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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1054

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 92/23, Beschluss v. 11.07.2023, HRRS 2023 Nr. 1054


BGH 1 StR 92/23 - Beschluss vom 11. Juli 2023 (LG Traunstein)

Darstellung der tatrichterlichen Beweiswürdigung im Urteil (keine Wiedergabe der Beweisaufnahme).

§ 261 StPO; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Es ist rechtsfehlerhaft, die Beweisaufnahme in den Urteilsgründen zu dokumentieren. Vielmehr hat das Tatgericht die voranzustellenden Einlassungen der Angeklagten zusammen mit den übrigen Ergebnissen der Beweisaufnahme in einer Gesamtschau zu würdigen, sodass das Revisionsgericht die tatgerichtliche Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) nachvollziehen kann.

2. Diese unerlässliche Gesamtwürdigung lässt sich gerade nicht dadurch ersetzen, dass etwa die Aussagen von Zeugen oder Sachverständigen in der Art eines Wortlautprotokolls wiedergegeben oder Urkunden - wie verschriftete Gesprächsaufzeichnungen oder über Mobiltelefone ausgetauschte Nachrichten - in Gänze zitiert werden; auch ist es verfehlt, über die Verteidigung schriftlich eingereichte Einlassungen im Urteil abzuschreiben. Vielmehr hat das Tatgericht den Tatsachenstoff durch Konzentration auf die entscheidenden Gesichtspunkte zu beherrschen und sind die Einlassungen, Aussagen sowie Urkunden ihrem wesentlichen Inhalt nach zu referieren und dann miteinander abzugleichen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 31. August 2022 - auch zugunsten des Mitangeklagten E. - im Ausspruch über die Einziehung dahin geändert, dass gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 71.700 € und gegen den Mitangeklagten E. in Höhe von 236.250 €, jeweils in Gesamtschuldnerschaft, angeordnet wird; die weitergehenden Einziehungen entfallen. Von den notwendigen Auslagen des Angeklagten und den Kosten, die die Einziehung betreffen, hat die Staatskasse ein Fünftel zu tragen; die insoweit angefallene Gerichtsgebühr wird um ein Fünftel ermäßigt.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die weiteren Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen und wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten verurteilt sowie die Maßregel des § 64 StGB verhängt. Zudem hat es gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 86.800 € angeordnet. Von weiteren Vorwürfen hat das Landgericht ihn freigesprochen. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Allein die Einziehungsanordnung (§ 73 Abs. 1 Alternative 1, § 73c Satz 1 StGB) hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht im vollen Umfang stand.

a) Im Fall C. I. 1. der Urteilsgründe ist der eingezogene Betrag von 6.200 € um 3.100 € herabzusetzen (§ 354 Abs. 1 StPO analog). Denn der Angeklagte behielt von der Gesamtmenge des gelieferten Rauschgifts 500 Gramm Marihuana ein, um es für seinen Eigenkonsum einzusetzen. Insoweit vereinnahmten er und der nichtrevidierende Mitangeklagte mithin keinen Kaufpreis, der - allein - der Einziehung des Wertes von Taterträgen unterläge; Eigentümer des Rauschgifts wurden die Angeklagten nicht, sodass § 74c StGB nicht anzuwenden ist (§ 134 BGB; § 74 Abs. 3 StGB; zuletzt BGH, Beschlüsse vom 11. April 2023 - 5 StR 537/22 Rn. 5 und vom 28. Februar 2023 - 5 StR 529/22 Rn. 4; je mwN). Diese Reduzierung des Einziehungsumfangs ist auf den Mitangeklagten zu erstrecken (§ 357 Satz 1 StPO).

b) Im Fall C. II. 1. der Urteilsgründe ist der eingezogene Betrag von 74.400 € um 12.000 € zu mindern, da der Angeklagte über das entsprechende Bargeld keine tatsächliche Verfügungsmacht erlangte. Denn die anderen Bandenmitglieder E., N. und L. teilten in diesem Fall den Gewinn in Höhe von 1.000 € pro Kilogramm unter sich auf (vgl. hierzu nur BGH, Beschlüsse vom 7. Februar 2023 - 3 StR 274/22 Rn. 4 und vom 10. Januar 2023 - 3 StR 343/22 Rn. 5; je mwN), ohne den Angeklagten, der bald darauf die in einer anderen Strafsache verhängte Haft antrat, zu beteiligen (UA S. 23 erster Absatz).

In Höhe von 62.400 € hat die Einziehungsanordnung - wie auch von 6.200 € im Fall C. I. 2. der Urteilsgründe, der ähnlich wie Fall C. I. 1. gelagert ist - Bestand. Auf Weisung des Angeklagten, der als Bandenmitglied und Mittäter den Mitangeklagten L. bei Bezug der 12 Kilogramm Marihuana auf Kommission anleitete, verbrachten die nichtrevidierenden Mitangeklagten E. und N. das aus den Weiterveräußerungen vereinnahmte Bargeld in Höhe von 62.400 € von Oberbayern zum Lieferanten S. nach B. Sie befolgten wie auch im nachfolgenden Fall strikt die Order des Angeklagten; darin äußert sich seine Verfügungsgewalt, die die Einziehung rechtfertigt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. August 2023 - 3 StR 217/22 Rn. 8 und vom 13. Januar 2022 - 1 StR 481/21 Rn. 6-9; eine Verfügungsgewalt des ortsabwesenden Zwischenhehlers, dessen Anweisungen in einer abgekürzten Lieferung gleichwohl umgesetzt werden, nicht erörternd: BGH, Beschluss vom 28. Mai 2022 - 1 StR 19/22 Rn. 8).

2. Zur weitgehend ungeordneten Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil, die sich auf fast 130 einzeilig beschriebene Seiten mit zahlreichen Wiederholungen erstreckt, ist anzumerken:

a) Es ist rechtsfehlerhaft, die Beweisaufnahme in den Urteilsgründen zu dokumentieren. Vielmehr hat das Tatgericht die voranzustellenden Einlassungen der Angeklagten zusammen mit den übrigen Ergebnissen der Beweisaufnahme in einer Gesamtschau zu würdigen, sodass das Revisionsgericht die tatgerichtliche Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) nachvollziehen kann. Diese unerlässliche Gesamtwürdigung lässt sich gerade nicht dadurch ersetzen, dass etwa die Aussagen von Zeugen oder Sachverständigen in der Art eines Wortlautprotokolls wiedergegeben oder Urkunden - wie verschriftete Gesprächsaufzeichnungen oder über Mobiltelefone ausgetauschte Nachrichten - in Gänze zitiert werden; auch ist es verfehlt, über die Verteidigung schriftlich eingereichte Einlassungen im Urteil abzuschreiben. Vielmehr hat das Tatgericht den Tatsachenstoff durch Konzentration auf die entscheidenden Gesichtspunkte zu beherrschen und sind die Einlassungen, Aussagen sowie Urkunden ihrem wesentlichen Inhalt nach zu referieren und dann miteinander abzugleichen (zum Ganzen BGH, Beschlüsse vom 11. April 2023 - 4 StR 497/22 Rn. 7 f.; vom 30. August 2022 - 5 StR 171/22 Rn. 6; vom 25. November 2021 - 4 StR 255/21 unter 2.; vom 30. Mai 2018 - 3 StR 486/17 und vom 9. August 2022 - 6 StR 249/22 Rn. 11; Urteil vom 27. April 2022 - 5 StR 18/22 Rn. 13).

b) Hier sind den Urteilsgründen in ihrem Gesamtzusammenhang die die Feststellungen tragenden Beweiselemente, namentlich die teilgeständigen Einlassungen des Angeklagten, der Mitangeklagten N. und L., das volle Geständnis des Mitangeklagten E., die diese Einlassungen bestätigenden Chatnachrichten und die Aussagen der Paketempfänger, letztendlich noch zu entnehmen. Indes bewegt sich die Beweiswürdigung, die sich an zahlreichen Stellen in unbedeutenden Details zu „verlieren droht“, am Rande der Nachvollziehbarkeit.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1054

Bearbeiter: Christoph Henckel