HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 754
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 337/14, Beschluss v. 11.05.2017, HRRS 2017 Nr. 754
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 12. Mai 2014 im Adhäsionsausspruch dahin geändert, dass an die Stelle der Verurteilung des Angeklagten zur Zahlung eines auf 5.000 Euro bezifferten Schmerzensgeldes nebst Zinsen und der dazugehörigen Vollstreckbarkeitserklärung der Ausspruch tritt:
„Der von der Nebenklägerin D. gegen den Angeklagten erhobene Anspruch auf Schmerzensgeld ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Im Übrigen wird von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen.“ Die weitergehende Revision wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hatte den Angeklagten durch Urteil vom 12. Mai 2014 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, des versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten sowie zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 Euro an die Nebenklägerin verurteilt. Darüber hinaus hat das Landgericht die Ersatzpflicht des Angeklagten für sämtliche zukünftig noch entstehenden materiellen und immateriellen Folgeschäden aus den Taten festgestellt, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind. Mit Beschluss vom 8. Oktober 2014 hat der Senat die Revision des Angeklagten verworfen, soweit sie sich gegen den Schuld- und Strafausspruch richtete. Zugleich hat er die Entscheidung über die Revision gegen die im vorbezeichneten Urteil getroffene Adhäsionsentscheidung sowie über die Kosten des Rechtsmittels im Hinblick auf das mit Beschluss vom 8. Oktober 2014 - 2 StR 137/14 u.a. (NStZ-RR 2015, 382) bei den anderen Strafsenaten und beim Großen Senat für Zivilsachen eingeleitete Anfrageverfahren zur Frage der Bemessung eines Schmerzensgeldes zurückgestellt und sie einer abschließenden Entscheidung vorbehalten. Nach der Entscheidung der Vereinigten Großen Senate des Bundesgerichtshofs vom 16. September 2016 - VGS 1/16 (JR 2017, 179), bei dem der Senat mit Beschluss vom 14. April 2016 - 2 StR 137/14 u.a. die Frage vorgelegt hatte, ob bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld (§ 253 Abs. 2 BGB) die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten berücksichtigt werden dürfen und wenn ja, nach welchen Maßstäben, war nunmehr über die gegen die Adhäsionsentscheidung gerichtete Revision des Angeklagten zu entscheiden.
Die Vereinigten Großen Senate haben entschieden, dass bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld nach § 253 Abs. 2 BGB (§ 847 BGB a.F.) alle Umstände des Falles berücksichtigt und dabei die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten nicht von vornherein ausgeschlossen werden können (Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16. September 2016 - VGS 1/16).
Das Schmerzensgeld hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs rechtlich eine doppelte Funktion. Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich bieten für diejenigen Schäden, für diejenige Lebenshemmung, die nicht vermögensrechtlicher Art sind (Ausgleichsfunktion). Es soll aber zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (Genugtuungsfunktion, st. Rspr., grundlegend BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 6. Juli 1955 - GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 154 ff.; BGH, VI. Zivilsenat, Urteile vom 13. Oktober 1992 - VI ZR 201/91, BGHZ 120, 1, 4 f.; vom 29. November 1994 - VI ZR 93/94, BGHZ 128, 117, 120 f.).
Dabei steht der Entschädigungs- oder Ausgleichsgedanke im Vordergrund. Im Hinblick auf diese Zweckbestimmung des Schmerzensgeldes bildet die Rücksicht auf Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichste Grundlage bei der Bemessung der billigen Entschädigung. Für bestimmte Gruppen von immateriellen Schäden hat aber auch die Genugtuungsfunktion, die aus der Regelung der Entschädigung für immaterielle Schäden nicht wegzudenken ist, eine besondere Bedeutung.
Sie bringt insbesondere bei vorsätzlichen Taten eine durch den Schadensfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zum Ausdruck, die nach der Natur der Sache bei der Bestimmung der Leistung die Berücksichtigung aller Umstände des Falles gebietet (BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 6. Juli 1955 - GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 157; VI. Zivilsenat, Urteil vom 16. Januar 1996 - VI ZR 109/95, VersR 1996, 382).
Bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld stehen deshalb die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung ganz im Vordergrund. Daneben können aber auch alle anderen Umstände berücksichtigt werden, die dem einzelnen Schadensfall sein besonderes Gepräge geben, wie etwa der Grad des Verschuldens des Schädigers, im Einzelfall aber auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten oder diejenigen des Schädigers (Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16. September 2016 - VGS 1/16, juris, Rn. 55). Ein mit zu berücksichtigender Umstand kann dabei die Verletzung einer „armen“ Partei durch einen vermögenden Schädiger etwa bei einem außergewöhnlichen „wirtschaftlichen Gefälle“ sein (Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16. September 2016 - VGS 1/16, juris, Rn. 57). Indem der (Tat-)Richter im ersten Schritt alle Umstände des Falles in den Blick nimmt, dann die prägenden Umstände auswählt und gewichtet, dabei gegebenenfalls auch die (wirtschaftlichen) Verhältnisse der Parteien zueinander in Beziehung setzt, ergibt sich im Einzelfall, welche Entschädigung billig ist (Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16. September 2016 - VGS 1/16, juris, Rn. 56, 70).
Zur Überprüfung seiner Entscheidung durch das Revisionsgericht ist der Tatrichter regelmäßig gehalten, die für die Schmerzensgeldbemessung prägenden einzelnen Umstände, im Regelfall vor allem die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung, in seiner Entscheidung zu benennen, im Rahmen einer sich daran anschließenden Gesamtwürdigung gegeneinander abzuwägen und daraus ein dem einzelnen Fall gerecht werdendes Schmerzensgeld festzusetzen. Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen von Schädiger und Geschädigtem und Ausführungen zu deren Einfluss auf die Bemessung der billigen Entschädigung sind dabei nur geboten, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Einzelfall ein besonderes Gepräge geben und deshalb bei der Entscheidung ausnahmsweise berücksichtigt werden mussten (Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16. September 2016 - VGS 1/16, juris, Rn. 72).
Für die Überprüfung eines Ausspruchs über die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes im Adhäsionsverfahren gilt danach Folgendes:
Die Nichtberücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagtem und Tatopfer stellt entgegen der bisherigen Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs regelmäßig keinen Rechtsfehler dar. Ausnahmsweise ist eine Berücksichtigung vonnöten, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Fall ein „besonderes Gepräge“ geben. Dies ist etwa bei einem wirtschaftlichen Gefälle anzunehmen. Ausführungen dazu, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Fall kein besonderes Gepräge geben, sind regelmäßig nicht erforderlich.
Hat der Tatrichter die wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagtem oder Tatopfer, ohne dass diese dem Fall ihr besonderes Gepräge geben, gleichwohl bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt, stellt dies regelmäßig einen Rechtsfehler dar, bei dem anhand der tatrichterlichen Erwägungen im Einzelfall zu prüfen ist, ob die angefochtene Adhäsionsentscheidung darauf zum Nachteil des Angeklagten beruhen kann. Die Berücksichtigung schlechter finanzieller Verhältnisse des Angeklagten wird sich regelmäßig nicht zu seinem Nachteil ausgewirkt haben, hingegen liegt es nahe, dass die Einbeziehung einer wirtschaftlich schlechten Situation des Tatopfers zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes geführt und sich nachteilig ausgewirkt hat.
1. An diesen Maßstäben gemessen begegnet die Adhäsionsentscheidung des angefochtenen Urteils durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen tragen die Anordnung des Schmerzensgeldanspruchs zwar dem Grunde nach, nicht aber in der Höhe.
Das Landgericht hat sich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht nur an dem Ausmaß des begangenen Tatunrechts und den Folgen für das Opfer orientiert, sondern hat auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und der Geschädigten bei der Schmerzensgeldbemessung berücksichtigt. Aus den Urteilsgründen ergeben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass ein außergewöhnliches Gefälle zwischen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Täter und Opfer und damit ein Fall vorliegt, in dem die wirtschaftliche Situation der Sache ein besonderes Gepräge gibt. Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten wird lediglich festgestellt, dass er eine unterhaltsberechtigte Tochter habe und sein Monatslohn 860 Euro betrage. Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Nebenklägerin fehlen.
Der aufgezeigte Rechtsfehler betrifft jedoch nur die Höhe des Anspruchs, nicht dessen Grund. Auch wenn die Bemessung des Schmerzensgeldanspruchs keinen Bestand hat, kann die Zuerkennung des Schmerzensgeldanspruchs dem Grunde nach aufrechterhalten bleiben (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Oktober 1998 - 2 StR 436/98, BGHSt 44, 202, 203; Urteil vom 19. Februar 2014 - 2 StR 239/13, NJW 2014, 1544, 1545).
2. Auch die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden kann nicht bestehen bleiben.
Eine solche Feststellung setzt voraus, dass aus dem festzustellenden Rechtsverhältnis mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Ansprüche entstanden sind oder entstehen können. Bei gravierenden Verletzungen kann genügen, dass eine nicht entfernt liegende Möglichkeit künftiger Verwirklichung der Schadensersatzpflicht durch das Auftreten weiterer Leiden besteht; selbst hier reicht die bloße Möglichkeit eines künftigen Schadenseintritts aber nichts aus (Senat, Urteil vom 27. Februar 2013 - 2 StR 206/12; Beschluss vom 26. September 2013 - 2 StR 306/13).
Nach Maßgabe dessen sind die Voraussetzungen für einen Feststellungsanspruch den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Die formelhafte Erwägung der Strafkammer, Folgeschäden seien „denkbar“, reicht nicht aus. Sie lässt besorgen, das Landgericht habe die bloße Möglichkeit zukünftigen Schadenseintritts für ausreichend erachtet und damit einen falschen rechtlichen Maßstab angelegt. Auch sonst gehen aus dem Urteil keine hinreichend konkreten Tatsachen hervor, die für die Annahme eines Dauer- oder Folgeschadens sprechen könnten.
3. Der Senat hat den Ausspruch über den Adhäsionsantrag entsprechend geändert und im Übrigen gemäß § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO von einer Entscheidung abgesehen.
Der geringfügige Erfolg des Rechtsmittels des Angeklagten rechtfertigt es nicht, ihn auch nur teilweise von der Kosten- und Auslagenlast freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 754
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede