HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 835
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 159/05, Urteil v. 08.09.2005, HRRS 2005 Nr. 835
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hof vom 21. Dezember 2004 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen eines heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen begangenen Mordes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem anderen Urteil zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Dagegen richtet sich die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Sie erstrebt die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und das Bejahen des weiteren Mordmerkmals "grausam". Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
1. Die Mitangeklagten G., D. G. und der Angeklagte kamen überein, K., von dem sie wussten, dass er an Diabetes litt, durch eine Überdosis Insulin zu töten. Die Initiative ging von der damals 17-jährigen Go. aus. K. hatte sich um sie als Partnerin bemüht und sie daher finanziell unterstützt. Als er die finanziellen Zuwendungen sperrte, wollte sie sich des für sie nutzlos und lästig gewordenen K. entledigen. Der 25-Jährige, mit einem IQ von 78 unterdurchschnittlich intelligente Angeklagte stimmte dem Tötungsvorschlag der intellektuell weit überlegenen Go. zu, um einen Nebenbuhler auszuschalten, sie durch das Geheimnis um eine schwere Straftat an sich zu binden und den Kontakt zu dem vermeintlich gemeinsamen Sohn zu sichern. Der 18-jährige D. G., der Neffe des Angeklagten, der sich dem Müßiggang hingab, bei seinem Onkel wohnte und von diesem ernährt wurde, sagte seine Mitwirkung an einer gemeinsamen Tötung zu, weil er im Falle der Weigerung fürchtete, seinen bequemen Lebensstil zu verlieren.
2. Am 8. Juli 2003 zwischen 18.00 und 19.00 Uhr überfielen die männlichen Angeklagten in der Wohnung der auch anwesenden Go. den völlig ahnungslosen K. hinterrücks und brachten ihn zu Boden. Go. versetzte ihm mindestens eine Insulin-Injektion, danach D. G. mindestens eine weitere. K. verfiel in einen Zustand des Unterzuckers. Er verlor seine Kräfte und begann zu schwitzen. Da K. nach einer gewissen Zeit noch lebte, waren sich die Angeklagten unsicher, ob die Injektionen für den Tod ausreichend waren. Der Angeklagte holte aus der Wohnung des Opfers weiteres Insulin, womit ihm mindestens eine weitere Injektion gewaltsam gesetzt wurde. Nach den Injektionen äußerte K., er brauche dringend Zuckerwasser, sonst werde er sterben (UA S. 63, 64). Die Angeklagten warteten nun auf den Tod ihres Opfers. Nachdem sie sich drei Portionen Pizza beschafft und verzehrt hatten, sorgten sie dafür, dass das zwar stark geschwächte, aber noch handlungsfähige Opfer nicht entkommen konnte. K. wäre im Laufe der Nacht in der Lage gewesen, aus eigener Kraft das Haus zu verlassen. Sie versperrten daher die Wohnungstüre. In der Nacht schliefen Go. und einer der männlichen Angeklagten mit K. im Wohnzimmer, der andere lag vor der Zimmertüre, so dass K. den Raum nicht unbemerkt verlassen konnte.
3. Am nächsten Morgen, dem 9. Juli 2003, war K. leicht benommen, geschwächt und schwitzte, lebte aber noch. Den Angeklagten war klar, dass die bei dem zuckerkranken Opfer kaum nachweisbare Tötung durch Insulinvergiftung fehlgeschlagen war. Sie entschlossen sich auf ihren ursprünglichen Plan, der Tötung durch Erschlagen, zurückzugreifen. Zu diesem Zweck hatte Go. "K. s Todeslatte" gebaut und auch so beschriftet. Dabei handelte es sich um eine 1,16 m lange Holzlatte, an deren einem Ende ein sackartiger Gegenstand, gefüllt mit Kieselsteinen, Nägeln, Nadeln, Schrauben und einer 2,1 kg schweren Eisenkugel befestigt war. Die Angeklagten führten ihr Opfer in einen Pkw und verstauten die "Todeslatte". Bei einem notwendigen Zwischenstopp an einer Tankstelle verließ K. unbemerkt das Fahrzeug und begab sich in ein nahe gelegenes Wirtshaus. Als D. G. sein Fehlen bemerkte, ging er hinterher und fuhr ihn in den Gasträumen an, er wolle doch nicht etwa telefonieren. K. erwiderte "Nein, nein, passt schon" und ging mit ihm zum Auto zurück. Nach anschließender Weiterfahrt in ein Waldstück töteten die Angeklagten ihr Opfer dort gemeinsam. D. G. zerrte K. hierzu aus dem Pkw. Go. schlug mindestens zweimal mit der "Todeslatte" auf seinen Kopf, bis das sackartige Gebilde abriss. Dann schlug D. G. mit der Eisenkugel aus dem Sack mindestens dreimal gegen den Kopf des nun am Boden liegenden Opfers und T. G. zog schließlich den Gürtel des Opfers um dessen Hals so lange zu, bis K. kein Lebenszeichen mehr von sich gab.
Das sachverständig beratene Landgericht konnte nicht ausschließen, dass das Opfer bereits durch den ersten Schlag mit der "Todeslatte" das Bewusstsein verloren hatte. Infolge der Schädelzertrümmerung wäre der Tod in jedem Fall binnen maximal einer halben Stunde eingetreten. Welche der Handlungen den Tod herbeigeführt hat, konnte nicht festgestellt werden.
1. Das Landgericht hat das Mordmerkmal "grausam" verneint, weil der Wille der Angeklagten nicht darauf gerichtet gewesen sei, K. bewusst und geplant außergewöhnliche körperliche und seelische Qualen zuzufügen. Die Länge des gesamten Tötungsgeschehens sei nicht beabsichtigt gewesen.
Beim Transport in den Wald habe K. selbst nicht definitiv gewusst, dass er auf jeden Fall getötet werden sollte, was sich aus seiner Rückkehr aus dem Gasthaus zum Auto ergebe. Durch die mögliche Bewusstlosigkeit beim ersten Schlag scheide auch objektiv die Zufügung besonders starker Schmerzen aus.
2. Der Tatrichter hat unter Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände eine besondere Schwere der Schuld nicht festgestellt.
Die Revision ist nach deren Begründung zulässig darauf beschränkt, das Landgericht habe zu Unrecht die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und ein weiteres Mordmerkmal verneint (BGHSt 41, 57). Die Verneinung der besonderen Schuldschwere begegnet im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken (§§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 57b StGB).
1. Zum Mordmerkmal der Grausamkeit:
"Grausam" tötet, wer dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung, Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die nach Stärke oder Dauer über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen (st. Rspr., vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Grausam 1 m.w.N.). Die Grausamkeit muss nicht notwendig in der eigentlichen Ausführungshandlung im engeren Sinne und den durch diese verursachten Leiden liegen; sie kann sich auch aus den Umständen ergeben, unter denen die Tötung eingeleitet und vollzogen wird. Das grausame Verhalten muss vor Abschluss der den tödlichen Erfolg herbeiführenden Handlung auftreten und vom Tötungsvorsatz umfasst sein (vgl. BGHSt 37, 40 m.w.N.).
Das Landgericht hat bei seinen Erwägungen zur Grausamkeit auf die Dauer des gesamten zweiaktigen Tötungsgeschehens abgestellt. Diese war durch den Wechsel der Tatmittel bedingt und - wie das Landgericht zutreffend ausführt - von den Angeklagten nicht beabsichtigt. Die Schlussfolgerung der Kammer aus der Rückkehr des Opfers vom Gasthaus zum Auto, dieses habe beim Transport nicht definitiv gewusst, dass es auf jeden Fall getötet werden sollte, ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.
Zum Zustand des K. während der Nacht, als die Angeklagten auf dessen Tod infolge Insulinvergiftung warteten, stellt das Urteil jedoch lediglich fest, dass ihr Opfer stark geschwächt, aber noch handlungsfähig war und aus eigener Kraft hätte entkommen können. Weitere Feststellungen zum körperlichen und seelischen Zustand des K. während des Verlaufs der Nacht finden sich nicht. Dass er einschlief, ist dem Urteil nicht mit hinreichender Klarheit zu entnehmen. Durch die Äußerung, er brauche dringend Zuckerwasser, sonst werde er sterben, war den Angeklagten seine Todesangst bekannt. Dass diese während der Nacht andauerte, liegt nahe, konnte indes vom Landgericht nicht näher aufgeklärt werden. In dem Verhalten der Angeklagten während dieser ersten Tatphase, die von abends 18.00 bzw. 19.00 Uhr bis zum nächsten Morgen andauerte, könnte ein bewusstes Zufügen seelischer und körperlicher Qualen liegen, welches wegen dieses langen Zuwartens als grausam zu bewerten wäre.
2. Das Bejahen des Mordmerkmals der Grausamkeit wäre hier jedoch nicht geeignet, die Schwere der Schuld zu erhöhen.
Die Entscheidung über die Frage, ob die besondere Schuldschwere im Sinne von § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu bejahen ist, hat der Tatrichter ohne Bindung an begriffliche Vorgaben im Wege einer zusammenfassenden Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit zu treffen, wobei ein Bejahen nur möglich ist, wenn Umstände von Gewicht vorliegen. Dem Revisionsgericht ist bei der Nachprüfung der Entscheidung eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle versagt; es hat lediglich zu prüfen, ob der Tatrichter alle maßgeblichen Umstände bedacht und abgewogen hat, ist aber gehindert, seine eigene Wertung an die Stelle der tatrichterlichen Wertung zu setzen (BGHSt 40, 360, 370).
Eine an diesen Maßstäben orientierte Gesamtwürdigung enthält das angefochtene Urteil. Der Tatrichter hat dabei keine gegen den Angeklagten sprechenden Umstände von Gewicht übersehen. Er hat die Verwirklichung von zwei Mordmerkmalen ausdrücklich hervorgehoben. Die Tatausführung hat er außerdem als verwerfliches Handeln mit einem hohen Maß an Brutalität bewertet.
Der Senat kann daher ausschließen, dass er das lange Zuwarten in der Nacht nicht bedacht und in seine Überlegungen einbezogen hat, selbst wenn er die nahe liegende Subsumtion unter das Mordmerkmal der Grausamkeit nicht vorgenommen hat. Auf ein bloßes Zusammenzählen von Mordmerkmalen kommt es im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung nicht an (vgl. BGHSt 41, 57, 63). Gegen eine schematische Bewertung von einzelnen Umständen spricht hier gerade die Täterpersönlichkeit. Insoweit hebt der Tatrichter hervor, dass der unterdurchschnittlich intelligente Angeklagte seinen jugendlichen bzw. heranwachsenden Mittätern intellektuell unterlegen, nicht der Motor und Verursacher des Mordkomplotts war und von selbst nicht auf die Idee der Tötung gekommen wäre. Diese Abwägung ist rechtlich nicht zu beanstanden, auch wenn eine andere Bewertung möglich gewesen wäre.
HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 835
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2006, 236
Bearbeiter: Karsten Gaede