HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 916
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 605/10, Urteil v. 25.05.2011, HRRS 2011 Nr. 916
1. Auf die Revisionen beider Angeklagten und der Staatsanwaltschaft - insoweit zugunsten der Angeklagten A. (§ 301 StPO) - wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 11. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheitsstrafe, die Angeklagte A. wegen Raubs zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wenden sich die Revisionen der Angeklagten und die zu Ungunsten der Angeklagten A. eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft. Die Rechtsmittel der Angeklagten sind mit der Sachbeschwerde begründet. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft führt gemäß § 301 StPO ebenfalls zur Urteilsaufhebung zugunsten der Angeklagten A.
1. Nach den Feststellungen der Schwurgerichtskammer war die Angeklagte A., die in einem Eroscenter in Bonn als Prostituierte arbeitete, mit dem Mitangeklagten S. befreundet. Beide befanden sich in finanziellen Schwierigkeiten. Die Angeklagte A. wusste, dass V., die ebenfalls in dem Bordell als Prostituierte beschäftigt war, größere Bargeldbeträge in ihrer Handtasche aufbewahrte. Sie forderte den Mitangeklagten S. dazu auf, ihr bei der Zueignung des Geldes zu helfen. Dieser erklärte sich dazu bereit, weil er selbst Geld benötigte und weil er sich der Angeklagten A. verpflichtet fühlte, nachdem ein Geldbetrag, den sie ihm anvertraut hatte, abhanden gekommen war. Nach dem Tatplan sollte der Angeklagte S. als angeblicher Kunde die Prostituierte V. in ihrem Zimmer im Bordell aufsuchen, sie niederschlagen und dann das Geld wegnehmen. Die Angeklagte A. rechnete mit einer Beute von 40.000 Euro. Sie wusste, dass V. am Sonntag, dem 28. Juni 2009, verreisen würde. Daher wurde die Nacht von Freitag, dem 26. Juni, auf Samstag, den 27. Juni 2009, als Tatzeit ausgewählt. Die Angeklagte A. riet dazu, dass der Angeklagte S. eine Kopfbedeckung tragen sollte, damit er auf den Übertragungen der Überwachungskameras im Bordell nicht zu erkennen sein sollte. Außerdem forderte sie ihn dazu auf, ein langärmeliges Hemd zu tragen, damit das Opfer ihn nicht an seinen Tätowierungen an den Unterarmen erkennen könne.
Der Angeklagte S. begab sich gegen 02.00 Uhr in der Tatnacht zu V. und ließ sich zunächst von ihr massieren. Dann versuchte er, sie niederzuschlagen. Dabei kam es zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf der Angeklagte S. das Opfer auf das rechte Auge schlug. Danach stülpte er der Geschädigten eine Plastiktüte über den Kopf, wickelte ein Stück Vorhangstoff im Halsbereich darum und drückte das auf dem Bett liegende Opfer mit seinem Körpergewicht nieder. V. erstickte. Dann entwendete der Angeklagte S. Bargeld in unbekannter Höhe, mindestens aber 15.000 Euro, und verließ den Tatort.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Mordes zur Ermöglichung einer anderen Tat und aus Habgier in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge, die Angeklagte A. (nur) wegen Anstiftung zum (einfachen) Raub verurteilt.
a) Nachdem Anklageschrift und Eröffnungsbeschluss noch von einer Tatzeit am Nachmittag des 27. Juni 2009 ausgegangen waren, hat die Schwurgerichtskammer nach entsprechendem Hinweis in der Hauptverhandlung unter anderem ausgeführt, es sei von einer Tatzeit in den früheren Morgenstunden des 27. Juni bis etwa 03.00 Uhr auszugehen. Ein Besuch des Angeklagten S. in dem Eroscenter in der Nacht sei von diesem eingeräumt worden und durch Funkzellendaten belegt. Für einen weiteren Besuch nach 14.00 Uhr desselben Tages gebe es dagegen weder Zeugenaussagen noch objektive Anhaltspunkte. Angesichts der Tatsache, dass die Angeklagten in der Nacht vielfach durch SMS miteinander kommuniziert hätten, wäre eine entsprechende Telekommunikation bei einer späteren Tatausführung auch ab 14.00 Uhr zu erwarten gewesen; daran fehle es jedoch.
b) Das Landgericht hat sich nicht im Stande gesehen, auch der Angeklagten A. die Tötung des Opfers zuzurechnen. Zum Umfang der nach dem Tatplan anzuwendenden Gewalt habe die Schwurgerichtskammer nur feststellen können, dass der Angeklagte S. das Opfer habe niederschlagen sollen. Die Tatbeiträge der Angeklagten A. hat sie der Einlassung des Mitangeklagten S. entnommen. Auf dieser Grundlage hat die Kammer die Angeklagte A. als Mittäterin eines (einfachen) Raubes verurteilt. Den Vorsatz eines schweren Raubs nach § 250 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 3 Buchst. a StGB hat das Landgericht ausgeschlossen. Auch die Verursachung des Todes von V. sei vom Vorsatz der Angeklagten A. nicht umfasst gewesen. Eine leichtfertige Mitverursachung des Todes durch sie scheide aus, weil sie davon habe ausgehen können, dass der Mitangeklagte S. das ihm körperlich unterlegene Opfer habe überwältigen können, ohne es zu töten.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerhaft. Dies führt aufgrund der Sachrüge der beiden Angeklagten zur Urteilsaufhebung. Auf die zusätzlich erhobenen Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht mehr an. Die zuungunsten der Angeklagten A. eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft führt aus demselben Grund gemäß § 301 StPO zur Aufhebung des Urteils zu deren Gunsten.
1. Das Landgericht hat die Tatzeit im Urteil gegenüber Anklageschrift und Eröffnungsbeschluss geändert, dies aber nicht rechtsfehlerfrei begründet. Der Rechtsfehler betrifft beide Angeklagte in gleicher Weise, weil die Handlung des Angeklagten S. der Angeklagten A. zugerechnet wurde, soweit sie mit dem festgestellten Tatplan übereinstimmt.
a) Bei der Annahme, im Fall einer Tatausführung am Nachmittag des Tattages wäre mit einer Telekommunikation zwischen den beiden Angeklagten zu rechnen gewesen, wie sie für die Nachtzeit festgestellt wurde, hat die Schwurgerichtskammer vorausgesetzt, dass sich die Tatbegehung im Sinne der Feststellungen zugetragen und der Angeklagte S. das Opfer getötet hat. Insoweit liegt ein Kreisschluss vor, da hierbei die Täterschaft des Angeklagten S. beim Raubmord zur Widerlegung einer abweichenden Tatzeitannahme vorausgesetzt wurde. Dies wäre aber erst nach einer für die Festlegung von Tat und Täter erforderlichen Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweise zu beurteilen gewesen. Das Landgericht hat dagegen die Tatbegehung in der festgestellten Weise zur Voraussetzung der Widerlegung einer von ihm selbst ausgeschlossenen anderen Tatzeit gemacht. Dies ist rechtlich zu beanstanden. Einzelindizien zu Täterschaft und Tatzeit können jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen nicht unabhängig voneinander beurteilt werden.
b) Das Landgericht hat auch Zeugenaussagen zu einer Beobachtung des noch lebenden Opfers zu einem späteren Zeitpunkt, für deren Richtigkeit "starke Argumente" sprechen, nicht in tragfähiger Weise widerlegt. Die Zeuginnen U. und Ad. haben, wie das Landgericht dargelegt hat, nach ihren Bekundungen das Opfer noch gegen 14.00 Uhr am Samstag nach der Tatnacht lebend gesehen, also rund zwölf Stunden nach der festgestellten Tatzeit. Zur Begründung seiner Annahme, diese Zeugenaussagen seien objektiv unrichtig, hat das Tatgericht auf "Widersprüche" zwischen den Angaben der beiden Zeuginnen verwiesen. Diese Begründung ist nicht tragfähig.
Nach den unter Eid gemachten Angaben der Zeugin U. war die Geschädigte am Tattag "gegen 14 Uhr" mit einem Badehandtuch bekleidet zum Duschen in die Kellerräume gegangen und etwa 20 Minuten später wieder zu ihrem Zimmer hinaufgegangen. Nach den Angaben der Zeugin Ad. war eine Frau mit Badetuch, bei der es sich auch nach Ansicht des Landgerichts gegebenenfalls nur um die Geschädigte gehandelt haben konnte, genau um 14 Uhr die Treppe hinaufgegangen; ihr sei kurze Zeit später ein Mann gefolgt.
Hieraus lässt sich der vom Landgericht angenommene Widerspruch nicht konstruieren. Zudem hat es nicht erwogen, dass die Beobachtung, dem Opfer sei nach dem Duschen beim Hinaufgehen zu seinem Zimmer ein Mann gefolgt, ebenfalls in das Bild einer in jenem Zimmer begangenen Tat passen könnte. Soweit das Landgericht ausgeführt hat, bei dem von den Zeuginnen berichteten Beobachtungszeitpunktes könne es sich um eine Verwechslung handeln, weil es sich bei dem Vorgang um ein übliches Geschehen gehandelt habe, vernachlässigt dies, dass die Beobachtungen der Zeuginnen unmittelbar schon am Tattag gegenüber den ermittelnden Beamten geäußert wurden, insoweit sehr zeitnah entstanden sind und für die Zeuginnen im Zusammenhang mit der Entdeckung eines Mordes standen. Wenn das Landgericht eine Verwechslung der beobachteten Person oder des Beobachtungszeitpunkts durch die Zeuginnen für "wahrscheinlich" gehalten hat, so reicht dies überdies zur Begründung einer Verurteilung der Angeklagten nicht aus. Das entlastende Indiz müsste angesichts der getroffenen Tatzeitfeststellung sicher widerlegt sein, um die Indizienkette bruchlos zu schließen.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das angefochtene Urteil auf den genannten Fehlern beruht.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet, soweit sie zu Ungunsten der Angeklagten A. eingelegt wurde.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist keinen Rechtsfehler zu ihrem Vorteil auf. Es ist insoweit nicht davon auszugehen, dass das Landgericht wesentliche Aspekte, die sich aus den Feststellungen ergeben, bei seinen Erwägungen zur Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweise übersehen hat.
Das Landgericht hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht zu Unrecht davon abgesehen, § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB zu prüfen. Es war zwar aus der Sicht der Angeklagten A. bei der Ausführung der geplanten Tat mit einem Schlag des Angeklagten S. gegen den Kopf des Opfers zu rechnen. Dadurch konnte er das Opfer aber nicht ohne weiteres in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringen (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB). Eine solche setzt zwar keine schwere Körperverletzung voraus, sondern kommt auch bei sonst einschneidenden oder nachhaltigen Beeinträchtigungen der Gesundheit in Betracht (vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 28), wie etwa bei einer längeren Arbeitsunfähigkeit als Tatfolge. Es fehlt nach den Feststellungen aber an Hinweisen darauf, dass eine solche Folge nach dem Tatplan konkret zu erwarten war. Nur in diesem Falle hätte sich das Landgericht dazu gedrängt sehen müssen, auch eine der Angeklagten A. gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnende Qualifikation der Tat nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB zu erörtern.
Es liegt ferner kein Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten A. darin, dass die Strafkammer die §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht erwähnt hat. Für eine vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 StGB), die dem Tatplan entsprach und die der Angeklagten A. gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen wäre, fehlt ein Strafantrag oder die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Verfolgung auch dieses Vergehens durch die Staatsanwaltschaft (§ 230 Abs. 1 StGB). Eine gegebenenfalls als Offizialdelikt zu verfolgende gefährliche Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) drängte sich nicht auf. Dieses qualifizierte Körperverletzungsdelikt setzt einen für das Opfer unvorhergesehenen Angriff voraus, der von einem planmäßigen, auf Verdeckung der wahren Absichten berechneten Vorgehen gekennzeichnet ist (vgl. Senat, Urteil vom 15. September 2010 - 2 StR 395/10). Dafür fehlt es an konkreten Hinweisen in den Feststellungen zum Geschehen bei der Angriffshandlung.
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 916
Bearbeiter: Karsten Gaede