HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 10
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 357/24, Beschluss v. 12.11.2024, HRRS 2025 Nr. 10
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 10. November 2023 aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II. 3. bis II. 77. der Urteilsgründe verurteilt worden ist; die zugehörigen Feststellungen haben jedoch Bestand;
b) im Ausspruch über die Einzelstrafe in Fall II. 2. der Urteilsgründe und im Gesamtstrafausspruch.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verbreitung jugendpornographischer Inhalte (Fall II. 1. der Urteilsgründe), wegen Besitzes kinderpornographischer Inhalte in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Inhalte (Fall II. 2. der Urteilsgründe), wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in 75 Fällen (Fälle II. 3. bis II. 77. der Urteilsgründe), davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes ohne Körperkontakt mit dem Kind (Fall II. 74. der Urteilsgründe), wegen Diebstahls (Fall II. 78. der Urteilsgründe) und wegen vorsätzlicher Körperverletzung (Fall II. 79. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Verurteilung in den Fällen II. 3. bis II. 77. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Daneben unterliegt wegen einer nach Verkündung des Urteils eingetretenen Gesetzesänderung der Einzelstrafausspruch in Fall II. 2. der Urteilsgründe der Aufhebung. Die Sache bedarf insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
1. Die Verurteilung wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (Fälle II. 3. bis II. 77. der Urteilsgründe) wird von den Feststellungen nicht getragen.
Den betreffenden Schuldsprüchen liegt zu Grunde, dass der gemäß § 68 Abs. 1 StGB unter Führungsaufsicht stehende Angeklagte entgegen der ihm nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Nr. 10 StGB erteilten Weisungen, keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren aufzunehmen sowie keinen Alkohol zu konsumieren, an 72 Tagen mit dem elfjährigen Nebenkläger und an zwei weiteren Tagen mit dessen beiden jeweils 14 Jahre alten Halbgeschwistern über das Netzwerk Tiktok sowie den Messengerdienst WhatsApp kommunizierte, ferner dass er bei einer Gelegenheit alkoholische Getränke zu sich nahm. Jedoch lassen die Urteilsgründe nicht mit der gebotenen Klarheit erkennen, ob der Führungsaufsichtsbeschluss einen (eindeutigen) schriftlichen Hinweis darauf enthält, dass ein Verstoß gegen die vorgenannten Weisungen nach § 145a Satz 1 StGB strafbewehrt ist. Der genannte Beschluss wird im Urteil, anders als es sich zumeist dringend empfiehlt, nicht (im Wortlaut) mitgeteilt. Ein solcher unmissverständlicher Hinweis ist jedoch erforderlich, damit der Führungsaufsichtsbeschluss in Ausfüllung des Blankettstraftatbestandes des § 145a Satz 1 StGB die Strafbarkeit eines Weisungsverstoßes begründen kann. Dass eine Weisung strafbewehrt ist, muss in dem Führungsaufsichtsbeschluss unmissverständlich klargestellt sein. Eine Information über die Strafbarkeit von Weisungsverstößen etwa allein im Rahmen einer (mündlichen) Belehrung über die Führungsaufsicht nach § 268a Abs. 3 Satz 2 StPO bzw. §§ 453a, 463 Abs. 1 StPO genügt nicht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 18. September 2024 - 3 StR 250/24 Rn. 4; Urteil vom 2. März 2023 - 4 StR 312/22 Rn. 17; jeweils mwN). Damit kann der Senat nicht abschließend prüfen, ob der genannte Beschluss die Strafbewehrung selbst unmissverständlich klarstellt.
2. Der Einzelstrafausspruch in Fall II. 2. der Urteilsgründe, der hier die Einsatzstrafe bildet, unterliegt wegen einer nachträglichen Gesetzesänderung der Aufhebung.
Das Landgericht ist bei seiner Strafzumessung in Fall II. 2. der Urteilsgründe von dem bisherigen Strafrahmen des § 184b Abs. 3 StGB von einem bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe ausgegangen. Durch das am 28. Juni 2024 in Kraft getretene Gesetz zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 des Strafgesetzbuches - Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte vom 24. Juni 2024 (BGBl. I 2024 Nr. 213) hat der Gesetzgeber die Mindeststrafe in § 184b Abs. 3 StGB von einem Jahr auf drei Monate Freiheitsstrafe reduziert. Nach § 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO ist damit diese für den Angeklagten günstigere Gesetzesfassung anzuwenden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juli 2024 - 5 StR 121/24 Rn. 6; vom 24. Juli 2024 - 1 StR 245/24 Rn. 9; vom 23. Juli 2024 - 6 StR 398/24 Rn. 3; vom 23. Juli 2024 - 6 StR 313/24 Rn. 5; vom 16. Juli 2024 - 2 StR 412/23 Rn. 10 und vom 11. Juli 2024 - 6 StR 298/24 Rn. 4). Angesichts der erheblich abgesenkten Mindeststrafe kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des geänderten Strafrahmens in Fall II. 2. eine niedrigere Strafe verhängt hätte (§ 337 Abs. 1 StPO).
3. In Anbetracht der weitgehenden Aufhebungen hat auch der Gesamtstrafausspruch keinen Bestand.
4. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.
Die Feststellungen sind von dem aufgezeigten Darstellungsmangel und dem Wertungsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den aufrechterhaltenen nicht widersprechen, und geboten, soweit es die aufgezeigten Feststellungsmängel betrifft.
5. Soweit die Aufhebung des Schuldspruchs in Fall II. 74. der Urteilsgründe die Aufhebung der Verurteilung wegen des tateinheitlich verwirklichten Straftatbestands des § 176a Abs. 1 Nr. 3 StGB nach sich zieht, wird das neue Tatgericht zu prüfen haben, ob der Angeklagte am 13. Februar 2023 über die Chatnachrichten zum Thema Analverkehr auf den elfjährigen Nebenkläger in einer Weise einwirkte, die nach Art und Intensität der Demonstration pornographischen Materials vergleichbar war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. November 2017 - 2 StR 415/17 Rn. 9 und vom 12. Juli 1991 - 2 StR 657/90 Rn. 6, BGHR StGB § 176 Abs. 5 Nr. 3 Reden 1; jeweils mwN [zu § 176 Abs. 4 Nr. 4 Variante 4 StGB in der Fassung vom 21. Januar 2015 bzw. § 176 Abs. 5 Nr. 3 StGB in der Fassung vom 10. März 1987
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Bearbeiter: Christoph Henckel