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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1057

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 136/23, Beschluss v. 13.06.2023, HRRS 2023 Nr. 1057


BGH 1 StR 136/23 - Beschluss vom 13. Juni 2023 (LG Heidelberg)

Schuldunfähigkeit (Bedeutung einer verminderten Einsichtsfähigkeit).

§ 20 StGB; § 21 StGB; § 17 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Eine verminderte Einsichtsfähigkeit des Täters ist erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Unrechtseinsicht zur Folge hat. In diesen Fällen ist § 21 StGB als Sonderregelung des Verbotsirrtums (§ 17 StGB) einschlägig, wenn das Fehlen der Unrechtseinsicht vorwerfbar ist; kann ein solcher Vorwurf nicht erhoben werden, greift § 20 StGB ein. Erkennt der Täter dagegen das Unrecht seiner Tat, handelt er - unbeschadet seiner eingeschränkten Einsichtsfähigkeit - voll schuldhaft. Die bloße Feststellung, die Einsichtsfähigkeit sei bei Tatbegehung sicher erheblich vermindert gewesen, reicht daher nicht.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 21. Dezember 2022 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen mit der Sachrüge geführte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB sind nicht festgestellt:

a) Nach § 63 StGB darf die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten schuldunfähig oder zumindest vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruhte. Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Unrechtseinsicht zur Folge hat. In diesen Fällen ist § 21 StGB als Sonderregelung des Verbotsirrtums (§ 17 StGB) einschlägig, wenn das Fehlen der Unrechtseinsicht vorwerfbar ist; kann ein solcher Vorwurf nicht erhoben werden, greift § 20 StGB ein. Erkennt der Täter dagegen das Unrecht seiner Tat, handelt er - unbeschadet seiner eingeschränkten Einsichtsfähigkeit - voll schuldhaft. Die bloße Feststellung, die Einsichtsfähigkeit sei bei Tatbegehung sicher erheblich vermindert gewesen, reicht daher nicht (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 29. März 2023 - 5 StR 79/23 Rn. 7; vom 28. September 2021 - 5 StR 232/21 Rn. 7; vom 6. August 2019 - 3 StR 46/19 Rn. 12 und vom 30. Juni 2015 - 3 StR 181/15 Rn. 5; je mwN).

b) Dass die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten bei Ausführung der Anlasstat, einer infolge einer überdauernden paranoiden Schizophrenie mit Wahnideen begangenen gefährlichen Körperverletzung zu Lasten einer Pflegerin, aufgehoben war, hat das Landgericht gerade nicht festgestellt (vgl. insbesondere UA S. 11, 17-19). Zur damit entscheidenden Frage, ob dem Beschuldigten infolge der Verminderung seiner Einsichtsfähigkeit die Unrechtseinsicht tatsächlich fehlte, weist das Urteil damit eine Feststellungslücke auf; deren Fehlen „mit einiger Wahrscheinlichkeit“ (UA S. 17) gibt nicht die erforderliche Überzeugung (§ 261 StPO) wieder. Diese gravierende Lücke kann nicht mit dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe geschlossen werden.

c) Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei und bleiben bestehen (§ 353 Abs. 2 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1057

Bearbeiter: Christoph Henckel