HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 864
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 103/12, Urteil v. 27.06.2012, HRRS 2012 Nr. 864
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 22. September 2011 - mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen - aufgehoben, soweit die besondere Schwere der Schuld verneint worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in zwei Fällen sowie eines jeweils tateinheitlich begangenen Verstoßes gegen das Waffengesetz (Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe ohne Erlaubnis) zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, erstrebt die Staatsanwaltschaft die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgendes festgestellt:
Der 1969 im Osten der Türkei geborene Angeklagte ist kurdischer Herkunft und lebt seit etwa 1991 in Deutschland. Er ist seit 1989 mit einer Cousine verheiratet und hat vier Kinder. Seit dem Jahr 2002 führte er mit der 1981 in Litauen geborenen L. V., einem der Opfer der Tat, eine Liebesbeziehung. Die Beziehung war mit zunehmender Zeit von unterschiedlichen Auffassungen über die gemeinsame Zukunft geprägt. Die Geschädigte wollte, dass sich der Angeklagte von seiner Frau trennt und mit ihr eine Familie gründet. Dagegen wollte der Angeklagte, dass alles so blieb, wie es war. Ab Mitte 2005 versuchte die Geschädigte zunehmend, die Beziehung zu beenden. Der Angeklagte beantwortete die Trennungsversuche mit gewalttätigen Übergriffen, teilweise schloss er L. V. in der Wohnung ein, nahm ihr das Mobiltelefon weg und manipulierte ihren Internetanschluss, damit sie auch auf diesem Wege keinen Kontakt zur Außenwelt herstellen konnte. Im Nachgang entschuldigte er sich regelmäßig und beteuerte Besserung, was ihm die Geschädigte bis zum nächsten Gewaltausbruch glaubte. Noch im Jahr 2010 verlängerte sie ein bereits zuvor mehrfach dem Angeklagten gestelltes Ultimatum, sich von seiner Ehefrau zu trennen, bis zum Jahresende.
Im Oktober 2010 schlug der Angeklagte die Geschädigte am ganzen Körper mit einem Stock, trat sie und schlug sie mit der Faust, nachdem sie geäußert hatte, dass sie sich von ihm trennen wollte. Ab November 2010 erhielt sie eine Festanstellung bei der Firma S. + M. AG. Dort arbeitete sie als Projekt - Assistentin des späteren Geschädigten A. O. O., zu dem ein rein kollegiales Verhältnis bestand. Nach einem weiteren Übergriff des Angeklagten entschloss sich L. V. endgültig, sich von dem Angeklagten zu trennen und kündigte ihre Wohnung. A. O. O. erzählte sie, dass sie seit fünf Jahren unter häuslicher Gewalt durch den Angeklagten leide. Dieser bot ihr daraufhin an, dass sie bei ihm und dem Zeugen S. in die Wohngemeinschaft einziehen könne, bis sie eine neue Wohnung gefunden habe. Am 25. November 2010 erstattete L. V. wegen des Vorfalls im Oktober Strafanzeige und erwirkte eine einstweilige Verfügung nach dem Gewaltschutzgesetz gegen den Angeklagten beim Amtsgericht Köln. Als die Geschädigten am Abend des 25. November 2010 das Firmengebäude verließen, packte der Angeklagte, der die spätere Tatwaffe, eine Walther PPK 7,65 mm bei sich trug, L. V. am Arm, um sie gewaltsam zum Mitgehen zu zwingen. A. O. O. befreite sie aus dem Griff des Angeklagten. Der Angeklagte äußerte daraufhin, dass L. V. sein Besitz sei und bedrohte die Geschädigten mit dem Tode. Nachdem ein Einsatzwagen der Polizei eingetroffen war, erklärte er auch den Polizeibeamten, dass L. V. ihm gehöre und er mit ihr machen könne, was er wolle. Der Zeuge PK B. wies den Angeklagten daraufhin hin, dass Frauen in der Bundesrepublik Deutschland kein Eigentum seien, erteilte ihm einen Platzverweis und machte ihm deutlich, dass er sich aufgrund der einstweiligen Verfügung nach dem Gewaltschutzgesetz der Geschädigten nicht mehr nähern dürfe.
Am 29. November 2010 wollte der Angeklagte erneut zur Arbeitsstelle der Geschädigten fahren, um mit ihr über den Fortgang der Liebesbeziehung zu sprechen. Als Ergebnis der Unterredung war er allein bereit, die Fortsetzung der Beziehung zu akzeptieren. Da er befürchtete, dass L. V. beim Anblick seines Wagens ihre Arbeitsstelle nicht verlassen würde, mietete er einen PKW an. Zwischen 18.30 Uhr und 18.40 Uhr verließen die Geschädigten das Gebäude der Firma S. + M. AG. Der Angeklagte stieg aus dem PKW und kam ihnen zu Fuß entgegen. Als A. O. O. ihn sah, rief er ihm lautstark zu, dass er sich L. V. nicht nähern dürfe. Er solle verschwinden, sonst werde er die Polizei rufen. Der Angeklagte fühlte sich wie ein kleines Kind behandelt und wollte sich das nicht gefallen lassen. Auch erkannte er im Gesichtsausdruck von L. V. nur noch Ablehnung für seine Person und merkte, dass sie nur noch von ihm weg wollte. Er wollte nicht zulassen, dass sie sich von ihm trennt. Er zog seine Pistole aus der Jackentasche und gab in ungefähr 10 Sekunden sechs Schüsse ab. Dabei schoss er in Tötungsabsicht zunächst drei Mal auf L. V. Mit den Schüssen beabsichtigte der Angeklagte in erster Linie vermeintliche "Eigentumsrechte" an ihr durchzusetzen. Er sprach ihr das Lebensrecht ab, da sie sich gegen seinen Willen von ihm getrennt hatte und die Trennung dieses Mal auch als endgültige Entscheidung betrachtete. Der Angeklagte schoss dann mindestens ein Mal mit Tötungsabsicht auf den Oberkörper des A. O. O. Das leitende Motiv des Angeklagten war, dass dieser ihn nicht als Täter der Tötung von L. V. benennen können sollte und somit die Ermittlungen zu seiner Person als Täter erschwert oder vereitelt werden sollten. Ihm passte es zudem nicht, dass der Geschädigte als fremder Mann mit L. V. zusammen unterwegs war und sie beschützen wollte.
L. V. verstarb noch am Tatort, A. O. O. wenige Stunden nach der Tat im Krankenhaus.
Der Angeklagte konnte zunächst fliehen und sich mit Hilfe von Familienangehörigen und Bekannten verborgen halten. Am 4. Januar 2011 wurde er in Frankreich festgenommen und am 12. Januar 2011 nach Deutschland überstellt.
2. Das Landgericht hat die Tötung von L. V. als Mord aus niedrigen Beweggründen, die Tötung von A. O. O. als Mord zur Verdeckung der Tötung von L. V. gewertet. Die besondere Schwere der Schuld im Sinne des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB hat die Strafkammer verneint.
1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist, auch wenn die Bejahung weiterer Mordmerkmale in Betracht kommt, zulässig auf die Frage der Schuldschwere beschränkt (BGHSt 41, 57, 61).
2. Die Ablehnung der besonderen Schuldschwere im Sinne des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Die Feststellung besonderer Schwere der Schuld setzt voraus, dass das gesamte Tatbild einschließlich der Täterpersönlichkeit von den erfahrungsgemäß vorkommenden Fällen des Mordes so sehr abweicht, dass eine Strafaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach 15 Jahren auch bei dann günstiger Täterprognose unangemessen wäre (BGHSt 39, 121; 40, 360, 370). Das kann insbesondere der Fall sein, wenn mehrere Mordmerkmale verwirklicht oder mehrere Menschen ermordet wurden oder die Tatausführung durch besonders verwerfliche Umstände gekennzeichnet ist (BGH NJW 1993, 1999, 2000; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 57a Rn. 11a). Die Entscheidung der Frage, ob die besondere Schwere der Schuld zu bejahen ist, hat der Tatrichter unter Abwägung der im Einzelfall für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände zu treffen (vgl. BGHSt 40, 360, 370). Zwar ist dem Revisionsgericht bei der Nachprüfung der tatrichterlichen Wertung eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle versagt; insbesondere ist es gehindert, seine eigene Wertung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen (BGH aaO; BGH, Urteile vom 26. Mai 2004 - 2 StR 386/03, vom 8. September 2005 - 1 StR 159/05 und vom 30. März 2006 - 4 StR 567/05). Es hat jedoch zu prüfen, ob der Tatrichter alle maßgeblichen Umstände bedacht und rechtsfehlerfrei abgewogen hat (BGH, Urteil vom 1. Juli 2004 - 3 StR 494/03). Daran fehlt es in mehrfacher Hinsicht.
