HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 699
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 BGs 152/12, Beschluss v. 02.07.2012, HRRS 2012 Nr. 699
Der Antrag des Generalbundesanwalts, gegen den Beschuldigten Untersuchungshaft, hilfsweise Untersuchungshaft für den Fall der Wiedereinreise des Beschuldigten in die Bundesrepublik Deutschland, anzuordnen, wird zurückgewiesen.
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 129b Abs. 1 Satz 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 52 StGB.
Dem Beschuldigten, der ( nicht deutscher) Staatsangehöriger ist, liegt zur Last, er habe sich nach seiner ................ Ausreise aus Deutschland .................... im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet der ausländischen terroristischen Vereinigung Al-Qaida als Mitglied angeschlossen und sich im Rahmen seiner anschließend entfalteten mitgliedschaftlichen Betätigung ................. in einem Ausbildungslager der Organisation zur Vorbereitung einer gegen das Leben gerichteten schweren staatsgefährdenden Gewalttat in der Handhabung schwerer Kriegswaffen, wie Panzerabwehrgeschütze und Mörser, unterweisen lassen.
Mit Antrag vom 22. Juni 2012 begehrt der Generalbundeswalt den Erlass eines Haftbefehls gegen den Beschuldigten, hilfsweise den Erlass eines Haftbefehls für den Fall der Wiedereinreise des Beschuldigten in die Bundesrepublik Deutschland. Der Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten liegen nicht vor, weil das dem Beschuldigten angelastete Verhalten nicht dem deutschen Strafrecht unterfällt. Soweit dem Beschuldigten die Beteiligung als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland vorgeworfen wird, fehlt ein Anknüpfungspunkt für die Anwendung des deutschen Strafrechts nach Maßgabe des allgemeinen Strafanwendungsrechts der §§ 3 ff. StGB, das neben dem in § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB geregelten Inlandsbezug zu beachten ist. Hinsichtlich des Vorwurfs der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ist der nach § 89a Abs. 3 Satz 2 StGB erforderliche Inlandsbezug nicht gegeben. Eine aufschiebend bedingte Anordnung der Untersuchungshaft ist rechtlich nicht zulässig.
1. a) Nach § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB gelten die §§ 129 und 129a StGB auch für Vereinigungen im Ausland. Diese Vorschrift erweitert den Anwendungsbereich der §§ 129, 129a StGB auf ausländische Vereinigungen, indem sie die in den §§ 129, 129a StGB tatbestandlich umschriebenen Tathandlungen auch dann für strafbar erklärt, wenn sie sich auf eine Vereinigung im Ausland beziehen. Bei einer Vereinigung außerhalb der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gilt dies nach § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB nur, wenn die Tat durch eine im räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbuchs ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. Durch diese Regelung sollte nach den Intentionen des Gesetzgebers die sich aus § 129b Abs. 1 Satz 1 ergebende Strafbarkeit von Beteiligungshandlungen, die sich auf Vereinigungen außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beziehen, in persönlicher und räumlicher Hinsicht beschränkt und vom Vorliegen eines spezifischen Inlandsbezugs abhängig gemacht werden (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 14/8893 S. 8). § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB enthält seinem Regelungsgehalt nach keine Strafanwendungsregel. Für Beteiligungshandlungen an kriminellen oder terroristischen Vereinigungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bleibt es daher bei der Geltung der allgemeinen Strafanwendungsnormen, so dass die Anwendung deutschen Strafrechts im Einzelfall davon abhängt, ob ein legitimierender Anknüpfungspunkt nach den §§ 3 ff. StGB gegeben ist. Da aber die Anwendung des deutschen Strafrechts auf Beteiligungshandlungen an Vereinigungen außerhalb der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gegenüber solchen an Vereinigungen auf dem Gebiet der Europäischen Union nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers strengeren Anforderungen unterliegen sollte, können die in § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB normierten Geltungsvoraussetzungen, die zum Teil geringere Anforderungen stellen als die §§ 3 ff. StGB, nicht als spezifische, die allgemeinen Strafanwendungsvorschriften der §§ 3 ff. StGB verdrängende Rechtsanwendungsregelung ausgelegt werden. Die §§ 3 StGB finden vielmehr neben § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB kumulativ Anwendung mit der Folge, dass Beteiligungshandlungen an Vereinigungen außerhalb des Gebiets der Europäischen Union auch bei gegebenem Inlandsbezug nur dann dem deutschen Strafrecht unterfallen, wenn ein Anknüpfungstatbestand des allgemeinen Strafanwendungsrechts erfüllt ist (vgl. BGH, Ermittlungsrichter, Beschluss vom 17. Oktober 2008 - 2 BGs 449/08 -; OLG München, NJW 2007, 2786; Schäfer in MünchKomm-StGB, 2. Aufl. § 129b Rdn. 10; Krauß in LK-StGB, 12. Aufl., § 129b Rdn. 13; Lenckner/ Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 129b Rdn. 3; Lohse in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, § 129b Rdn. 5, Fischer, StGB, 59. Aufl., § 129b Rdn. 4; von Heintschel-Heinegg in von Heintschel-Heinegg StGB, § 129b Rdn. 5; Zöller, StV 2012, 364, 365 und Terrorismusstrafrecht S. 344 ff.; Altvater NStZ 2003, 179; a.A. Ostendorf in NK-StGB, 3. Aufl., §§ 129a,129b Rdn. 9; offengelassen in BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2009 - StB 52/09, BGHSt 54, 264 Tz. 10; zweifelnd für Auslandstaten eines Deutschen BGH, Beschluss vom 31. Juli 2009 - StB 34/09, BGHR StGB § 129b Anwendbarkeit 1).
Für die Anwendung deutschen Strafrechts auf - wie hier - die Auslandstat eines Ausländers ist daher erforderlich, dass neben dem Inlandsbezug nach § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB zusätzlich die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StGB oder des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB vorliegen.
b) An dem Nebeneinander von spezifischem Inlandsbezug gemäß § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB und den allgemeinen Strafanwendungsregeln haben die mit Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten vom 30. Juli 2009 (BGBl. I 2437) neu in das Strafgesetzbuch eingefügten Strafnormen der §§ 89a und b StGB nichts geändert. Dass der Gesetzgeber in § 89a Abs. 3 Satz 1 StGB und § 89b Abs. 3 Satz 1 StGB andere Regelungen geschaffen hat - während § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB lediglich die Tatbestände der §§ 129, 129a StGB auf Beteiligungshandlungen an ausländischen Vereinigungen erweitert, erstrecken § 89a Abs. 3 Satz 1 und § 89b Abs. 3 Satz 1 StGB die Strafbarkeit ohne Einschränkungen auf jedwede im Ausland begangene Tathandlung - und damit das Ziel verfolgt, die strafrechtliche Erfassung von Auslandstaten im Bereich der §§ 89a und b StGB vom Erfordernis der Tatortstrafbarkeit bzw. der fehlenden Strafgewalt am Tatort freizustellen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/12428 S. 16) vermag eine andere Auslegung der Rechtsanwendungsregeln für § 129b Abs. 1 StGB nicht zu rechtfertigen. Die Vorschrift des § 129b StGB ist unverändert geblieben und der Gesetzgeber hat auch sonst in Kenntnis der Auslegung, die § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB in Rechtsprechung und Literatur erfahren hat, keine anderweitige Klarstellung vorgenommen.
c) Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StGB oder § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB für die Anwendung deutschen Strafrechts auf das dem Beschuldigten zur Last gelegte Verhalten liegen nach dem derzeitigen Ermittlungsstand nicht vor. § 7 Abs. 1 StGB knüpft anders als § 129b Abs. 1 Satz 2 3. Alt. StGB, der für den Inlandsbezug eine von der ausländischen Vereinigung begangene Ausführungstat zum Nachteil eines Deutschen genügen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2009 - StB 52/09, aaO Tz. 22; BT-Drucks. 14/8893 S. 9), an das dem Beschuldigten zur Last gelegte konkrete Tatgeschehen im prozessualen Sinne gemäß § 264 StPO an (vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, 3. Aufl., § 1 Rdn. 23; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 5. Aufl., § 5 Rdn. 8; Wehrle/Jeßberger in LK-StGB, 12. Aufl., vor § 3 Rdn. 314, 319) und verlangt, dass ein bestimmter oder zumindest bestimmbarer Deutscher durch das Tatgeschehen verletzt d.h. in seinen Rechten oder rechtlich geschützten Gütern widerrechtlich beeinträchtigt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 1963 - 4 StR 9/63, BGHSt 18, 283, 284; Wehrle/Jeßberger aaO § 7 Rdn. 69). Dafür, dass die dem Beschuldigten angelastete mitgliedschaftliche Betätigung in der ausländischen terroristischen Vereinigung Al-Qaida zu einer Verletzung eines deutschen Staatsbürgers geführt hat, bietet das bisherige Ermittlungsergebnis in tatsächlicher Hinsicht keinen Anhalt. Der Anknüpfungstatbestand des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StPO ist ebenfalls nicht gegeben, weil keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür existieren, dass die Anwesenheit des Beschuldigten im Inland festgestellt werden kann.
2. Soweit dem Beschuldigten die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB vorgeworfen wird, fehlt an es an dem nach § 89a Abs. 3 Satz 2 StGB erforderlichen Inlandsbezug.
Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ergibt sich der Inlandsbezug weder aus der zweiten noch aus der fünften Alternative des § 89a Abs. 3 Satz 2 StGB. Danach unterfallen Vorbereitungshandlungen, die außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union begangen werden, dem deutschen Strafrecht, wenn sie durch einen Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland begangen werden oder die vorbereitete schwere staatsgefährdende Gewalttat gegen einen Deutschen begangen werden soll.
Der Begriff der inländischen Lebensgrundlage meint die Summe derjenigen Beziehungen, die den persönlichen und wirtschaftlichen Schwerpunkt im Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt ausmachen (BT-Drucks. 16/12428 9 10 S. 16). Für eine diesen Anforderungen genügende Bindung des Beschuldigten an Deutschland noch zum Zeitpunkt seines Aufenthalts in dem Ausbildungslager der Al-Qaida .................. liegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen keine Anhaltspunkte vor. (wird ausgeführt)
Schließlich liegen auch die Voraussetzungen der fünften Alternative des § 89a Abs. 3 Satz 2 StGB nicht vor. Die Strafbarkeit nach § 89a Abs. 1 und 2 StGB setzt nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht voraus, dass der Täter ein schon im Detail geplantes Verbrechen vorbereitet. Weder die konkrete Art der Durchführung noch Zeit und Ort sowie potentielles Opfer müssen festgelegt sein. Es reicht vielmehr die hinreichende Bestimmung der vorbereiteten Tat ihrem Deliktstypus nach aus (vgl. Schäfer, aaO, § 89a Rdn. 28; BT-Drucks. 16/12428 S. 14). Für die Begründung deutscher Strafgewalt nach der das passive Personalitätsprinzip aufgreifenden Regelungen des § 89a Abs. 3 Satz 2 5. Alt. StGB ist es indes erforderlich, dass die vorbereitete Gewalttat zum Zeitpunkt der Vorbereitung jedenfalls soweit konkretisiert ist, dass sie gegen einen Deutschen begangen werden soll. Dass die Ausbildung des Beschuldigten in der Handhabung schwerer Kriegswaffen .................... der Vorbereitung von Gewalttaten gegen Deutsche diente, lässt sich den bisherigen Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden nicht entnehmen. Der Umstand, dass mit der Unterweisung nicht näher spezifizierte Kampfeinsätze der Al-Qaida in Afghanistan vorbereitet werden sollten und sich in diesem Land auch deutsche Soldaten aufhalten, reicht entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts für die Begründung des Inlandsbezugs nach § 89a Abs. 3 Satz 2 5. Alt. StGB nicht aus.
3. Da es mithin an einem legitimierenden Anknüpfungspunkt für die Anwendung deutschen Strafrechts auf das dem Beschuldigten vorgeworfene Verhalten fehlt, liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft nicht vor (vgl. OLG München, NStZ-RR 1998, 300; Graf in KK-StPO 6. Aufl., § 112 Rdn. 4; Krauß in Graf, StPO, § 112 Rdn. 3; Münchhalffen/ Gatzweiler, Das Recht der Untersuchungshaft, 3. Aufl., Rdn. 146 ). Der Erlass eines Haftbefehls, um im Wege der Auslieferung des Beschuldigten die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft erst noch zu schaffen, kommt nicht in Betracht.
Der hilfsweise beantragte Erlass eines aufschiebend bedingten Haftbefehls ist rechtlich nicht zulässig. Der Strafprozessordung sind richterliche Anordnungen strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen unter einer aufschiebenden Bedingung fremd. Das in den § 112 ff. StPO abschließend geregelte Untersuchungshaftrecht kennt eine solche Möglichkeit nicht. Die Vorschrift des § 456a Abs. 2 Satz 3 StPO, die die Vollstreckungsbehörde ermächtigt, bereits bei der Zurückstellung der Strafvollstreckung für den Fall der Rückkehr des Verurteilten die Nachholung der Vollstreckung anzuordnen und einen Vollstreckungshaftbefehl zu erlassen, beinhaltet eine allein auf die Vollstreckungssituation zugeschnittene Ausnahmeregelung. Zudem wäre eine aufschiebend bedingte Untersuchungshaftanordnung vergleichbaren verfassungsrechtlichen Einwänden ausgesetzt, wie sie gegen auf "Vorrat" erlassene richterliche Beschlüsse zur Anordnung strafprozessualer Grundrechtseingriffe bestehen (vgl. BVerfGE 96, 44; BGH, Beschlüsse vom 23. Dezember 1999, 2 ARs 487/99, NStZ 2000, 212; vom 11. September 2002 - 2 ARs 257/02, NStZ-RR 2003, 289). Die durch den strikten Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 und 3 GG gewährleistete vorgängige richterliche Kontrolle jeder Freiheitsentziehung bietet nur dann einen wirksamen Grundrechtsschutz, wenn der Richter seine Prüfung der Voraussetzungen eines Eingriffs in die Freiheit der Person auf der Grundlage der zum Entscheidungszeitpunkt tatsächlich gegebenen Sachlage vornimmt.
Für den Erlass eines für den Fall der Wiedereinreise des Beschuldigten aufschiebend bedingten Haftbefehls fehlt schließlich ein sachliches Bedürfnis, da über eine gegebenenfalls notwendige Haftanordnung gegen den Beschuldigten ohne weiteres nach einer tatsächlich erfolgten Wiedereinreise entschieden werden kann. Soweit der Generalbundesanwalt in seiner Antragschrift vom 22. Juni 2012 einen bedingten Haftbefehl unter Hinweis auf beabsichtigte nationale Fahndungsmaßnahmen für geboten hält, ist anzumerken, dass eine aufschiebend bedingte Haftanordnung bis zum Eintritt der aufschiebenden Bedingung ohne Rechtswirkungen bliebe und damit vor Bedingungseintritt auch nicht Grundlage einer Ausschreibung nach § 131 Abs. 1 StPO sein könnte.
HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 699
Externe Fundstellen: StV 2013, 304
Bearbeiter: Karsten Gaede