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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 233

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 4/15, Beschluss v. 27.10.2015, HRRS 2016 Nr. 233


BGH 2 StR 4/15 - Beschluss vom 27. Oktober 2015 (LG Bonn)

Anforderungen an die tatrichterliche Beweiswürdigung (Gesamtwürdigung: Ausschluss eines alternativen Geschehens, hier: „Mord ohne Leiche“).

§ 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter sämtliche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Dabei dürfen die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert voneinander bewertet, sondern sie müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt werden.

2. Werden diese Grundsätze beachtet, kann der Tatrichter seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auch dann gewinnen, wenn ein auf das Kerngeschehen der Tat bezogenes Beweismittel fehlt und die Überführung des Angeklagten darauf beruht, dass alle konkret in Frage kommenden Alternativen ausgeschlossen werden (vgl. BGH StraFo 2012, 466).

3. Dieses methodische Vorgehen ist allerdings nur dann eine tragfähige Grundlage für die Verurteilung wegen eines Tötungsverbrechens, wenn alle relevanten Alternativen mit einer den Mindestanforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung genügenden Weise abgelehnt werden, wobei ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht auf bloß denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zulässt (vgl. BGH StraFo 2012, 466).

4. Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit setzt zudem ausreichende objektive Grundlagen voraus. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer nachvollziehbaren Tatsachengrundlage beruht, und dass sich die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht als bloße Vermutung erweist, die nicht mehr als einen - wenn auch schwerwiegenden - Verdacht zu begründen vermag (vgl. BGH NStZ 1981, 33).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 2. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen geriet der Angeklagte mit seiner Ehefrau S. D., die Trennungsabsichten hegte und bereits eine eigene Wohnung angemietet hatte, am Abend des 8. September 2012, einem Samstag, in Streit, in dessen Verlauf S. D. den Angeklagten als „Geizhals“ und „Schlappschwanz“ beschimpfte, worauf der Angeklagte mit Rückzug reagierte und zu Bett ging. Im Verlaufe der Nacht wachte er auf und grübelte angesichts der bevorstehenden Trennung, wie sein künftiges Leben ohne S. und deren Tochter I., für die er die Vaterrolle übernommen hatte, aussehen werde. Er befürchtete, dass seine Frau andere Männer kennen lernen und diese die Vaterrolle für I. übernehmen könnten; er entschloss sich dazu, am nächsten Morgen einen Versöhnungsversuch zu unternehmen. Weil er befürchtete, dass sie reizbar sein werde, löste er eine Tablette Tavor, ein Beruhigungsmittel, in Wasser auf; anschließend träufelte er das Tavor-Wasser-Gemisch mit Hilfe einer Einwegspritze und einem schmalen Schlauch in den Mund seiner schlafenden Ehefrau. Nachdem er am Sonntagmorgen, dem 9. September 2012, zunächst gegen 11.22 Uhr zu einer Tankstelle in E. gefahren war und dort für seine Ehefrau ein Schokoladenherz erstanden hatte, begab er sich nach Hause zurück, überreichte seiner soeben erwachten Ehefrau die Schokolade und schlug vor, gemeinsam zu frühstücken und noch einmal über alles zu reden. S. D. wies den Angeklagten schroff zurück, beschimpfte ihn, riss sich vom Angeklagten, der sie festgehalten hatte, los und ging in Richtung der Treppe, um in das Erdgeschoss des Hauses zu gelangen.

Der Angeklagte erkannte in diesem Moment, dass er die von ihm erhoffte Versöhnung nicht erreichen werde. Er entschloss sich spontan dazu, seine Ehefrau zu töten. In Umsetzung dieses Tatentschlusses gab er S. D. am Treppenabsatz im Obergeschoss des Hauses einen Stoß in den Rücken; er hoffte, dass sie die Treppe hinunterstürzen und sich das Genick brechen werde. S. D. stürzte die Treppe hinab, blieb aber am Fuß der Treppe liegen und versuchte, sich aufzurichten. Der Angeklagte nahm wahr, dass S. D. durch den Sturz nicht zu Tode gekommen war, lief die Treppe hinab, packte den Kopf seiner Ehefrau und riss ihn hin und her in der Absicht, ihr auf diese Weise das Genick zu brechen. S. D. wehrte sich und forderte den Angeklagten mit den Worten „ich habe Dir doch nichts getan“ auf, von ihr abzulassen. Der Angeklagte fasste die Geschädigte um den Hals und würgte sie so lange, bis Gesicht und Zunge blau anliefen und sie sich nicht mehr bewegte. Anschließend schleppte er sie die Treppe hoch in das Obergeschoss des Hauses. Weil er röchelnde Geräusche vernommen hatte und befürchtete, dass sie noch am Leben sein könne, legte er S. D. auf dem Ehebett ab und würgte sie erneut, bis er keine Lebenszeichen mehr wahrnahm. Die Geschädigte verstarb an den Folgen dieser Misshandlungen.

Feststellungen dazu, wie der Angeklagte die Leiche, die nicht gefunden worden ist, beseitigt hat, vermochte das Schwurgericht nicht zu treffen.

2. Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung dahin eingelassen, er habe seine Ehefrau nicht getötet. Er sei am Vorabend ihres Verschwindens über die bevorstehende Trennung mit ihr in Streit geraten. Sie habe ihn darum gebeten, die Kaution für die von ihr angemietete Wohnung zu entrichten, was er abgelehnt habe. Daraufhin habe sie ihn als „Geizhals“ und „Schlappschwanz“ beschimpft, worauf er zu Bett gegangen sei. Als er am Sonntagmorgen aufgewacht sei, sei seine Frau bereits weg gewesen, seitdem habe er sie nicht mehr gesehen. Mit ihrem Verschwinden habe er nichts zu tun. Gegenüber der Zeugin A. habe er später die Behauptung erfunden, er habe S. erwürgt und ihre Leiche zerstückelt, weil die Zeugin den Fortbestand ihrer intimen Beziehung zu ihm davon abhängig gemacht habe, dass er die Tat „gestehe“.

3. Das Schwurgericht hat sich im Wege der Ausschlussmethode und auf der Grundlage der selbstbelastenden Angaben des Angeklagten gegenüber der Zeugin A. von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt. Es hat zunächst ausgeschlossen, dass S. D. noch am Leben sei und ihr persönliches Lebensumfeld freiwillig verlassen haben könnte; ausgeschlossen wurde auch, dass sie infolge eines Unfalls ums Leben gekommen sein könnte. Die Täterschaft des Angeklagten hat das Schwurgericht angenommen, weil ein Dritter als Täter auszuschließen sei, der Angeklagte die Tat gegenüber der Zeugin A. gestanden habe und schließlich ein von ihm anlässlich eines Selbstmordversuchs hinterlassener Abschiedsbrief im Sinne eines Eingeständnisses eigenen Fehlverhaltens gedeutet werden könne.

II.

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Allein ihm obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder wenn die Beweiserwägungen gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstoßen. Zudem muss das Urteil erkennen lassen, dass der Tatrichter sämtliche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Dabei dürfen die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert voneinander bewertet, sondern sie müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt werden. Werden diese Grundsätze beachtet, kann der Tatrichter seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auch dann gewinnen, wenn ein auf das Kerngeschehen der Tat bezogenes Beweismittel fehlt und die Überführung des Angeklagten darauf beruht, dass alle konkret in Frage kommenden Alternativen ausgeschlossen werden (vgl. Senat, Urteil vom 2. Mai 2012 - 2 StR 395/11, StraFo 2012, 466; Urteil vom 30. Dezember 2014 - 2 StR 439/13, StraFo 2015, 114, 115). Dieses methodische Vorgehen ist allerdings nur dann eine tragfähige Grundlage für die Verurteilung wegen eines Tötungsverbrechens, wenn alle relevanten Alternativen mit einer den Mindestanforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung genügenden Weise abgelehnt werden, wobei ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht auf bloß denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zulässt (Senat, aaO, StraFo 2012, 466). Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit setzt zudem ausreichende objektive Grundlagen voraus. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer nachvollziehbaren Tatsachengrundlage beruht, und dass sich die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht als bloße Vermutung erweist, die nicht mehr als einen - wenn auch schwerwiegenden - Verdacht zu begründen vermag (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 1980 - 3 StR 204/80, NStZ 1981, 33; Beschluss vom 26. September 1994 - 4 StR 453/94, StV 1995, 453).

2. Gemessen an diesen Maßstäben hält die tatrichterliche Beweiswürdigung rechtlicher Prüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand, denn sie ist lückenhaft.

a) Das Landgericht hat im Rahmen der Erörterung alternativer Geschehen, die das spurlose Verschwinden S. D. seit dem 9. September 2012 erklären könnten, dargelegt, dass es ausgeschlossen erscheine, sie könne ihr soziales Lebensumfeld freiwillig verlassen haben. Im Rahmen der insoweit angestellten Beweiserwägungen hat das Schwurgericht insbesondere auf die enge Bindung von S. D. zu ihrer Tochter I. und darauf abgestellt, dass zum Tatzeitpunkt keine Veranlassung für einen solchen Schritt bestanden habe.

aa) Dabei hat das Schwurgericht zwar bedacht, dass S. D. ihr persönliches Lebensumfeld einige Jahre zuvor einmal spontan verlassen und zwei Wochen auf M. verbracht habe; seine Überzeugung, die gegenwärtige Situation erscheine mit dieser Episode nicht vergleichbar, weil S. D. damals ihren geschiedenen Ehemann B. über ihren Aufenthaltsort informiert habe, kann jedoch in Ermangelung der näheren Mitteilung der damaligen Umstände ihres Verschwindens und ihres aktuellen Verhältnisses zu B. nicht nachvollzogen werden.

bb) Soweit das Schwurgericht in diesem Zusammenhang entscheidend auf die enge Bindung S. D. s zu ihrer Tochter I. abgestellt hat, die der Annahme eines aus eigenem freien Entschluss erfolgten plötzlichen Verschwindens entgegen stehe, hat der Tatrichter nicht erkennbar erwogen, ob dies auch in Ansehung des Umstands Geltung beansprucht, dass S. D. ausweislich der Feststellungen im September 2012 in einem Zwiespalt schien, weil sie selbst unter der Ehe mit dem Angeklagten litt, zugleich jedoch wusste, dass ihre Tochter I., die ein enges Verhältnis zum Angeklagten hatte, bei ihrem Vater bleiben wollte.

b) Soweit das Landgericht ausgeschlossen hat, dass S. D. mit einer unbekannten dritten Person verabredet gewesen sein könnte, wie dies der Angeklagte im Rahmen seiner vom Tatrichter als „für sich genommen plausibel erscheinenden Einlassung“ behauptet hatte, und diese Überzeugung darauf gestützt hat, dass sie allein an einer Beziehung mit L. interessiert gewesen sei, hat es nicht erkennbar bedacht, dass der Zeuge bereits ausdrücklich erklärt hatte, an einer Beziehung kein Interesse zu haben. Vor diesem Hintergrund hätte es der näheren Darlegung und Erörterung bedurft, dass und aus welchen Gründen es ausgeschlossen erscheint, dass S. D. nicht - wie bereits früher geschehen - über das Internet Kontakt zu einer bislang unbekannten Person aufgenommen und mit diesem Dritten verabredet gewesen sein könnte.

c) Soweit das Schwurgericht neben den Umständen des Verschwindens von S. D. und des zwischen den Eheleuten bestehenden erheblichen Konfliktpotentials, das Anlass für eine eskalierende Auseinandersetzung bieten konnte, ein wesentliches Indiz für die Täterschaft des Angeklagten in dem gegenüber der Zeugin A. abgelegten „Geständnis“ des Angeklagten gesehen hat, sind die Beweiserwägungen lückenhaft.

Zwar hat das Landgericht nicht übersehen, dass es sich bei A. um eine problematische Zeugin handelt. Die Ende der 90iger Jahre mit S. D. befreundet gewesene Zeugin hatte bereits anlässlich ihrer ersten polizeilichen Befragung Ende November 2012 die Auffassung vertreten, dass S. D. von ihrem Ehemann umgebracht worden sei; nach eigenen Recherchen im Internet hatte sie sich mit anderen Personen über das Verschwinden von S. D. ausgetauscht und sich nach Ausstrahlung des Falles in der Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ auf der Internetseite „Allmystery“ unter der Rubrik „Kriminalfälle“ in einem Chat angemeldet, um dort „mal zu erzählen, wie es wirklich war“. Die Einzelheiten ihrer damaligen Spekulationen sind in den Urteilsgründen nicht wiedergegeben; hierzu hätte aber Anlass bestanden. Denn die Zeugin A., die sich anschließend mit weiteren Personen auf Spurensuche begeben hatte, ging Ende April oder Anfang Mai 2013 eine auch intime Beziehung zum Angeklagten ein, weil sie - wie sie in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 8. August 2013 gegenüber KHK W. bekundete - annahm, dass „sie etwas aus ihm 'rauskriege'“.

Dies und der Umstand, dass sich für die ihr gegenüber angeblich offenbarte, teils mit bizarr anmutenden Details ausgeschmückte aufwändige Leichenbeseitigung im Verlaufe der Ermittlungen nicht die geringsten Spuren gefunden haben, obwohl dies in Ansehung der geschilderten Einzelheiten zu erwarten gewesen wäre, gaben zu einer besonders sorgfältigen Würdigung ihrer Angaben Anlass. Dies hat das Schwurgericht zwar nicht übersehen. Die in den Urteilsgründen wiedergegebenen Erwägungen lassen jedoch besorgen, dass es die Bekundungen der Zeugin A. nicht der gebotenen umfassenden und kritischen Würdigung unterzogen hat.

aa) So bleibt unerörtert, dass die Angaben der Zeugin, die spätestens im Juli 2013 über den Angeklagten Kenntnis vom Inhalt der Ermittlungsakte erlangt hatte, zum Zeitpunkt des Erwerbs des Schokoladenherzes durch den Angeklagten am Tattag unzutreffend waren. Ausweislich der Bekundungen der Zeugin hatte der Angeklagte ihr erzählt, dass er - nachdem er seiner schlafenden Ehefrau im Verlaufe der Nacht ein Tavor-Wasser-Gemisch eingeflößt habe - das Haus gegen 8.00 Uhr morgens verlassen und an einer Tankstelle ein Schokoladenherz zur Versöhnung gekauft habe. Tatsächlich hat der Angeklagte dieses Herz jedoch erst um 11.22 Uhr erworben. Mit dieser Abweichung setzt sich die Kammer nicht auseinander, obwohl hierzu in Ansehung der Besonderheiten der Aussage und der schwierigen Beweissituation Anlass bestand.

bb) Zwar war sich das Landgericht der Gefahr bewusst, dass die Angaben und Schilderungen des Angeklagten zum Tötungsgeschehen auch Ergebnis einer suggestiven Befragung des Angeklagten durch die Zeugin A. sein konnten. Es hat die Angaben der Zeugin jedoch nicht - wie geboten - einer Plausibilitätsprüfung unterzogen. So bleibt unerörtert, ob die Bekundungen zu der ersten Tatschilderung des Angeklagten ihr gegenüber plausibel erscheinen. Danach soll der Angeklagte auf ihre Fragen zunächst - wahrheitswidrig - bekundet haben, dass er seine Ehefrau in ein Bordell verkauft habe. Wenig später soll er ihr - beim „Versöhnungssex“ nach einem Streit - die letzten Worte S. s („ich habe Dir doch nichts getan“) zugeflüstert haben. Geraume Zeit später habe er jeweils eine Andeutung zum Tötungsgeschehen gemacht und auf ihren Vorhalt erklärt, seine Ehefrau erwürgt und zerstückelt zu haben. In der Folgezeit habe er ihr das Tötungsgeschehen zusammenhängend und gleichbleibend geschildert, während er das Geschehen um die Beseitigung der Leiche immer weiter ausgeschmückt habe. In diesem Zusammenhang fehlt es an einer zusammenhängenden Darstellung der Tatschilderung durch den Angeklagten gegenüber der Zeugin, bevor diese sich dazu entschloss, Gespräche mit dem Angeklagten über die Tat aufzuzeichnen, um gegenüber der Polizei, die ihr zunächst keinen Glauben schenkte, einen Beweis in Händen zu halten. Auch die Aussageentstehung hätte hier in Ansehung der Besonderheiten des Einzelfalls einer ins Einzelne gehenden Darlegung und kritischen Würdigung bedurft.

cc) Es fehlt schließlich auch an der erforderlichen Aussageanalyse im Hinblick auf das vom Angeklagten geschilderte Tatgeschehen im engeren Sinne. Insoweit hätte es der näheren Erörterung bedurft, ob und inwieweit die Bekundungen des Angeklagten oder Teile dieser Bekundungen auf Suggestivfragen der Zeugin zurückzuführen sein könnten. Darüber hinaus kann die von der Kammer als Glaubhaftigkeitsindiz angeführte Konstanz der Angaben des Angeklagten gegenüber der Zeugin A. in Ermangelung einer hinreichenden Wiedergabe ihrer früheren Angaben und ihrer Schilderungen in der Hauptverhandlung nicht überprüft werden.

dd) Unerörtert bleibt schließlich auch, aus welchen Gründen die ermittelnden Polizeibeamten den Bekundungen der Zeugin A. am 8. August 2013 zunächst keinen Glauben geschenkt und ihre Schilderungen später - ungeachtet des Umstands, dass sich objektive Beweisanzeichen für ihre Bekundungen nicht hatten finden lassen - für glaubhaft erachtet haben. Insoweit hätte es der näheren Erörterung und Wiedergabe des wesentlichen Gesprächsinhalts der zwischen der Zeugin A. und KHK W. geführten Gespräche bedurft, die eine solche Meinungsänderung nachvollziehbar machen.

ee) Soweit die Kammer den Angaben des Angeklagten gegenüber der Zeugin A. Beweiswert mit der Erwägung beigemessen hat, schon der Umstand, dass der Angeklagte die Tötung eines Menschen gegenüber einem Dritten eingeräumt habe, sei ein gewichtiges Beweisanzeichen für die Tatbegehung, und dies damit begründet hat, dass die Beziehung zu dem Dritten durch eine solche Mitteilung „immer“ schwer belastet werde, lassen diese Ausführungen besorgen, dass die Kammer den Besonderheiten des Einzelfalls nicht hinreichend Rechnung getragen hat. Denn der Angeklagte hatte sich - soweit ersichtlich nicht unplausibel und unwidersprochen - dahin eingelassen, dass die Zeugin A. den Fortbestand der intimen Beziehung zu ihm davon abhängig gemacht hatte, dass er ihr gestehe, seine Ehefrau getötet zu haben. Mit diesen Besonderheiten hätte sich das Schwurgericht auseinander setzen müssen.

ff) Soweit die Kammer die Schilderungen des Angeklagten zur Leichenbeseitigung als unsicher angesehen hat, weil es an Anhaltspunkten fehle, die einen solchen Vorgang „objektivieren“ könnten, erschließt sich nicht, weshalb dies für die Schilderung der Tötung, für die sich objektive Beweisanzeichen ebenfalls nicht haben finden lassen, anders sein sollte. Soweit die Strafkammer die Plastizität der Schilderungen der Leichenbeseitigung mit dem Beruf des Angeklagten als Koch zu erklären versucht und angenommen hat, dass die auf das Tötungsgeschehen bezogenen Schilderungen für ein wirkliches Erleben sprächen, vermag der Senat diese unterschiedliche Bewertung der Aussageteile nicht nachzuvollziehen. Vielmehr wäre zu erwägen gewesen, dass die Unglaubhaftigkeit dieses Teils der Aussage auch die Angaben des Angeklagten gegenüber der Zeugin A. zum Tötungsgeschehen im engeren Sinne in Zweifel ziehen konnte, zumal auch das Schwurgericht von einem „Jagdeifer“ der Zeugin ausgegangen ist.

d) Schließlich fehlt es an einer jedenfalls gedrängten Wiedergabe der Bekundungen der Zeugin Sch., der die Zeugin A. erstmals von dem Geständnis des Angeklagten berichtete und deren Angaben daher für die Entstehungsgeschichte und die Bewertung der Aussage der Belastungszeugin von Bedeutung waren.

e) Soweit das Schwurgericht schließlich dem Abschiedsbrief des Angeklagten nach einem Selbstmordversuch Indizwirkung für die Tatbegehung beigemessen hat, weil er darin eingeräumt habe, „Fehler“ gemacht zu haben (UA S. 73), und angenommen hat, dass der darin enthaltene Hinweis auf die Verfehlungen seiner Ehefrau „als Rechtfertigung für eine Tötungshandlung verstanden werden kann“, erscheint dies vor dem Hintergrund des mitgeteilten Inhalts des Abschiedsbriefes nicht plausibel.

Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird zu erwägen haben, ob er in Ansehung der problematischen Persönlichkeit der Belastungszeugin und der möglichen suggestiven Einflüsse einen aussagepsychologischen Sachverständigen hinzuzieht, wenn er seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten - auch - auf ihre Angaben zu stützen beabsichtigt.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 233

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2016, 144; StV 2018, 700

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede