HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 338
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 532/06, Beschluss v. 24.01.2007, HRRS 2007 Nr. 338
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 25. Juli 2006 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 9. November 2005 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 23. November 2006 dargelegten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Anordnung, den Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, hat keinen Bestand, weil die Voraussetzungen des § 63 StGB im angefochtenen Urteil nicht hinlänglich dargelegt sind.
1. Der Angeklagte ist in der Vergangenheit achtmal strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er wurde u. a. zweimal wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu Geldstrafen verurteilt. In einem Fall hatte er einen Mann in einem Kaufhaus ohne rechtfertigenden Grund in den Arm gebissen, im anderen Fall einer Kontrolleurin, die ihm eine Fahrpreisnacherhebung aushändigen wollte, das Handgelenk verdreht. Einer weiteren Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten lag zugrunde, dass der Angeklagte dem Opfer ohne rechtfertigenden Grund mit einem Kantholz auf den Kopf geschlagen hatte, so dass dieses eine Gehirnerschütterung und ein Halswirbelschleudertrauma erlitt. Ein weiteres Verfahren wegen tätlichen Vorgehens gegen einen Tierarzt, der den Hund des Angeklagten behandelt hatte, ist gegen ihn beim Amtsgericht anhängig. Die einbezogene Freiheitsstrafe von drei Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 9. November 2005 ist wegen Erschleichens von Leistungen verhängt worden. Der Angeklagte war am 2. Juli 2004 mit dem Zug von Chemnitz nach Erfurt gefahren, ohne den Fahrpreis zu entrichten.
Im vorliegenden Verfahren hielt sich der Angeklagte am Tattag, dem 28. April 2005, mit einem Bekannten auf dem Parkplatz vor dem Kaufland in Jena auf und trank Bier. Der dort in seinem Wagen sitzende Geschädigte K. lehnte es ab, seiner Lebensgefährtin den Kofferraum zu öffnen, damit sie ihre Einkäufe einladen könne. Der Angeklagte, der sich ca. fünf Meter entfernt aufhielt, äffte sein Verhalten nach. K. stieg aus seinem Fahrzeug aus und es kam zu gegenseitigen Beleidigungen. Dann setzte sich K. wieder in sein Auto, die linke Tür auf der Fahrerseite stand offen, sein linkes Bein befand sich noch außerhalb des Fahrzeugs. Der Angeklagte trat nun mit voller Wucht gegen die Fahrertür, so dass sie gegen das linke Schienbein des K. prallte. Ob der Angeklagte das Bein gesehen hatte, konnte nicht festgestellt werden. Als K. nun ausstieg, schlug ihm der Angeklagte mindestens einmal ins Gesicht. K. versuchte, den Angeklagten abzuwehren, kam aber beim Rückwärtsgehen zu Fall. Nunmehr trat ihm der Angeklagte mit dem beschuhten Fuß ins Gesicht. Danach ließ er von K. ab.
Das Landgericht hat mit dem Sachverständigen Dr. S. eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Tat bejaht. Nach dem Gutachten des Sachverständigen leidet der Angeklagte an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typus und an einer Alkoholabhängigkeit. Die Alkoholabhängigkeit habe bei der vorgeworfenen Straftat lediglich eine untergeordnete Rolle gespielt, weil der Angeklagte nur leicht alkoholisiert gewesen sei. Jedoch habe die Persönlichkeitsstörung zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit geführt.
Bereits im Kindergarten und im Schulalter sei der Angeklagte durch seine anhaltende Unruhe, seine Konzentrationsstörungen und impulsive Tendenzen aufgefallen, die zunächst unter dem Bild des hyperkinetischen Syndroms zusammengefasst worden seien. Bei sich anschließenden tätlichen Übergriffen seitens des Stiefvaters und wechselnden Heimaufenthalten nach dem 16. Lebensjahr habe sich die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten ausgebildet, der in seiner Jugendzeit bereits mehrere stationäre psychiatrische Behandlungen erlebt habe. In der Zusammenschau könne daher die Diagnose einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typus und damit das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit gestellt werden (UA S. 12). Durch die "Erkrankung" sei die Fähigkeit vorauszuplanen gering und Ausbrüche intensiven Ärgers könnten spontan zu gewalttätigem und explosivem Verhalten führen. Das Ausmaß der gezeigten Aggressivität stehe dann üblicherweise in keinem Verhältnis zu den jeweils findbaren Anlässen und könne bis zu schweren Gewalttätigkeiten gegenüber anderen Personen oder bis zur Zerstörung von Eigentum führen. Die Reaktion des Angeklagten nach dem Wortgefecht, das Übergehen in eine tätliche Auseinandersetzung, sei Ausdruck seiner Persönlichkeitsstörung. Ohne entsprechende psychiatrische Behandlung seien weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten.
