HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 9
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 51/22, Beschluss v. 26.07.2022, HRRS 2023 Nr. 9
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 1. November 2021 wird
a) das Verfahren bezüglich der Fälle 1 bis 6 der Urteilsgründe eingestellt; in diesem Umfang fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das vorgenannte Urteil
aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 86 Fällen, davon in vier Fällen in zwei tateinheitlichen Fällen in weiterer Tateinheit mit Betrug und Steuerhinterziehung, in 30 Fällen in Tateinheit mit Betrug und Steuerhinterziehung und in zwölf Fällen in Tateinheit mit Betrug, schuldig ist;
bb) im gesamten Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 80 Fällen, davon in 34 Fällen in Tateinheit mit Betrug und Steuerhinterziehung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt, von denen zwei Monate als vollstreckt gelten. Vom Vorwurf weiterer Taten hat es ihn freigesprochen. Die gegen die Verurteilung mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte von 2011 bis 2013 zunächst Geschäftsführer einer GmbH, anschließend faktischer Geschäftsführer einer anderen GmbH, die beide Bauleistungen, insbesondere Eisenflechterei, erbrachten. Die Meldungen zur gesetzlichen Sozialversicherung und zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft (SOKA-Bau) sowie die Lohnsteueranmeldungen ließ der Angeklagte im Zeitraum von Januar 2011 bis Juli 2019 durch eine Steuerberatungsgesellschaft abgeben, der er monatlich Unterlagen für die Lohnabrechnungen übermittelte. Dabei legte er nicht offen, dass er tatsächlich mehr Arbeitnehmer beschäftigte und höhere Löhne zahlte, als er in den übermittelten Unterlagen angegeben hatte. Die Monate Februar, März, Juni, Juli, September und Dezember 2011, Januar, Februar und Dezember 2012, Januar, August und September 2013, November 2014 sowie Januar und Mai 2015 sind nicht Gegenstand der Verurteilung. Die Mitarbeiter der Steuerberatungsgesellschaft gaben gutgläubig Meldungen und Anmeldungen aufgrund der übermittelten Unterlagen ab. Nach den Berechnungen des Landgerichts ersparte der Angeklagte den beiden Gesellschaften insgesamt das Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von fast 725.000 €, von Lohnsteuer nebst Solidaritätszuschlag in Höhe von fast 89.000 € und von Beiträgen zur SOKA-Bau in Höhe von fast 123.000 €.
b) Da nähere Feststellungen zu der tatsächlichen Anzahl der Arbeitnehmer und der tatsächlichen Höhe der Löhne nicht möglich waren, hat das Landgericht die Lohnsumme anhand der Ausgangsumsätze und einer branchenüblichen Lohnquote geschätzt. Für Zeiträume bis einschließlich September 2015 hat es den Angeklagten jeweils nur wegen monatlichen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gegenüber der Einzugsstelle (§ 266a StGB) verurteilt. Für das vierte Quartal 2015, alle vier Quartale 2016 und das erste Quartal 2017 gab die Steuerberatungsgesellschaft für die GmbH zur gesetzlichen Sozialversicherung und zur SOKA-Bau monatliche Meldungen sowie vierteljährliche Lohnsteueranmeldungen ab. Das Landgericht hat insoweit für jedes Quartal die drei monatlichen Übermittlungen der Lohnabrechnungen als einheitlichen Fall des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gegenüber der Einzugsstelle (§ 266a Abs. 1, 2 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit Betrug (§ 263 Abs. 1 StGB) gegenüber der SOKA-Bau und mit Hinterziehung von Lohnsteuer (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Halbsatz 2, § 150 Abs. 1 Satz 3, § 168 Satz 1 AO, § 41a EStG) gewertet. Ab April 2017 bis Juli 2019 gab die Steuerberatungsgesellschaft für die GmbH auch die Lohnsteueranmeldungen monatlich ab. Das Landgericht ist insofern davon ausgegangen, dass jede monatliche Übermittlung der Lohnunterlagen als Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in Tateinheit mit Betrug und Steuerhinterziehung strafbar sei. Die unrichtigen Jahresmeldungen gegenüber der Berufsgenossenschaft für die Jahre 2015 bis 2018 hat es als vier weitere selbständige Taten des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) gewürdigt.
2. Auf Antrag des Generalbundesanwalts stellt der Senat das Verfahren betreffend das Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a Abs. 1, 2 Nr. 1 StGB) in den ersten sechs Fällen für die Monate Januar, April, Mai, August, Oktober und November 2011 ein; damit wird den vom Generalbundesanwalt aufgezeigten Mängeln in der Schätzung und damit in der Ermittlung der Bemessungsgrundlagen Rechnung getragen.
3. In dem nach der Teileinstellung verbleibenden Umfang führt die Revision zu einer Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
a) Der Schuldspruch ist abzuändern, weil das Landgericht das Konkurrenzverhältnis der als solchen rechtsfehlerfrei festgestellten und abgeurteilten Einzeltaten fehlerhaft beurteilt hat. Da es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt, kann der Senat den Schuldspruch selbst ändern (§ 354 Abs. 1 StPO entsprechend). § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
aa) Die Beurteilung der Konkurrenzen (§§ 52, 53 StGB) richtet sich auch für den mittelbaren Täter nach dessen Tatbeitrag, unabhängig von der Anzahl der Handlungen, die ihm zuzurechnen sind. Hat ein mittelbarer Täter, der an der unmittelbaren Ausführung der Taten nicht beteiligt ist, seinen alle Einzeldelikte fördernden Tatbeitrag bereits im Vorfeld erbracht, werden ihm die Handlungen des Tatmittlers als tateinheitlich begangen zugerechnet, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ob beim Tatmittler Tateinheit oder Tatmehrheit anzunehmen wäre, ist demgegenüber ohne Belang (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 16. September 2020 - 1 StR 275/20 Rn. 13 und vom 5. März 2020 - 1 StR 530/19, BGHR AO § 370 Abs. 1 Konkurrenzen 28 Rn. 6; je mwN). Überschneiden sich Vorbereitungshandlungen, die der Ausführung anderer Taten dienen, begründet solches hingegen keine Tateinheit über Teilidentität von Ausführungshandlungen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 1985 - 1 StR 583/84, BGHSt 33, 163, 165 f.; Urteile vom 3. Juli 2019 - 2 StR 67/19 Rn. 14 und vom 11. September 1984 - 1 StR 408/84).
bb) Nach diesen Grundsätzen hat das Landgericht zwar zurecht grundsätzlich nicht auf die von den Mitarbeitern der Steuerberatungsgesellschaft als Tatmittler abgegebenen Meldungen gegenüber der Einzugstelle, der SOKA-Bau, dem Finanzamt und der Berufsgenossenschaft abgestellt, sondern auf die Abgabe der fehlerhaften Unterlagen, die der Angeklagte als mittelbarer Täter der Steuerberatungsgesellschaft übermittelte. Hinsichtlich der vierteljährlich abzugebenden Lohnsteueranmeldungen und der jährlich abzugebenden Meldungen an die Berufsgenossenschaft war maßgeblicher Tatbeitrag aber nur die Übermittlung der Unterlagen für den jeweils letzten Monat des Bezugszeitraums, da erst diese die Steuerberatungsgesellschaft in die Lage versetzte, die Meldungen abzugeben. Die Übermittlung der Unterlagen für die früheren Monate war hingegen als Vorbereitungshandlung für die konkurrenzrechtliche Beurteilung unerheblich; die sechsfache quartalsweise Abgabe der Lohnsteueranmeldungen kann mithin die jeweiligen drei relevanten Tathandlungen gegenüber der Einzugsstelle bzw. der SOKA-Bau nicht miteinander zur Tateinheit verbinden. Der Umstand, dass in die vierteljährlich oder jährlich abzugebenen Meldungen alle Unterlagen einflossen, die der Angeklagte für den gesamten Bezugszeitraum übermittelt hatte, ist daher für die konkurrenzrechtliche Beurteilung insoweit unerheblich. Dementsprechend ist die Übermittlung der Unterlagen für Dezember 2015, Dezember 2016, Dezember 2017 und Dezember 2018 jeweils strafbar als Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in zwei tateinheitlichen Fällen (gegenüber der Einzugsstelle und gegenüber der Berufsgenossenschaft) in weiterer Tateinheit mit Betrug und Steuerhinterziehung, die Übermittlung der Unterlagen für die Monate März, Juni und September 2016, März bis November 2017, Januar bis November 2018 und Januar bis Juli 2019 jeweils als Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (gegenüber der Einzugsstelle) in Tateinheit mit Betrug und Steuerhinterziehung sowie die Übermittlung der Unterlagen für die Monate Oktober und November 2015, Januar, Februar, April, Mai, Juli, August, Oktober und November 2016 und Januar und Februar 2017 jeweils als Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in Tateinheit mit Betrug, die Übermittlung der Unterlagen für Monate bis einschließlich September 2015 - nach der Teileinstellung noch 36 Fälle - jeweils nur als Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt.
b) Aufgrund der fehlerhaften konkurrenzrechtlichen Beurteilung ist der Strafausspruch insgesamt aufzuheben. Das Landgericht hat der Einsatzstrafe (Fall 48 der Urteilsgründe: erstes Quartal 2017) einen zu großen Schuldumfang zugrunde gelegt; mit den Strafen für die Fälle 43 bis 47 der Urteilsgründe (letztes Quartal Oktober 2015 und die vier Quartale aus 2016) sind weitere vergleichsweise bedeutende Einzelstrafen ebenfalls von dem Rechtsfehler betroffen. Die Aufhebung dieser sechs Einzelstrafen bedingt die Aufhebung aller Strafen, um dem neuen Tatgericht eine in sich stimmige Strafzumessung zu ermöglichen. Die zugrundeliegenden Feststellungen sind von der geänderten konkurrenzrechtlichen Beurteilung nicht betroffen und bleiben bestehen (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können im zweiten Rechtsgang um solche ergänzt werden, die ihnen nicht widersprechen.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 9
Bearbeiter: Christoph Henckel