HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1194
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 229/22, Beschluss v. 07.09.2022, HRRS 2022 Nr. 1194
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 22. März 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 31 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision und rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Revision hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Angeklagte betrieb als Einzelunternehmer ein Taxigewerbe und war Alleingesellschafter-Geschäftsführer der F. Taxi GmbH und der M. Taxi GmbH, die ebenfalls Taxis betrieben. Zudem betrieb er als Einzelunternehmer eine EDV-Beratung, die für alle drei Taxiunternehmen tätig war. In den Jahren 2010 bis 2017 erzielten die Taxiunternehmen in erheblichem Umfang in der Buchhaltung nicht erfasste Einkünfte. Der Angeklagte berücksichtigte diese Einkünfte auch nicht in den Einkommen-, Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen, so dass die jeweiligen Steuern zu niedrig festgesetzt wurden. Davon hat sich das Landgericht anhand der Einlassung des Angeklagten und der Zeugenaussage einer Finanzbeamtin überzeugt. Der Angeklagte habe ein vollumfängliches Geständnis abgelegt. Zur Höhe der Einkünfte und Umsätze hat das Landgericht eine Schätzung der Finanzbehörden übernommen und dabei nicht die jeweiligen Betriebsvermögen oder Betriebseinnahmen und -ausgaben angegeben, sondern unmittelbar die sich seiner Auffassung nach daraus ergebenden Einkünfte.
2. In rechtlicher Hinsicht ging das Landgericht davon aus, umsatzsteuerlich habe eine Organschaft mit der EDV-Beratung als Organträgerin und den drei Taxibetrieben als Organgesellschaften bestanden. Die Auskehrung der unversteuerten Gewinne der GmbHs an den Angeklagten behandelte es als verdeckte Gewinnausschüttungen, die dem gesonderten Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen unterlagen.
Der Schuldspruch hält bereits sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Senat muss daher über die Verfahrensrügen nicht mehr entscheiden.
1. Die Verurteilung hat schon deswegen insgesamt keinen Bestand, weil das Urteil nicht den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO genügt; es fehlt zu allen abgeurteilten Taten an tragfähigen Feststellungen des Landgerichts als Grundlage für den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch.
a) Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen, also das Tatgeschehen, mitteilen, in dem die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Nur dann kann das Revisionsgericht auf die Sachrüge prüfen, ob bei der rechtlichen Würdigung eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (§ 337 StPO).
aa) Die Strafvorschrift der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) wird materiellrechtlich durch die im Einzelfall anzuwendenden steuerrechtlichen Vorschriften ausgefüllt, aus denen sich ergibt, welches steuerlich erhebliche Verhalten im Rahmen der jeweiligen Abgabenart zu einer Steuerverkürzung geführt hat. Auch hierzu bedarf es ausreichender tatsächlicher Feststellungen, die eine Nachprüfung durch das Revisionsgericht ermöglichen. Dazu gehören insbesondere diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen deshalb die Urteilsgründe bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung regelmäßig nicht nur die Summe der jeweils verkürzten Steuern, sondern für jede Steuerart und jeden Steuerabschnitt gesondert die Berechnung der verkürzten Steuern im Einzelnen angeben (z.B. BGH, Beschluss vom 21. Mai 2019 - 1 StR 159/19 Rn. 8 mwN).
bb) Im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung zulässig, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, das Ausmaß der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2014 - 1 StR 561/13 Rn. 19; vom 20. Dezember 2016 - 1 StR 505/16 Rn. 14; vom 29. August 2018 - 1 StR 374/18 Rn. 7; vom 5. September 2019 - 1 StR 12/19 Rn. 26 und vom 11. März 2021 - 1 StR 521/20 Rn. 11; jeweils mwN). Bei der Wahl der Schätzungsmethode hat das Tatgericht einen Beurteilungsspielraum; es muss jedoch nachvollziehbar darlegen, warum es sich der gewählten Schätzungsmethode bedient hat und weshalb diese im konkreten Fall für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen geeignet ist (st. Rspr.; z.B. BGH, Beschlüsse vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, BGHR AO § 370 Abs. 1 Steuerschätzung 4 Rn. 12 ff.; vom 14. Juni 2011 - 1 StR 90/11 Rn. 10; vom 8. August 2019 - 1 StR 87/19 Rn. 7 und vom 5. September 2019 - 1 StR 12/19 Rn. 26 f.; jeweils mwN). Bei seiner Überzeugungsbildung hat das Tatgericht die vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze (§ 261 StPO) zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 - 1 StR 176/17 Rn. 6). Die Schätzungsgrundlagen sind in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar mitzuteilen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, BGHR AO § 370 Abs. 1 Steuerschätzung 4 Rn. 12 und vom 24. Mai 2017 - 1 StR 176/17 Rn. 6; zum Ganzen BGH, Beschluss vom 10. Februar 2022 - 1 StR 484/21 Rn. 5).
cc) Eine Berechnungsdarstellung ist nur dann ausnahmsweise insgesamt entbehrlich, wenn ein sachkundiger Angeklagter, der zur Berechnung der hinterzogenen Steuern in der Lage ist, ein Geständnis abgelegt hat (st. Rspr.; z.B. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 - 1 StR 176/17 Rn. 6 mwN).
b) Das angefochtene Urteil wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
aa) Das Landgericht hat die Besteuerungsgrundlagen ausdrücklich „im Schätzwege“ ermittelt (UA S. 19), dabei aber weder die Schätzungsgrundlagen noch die Schätzungsmethode angegeben. Zwar hat es im Rahmen seiner Feststellungen den Gang der Ermittlungen (UA S. 6) beschrieben und dabei von an die Fahrleistungen der einzelnen Fahrzeuge anknüpfenden Erwägungen der Finanzbehörden und von sichergestellten Aufzeichnungen und Auswertungen des Angeklagten berichtet. Es bleibt aber offen, inwiefern die vom Landgericht übernommene Schätzung der Finanzbehörden von den ermittelten Fahrleistungen oder ganz oder teilweise von anderen Anhaltspunkten ausgeht und wie die Finanzbehörden und ihnen folgend das Landgericht daraus auf die Besteuerungsgrundlagen schlossen. Bei der Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer kann der Senat die Rechtsanwendung auch deswegen nicht überprüfen, weil das Landgericht lediglich die Einkünfte und Gewinne mitgeteilt hat, nicht aber die dafür erforderlichen Berechnungen und deren Grundlagen, insbesondere die jeweiligen Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres (§ 4 Abs. 1 EStG, auch in Verbindung mit § 5 Abs. 1 EStG, § 7 GewStG, § 8 Abs. 1 KStG) und die Betriebseinnahmen und -ausgaben (§ 4 Abs. 3 EStG, auch in Verbindung mit § 7 GewStG). Die Bezugnahme auf die dem Urteil beigefügten Anlagen hilft insoweit nicht weiter, weil die Anlagen ebenso wenig eine nachvollziehbare Berechnung der Gewinne enthalten.
bb) Die Berechnungsdarstellung war nicht deswegen entbehrlich, weil der Angeklagte ein Geständnis abgelegt hatte. Daher kann dahingestellt bleiben, ob der Angeklagte im vorgenannten Sinne sachkundig ist, obwohl er weder sein Studium noch eine Berufsausbildung erfolgreich abschloss.
(1) Zwar hat das Landgericht die Einlassung des Angeklagten als Geständnis gewertet (UA S. 16). Nach dem im Urteil wiedergegebenen Inhalt der Einlassung, gestand der Angeklagte aber allenfalls die Höhe der Betriebseinnahmen und Ausgangsumsätze, während er hinsichtlich der Betriebsausgaben geltend machte, „dass vorhandene Bareinnahmen an die Fahrer weitergegeben worden seien (…) es sei nicht so gewesen, dass er die Gelder überwiegend für den privaten Lebenskonsum verwendet hätte“ (UA S. 17). Diesen Vorbehalt des Angeklagten hat das Landgericht selbst erkannt und ausgeführt, dass es den Vorbehalt für unsubstantiiert und daher unbeachtlich hält (UA S. 19).
(2) Damit ergibt sich schon aus dem Urteil selbst, dass der Angeklagte - entgegen der Auffassung des Landgerichts - substantiiert höhere als die im Anklagevorwurf zugrunde gelegten Betriebsausgaben behauptet hat, indem er dem Grunde nach Schwarzlöhne geltend gemacht hat, die der Höhe nach mindestens die Hälfte der nicht erfassten Bareinnahmen ausgemacht hätten.
c) Der Fehler zieht die Aufhebung des Schuldspruchs und der gesamten Feststellungen nach sich. Nachdem das Landgericht nur das Ergebnis seiner Gewinnermittlung mitgeteilt hat, war es nicht möglich, die Aufhebung auf Feststellungen zu Betriebsausgaben zu beschränken und Feststellungen zu Betriebseinnahmen aufrechtzuerhalten.
2. Die Verurteilung wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer kann auch aus anderen Gründen keinen Bestand haben. Der Senat muss daher nicht entscheiden, ob sie von den genannten Darstellungsmängeln nicht berührt ist, weil höhere Schwarzlöhne sich umsatzsteuerrechtlich nicht auswirken können.
a) Für die Umsatzsteuer 2014 und 2016 ergibt sich aus dem Urteil nicht, ob die Tat vollendet wurde, weil nicht erkennbar ist, ob es überhaupt zu einer Steuerverkürzung (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO) kam. Der Angeklagte ermittelte insoweit jeweils eine negative Umsatzsteuer und das Urteil behauptet lediglich, die Steuererklärung habe einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichgestanden (§ 168 „Abs. 1“ - gemeint wohl Satz 1 - AO), teilt aber nicht mit, ob und wann das Finanzamt ihr zustimmte (§ 168 Satz 2 AO; vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2021 - 1 StR 362/21 Rn. 7 mwN).
b) Zudem belegen die Feststellungen weder die vom Landgericht angenommene, das Taxi-Einzelunternehmen und die GmbHs einschließende umsatzsteuerrechtliche Organschaft noch zumindest einen Mindestschuldumfang, wenn keine Organschaft vorliegt.
aa) Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft; § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG).
(1) Der Angeklagte war zwar Alleingesellschafter-Geschäftsführer beider GmbHs, die daher finanziell und organisatorisch (vgl. BFH, Urteil vom 27. November 2019 - XI R 35/17, BFHE 267, 542, BStBl II 2021, 252 Rn. 36, 38 mwN) in sein aus EDV-Beratung und Taxibetrieb bestehendes Einzelunternehmen eingegliedert waren. Umsatzsteuerrechtlich bildeten alle einzelunternehmerischen Aktivitäten des Angeklagten ein einheitliches Unternehmen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UStG), auch wenn gewerbesteuerrechtlich mehrere Betriebe vorlagen.
(2) Der Senat kann anhand der bisherigen Feststellungen aber nicht entscheiden, ob die GmbHs auch wirtschaftlich eingegliedert waren. Die wirtschaftliche Eingliederung kann auf entgeltlichen Leistungen des Mehrheitsgesellschafters (Organträger) gegenüber seiner Tochtergesellschaft (Organgesellschaft) beruhen, wenn diesen für das Unternehmen der Organgesellschaft mehr als nur unwesentliche (geringfügige) Bedeutung zukommt (BFH, Urteil vom 13. November 2019 - V R 30/18, BFHE 267, 171, BStBl. II 2021, 248, Rn. 16). Das Landgericht hat nicht festgestellt, ob der Angeklagte die EDV-Dienstleistungen für die GmbHs entgeltlich erbrachte und welche Bedeutung diesen oder etwaigen weiteren entgeltlichen Leistungen des Angeklagten als Einzelunternehmer für die GmbHs zukam.
(3) Da schon die Voraussetzungen einer Organschaft nicht feststehen, hat der Senat nicht zu entscheiden, ob die Rechtsfolgen einer Organschaft nach nationalem Recht den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechen (vgl. BFH, Beschlüsse vom 11. Dezember 2019 - XI R 16/18, BFHE 268, 240 und vom 7. Mai 2020 - V R 40/19, BFHE 270, 166; Az. des EuGH C-141/20 und C-269/20).
bb) Läge keine Organschaft vor, wären dem Angeklagten gleichwohl die in den ursprünglichen Steuererklärungen nicht erfassten Taxi-Umsätze des Einzelunternehmens zuzurechnen. Da das Urteil die übrigen Besteuerungsgrundlagen des Einzelunternehmens aber nicht gesondert ausweist, kann der Senat nicht erkennen, ob sich für das Einzelunternehmen zwar unter Berücksichtigung der ursprünglich nicht erfassten Umsätze, aber ohne die GmbHs eine höhere als die erklärte Steuer ergäbe.
3. Sollte der neue Tatrichter abermals davon ausgehen, dass für die Gewerbesteuer des Taxi-Einzelunternehmens die Gemeinde T. hebeberechtigt ist, wird er der Berechnung der verkürzten Steuer insoweit den jeweiligen Hebesatz der Gemeinde T., nicht - wie im angefochtenen Urteil - den Hebesatz der Stadt W. zugrunde zu legen haben.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1194
Bearbeiter: Christoph Henckel