2. Die Urteilsausführungen vermögen die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zu tragen. Das Vorliegen eines Zustands, der Grundlage einer Unterbringung nach § 63 StGB sein könnte, ist nicht hinreichend durch Tatsachen belegt.
Nach seinen eigenen Angaben war der Angeklagte zwar viermal stationär in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen worden; der Sachverständige hat die Angaben für glaubhaft gehalten, ohne sie durch Beiziehung der Akten zu verifizieren. Was Anlass dieser stationären Aufenthalte war, wird in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt; ebenso fehlen Feststellungen zu den Erkenntnissen, die während dieser Zeiten anhand fachärztlicher Befunde oder Gutachten über seinen Zustand und seine Entwicklung gewonnen worden sind. Solche Feststellungen waren - insbesondere im Blick auf den einschneidenden Charakter der Maßregel - hier unerlässlich.
Denn die Diagnose "Persönlichkeitsstörung" ist entgegen der Auffassung des Sachverständigen noch nicht gleichbedeutend mit derjenigen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Eine Persönlichkeitsstörung kann auch gegeben sein bei Charaktereigenschaften, die noch dem Normbereich menschlichen Wesens und Verhaltens zugerechnet werden können. Für einen so schwerwiegenden Eingriff, wie ihn die Anordnung der zeitlich nicht befristeten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darstellt, kann die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung stets nur unter engen Voraussetzungen und nur dann genügen, wenn feststeht, dass der Täter auf Grund dieser Störung aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat. Für eine solche Annahme bedarf es einer Gesamtschau, ob die Störungen beim Täter in ihrer Gesamtheit sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen. Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung und der Erheblichkeit der darauf beruhenden Verminderung der Schuldfähigkeit ist deshalb maßgebend, ob es auch im Alltag außerhalb der Straftaten zu Einschränkungen des beruflichen oder sozialen Handlungsvermögens gekommen ist. Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens und Verhaltens sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB angesehen werden (vgl. BGH Beschlüsse vom 21. September 2006 - 4 StR 309/06 - und vom 19. Juli 2006 - 2 StR 210/06; BGH NStZ 2006, 154 jeweils m.w.N.).
Die bisher vom Landgericht getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, die Schwere der Persönlichkeitsstörung zu belegen, zumal der Sachverständige selbst ausgeführt hat, dass sich Stabilisierungen abgezeichnet hätten, wenn der Angeklagte unter kontinuierlicher psychologischer Betreuung gestanden habe, etwa in einem Heim der Caritas und zu der Zeit, als ihm ein Betreuer bestellt worden war. Aus der Tatsituation ergibt sich ein quasi "zwanghaftes" Verhalten nicht, es ist vielmehr normalpsychologisch erklärbar, dass einem Wortgefecht mit gegenseitigen Beleidigungen Tätlichkeiten folgen. Selbst wenn die psychischen Auffälligkeiten des Angeklagten in der Tatsituation zu einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit geführt haben, ist dadurch kein dauerhafter, die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigender Zustand begründet.
Über die Maßregelanordnung ist daher neu zu entscheiden. Bei der gegebenen Sachlage ist auszuschließen, dass beim Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat die Voraussetzungen des § 20 StGB vorlagen. Der Schuldspruch kann deshalb bestehen bleiben. Dies gilt auch für den Strafausspruch, da der Angeklagte durch die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB bei der Strafzumessung nicht beschwert ist.
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 338
Bearbeiter: Ulf Buermeyer