Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 475/95, Urteil v. 23.11.1995, HRRS-Datenbank, Rn. X
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 17. Februar 1995 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerinnen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags und wegen zweier tateinheitlich begangener Versuche des Mordes in Tateinheit mit versuchter schwerer Brandstiftung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die auf den Vorwurf versuchten Mordes und versuchter schwerer Brandstiftung sowie den Ausspruch über die Gesamtstrafe beschränkte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
Nachdem der Angeklagte seinen Bekannten Horst W. erstochen hatte, beschloß er, die Tatspuren dadurch zu verdecken, daß er das Haus in Brand setzte, wissend, daß in den oberen Stockwerken zwei Frauen wohnten und zu dieser Nachtzeit vermutlich schliefen, die durch den Brand getötet werden könnten. Diesen Erfolg nahm er billigend in Kauf; die Beseitigung der Spuren durch das Feuer war ihm wichtiger. In der Wohnung brannte es stark, doch griff das Feuer nicht auf das sonstige Gebäude über, sondern erlosch vorher mangels Sauerstoffs.
Das Landgericht hat versuchte schwere Brandstiftung und versuchten Verdeckungsmord angenommen. Andere Mordmerkmale hat es nicht geprüft.
Keinen Bedenken unterliegt, daß das Landgericht zu der Feststellung gelangte, das vom Angeklagten gelegte Feuer hätte bei genügender Sauerstoffzufuhr das Gebäude ergriffen, und der Angeklagte habe dies erkannt und gewollt. Zwar ist die Bauart des Hauses nicht geschildert, doch stellt das hier keinen Rechtsfehler dar, zumal die Wahrscheinlichkeit der Brandausbreitung über das Kellergeschoß hinaus in der Hauptverhandlung offenbar von niemandem bezweifelt worden war, nachdem ein Polizeibeamter sich über die Brandstelle geäußert und die Verhältnisse an Hand von Lichtbildern erläutert hatte.
Zu prüfen ist jedoch, ob das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht vorlag.
In der Rechtsprechung ist einerseits anerkannt, daß auch der mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter Verdeckungsabsicht haben kann (BGHSt 15, 291; BGH GA 1962, 143; BGH, Urt. vom 24. Oktober 1978 - 1 StR 404/78), ist aber andererseits schon entschieden worden, Mittel der Verdeckung müsse gerade der Tod des anderen sein. Wenn der Tod nur die Folge, die Begleiterscheinung der Verdeckungshandlung darstelle, liege Verdeckungsabsicht im Sinne von § 211 StGB nicht vor (BGHSt 7, 287; ebenso - zur Ermöglichungsabsicht - BGH bei Holtz MDR 1980, 629). Allen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Verdeckungsabsicht ist gemeinsam, daß die Tötungshandlung sich jeweils gegen einen potentiellen Entdecker richtete, sei es den durch die vorhergehende Straftat Geschädigten, sei es einen sonstigen Tatzeugen, sei es eine die (weitere) Flucht des Täters behindernde Person, etwa einen Polizeibeamten. Ein Fall der vorliegenden Art, bei dem die zur Verdeckung vorgenommene Handlung (hier die Brandstiftung) Personen gefährdet, von denen Entdeckung nicht zu befürchten ist, findet sich in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht.
Der Senat beurteilt die vorliegende Tat als (versuchten) Verdeckungsmord.
Wie zu entscheiden ist, richtet sich nach der Auslegung der tatbestandlichen Beschreibung "um eine andere Straftat ... zu verdecken, einen Menschen tötet". Es kommt darauf an, ob "tötet" in diesem Zusammenhang nur den Tötungserfolg (hinsichtlich eines bestimmten Menschen, der sonst zum Entdecker werden könnte) meint oder sich auf die Tötungshandlung allgemein bezieht dergestalt, daß auch jeder sonst durch diese Handlung (vorsätzlich) getötete Mensch darunter fallen kann, mag von ihm auch keine Entdeckungsgefahr ausgehen.
Das Tatbestandsmerkmal "Wer einen Menschen tötet" findet sich gleichlautend in § 211 und § 212 StGB. Es umfaßt die vorsätzliche (täterschaftliche) Herbeiführung des Todes eines (beliebigen) Menschen, auch mit bedingtem Vorsatz. Wenn der Täter die hierzu erforderlichen Voraussetzungen erfüllt hat, ist bei der weiteren Prüfung davon auszugehen, daß und in welcher Form dieses Tatbestandsmerkmal vorliegt. Die weitere Erörterung beschränkt sich darauf, welches Motiv den Täter bei seinem als "Tötung eines Menschen" eingestuften Handeln bestimmt hat. Hat er gehandelt, um eine andere Straftat zu verdecken, so ist er Mörder, gleichviel, wer das Opfer war. Mittel der Verdeckung ist der vom Täter in Gang gesetzte Ursachenverlauf, der dazu dienen soll, die vorangegangene Straftat nicht offenbar werden zu lassen, und der zugleich (vorsätzlich) zum Tod eines Menschen führt.
Dieses aus dem Gesetzestext abgeleitete Ergebnis, das die (zum Erfolg führende) Tötungshandlung für maßgeblich erachtet (ebenso BGHSt 39, 159 zur Ermöglichungsabsicht; vgl. ferner Geilen in FS für Lackner S. 571, 583 f.; Graul JR 1993, 510; Lackner, StGB 21. Aufl. § 211 Rdn. 15; Friedrich Christian Schroeder JuS 1994, 295), wäre nur dann in Frage zu ziehen, wenn Bedenken entgegenstünden, denen höhere Bedeutung zukommt.
In BGHSt 7, 287, 289 und BGH bei Holtz MDR 1980, 629 (zur Absicht der Ermöglichung) wird zwar die Auffassung vertreten, das Gesetz erblicke den Grund für die erhöhte Strafdrohung des Mordes bei den Merkmalen der Verdeckung und der Ermöglichung gerade darin, daß der Täter das Leben eines Menschen so gering achtet, daß er seine Vernichtung als Mittel zur Verdeckung (zur Ermöglichung) einsetzt. Die hierin zu erblickende besondere Verwerflichkeit liege nicht vor, wenn der Tod des anderen nur die Folge, die Begleiterscheinung des Verdeckungs-(Ermöglichungs-)Handelns sei (BGH aaO).
Doch wird diese Auffassung in beiden Entscheidungen nicht weiter begründet. Nähere Überlegung zeigt, daß die besondere Verwerflichkeit, wie sie darin liegt, einen bestimmten Verfolger oder möglichen Entdecker (bedingt) vorsätzlich zu töten, um eine Straftat zu verdecken, nicht minder dann zu bejahen ist, wenn (sogar) gänzlich Unbeteiligte, von denen Entdeckung nicht zu befürchten ist, um der Verdeckung willen (bedingt) vorsätzlich ums Leben gebracht werden. Die Gesetzesfassung jedenfalls zwingt nicht zu der in den beiden genannten Entscheidungen für richtig erachteten Auslegung, legt sie nicht einmal nahe.
Tatsächlich berührt sich die in BGHSt 7, 287, 290 aufgeworfene Frage nach der "besonderen Verwerflichkeit", die "den Begehungsformen des Mordes insgesamt eigen ist" (BGH aaO S. 291), mit der im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung, Mord liege nicht schon vor, wenn ein Mordmerkmal objektiv und subjektiv erfüllt ist; vielmehr müsse die Tat zusätzlich "besonders verwerflich" sein (Lehre von der Typen- oder Tatbestandskorrektur). Doch wird diese Meinung vom Bundesgerichtshof nicht geteilt (BGHSt - jeweils Großer Senat für Strafsachen - 9, 385, 388 f.; 30, 105, 115).
Die in BGHSt 35, 116, 126 dargestellte Überlegung, Verdeckungsmord könne möglicherweise dann entfallen, wenn die Gesamtwürdigung aller Umstände im konkreten Fall nicht (auch) niedrige Beweggründe ergebe, ist in der Rechtsprechung bislang nicht weiter verfolgt worden. Die Erwägung fußt auf der Gleichwertigkeit aller mordqualifizierenden Motive (so auch BGHSt 22, 12, 14; BGHSt 23, 39, 40: "Verdeckungsabsicht Sonderfall niedriger Beweggründe"; BGH NStZ 1992, 127), die auf diese Weise gegenseitige Kontrollfunktion ausüben könnten. Jedoch hat der Senat in jener Entscheidung selbst auf das Bedenken hingewiesen, die Verdeckungsabsicht verliere auf diese Weise die Bedeutung eines selbständigen Mordmerkmals (BGH aaO S. 127). In der Tat erscheint bedenklich, das nicht näher bestimmte Merkmal der niedrigen Beweggründe, das an andere, benannte Mordqualifikationen anknüpft, seinerseits zur Überprüfung einer benannten Qualifikation - noch dazu aus einer anderen Gruppe - zu benutzen. Die Gesetzesfassung ("sonst aus niedrigen Beweggründen") legt es - umgekehrt - nahe, von den benannten Merkmalen auszugehen und zu prüfen, ob die von ihnen im konkreten Fall nicht erfaßten Beweggründe des Täters auf vergleichbar tiefer Stufe stehen.
Auch andere Gründe, die es verbieten würden, im vorliegenden Fall (versuchten) Verdeckungsmord zu bejahen, sind nicht ersichtlich. Soweit in manchen Entscheidungen auf die "rechtsfeindliche Einstellung", "rechtsfeindliche Absicht", "feindliche Willensrichtung" abgestellt wurde, in der sich der Täter in die zur Vortat führende Situation begeben hatte (BGH, Urt. vom 5. September 1978 - 1 StR 389/78; BGH, Urt. vom 24. Oktober 1978 - 1 StR 404/78; BGH GA 1979, 426; BGHSt 28, 77), ging es um die möglicherweise einschränkende Wirkung sehr engen Zusammenhangs von Vortat und Verdeckungstat (vgl. BGHSt 27, 346; aufgegeben von BGHSt 35, 116). Das spielt hier keine Rolle.
Der Senat weicht mit seiner Auffassung nicht von der Entscheidung eines anderen Senats ab. In BGHSt 7, 287, 290 wurde Verdeckungsmord verneint, weil es dem Angeklagten "nicht unbedingt auf den Tod des Z. ankommen" mußte. Schon in BGHSt 15, 291 ließ jedoch derselbe Senat bedingten Tötungsvorsatz genügen (aaO S. 294: "nahm der Angeklagte den Tod des Beamten als Mittel in Kauf"); das ist ständige Rechtsprechung. Wenn in BGHSt 15, 291 nur von dem "sich ihm auf der Flucht entgegenstellenden Menschen" (aaO S. 295) die Rede ist, so rührt das von der konkreten Fallgestaltung her.
Die Entscheidung BGHSt 15, 291 löste sich auch insoweit von BGHSt 7, 287, als der Senat zwischen dem "tätlichen Angriff" und dem "bloße(n) pflichtwidrigen Unterlassen der Hilfeleistung" unterschied (aaO S. 296). Über die Aussagekraft dieser Unterscheidung läßt sich streiten; doch hat der damals erkennende Senat darauf abgestellt (vgl. Jescheck JZ 1961, 752).
Das Merkmal der "besonderen Verwerflichkeit" schließlich, das die Entscheidung BGHSt 7, 287 wesentlich beeinflußte, wurde wenig später vom Großen Senat für Strafsachen als nicht maßgeblich bezeichnet (BGHSt 9, 385, 388 f.), wobei es keine entscheidende Rolle spielt, ob dieses Merkmal bei § 211 StGB allgemein verlangt oder - wie dies in BGHSt 7, 287 anklingt - bei Auslegung eines einzelnen Mordmerkmals herangezogen wird (vgl. BGHSt - GS - 11, 139, 143).
Eine Abweichung i.S.v. § 132 Abs. 2 GVG kommt hinsichtlich der Entscheidung BGH bei Holtz MDR 1980, 629 nicht in Betracht, weil es sich um ein anderes Mordmerkmal handelt. Zudem hat der erkennende Senat in seiner Entscheidung BGHSt 39, 159 die damals von ihm vertretene Rechtsmeinung nicht aufrechterhalten, sondern ebenfalls auf die Tötungshandlung abgestellt.
Der vorliegende Fall nötigt schließlich nicht zu der Entscheidung, ob bei Verdeckungsmord ebenso wie bei Heimtückemord in außergewöhnlichen Fällen der Strafrahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB anzuwenden sei (vgl. BGHSt 30, 105). Da es sich um Mordversuch handelt, gilt die absolute Strafdrohung lebenslanger Freiheitsstrafe nicht.
Auch im übrigen hat die Prüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Externe Fundstellen: BGHSt 41, 358; NJW 1996, 939; NStZ 1996, 189; StV 1998, 21
Bearbeiter: Rocco Beck