung in die Türkei anboten, ihn aber lediglich auf von der „YPG“ kontrolliertes Gebiet in Nordsyrien verbrachten. Dort wurde er am 7./8. Juli 2015 von Kämpfern dieser Organisation in Gewahrsam genommen. Am 29. Juli 2015 übergab man den Beschuldigten schließlich in Gaziantep/Türkei seinen Eltern. Anschließend in der Türkei festgenommen wurde er am 9. Oktober 2015 an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert.
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus der Gesamtschau der im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs im Einzelnen aufgeführten Beweismittel.
aa) Der Beschuldigte hat zwar in Deutschland bislang keine Angaben gemacht. Indes bestehen bei vorläufiger Würdigung keine durchgreifenden Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Behördenerklärung des Bundesnachrichtendienstes vom 31. Juli 2015, welche über Angaben des Beschuldigten gegenüber Angehörigen der „YPG“ zu den Geschehnissen in Syrien - wie oben dargestellt - berichtet, denn sie wird in wesentlichen Punkten durch objektive Beweisanzeichen bestätigt. So haben die Gewährsleute des Bundesnachrichtendienstes auch Ablichtungen der nach dem Bericht vom Beschuldigten mitgeführten Personaldokumente des „IS“ zur Verfügung gestellt. Dasselbe gilt für einen dem Beschuldigten im „YPG"-Gewahrsam abgenommenen Tablet-Computer, auf dem zwischenzeitlich drei am 2. Mai 2015 aufgenommene Lichtbilder gesichert werden konnten. Sie zeigen eine städtische Straßenszene im arabischsprachigen Raum, in welcher der Beschuldigte in Tarnkleidung und mit einer Langwaffe ausgestattet posiert (Bericht des Landeskriminalamts Baden-Württemberg vom 19. November 2015; Auswertung Asservat 6.1.1.1). Weiter wurde bei der Durchsuchung der Wohnung der Eltern des Beschuldigten am 17. August 2015 ein mit „S. W.“ überschriebenes Schriftstück sichergestellt, das die Nachforschungen der Eltern nach dem Verbleib ihres Sohnes und ihre Skype-Kontakte mit diesem dokumentiert (Bericht des Landeskriminalamts Baden-Württemberg vom 7. September 2015; Auswertung Asservat 2.1.1.1). Darin ist etwa unter dem 2. März 2015 festgehalten: „Abend Meldung S. bin in Khilafa [Kalifat] ca. 21:00". Eine auf Ende März 2015 bezogene Notiz lautet: „S. mittlerweile möchte Gruppe wechseln wegen Sprachproblemen (Auffanglager)?". Später heißt es: „S. seit Anfang Mai in Trainingslager ohne Außenverbindungsmöglichkeit“.
bb) Nach vorläufiger Beurteilung geht der Senat auch nicht davon aus, dass die Offenbarungen des Beschuldigten gegenüber den Angehörigen der „YPG“ deshalb einem Verwertungsverbot unterliegen werden, weil ein reales Risiko bestehe, sie seien unter Folter oder unter unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung erlangt worden. Zwar lässt der Beschuldigte vortragen, er sei über einen Zeitraum von ca. zehn Tagen in einem engen Erdloch ohne Licht und Fenster untergebracht und häufigen, teilweise stundenlangen Verhören ausgesetzt gewesen, bei denen man ihm teilweise die Augen verbunden und immer wieder ins Gesicht geschlagen habe. Diesem wenig konkreten Vorbringen steht die Aussage des Bundesnachrichtendienstes gegenüber, er verfüge über keine Hinweise darauf, dass die „YPG“ die Informationen unter Anwendung von Gewalt erhalten habe. Allgemein zugängliche Quellen vermögen auch nicht zu belegen, dass Menschenrechtsverletzungen der „YPG“ bei Verhören insbesondere von Inhaftierten allgemeine Praxis sind. Die vom Verteidiger zitierte Veröffentlichung der Organisation „Human Rights Watch“, der eine Besichtigung von Hafteinrichtungen der „YPG“ und Gespräche mit Inhaftierten gestattet worden war, berichtet im Wesentlichen über Fälle von Misshandlungen kurdischer Oppositioneller. Die in der Presse veröffentlichte Verlautbarung von „Amnesty International“ bezieht sich ebenfalls auf diesen Personenkreis und bemängelt insoweit willkürliche Verhaftungen und unfaire Prozesse.
c) Danach ist der Beschuldigte dringend verdächtig, sich als Heranwachsender mitgliedschaftlich an einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt zu haben (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB, § 105 Abs. 1 JGG). Der Beschuldigte hat sich getragen von einem einvernehmlichen Willen in die Befehlsstrukturen des „IS“ eingeordnet, auf dessen Veranlassung hin mitgliedschaftliche Betätigungshandlungen vollzogen und so die Ziele und die Zwecke dieser Organisation von innen her gefördert (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - StB 12/11, NStZ-RR 2011, 372). Zwar hat der Beschuldigte nicht an Kampfeinsätzen teilgenommen. Jedoch hat er sich auf Weisung übergeordneter Hierarchieebenen einer ihm abgeforderten militärischen Ausbildung unterzogen und so (zunächst) bewusst die Möglichkeiten der Organisation gestärkt, auf ausgebildete Kämpfer zurückzugreifen.
d) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat am 13. Oktober 2015 unter Neufassung seiner bisherigen Erklärungen die nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von bereits begangenen und künftigen Taten im Zusammenhang mit der sich als „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ sowie als „Islamischer Staat“ bezeichnenden ausländischen terroristischen Vereinigung erteilt (II B 1 zu 4030 E (1326) - 21 495/2015).
2. Es besteht der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO). Nach den Umständen kann nicht ausgeschlossen werden, dass ohne die Anordnung der Untersuchungshaft die alsbaldige Ahndung und Aufklärung der Tat gefährdet wäre. Auch für den Fall der Anwendung von Jugendstrafrecht muss der Beschuldigte wegen des ihm vorgeworfenen Tatgeschehens mit Freiheitsentzug rechnen. Zwar spricht alles dafür, dass er sich zwischenzeitlich vom „IS“ gelöst hat und zur Unterstützung eventueller Fluchtpläne auf dessen Netzwerk nicht mehr zurückgreifen kann. Ebenso ist er aus eigenem Entschluss nach Deutschland zurückgekehrt und hatte sich insbesondere mit einer vereinfachten Auslieferung aus der Türkei einverstanden erklärt. Gleichwohl ist nicht sicher, dass der Beschuldigte, auf freien Fuß gesetzt, den von der Straferwartung ausgehenden Fluchtanreizen schließlich widerstehen wird. Bereits das Tatgeschehen belegt seine Fähigkeit, ungeachtet vorhandener sozialer Bindungen nach eigenen Impulsen zu handeln. So hat er seine schulische Ausbildung aus freien Stücken abgebrochen und ist zunächst ohne Wissen seiner Eltern nach Syrien ausgereist.
Der Zweck der Untersuchungshaft ist jedoch auch durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug zu erreichen (§ 116 Abs. 1 StPO). Die aus der Beschlussformel ersichtlichen Maßnahmen erscheinen geeignet, die noch bestehende Besorgnis, der Beschuldigte werde sich dem weiteren Verfahren entziehen, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auszuräumen und insbesondere seinen weiteren Verbleib in Deutschland sicherzustellen.
3. Unter diesen Voraussetzungen steht der Fortbestand des Haftbefehls auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 35
Bearbeiter: Christian Becker