HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 789
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 521/20, Beschluss v. 11.03.2021, HRRS 2021 Nr. 789
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 26. Mai 2020 dahingehend abgeändert, dass
a) die im Fall 8 der Urteilsgründe verhängte Einzelfreiheitsstrafe auf zehn Monate herabgesetzt wird,
b) die Einziehung eines Betrages von 825.592,54 Euro angeordnet wird; die darüber hinausgehende Einziehungsanordnung entfällt.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 15 Fällen, wobei es in drei Fällen beim Versuch blieb, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Daneben hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 851.763,31 Euro angeordnet. Im Übrigen hat das Landgericht das Verfahren wegen Verjährung eingestellt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Angeklagte betrieb in K. zwei Asia-Imbisse, deren Gewinn er durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte. Spätestens seit dem Jahr 2007 ließ er nicht mehr alle Einnahmen der Imbissbetriebe in den jeweiligen Jahresabschluss einfließen. Hierzu nutzte der Angeklagte Registrierkassen, die durch verschiedene Voreinstellungen so programmiert waren, dass es ihm möglich war, nicht sämtliche Umsätze auf den Tagesendsummenbons (sog. Z-Bons) auszuweisen. Hierzu diente neben der Nutzung des „Trainer-Modus“, während dessen Nutzung die eingegebenen Buchungsvorgänge grundsätzlich nicht erfasst wurden, auch die Nutzung der Rückgabe- und der Stornofunktion, deren Betätigung später nicht auf den Z-Bons ersichtlich war. Infolgedessen wiesen die Jahresabschlüsse für die Jahre 2007 bis 2012 um zwischen 122.743 Euro und 534.084 Euro zu niedrige Gewinne aus.
Mit dem Ziel, Steuern zu verkürzen, gab der Angeklagte bei den Finanzbehörden für die Jahre 2008 bis 2012 Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuererklärungen ab, in denen er jeweils zu geringe Umsätze bzw. Gewinne angab.
Die hierauf für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2011 ergangenen Einkommen- und Gewerbesteuerbescheide waren aufgrund der unrichtigen Angaben zu niedrig. Überschüsse, die sich aufgrund der Umsatzsteuerjahreserklärungen zum Teil ergaben, zahlte die Finanzbehörde an den Angeklagten aus. Für das Jahr 2012 ergingen keine auf die Angaben des Angeklagten gestützten Steuerbescheide mehr. Das Landgericht hat deshalb die Abgabe der sich auf diesen Besteuerungszeitraum beziehenden Steuererklärungen jeweils - auch in Bezug auf die Umsatzsteuer - lediglich als versuchte Steuerhinterziehung angesehen.
2. Die für die Bestimmung des Hinterziehungsumfangs maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen hat das Landgericht auf der Grundlage einer Schätzung der in den Imbissbetrieben tatsächlich erzielten Einnahmen ermittelt. Hierzu hat es zunächst eine Nachkalkulation der Einnahmen anhand des Wareneinkaufs und der angebotenen Speisen vorgenommen. Dabei hat es den Wareneinsatz für die Gruppen Getränke, Gerichte mit Fleisch und solche ohne Fleischeinsatz ermittelt und dann für jede der drei Gruppen den jeweiligen Rohgewinnaufschlag bestimmt. Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte in seinen Asia-Imbissen die Gerichte nicht nur „à la carte“ anbot, sondern auch Mittagsmenüs und Sondergerichte mit eigener Preisgestaltung verkaufte, und sich die Verteilung der veräußerten Speisen auf die drei Speiseangebote nur näherungsweise feststellen ließ, hat das Landgericht allerdings davon abgesehen, die Ergebnisse dieser Nachkalkulation den Feststellungen zugrundezulegen. Vielmehr hat es die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen auf die Methode des externen Betriebsvergleichs mittels Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen gestützt, wobei es die Besonderheiten der Imbissbetriebe des Angeklagten berücksichtigt hat. Sodann hat das Landgericht die aufgrund der Nachkalkulation ermittelten Beträge unter Berücksichtigung von deutlichen Sicherheitsabschlägen zur Verifizierung der anhand der Richtsatzsammlung ermittelten Rohgewinnaufschläge herangezogen.
Die Verfahrensrügen haben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg.
Die Verurteilung des Angeklagten hält im Wesentlichen sachlichrechtlicher Nachprüfung stand (§ 349 Abs. 2 StPO). Im Hinblick auf Rechtsfehler bei der Bestimmung des Umfangs der verkürzten Steuern und der vom Angeklagten durch die Steuerstraftaten ersparten Aufwendungen bedürfen allerdings der Strafausspruch im Fall 8 der Urteilsgründe sowie die Einziehungsanordnung der Änderung.
1. Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
a) Zwar hat das Landgericht im Fall 13 der Urteilsgründe die Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2012 statt als vollendete lediglich als versuchte Steuerhinterziehung eingestuft, obwohl ausgehend von den Urteilsfeststellungen diese Steueranmeldung (vgl. § 18 Abs. 3 UStG) gemäß § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Dies beschwert den Angeklagten jedoch nicht.
b) Die den Schuldspruch tragenden Feststellungen werden - auch soweit das Landgericht die Besteuerungsgrundlagen im Wege einer Schätzung ermittelt hat - von einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getragen.
aa) Das Landgericht war zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen berechtigt. Im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung zulässig, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, das Ausmaß der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2014 - 1 StR 561/13 Rn. 19; vom 20. Dezember 2016 - 1 StR 505/16 Rn. 14; vom 29. August 2018 - 1 StR 374/18 Rn. 7; vom 8. August 2019 - 1 StR 87/19 Rn. 7 und vom 5. September 2019 - 1 StR 12/19 Rn. 26; jeweils mwN). So verhält es sich hier. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte die Eingaben in die Registrierkassen der Imbissbetriebe unter Verwendung des „Trainer-Modus“ sowie der Rückgabe- und Stornofunktion so manipuliert hat, dass nicht sämtliche Umsätze auf den Tagesendsummenbons (Z-Bons) aufgezeichnet wurden. Aufgrund der Nutzung entsprechend programmierter Kassen war nachträglich auch nicht feststellbar, welche Umsätze nicht aufgezeichnet oder wieder storniert worden waren. Eine konkrete Berechnung der Besteuerungsgrundlagen war dem Landgericht nicht möglich, weil die vom Angeklagten geführte Buchhaltung auf diesen Z-Bons aufbaute und daher unzutreffend war.
bb) Auch die vom Landgericht herangezogene Schätzungsmethode weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann auch im Steuerstrafverfahren für die Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) auf die für das Besteuerungsverfahren anerkannten Schätzungsmethoden zurückgegriffen werden (vgl. nur BGH, Beschluss vom 29. Januar 2014 - 1 StR 561/13 Rn. 19). Dabei hat der Tatrichter die Methode zu bestimmen, nach der die Schätzung durchgeführt werden kann. Er hat anhand einer Methodenprüfung zu entscheiden, welche Schätzungsmethode er im konkreten Fall für geeignet erachtet, ein Schätzungsergebnis zu erreichen, das der Wirklichkeit am nächsten kommt. Er muss hierbei in den Blick nehmen, dass die Schätzungsmethoden im Steuerrecht und im Steuerstrafrecht einen unterschiedlichen Beweiswert haben können (vgl. Joecks, wistra 1990, 52, 54 sowie Jäger in Festschrift für Thomas Fischer, 2018, S. 371, 383). Dabei darf der Tatrichter der Schätzung nur Tatsachen zugrunde legen, die zu seiner Überzeugung feststehen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2016 - 1 StR 523/15 Rn. 20). Auf bloße Vermutungen kann eine Schätzung nicht gestützt werden.
Ist eine konkrete Berechnung der Umsätze und Gewinne nicht möglich und kommen ausgehend von der vorhandenen Tatsachenbasis andere Schätzungsmethoden nicht in Betracht, darf der Tatrichter die Besteuerungsgrundlagen auch unter Heranziehung der Richtsätze für Rohgewinnaufschläge aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen pauschal schätzen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Mai 2007 - 5 StR 58/07, BGHR AO § 370 Abs. 1 Steuerschätzung 3 Rn. 14; vom 29. Januar 2014 - 1 StR 561/13 Rn. 20 und vom 20. Dezember 2016 - 1 StR 505/16 Rn. 16 sowie Urteil vom 28. Juli 2010 - 1 StR 643/09 Rn. 40). Dabei muss er aber beachten, dass es sich bei der Anwendung der Richtsätze um ein eher grobes Schätzungsverfahren handelt, zumal dem äußeren Betriebsvergleich schon im Allgemeinen ein starkes Unsicherheitsmoment anhaftet, da kaum ein Betrieb dem anderen gleicht (vgl. BFHE 138, 323, 327), und zudem bei der Ermittlung der Richtsätze für steuerliche Zwecke jeweils etwa zehn Prozent der Betriebe mit den im Vergleich zum Durchschnitt höchsten und niedrigsten Gewinnsätzen herausgefiltert werden (BT-Drucks. 19/4238 S. 3; zur Kritik am Aufstellungsverfahren vgl. Weber, StB 2021, 22, 26 und Beyer, NWB 2018, 3232). Deshalb müssen auch bei dieser Schätzungsmethode die festgestellten Umstände des Einzelfalls in den Blick genommen werden (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 1 StR 505/16 Rn. 16). Gerade weil die in der Richtsatzsammlung enthaltenen Rohgewinnaufschlagsätze auf bundesweite Prüfungsergebnisse zurückgehen, muss der Tatrichter bei Anwendung der Richtsatzsammlung für die Schätzung im Strafprozess erkennen lassen, dass er die örtlichen Verhältnisse und - soweit vorhanden - die Besonderheiten des jeweiligen Gewerbebetriebes berücksichtigt hat (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 1 StR 505/16 Rn. 17).
Dies hat zur Folge, dass sich der Tatrichter bei der Beweiswürdigung zum Rohgewinnaufschlagsatz zwar einerseits nicht zugunsten eines Angeklagten an den unteren Werten der in der Richtsatzsammlung genannten Spannen orientieren muss, wenn sich Anhaltspunkte für eine positivere Ertragslage ergeben (BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2014 - 1 StR 561/13 Rn. 20 und vom 20. Dezember 2016 - 1 StR 505/16 Rn. 17 mwN). Soweit Zweifel verbleiben, darf der Tatrichter aber andererseits auch nicht ohne Weiteres einen als wahrscheinlich angesehenen Wert aus der Richtsatzsammlung zugrunde legen, sondern muss einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang feststellen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2016 - 1 StR 523/15 Rn. 20 sowie Klein/Jäger, AO, 15. Aufl., § 370 Rn. 96 mwN).
(2) Diesen Maßstäben genügt die vom Landgericht vorgenommene Schätzung der Besteuerungsgrundlagen. Da zuverlässigere Schätzungsmethoden nicht vorhanden waren, durfte das Landgericht eine pauschale Schätzung der Rohgewinnaufschlagsätze anhand der Richtsatzsammlung vornehmen. Den erforderlichen Bezug zu den örtlichen Gegebenheiten und besonderen Verhältnissen der vom Angeklagten geführten Imbissbetriebe hat das Landgericht dadurch hergestellt, dass es für die einzelnen Warengruppen (Getränke, Gerichte mit Fleisch und solche ohne Fleisch) im Wege einer Nachkalkulation Rohgewinnaufschläge ermittelt und mit den sich unter Heranziehung der Richtsatzsammlung ergebenden Rohgewinnaufschlagsätzen verglichen hat. Zwar konnte das Landgericht die Verteilung der veräußerten Speisen auf die drei Speiseangebote „à la carte“, „Mittagsmenüs“ und „Sondergerichte“ mit jeweils eigener Preisgestaltung nur näherungsweise feststellen und damit die Schätzung nicht insgesamt auf einen inneren Betriebsvergleich in Form der Nachkalkulation stützen. Im Ergebnis hat das Landgericht aber auf diese Weise die Schätzungsmethoden des externen Betriebsvergleichs und des internen Betriebsvergleichs verknüpft und zur Vermeidung von Nachteilen bei der Nachkalkulation zudem noch deutliche Sicherheitsabschläge vorgenommen. Hierdurch hat es tragfähig einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang festgestellt.
2. Der Strafausspruch hat überwiegend Bestand; lediglich im Fall 8 der Urteilsgründe weist die Strafzumessung einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
a) Die rechnerische Überprüfung der im Urteil angegebenen Steuerbeträge offenbart Additionsfehler sowie Unklarheiten und Ungenauigkeiten. Diese hat der Generalbundesanwalt in seinem Antrag auf den Seiten 6 bis 11 im Einzelnen dargelegt und deren Auswirkungen auf den Verkürzungsumfang zutreffend berechnet. In Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalbundesanwalts kann der Senat aber außer im Fall 8 der Urteilsgründe im Hinblick darauf jeweils ausschließen, dass das Landgericht bei Ansatz der zutreffenden Höhe niedrigere als die festgesetzten Einzelstrafen verhängt hätte.
b) Demgegenüber ist im Fall 8 der Urteilsgründe, in dem das Landgericht von einer Steuerverkürzung von 90.970 Euro statt 79.895 Euro ausgegangen ist, nicht auszuschließen, dass die Einzelstrafe von elf Monaten Freiheitsstrafe auf dem um mehr als 11.000 Euro zu hoch angesetzten Verkürzungsbetrag beruht. Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts setzt der Senat in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die Einzelfreiheitsstrafe in diesem Fall um einen Monat auf eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten herab. Freiheitsstrafen in dieser Höhe hat das Landgericht auch in den Fällen 7 und 10 der Urteilsgründe für Taten mit jeweils ähnlich hoher Steuerverkürzung verhängt. Die Gesamtfreiheitsstrafe wird hiervon nicht berührt. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei Verhängung einer entsprechend niedrigeren Einzelfreiheitsstrafe zu einer geringeren Gesamtfreiheitsstrafe gelangt wäre.
3. Die Einziehungsanordnung bedarf ebenfalls der Korrektur. Zwar ist das Landgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass beim Delikt der Steuerhinterziehung die verkürzte Steuer erlangtes „etwas“ im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB sein kann, weil sich der Täter die Aufwendungen für diese Steuern erspart (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 11. Juli 2019 - 1 StR 620/18, BGHSt 64, 146 Rn. 19), und dass sich dieser Vorteil hier auch im Vermögen des Angeklagten widerspiegelt. Allerdings haben die Berechnungsfehler des Landgerichts bei der Bestimmung des Verkürzungsumfangs auch zur Folge, dass das Landgericht den Einziehungsbetrag hinsichtlich der für die Jahre 2008 bis 2011 hinterzogenen Steuern zu hoch angesetzt hat. Der Senat setzt daher die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen auf den den ersparten Aufwendungen für die hinterzogenen Steuern entsprechenden Betrag von 825.592,54 Euro herab; die weitergehende Einziehungsanordnung entfällt.
4. Im Hinblick auf den geringen Erfolg der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 789
Externe Fundstellen: NStZ 2021, 743; StV 2021, 735
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede