HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1192
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 171/22, Beschluss v. 22.09.2022, HRRS 2022 Nr. 1192
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 30. November 2021 aufgehoben
a) mit den Feststellungen, soweit der Angeklagte in den Fällen C. II. 2. 1. und 2. sowie 4. bis 11. der Urteilsgründe verurteilt worden ist;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in 44 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge einer Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) und ist im Übrigen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen war der zur Tatzeit als Rechtsanwalt tätige Angeklagte von Rechtsanwältin R. als Insolvenzverwalterin über das Vermögen der r. P. GmbH mit der außergerichtlichen und gerichtlichen Geltendmachung und Realisierung von Ansprüchen gegen deren faktische Geschäftsführer (1. Tatkomplex) sowie von Rechtsanwalt M. als Insolvenzverwalter über das Vermögen der e. AG mit der gerichtlichen Geltendmachung und Realisierung von Ansprüchen wegen fehlerhafter Sachkapitalerhöhung beauftragt (2. Tatkomplex). Auf Vermittlung des Angeklagten schlossen beide Insolvenzverwalter zur Finanzierung der Prozesse Prozessfinanzierungsverträge mit der L. AG (im Folgenden: L.). Diese hatte nach den Prozessfinanzierungsverträgen jeweils Anspruch auf Kostenerstattung gegen die jeweilige Insolvenzmasse; daneben stand der L. jeweils eine prozentual bemessene Gewinnbeteiligung am Erlös der finanzierten Rechtsverfolgung zu. Die Ansprüche der L. waren vorrangig vor anderen Massegläubigern zu erfüllen und nach § 5 Ziffer 4 des jeweiligen Prozessfinanzierungsvertrags mit Zahlungseingang beim Insolvenzverwalter oder dem von ihm „beauftragten Rechtsanwalt“ (UA S. 30 und 46) fällig. Zur Sicherung der Ansprüche der L. gegen die Insolvenzmasse traten die Insolvenzverwalter die jeweiligen Forderungen gegen die Prozessgegner sowie etwaige Kostenerstattungsansprüche an die L. ab.
Als Zahlungsweg für vom Angeklagten erstrittene beziehungsweise vom Prozessgegner auf einen Vergleich zu erbringende Zahlungen war nach den Prozessfinanzierungsverträgen regelmäßig und auch in den verfahrensgegenständlichen Fällen vorgesehen, dass der jeweilige Insolvenzverwalter die Forderung beim Prozessgegner einzieht und den Betrag gemäß der Abrechnung der L. in der ihr danach zustehenden Höhe an diese auskehrt.
Zur Tatzeit (2017 bis 2018) war der Angeklagte trotz guter Umsätze seiner Kanzlei nahezu durchgehend auf allen Konten tief im Soll und ab Juli 2017 zahlungsunfähig; reelle Aussichten auf kurzfristige Zahlungseingänge größeren Umfangs hatte er seither nicht. Im Dezember 2018 stellte der Angeklagte Insolvenzantrag und gab seine Zulassung als Rechtsanwalt zurück; das vorläufige Insolvenzverfahren über das Vermögen des Angeklagten wurde im Januar 2019 eröffnet.
1. Tatkomplex: Untreue zum Nachteil der Insolvenzmasse der r. P. GmbH (Insolvenzverwalterin R., nachfolgend auch „Mandantin“)
Die Insolvenzverwalterin R. schloss für die Insolvenzschuldnerin - gebilligt durch die Gläubigerversammlung - mit der Gegenseite einen Vergleich, wonach die Al. AG (Al.) und die A. ltd. (A.) jeweils eine Zahlung von 787.578,75 € an die Insolvenzmasse zu erbringen hatten; den Vergleichstext hatte im Wesentlichen der Angeklagte im Rahmen seines Prozessmandats ausgearbeitet. Danach waren die Vergleichszahlungsbeträge auf ein „von der Insolvenzverwalterin zu benennendes Bankkonto“ zu überweisen. Die Insolvenzverwalterin, die dem Angeklagten keine Geldempfangsvollmacht erteilt hatte, teilte dem Büro des Angeklagten das Insolvenzanderkonto mit; von dem Anschreiben erhielt der Angeklagte indes erst nachträglich Kenntnis. Entgegen dem Prozessfinanzierungsvertrag und dem Vergleich übermittelte der Angeklagte am 16. August 2017 den beiden Versicherungen eine als „Fremdgeldkonto“ bezeichnete Bankverbindung, bei der es sich tatsächlich um ein Unterkonto zu einem seiner Geschäftskonten handelte. Da der Angeklagte diese Abweichung gegenüber der A. auch später nicht berichtigte, überwies diese die von ihr nach dem Vergleich geschuldete Summe am 4. September 2017 auf dieses Konto. Die Al. zahlte dagegen den von ihr geschuldeten Betrag nach vergeblicher Anforderung einer Geldempfangsvollmacht des Angeklagten unmittelbar an die Insolvenzverwalterin. Neben der Zahlung der A. ging am 13. September 2017 eine Gutschrift über 71.872 € an überzahlten Gerichtskosten auf dem Geschäftskonto des Angeklagten ein.
Von den bei ihm eingegangenen Beträgen leitete der Angeklagte am 28. September 2017 einen Teilbetrag von 268.368,44 € an die Insolvenzverwalterin weiter. In seinem Anschreiben vom 8. Oktober 2017 rechnete der Angeklagte unter Berücksichtigung einer Aufstellung der L. gegenüber der Insolvenzverwalterin ab, wobei er diese belog, er habe 663.415,65 € bereits an die Prozessfinanziererin überwiesen. Tatsächlich hatte er zu diesem Zeitpunkt schon sieben Überweisungen zu eigenen Gunsten veranlasst. Die Insolvenzverwalterin war überrascht, als sie von der Zahlung der A. an den Angeklagten erfuhr, und monierte dies, „gab dem Angeklagten aber zu verstehen, dass die Gelder (vorläufig) auf seinem Konto verbleiben könnten“ (UA S. 33); der Zeitpunkt ihrer Kenntnis vom pflichtwidrigen Einziehen der Vergleichsforderung ist nicht festgestellt.
Von dem Geschäftskonto veranlasste der Angeklagte in der Zeit vom 7. September bis 19. Oktober 2017 an elf Tagen eine Vielzahl von Überweisungen in Höhe von insgesamt 433.046,16 € auf eigene im Soll befindliche Konten oder an eigene Gläubiger (Fälle C. II. 2. 1. bis 11. der Urteilsgründe); unter anderem verwendete er einen Betrag von 71.872 € am 15. September 2017, um eine Darlehensschuld für die Kanzleigründung zu begleichen (Fall C. II. 2. 3. der Urteilsgründe). Dabei wusste er, dass er zu diesen Überweisungen nicht befugt war, er damit seine Pflichten aus dem Anwaltsvertrag mit der Insolvenzverwalterin verletzte und der Insolvenzmasse Nachteile zufügte. Zu einem sofortigen Ausgleich der zu eigenen Zwecken verwendeten Beträge war der Angeklagte - wie er ebenfalls wusste - nicht in der Lage, weil er mit seinen Konten am 6. September 2017 mit einem Gesamtbetrag von ca. 350.000 € im Soll stand; er hatte weder eine Möglichkeit noch sonstige Aussichten, nennenswerte Geldbeträge in absehbarer Zeit zu erlangen. Der Angeklagte handelte jeweils, um sich eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu erschließen.
Die Insolvenzverwalterin verklagte die A. auf Zahlung des Vergleichsbetrages; sie erstritt in erster Instanz ein stattgebendes Urteil, das allerdings nicht rechtskräftig ist.
2. Tatkomplex: Untreue zum Nachteil der Insolvenzmasse der e. AG (Insolvenzverwalter M., nachfolgend auch „Mandant“)
Bereits im Jahr 2015 war dem Angeklagten im Rahmen des ihm vom Insolvenzverwalter M. erteilten Prozessmandats ein Vergleichsschluss zu Gunsten der Insolvenzmasse der e. AG gelungen, auf den der Prozessgegner einen Betrag von 75.000 € auf sein Geschäftskonto gezahlt hatte. In Absprache mit dem Insolvenzverwalter M. beließ der Angeklagte dieses Guthaben auf seinem Geschäftskonto, auf dem die Erlöse zunächst „gesammelt“ werden sollten; die L. erhob hiergegen keine Einwände. Einen weiteren Vergleichsschluss zu Gunsten der Insolvenzmasse erzielte der Angeklagte im Jahr 2017 über einen Betrag von 800.000 €, der auf Wunsch der L. und mit Zustimmung des Mandanten vom Prozessgegner auf das Geschäftskonto des Angeklagten zu überweisen sein sowie von diesem in der Folge an die L. und die Insolvenzmasse weitergeleitet werden sollte. Nach Erteilung einer entsprechenden Geldempfangsvollmacht durch den Insolvenzverwalter am 9. Januar 2018 überwies der Prozessgegner mit Wertstellung zum 22. Januar 2018 zur Erfüllung der Vergleichsforderung einen Betrag von 798.500 € auf das vom Angeklagten benannte Geschäftskonto, das zuvor kein Guthaben aufgewiesen hatte, aber auch nicht im Soll war.
Die auf dem Konto gutgeschriebenen Beträge kehrte der Angeklagte in der Folge nicht an die L. und/oder den Insolvenzverwalter M. aus, sondern überwies mit verschiedenen Überweisungen an 33 Tagen im Zeitraum vom 25. Januar bis 6. Juni 2018 insgesamt 743.300,18 € auf eigene defizitäre Konten beziehungsweise auf Konten eigener Gläubiger. Zu einem jederzeitigen zeitnahen Ausgleich der Beträge war der Angeklagte im Tatzeitraum nicht in der Lage, weil seine Konten mit ca. 350.000 € im Soll standen und er allein aus einem abstrakten Schuldanerkenntnis in Höhe von 430.000 € gegenüber einer Factoringgesellschaft verpflichtet war. Er wusste, dass er mit den zu eigenen Gunsten vorgenommenen Überweisungen eine wesentliche Pflicht aus dem Anwaltsvertrag mit dem Insolvenzverwalter M. verletzte und der von diesem verwalteten Vermögensmasse Nachteile zufügte, weil er keine konkrete Aussicht auf einen baldigen Ausgleich des zu eigenen Zwecken verwendeten Kontoguthabens hatte. Der Angeklagte handelte bei den Verfügungen über das Kontoguthaben wiederum in der Absicht, sich eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu erschließen (C. II. 2. 12. bis 44. der Urteilsgründe).
1. Die Verfahrensrüge wurde aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen bereits nicht in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Weise begründet und ist damit unzulässig.
2. Die Verurteilung des Angeklagten hält in den Fällen C. II. 2. 1. und 2. sowie 4. bis 11. der Urteilsgründe sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Im Übrigen weist das Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
a) Der Schuldspruch wegen Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) begegnet in den Fällen C. II. 2. 1. und 2. sowie 4. bis 11. der Urteilsgründe durchgreifenden Bedenken. Das Landgericht hat insoweit ohne tragfähige Begründung angenommen, der von der Insolvenzverwalterin R. verwalteten Insolvenzmasse seien durch die zehn Verfügungen des Angeklagten über den aufgrund der Überweisung der A. auf seinem Geschäftskonto gutgeschriebenen Betrag Vermögensnachteile entstanden.
aa) Ein dem betreuten Vermögen zugefügter Nachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB ist jede durch die Tathandlung verursachte Vermögenseinbuße, die exakt zu bestimmen und zu beziffern ist. Die Vermögensminderung ist dabei nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung festzustellen; maßgeblich ist der unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten vorzunehmende Vergleich der Vermögenswerte unmittelbar vor und nach der pflichtwidrigen Verhaltensweise zu Lasten des betroffenen Vermögens (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2022 - 1 StR 384/21 Rn. 5; vom 18. Mai 2021 - 1 StR 62/21 Rn. 8 und vom 19. September 2018 - 1 StR 194/18 Rn. 22; je mwN). Ein Rechtsanwalt, der sich zur Weiterleitung bestimmte, ihm in diesem Sinne anvertraute Fremdgelder auf sein Geschäftskonto einzahlen lässt, bewirkt jedenfalls dann einen Vermögensschaden zu Lasten seines Mandanten, wenn er mit diesen Buchgeldern eigene Verbindlichkeiten begleicht, es sei denn, er ist uneingeschränkt dazu bereit und jederzeit fähig, diese Fehlbeträge aus eigenen flüssigen Mitteln auszugleichen und entsprechende Beträge an seinen Mandanten auszukehren (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 2022 - 1 StR 10/22 Rn. 6; vom 26. November 2019 - 2 StR 588/18 Rn. 13; vom 26. November 2015 - 2 StR 144/15 Rn. 11 und vom 29. Januar 2015 - 1 StR 587/14, BGHR StGB § 266 Abs. 1 Konkurrenzen 4 Rn. 17; je mwN).
bb) Derartige Vermögensnachteile der von der Mandantin des Angeklagten verwalteten Insolvenzmasse sind in den Fällen C. II. 2. 1. und 2. sowie 4. bis 11. der Urteilsgründe durch die bisherigen Feststellungen nicht belegt. Denn die Gutschrift vom 4. September 2017 war kein dem Angeklagten anvertrautes Fremdgeld im vorgenannten Sinn. Das Guthaben auf dem Geschäftskonto war nicht Bestandteil der Insolvenzmasse.
Der Angeklagte, der nach der tatgerichtlichen Würdigung erst nach dem 28. September 2017 den Entschluss fasste, das restliche Guthaben für sich zu verwenden, war - ausdrücklich - nicht nach § 185 Abs. 1 BGB zur Einziehung der Forderung ermächtigt (vgl. zum Umfang der Prozessvollmacht des Rechtsanwalts BGH, Beschluss vom 8. Juli 2008 - VII ZB 64/07, BGHZ 177, 178, 183 Rn. 16 mwN). Mangels Geldempfangsvollmacht des Angeklagten hatte die Überweisung der A. keine Erfüllungswirkung (§ 362 Abs. 2 BGB); die Vergleichsforderung blieb unberührt. In diesem Sinne leistete die A. an den Angeklagten als Nichtberechtigten auf eigenes Risiko (vgl. MüKo-ZPO/Toussaint, 6. Aufl., § 81 Rn. 24; Musielak/Voit/Weth, ZPO, 19. Aufl., § 81 Rn. 10). Die Kontoverfügungen des Angeklagten ab dem 7. September 2017 konnten demnach in diesen zehn Fällen den Bestand der Insolvenzmasse nicht beeinflussen.
cc) Dennoch ist der Angeklagte in diesen zehn Fällen nicht freizusprechen (§ 354 Abs. 1 Variante 1 StPO). Denn es kommt in Betracht, dass die mit der Einziehung der Forderung betraute Insolvenzverwalterin (§ 185 Abs. 1 BGB) bzw. die L. als Sicherungszessionarin das Einziehen der Vergleichsforderung genehmigte (§ 185 Abs. 2 Satz 1 Variante 1, § 362 Abs. 2 BGB). Dann wäre ein Herausgabeanspruch der Insolvenzmasse aus dem gegebenenfalls mit der Genehmigung erweiterten anwaltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag gegen den Angeklagten nach § 667 Alternative 2 BGB - anstelle der damit erfüllten Vergleichsforderung - entstanden; das Kontoguthaben stand hingegen bis zu einer solchen Genehmigung der am 4. September 2017 gutgeschriebenen Überweisung durch die Gläubigerin bei wirtschaftlicher Betrachtung weiterhin der A. zu, die einen diesbezüglichen Bereicherungsanspruch (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1, § 818 Abs. 2 BGB) hatte. Im Falle einer Genehmigung hätte die Insolvenzmasse nicht nur einen Vermögensschaden in Höhe derjenigen Gelder erlitten, die ihr verbleiben sollten, sondern auch in Höhe derjenigen, die an die L. weiterzuleiten waren:
(a) Die Insolvenzverwalterin war nicht nur nach § 5 Ziffer 6 des Prozessfinanzierungsvertrags zur Einziehung der Forderung gegen den Prozessgegner auf das Insolvenzanderkonto berechtigt und verpflichtet; sie traf nach der Fälligkeitsregelung in § 5 Ziffer 4 des Prozessfinanzierungsvertrags, die einen Zahlungseingang bei dem von ihr beauftragten Rechtsanwalt für die Fälligkeit der Ansprüche der L. genügen ließ, ungeachtet eines tatsächlichen Vermögenszuflusses bei der Insolvenzmasse auch die Verpflichtung, die Zahlungsansprüche der L. (vorrangig vor den Massegläubigern) aus der Insolvenzmasse zu erfüllen. Durch diese Fälligkeitsregelung und den in § 5 Ziffer 1 bis 3 des Prozessfinanzierungsvertrags vereinbarten Vorrang der Ansprüche der L. vor allen anderen Massegläubigern war der Insolvenzmasse das wirtschaftliche Risiko eines Verlusts des Erlöses in der Sphäre des Angeklagten zugewiesen; sie war schon wegen der bei ihr bereits eingegangenen Zahlung der Al. und des vom Angeklagten überwiesenen Teilbetrags von 268.368,44 € zur Erfüllung der Ansprüche der L. in voller Höhe verpflichtet, hätte sich aber andererseits zur Erlangung des danach allein ihr nach Genehmigung der Überweisung der A. wirtschaftlich zustehenden Kontoguthabens an den Angeklagten halten und damit das Risiko eines Zahlungsausfalls bei diesem alleine tragen müssen.
(b) Dieses der Insolvenzmasse zugewiesene Ausfallrisiko ist nicht anders zu bewerten, weil die streitige Forderung gegen die A. von der Insolvenzverwalterin in dem Prozessfinanzierungsvertrag mit der L. sicherungshalber an diese abgetreten worden war. Die Sicherungszession der Forderung gegen den Prozessgegner lässt die Zuweisung des primären wirtschaftlichen Risikos eines Zahlungsausfalls beim Angeklagten von vornherein unberührt; ungeachtet dessen wäre (spätestens) mit einer Genehmigung der Überweisung der A. auf das Geschäftskonto des Angeklagten die sicherungsweise abgetretene Forderung der Insolvenzmasse gegen die Prozessgegner gemäß § 362 Abs. 2, § 185 Abs. 2 Satz 1 Variante 1 BGB erloschen und durch einen Herausgabeanspruch der Insolvenzmasse gegen den Angeklagten gemäß § 667 Alternative 2 BGB ersetzt worden, der nicht - zumindest nicht ausdrücklich - von der Sicherungszession umfasst war.
(c) Eine Genehmigung der Überweisung der A. auf das Geschäftskonto des zahlungsunfähigen und damit nicht zum Ausgleich aus anderen Mitteln fähigen Angeklagten als Leistung mit Erfüllungswirkung (§ 362 Abs. 2, § 185 Abs. 2 Satz 1 Variante 1 BGB) hat das Landgericht indes nicht festgestellt. Insbesondere hat es sich nicht damit auseinandergesetzt, ob in der - durch die Beweiswürdigung allerdings nicht hinreichend belegten - Äußerung der Insolvenzverwalterin, die Gelder könnten (vorläufig) auf dem Konto des Angeklagten verbleiben (UA S. 33), naheliegender Weise eine solche Genehmigung der Leistung der A. und eine entsprechende Erweiterung des Geschäftsbesorgungsvertrags mit dem Angeklagten dahin, dass dieser das Guthaben nunmehr zu verwahren und nach Abrechnung durch die L. an diese und die Insolvenzmasse auszukehren habe, zu sehen sein könnte. Auch lässt sich den getroffenen Feststellungen nicht verlässlich entnehmen, wann - vor oder nach den einzelnen vom Angeklagten vorgenommenen Überweisungen oder zwischenzeitlich - die fragliche Äußerung der Insolvenzverwalterin gefallen sein mag; deren festgestellte Überraschung muss nicht zwingend die Reaktion auf das Anschreiben des Angeklagten vom 8. Oktober 2017 gewesen sein. Die Insolvenzverwalterin kann auch schon zuvor von der pflichtwidrigen Einziehung der Vergleichsforderung durch den Angeklagten erfahren haben, etwa vor oder aufgrund der Überweisung vom 28. September 2017; der Senat kann nicht sicher annehmen, dass die Feststellungen insoweit chronologisch aufgebaut sind. Nur soweit eine Genehmigung den Verfügungen des Angeklagten über das Kontoguthaben vorausgegangen wäre, könnten diese für den Eintritt von Vermögensnachteilen der Insolvenzmasse ursächlich geworden sein.
b) Im Übrigen hält die Verurteilung revisionsgerichtlicher Prüfung stand.
aa) Schuld- und Strafausspruch weisen im Fall C. II. 2. 3. der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
(a) Im Fall C. II. 2. 3. der Urteilsgründe hat das Landgericht im Ergebnis zutreffend eine Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten gegenüber der Insolvenzverwalterin R. beziehungsweise der von ihr verwalteten Insolvenzmasse bejaht. Eine solche ergibt sich bereits aus § 81 Halbsatz 4 ZPO, wonach die Prozessvollmacht den Prozessbevollmächtigten zur Entgegennahme von zu erstattenden Kosten ermächtigt. Ob sich eine Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten angesichts der Entscheidung der Insolvenzverwalterin, diesem keine Geldempfangsvollmacht zu erteilen, auch aus dem Anwaltsvertrag ergäbe, kann daher offenbleiben. In Anbetracht der unabdingbaren gesetzlichen Regelung des Umfangs eines Prozessmandats in § 81 Halbsatz 4 ZPO (vgl. MüKo/Toussaint aaO Rn. 23) ist die Entgegennahme von überzahlten Kosten durch den prozessführenden Rechtsanwalt bei interessengerechter Vertragsauslegung regelmäßig auch Gegenstand des der Prozessführung zugrundeliegenden Geschäftsbesorgungsvertrags beziehungsweise der beauftragten Rechtsbesorgung. Da die Überweisung überzahlter Kosten an den prozessführenden Rechtsanwalt gemäß § 81 Halbsatz 4 ZPO, § 362 Abs. 2, § 185 Abs. 1 BGB befreiende Wirkung gegenüber dem Mandanten - hier der Insolvenzverwalterin bzw. der von ihr vertretenen Insolvenzmasse - hat, handelt es sich bei dem beim Prozessbevollmächtigten eingegangenen Betrag auch um dem Mandanten - hier der Insolvenzmasse - zuzurechnendes Vermögen, weil sich der Herausgabeanspruch des Mandanten aus dem Mandat (§ 667 Alternative 2 BGB) hierauf erstreckt.
(b) Der von Insolvenzverwalterin R. vertretenen Insolvenzmasse ist durch die Überweisung des erst zwei Tage zuvor von der Gerichtskasse mit Erfüllungswirkung (§ 81 Halbsatz 4 ZPO, § 362 Abs. 2, § 185 Abs. 1 BGB) auf das Geschäftsunterkonto des Angeklagten geleisteten Betrags von 71.872 € auf ein eigenes defizitäres Konto ein Nachteil entstanden, weil der Angeklagte aufgrund seiner desolaten wirtschaftlichen Situation zur fraglichen Zeit nicht in der Lage war, den dadurch entstandenen Fehlbetrag jederzeit auszugleichen. Dies gilt ungeachtet des Kostenerstattungsanspruchs der L. gegen die Insolvenzmasse und der hierauf bezogenen Sicherungszession der ursprünglichen Forderung gegen die Prozessgegner (vgl. hierzu unter a] cc] [b]), weil die Insolvenzverwalterin nach dem Prozessfinanzierungsvertrag bereits mit Eingang des Erlöses aus dem finanzierten Rechtsstreit beim Angeklagten (§ 5 Ziffer 4 des Prozessfinanzierungsvertrags) verpflichtet war, die von der L. verauslagten Kosten - mithin auch den überzahlten Gerichtskostenvorschuss - zu erstatten. Aufgrund dieser Fälligkeitsregelung und dem Vorrang des Kostenerstattungsanspruchs der L. vor anderen Masseverbindlichkeiten (§ 5 Ziffer 1 bis 3 des Prozessfinanzierungsvertrags) handelte es sich bei dem vom Angeklagten pflichtwidrig verwendeten Guthaben gerade nicht nur um einen „durchlaufenden“ Posten für die Insolvenzmasse, weil die Insolvenzverwalterin zur Erstattung der überzahlten Gerichtsgebühren ungeachtet dessen verpflichtet war, ob der Betrag in die Insolvenzmasse gelangte. Das wirtschaftliche Risiko eines Ausfalls mit dem Herausgabeanspruch gegen den Angeklagten aus dem Mandatsverhältnis (§ 675 Abs. 1, § 667 Alternative 2 BGB) lag auch insoweit allein bei der Insolvenzverwalterin R. beziehungsweise der von ihr verwalteten Insolvenzmasse.
bb) Auch die Verurteilung in den Fällen C. II. 2. 12. bis 44. der Urteilsgründe begegnet keinen Bedenken.
(a) Den Angeklagten traf in den Fällen C. II. 2. 12. bis 44. der Urteilsgründe eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem Insolvenzverwalter M. beziehungsweise der von ihm verwalteten Insolvenzmasse hinsichtlich der auf seinem Geschäftskonto gutgeschriebenen Vergleichsbeträge. Diese folgt jedenfalls aus der von Insolvenzverwalter M. nachträglich gebilligten „Verwahrung“ des vom Prozessgegner im Jahr 2015 auf das Geschäftskonto des Angeklagten gezahlten Betrags sowie der im Jahr 2018 von ihm erteilten Geldempfangsvollmacht, weil hiermit jeweils eine zumindest konkludente Erweiterung des Geschäftsbesorgungsvertrags mit Blick auf die Verwahrung des im Jahr 2015 eingegangenen Betrags und die nachfolgende Einziehung der verbleibenden Vergleichsforderung sowie die Verwahrung und Verteilung hierdurch erlangter Beträge verbunden war.
(b) Diese besondere Pflicht zum Schutz des der Insolvenzmasse zugehörigen Vermögens hat der Angeklagte verletzt, indem er das Kontoguthaben, das aufgrund der Überweisungen der Prozessgegner auf seinem Geschäftsunterkonto gutgeschrieben wurde und das nach § 667 Alternative 2 BGB der Insolvenzmasse zustand, zu eigenen Zwecken verwendet hat.
(c) Durch die vom Angeklagten unter Verletzung dieser Vermögensbetreuungspflicht zu eigenen Gunsten veranlassten Überweisungen sind der vom Insolvenzverwalter M. verwalteten Insolvenzmasse Vermögensnachteile entstanden. Soweit der Insolvenzmasse das Kontoguthaben nach dem Prozessfinanzierungsvertrag anteilig zustand, ist deren Vermögen um die vom Angeklagten zu eigenen Zwecken eingesetzten Beträge unmittelbar reduziert, ohne dass die durch die pflichtwidrigen Überweisungen verursachten Vermögensabflüsse anderweitig kompensiert worden wären. Insbesondere war der Angeklagte auch in diesen Fällen wegen seiner finanziellen Schwierigkeiten nicht zu einem jederzeitigen Ausgleich der Fehlbeträge in der Lage. Aber auch in Höhe der nach dem Prozessfinanzierungsvertrag der L. zustehenden Beträge (verauslagte Kosten sowie anteilige Gewinnbeteiligung) sind der Insolvenzmasse durch die vom Angeklagten veranlassten Überweisungen jeweils nicht anderweitig kompensierte Nachteile entstanden, weil der Insolvenzverwalter nach der Fälligkeitsregelung in § 5 Ziffer 4 des Prozessfinanzierungsvertrags wiederum bereits mit Eingang der Vergleichssumme auf dem Konto des von ihm beauftragten Rechtsanwalts, des Angeklagten, - vorrangig vor allen anderen Massegläubigern - zur Zahlung von Kosten und Gewinnbeteiligung an die L. verpflichtet war. Wegen des hierdurch der Insolvenzmasse zugewiesenen Ausfall- und Verlustrisikos handelte es sich auch insoweit entgegen der Auffassung der Revision gerade nicht um einen für den Mandanten neutralen, weil „durchlaufenden“ Posten. Denn die Insolvenzmasse war der L. nach dem Prozessfinanzierungsvertrag unabhängig davon, ob ihr die Gelder bereits zugeflossen waren oder sie zumindest einen werthaltigen Anspruch auf Auszahlung der Beträge gegen den Angeklagten hatte, zur Zahlung verpflichtet. Der Ausfall der Insolvenzmasse mit ihrem Herausgeberanspruch gegen den Angeklagten (§ 667 Alternative 2 BGB) wegen der zweckwidrigen Verwendung des Kontoguthabens durch den Angeklagten wirkte sich daher unmittelbar in deren Vermögen aus.
Insbesondere war weder mit der Sicherungszession (vgl. hierzu unter a] cc] [b]) noch mit der auf Veranlassung der L. vom Insolvenzverwalter erteilten Geldempfangsvollmacht und der damit konkludenten Vertragsänderung hinsichtlich der Zahlungswege eine Änderung des der Insolvenzmasse durch den Prozessfinanzierungsvertrag zugewiesenen Ausfall- und Liquiditätsrisikos zum Nachteil der L. verbunden. Selbst wenn indes der Angeklagte, die L. und der Insolvenzverwalter mit der vereinbarten Änderung der Zahlungswege das Ausfallrisiko hinsichtlich der vom Angeklagten vereinnahmten Beträge auf die L. hätten verlagern wollen, wäre - spätestens - hiermit gleichzeitig eine entsprechende Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten gegenüber der L. entstanden, die der Angeklagte verletzt und dieser hierdurch entsprechende Vermögensnachteile verursacht hätte. Denn die L. und der Angeklagte haben, indem die L. gegenüber dem Angeklagten auf dessen Veranlassung erklärte, sie stimme dem Prozessvergleich nur mit der Maßgabe zu, dass vom Prozessgegner hierauf zu erbringende Zahlungen abweichend von den schriftlich geschlossenen Verträgen über den Angeklagten abgewickelt würden, zumindest konkludent eine entsprechende Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten begründet, die sich auf das vom Angeklagten in der Folge vereinbarungsgemäß eingezogene und mittels der späteren Überweisungen zu eigenen Zwecken verwendete Guthaben bezog.
cc) Um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, insbesondere auch zu etwaigen betrugsrelevanten Täuschungshandlungen des Angeklagten, hebt der Senat sämtliche Feststellungen zu den Fällen C. II. 2. 1. und 2. sowie 4. bis 11. der Urteilsgründe auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht wird insbesondere neue und genauere Feststellungen zu einer möglichen Genehmigung der Leistung der A. an den Angeklagten durch die Insolvenzverwalterin und einer hiermit etwa verbundenen Erweiterung des Mandats zu treffen haben.
dd) Die Aufhebung der Fälle C. II. 2. 1. und 2. sowie 4. bis 11. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Der Senat schließt aus, dass dies die anderen 33 Einzelstrafen beeinflusst. Denn die mit ihnen sanktionierten Taten der Fälle C. II. 2. 12. bis 44. der Urteilsgründe betreffen einen anderen Tatkomplex. Entsprechendes gilt im Ergebnis für den Fall 3, der zwar zum ersten Tatkomplex gehört, aber wegen der Wirkung der Prozessvollmacht gänzlich anders gelagert ist.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1192
Bearbeiter: Christoph Henckel