a) Das Landgericht hat u.a. zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich um einen spontanen Tatentschluss gehandelt habe. Die Beweiswürdigung hierzu ist jedoch lückenhaft, da die Strafkammer festgestellte Umstände, die gegen diese Wertung sprechen, nicht erkennbar in ihre Überlegungen einbezogen hat. Der Angeklagte hatte schon am 25. November 2010 gegenüber den Geschädigten sowie den herbeigerufenen Polizeibeamten deutlich gemacht, dass er eine Trennung von L. V. unter keinen Umständen akzeptieren werde. Außerdem hatte er die Geschädigten bereits zu diesem Zeitpunkt mit dem Tode bedroht. Bei der von ihm geplanten Unterredung am Tattag war er allein bereit, die Fortsetzung der Beziehung zu akzeptieren. Mit den tödlichen Schüssen beabsichtigte er vor allem, vermeintliche "Eigentumsrechte" an der Geschädigten durchzusetzen, nachdem er - ohne zuvor den Versuch einer Aussprache unternommen zu haben - erkennen musste, dass sich L. V. endgültig von ihm abgewandt hatte. Diese vom Landgericht nicht erkennbar erwogenen Umstände sprechen gegen die Annahme einer Spontantat und legen es nahe, dass der Angeklagte für den Fall zur Tötung der Geschädigten fest entschlossen war, dass diese nicht bereit war, die Beziehung mit ihm fortzusetzen.
b) Weiterhin begegnet es durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht die besondere Schuldschwere "entscheidend" mit der Erwägung verneint hat, dass "es sich bei dem Mord an L. V. um eine Beziehungstat handelte, ohne die es zu dem örtlich und zeitlich nah begangenen Mord an A. O. O. nicht gekommen wäre" (UA S. 64). Das Bestehen der früheren Intimbeziehung zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten, die von Herrschaftsansprüchen des Angeklagten sowie von massiven Misshandlungen und Bedrohungen der Geschädigten geprägt war, entfaltet unter Berücksichtigung der dazu vom Landgericht festgestellten Umstände keine schuldmindernde Wirkung. Außerdem waren bei der Ausführung der Tat für den Angeklagten nicht Motive wie Verzweiflung und Ausweglosigkeit (vgl. BGH NStZ 2004, 34; NStZRR 2004, 44; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 211 Rn. 28 mwN) über das Ende der Beziehung handlungsleitend, sondern er wollte vermeintliche Besitzrechte an der Geschädigten nicht aufgeben und sprach ihr ohne eine Beziehung mit ihm das Lebensrecht ab. Diese Erwägungen bilden auch den Kern der Argumentation, mit der das Landgericht ohne Rechtsfehler hinsichtlich der Tötung von L. V. niedrige Beweggründe angenommen hat. Dazu steht aber im Widerspruch, die frühere Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten bei der Verneinung der besonderen Schuldschwere entscheidend schuldmindernd zu berücksichtigen.
Vor diesem Hintergrund kann der Gesichtspunkt einer "Beziehungstat" auch hinsichtlich der Tötung von A. O. O. keine den Angeklagten entlastende Wirkung entfalten, zumal sie vor allem zur Verdeckung der Tötung von L. V. erfolgte und nicht festgestellt werden konnte, dass der Angeklagte davon ausging, bei dem Geschädigten handele es sich um ihren neuen Intimpartner (UA S. 27).
c) Dagegen begegnet die Ablehnung weiterer Mordmerkmale entgegen der Auffassung der Revision keinen rechtlichen Bedenken.
Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht Heimtücke bezüglich beider Tatopfer verneint. Die Erwägungen, mit denen die Strafkammer begründet, dass L. V. in der Tatsituation nicht arglos war, werden von den Feststellungen getragen. Dies gilt in Übereinstimmung mit den Ausführungen des GBA in der mündlichen Verhandlung letztlich auch für die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe eine etwaige Arglosigkeit von A. O. O. nicht bewusst ausgenutzt.
Die Ablehnung niedriger Beweggründe hinsichtlich der Tötung des Geschädigten O. begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Zwar hat sich der Angeklagte durch dessen Äußerungen vor der Tat wie ein kleines Kind behandelt gefühlt, und er wollte sich dies nicht gefallen lassen (UA S. 26). Es liegt jedoch nach den Feststellungen nahe, dass für den Angeklagten bei der Tötung des Geschädigten O. nicht diese Motivation, sondern - wie vom Landgericht ohne Rechtsfehler angenommen - die Verdeckung der Tötung von L. V. bestimmend war.
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zur Annahme der besonderen Schwere der Schuld gelangt wäre, wenn es die genannten Umstände erörtert und bedacht hätte. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben, da sie rechtsfehlerfrei getroffen wurden. Der neue Tatrichter kann ergänzende, dazu nicht im Widerspruch stehende Feststellungen treffen. Im Urteilstenor wird er den Anrechnungsmaßstab für die in Frankreich vom 4. Januar bis 12. Januar 2011 erlittene Auslieferungshaft anzugeben haben.
HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 864
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2012, 339
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel