HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 622
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 48/15, Beschluss v. 16.04.2015, HRRS 2015 Nr. 622
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 26. September 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben - im Fall B.I. der Urteilsgründe, - im Gesamtstrafenausspruch und - soweit das Landgericht eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt, von einer darüber hinausgehenden Kompensation aber abgesehen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Annahme einer tateinheitlich verwirklichten gefährlichen Körperverletzung im Fall B.I. der Urteilsgründe hat keinen Bestand.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts drangen der Angeklagte und sein Mittäter gegen zwei Uhr nachts in die Wohnung der zur Tatzeit 65jährigen Geschädigten ein. Sie weckten sie, indem sie ihren Hals in ein Kissen drückten. Anschließend fesselten sie ihre Hände, verklebten ihren Mund und zerrten sie ins Wohnzimmer. Während der Mittäter nun die Wohnung durchsuchte, passte der Angeklagte auf die Geschädigte auf, die um einen Arzt bat, da sie gleich „umkippen“ werde. Später bat sie um ein Glas Wasser und eine Zigarette, was der Angeklagte ihr gewährte. Als der Mittäter der Geschädigten eine Schere an den Hals hielt, um das Versteck des Safes in Erfahrung zu bringen, und sie dabei leicht verletzte, schlug der Angeklagte dessen Arm weg. Er wollte nicht, dass die Geschädigte mit einer Schere verletzt wird. Anschließend fragte er erneut nach dem Versteck und drohte, ihre Finger abzuschneiden. Im weiteren Verlauf drohte er der Geschädigten mit dem Tod, während er einen Finger an ihren Kopf drückte, um den Eindruck zu erwecken, er verfüge über eine Pistole. Die Geschädigte gab daraufhin das Versteck preis. Nachdem die Täter Geld und Schmuck im Wert von über 30.000 Euro an sich genommen hatten, fesselten sie die Geschädigte an einen Tisch, zerstörten das Telefon und schlossen die Wohnung von außen ab. Der Geschädigten gelang es später, sich zu befreien und um 6.40 Uhr die Polizei zu verständigen. Durch die Tat erlitt sie einen Schock, der in der Folgezeit zu einer stressbedingten Kardiomyopathie („broken-heart-syndrom“) führte, ein einem Herzinfarkt ähnliches Syndrom, das potentiell lebensgefährlich ist.
b) Die Strafkammer ist davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte durch die „Art und Weise des Angehens“ der Geschädigten tateinheitlich einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 und 5 StGB schuldig gemacht habe. Die Verletzung mit der Schere hat sie ihm nicht zugerechnet. Der Angeklagte habe aber erkannt und billigend in Kauf genommen, dass die Geschädigte aufgrund der schreckauslösenden Vorgehensweise gesundheitlichen Schaden erleiden könnte.
Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach den Feststellungen ist zwar belegt, dass die durch die Tat bedingte psychische Beeinträchtigung die Geschädigte in einen pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustand versetzte, womit der objektive Tatbestand einer Körperverletzung erfüllt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2001 - 1 StR 480/00; Urteil vom 26. November 1985 - 1 StR 393/85, NStZ 1986, 166). Auch soweit das Landgericht zur Begründung des Vorsatzes des Angeklagten im Ansatz davon ausgegangen ist, dass es allgemeiner Lebenserfahrung entspreche, dass massive Stresssituationen und panikauslösende Ereignisse, gerade zur Nachtzeit und bei älteren Personen, zu schweren gesundheitlichen Schäden führen können, gibt es dagegen nichts zu erinnern.
Hinsichtlich der subjektiven Seite ist es aber auch erforderlich, dass der Angeklagte eine körperliche Beeinträchtigung der Geschädigten billigend in Kauf genommen hat; andernfalls käme nur eine fahrlässige Körperverletzung in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 1985 - 1 StR 393/85, NStZ 1986, 166). Dieses voluntative Element wird indes nicht tragfähig bzw. nur mit unzulässigen Erwägungen begründet.
Zur Begründung hat die Strafkammer unter anderem darauf abgestellt, der Angeklagte habe zu keiner Zeit zum Ausdruck gebracht, dass er mit den gesundheitlichen Folgen nicht gerechnet oder gedacht habe, es werde schon gut gehen; wenn er darüber nachgedacht hätte, hätte er dies - wie andere entlastende Momente - auch geltend gemacht.
Dass der Angeklagte sich hierzu nicht geäußert hat, durfte die Strafkammer indes nicht zu seinem Nachteil werten. Zwar dürfen grundsätzlich auch aus einem Teilschweigen nachteilige Schlüsse für einen Angeklagten gezogen werden. Dies gilt aber nur dann, wenn nach den Umständen Angaben zu diesem Punkt zu erwarten gewesen wären, andere mögliche Ursachen des Verschweigens ausgeschlossen werden können und die gemachten Angaben nicht ersichtlich lediglich fragmentarischer Natur sind (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2010 - 4 StR 508/10, NStZ-RR 2011, 118 mwN). Es besteht indes kein Anhalt dafür, dass sich der Angeklagte im Sinne einer zusammenhängenden Schilderung veranlasst gesehen haben musste, auch Angaben dazu zu machen, was er im Hinblick auf den Eintritt möglicher gesundheitlicher Folgen für die Geschädigte gedacht hat. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, dass er danach gefragt worden ist.
Ungeachtet dessen lässt die Beweiswürdigung, die der Annahme zugrunde liegt, der Angeklagte habe eine schwere Gesundheitsschädigung billigend in Kauf genommen, die Erörterung dagegen sprechender Umstände vermissen. So wollte der Angeklagte nicht, dass die Geschädigte mit der Schere verletzt wird und er schlug dem Mittäter gegen den das Werkzeug führenden 7Arm. Zudem reichte er der Geschädigten im Verlauf der Tat unter teilweiser Entfernung des Klebebands ein Glas Wasser und ermöglichte ihr, eine Zigarette zu rauchen, was sie offensichtlich entspannte.
c) Da der Senat nicht ausschließen kann, dass noch ergänzende Feststellungen möglich sind, ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückzuverweisen. Von der Aufhebung erfasst sind auch die für sich genommen rechtfehlerfreie tateinheitliche Verurteilung wegen besonders schweren Raubs sowie der Gesamtstrafenausspruch.
2. Erfasst wird zudem die Kompensationsentscheidung des Landgerichts.
a) Die Strafkammer hat es bei der ausdrücklichen Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von einem Jahr und sechs Monaten bewenden lassen und eine weiter gehende Kompensation des Konventionsverstoßes im Sinne der sog. „Vollstreckungslösung“ für nicht geboten erachtet. Begründet hat sie dies damit, dass „der Zeitablauf seit der Tat“ den Angeklagten nicht nur belastet habe. Vielmehr habe er die Zeit für sich nutzen können, um seinem Leben eine Wende zu geben, was ganz maßgeblich dazu beigetragen habe, dass die Tat im Fall B.I. als minder schwerer Fall habe eingeordnet werden können. Vor dem Hintergrund, dass sich die lange Verfahrensdauer als „Chance“ für den Angeklagten erwiesen habe, reiche daher die Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit der Verfahrensverzögerung zur Entschädigung des Angeklagten aus.
Damit aber hat die Strafkammer bei ihrer Kompensationsentscheidung an einen Umstand angeknüpft, der mit Aufhebung der Verurteilung im Fall B.I. entfallen ist. Dies entzieht der getroffenen Entscheidung die Grundlage.
b) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Absehen der Strafkammer von einer über die Feststellung hinausgehenden Kompensation, auch für sich genommen, rechtlichen Bedenken begegnet.
Zwar lassen sich allgemeine Kriterien für die Festlegung einer für erforderlich erachteten Kompensation nicht aufstellen. Entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalles, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Jedoch ist im Auge zu behalten, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die damit verbundenen Belastungen des Angeklagten stets bereits strafmildernd im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. In diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung geht es daher nur mehr um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Verzögerung (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124 Rn. 56 mwN; Beschluss vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 238/08, StV 2008, 633, 634; Beschluss vom 16. Juni 2009 - 3 StR 173/09, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 20), d.h. einer weitergehenden Kompensation bedarf es insoweit, als der Angeklagte gerade durch die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung belastet war (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Oktober 2008 - 2 StR 467/07, NStZ 2009, 287; BGH, Beschluss vom 5. August 2009 - 1 StR 363/09, NStZ-RR 2009, 339; Senat, Beschluss vom 2. September 2010 - 2 StR 297/10; BGH, Beschluss vom 15. April 2009 - 3 StR 128/09, NStZ-RR 2009, 248). Eine Auseinandersetzung mit den danach maßgeblichen Umständen lässt das angefochtene Urteil vermissen. Der Umstand, dass sich die lange Verfahrensdauer als eine „Chance“ für einen Angeklagten erwiesen hat, ist nicht geeignet, gerade die Rechtsstaatswidrigkeit einer Verfahrensverzögerung auszugleichen.
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 622
Externe Fundstellen: NStZ 2015, 601
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel