HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 665
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 BGs 190/21, Beschluss v. 20.05.2021, HRRS 2021 Nr. 665
Der Antrag vom 26. April 2021 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller wenden sich gegen die Ablehnung eines im 2. Untersuchungsausschuss der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gestellten Beweisantrags vom 8. April 2021 (Ausschussdrucksache 19[29] 181).
1. Der 2. Untersuchungsausschuss der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages hat im Wesentlichen den Auftrag, das Verhalten der Bundesregierung, insbesondere des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und seiner nachgeordneten Behörden, im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Einführung der Infrastrukturabgabe, einschließlich der Vergabe sowie der Kündigung der Verträge zur Erhebung und Kontrolle und die daraus resultierenden Folgen inklusive den Prozessen der Abwicklung des Projekts, umfassend aufzuklären. Hierzu soll er auch klären, welche Entscheidungen durch die Bundesregierung, insbesondere durch das BMVI sowie durch den jeweiligen Bundesverkehrsminister persönlich im Hinblick auf die geplante Infrastrukturabgabe aus welchen Gründen gefällt wurden (vgl. zum Untersuchungsauftrag im Einzelnen BT-Drs. 19/15543, S. 2 ff.).
2. Der Untersuchungsausschuss fasste mehrere auf die Vorlage von Unterlagen durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gerichtete Beweisbeschlüsse. So erhob er mit dem Beweisbeschluss BMVI-5 vom 12. Dezember 2019 (Anlage 2 zur Antragsschrift vom 26. April 2021) gemäß § 18 Abs. 1 PUAG Beweis durch Beiziehung aller Unterlagen aus dem Leitungsbereich des BMVI zum Untersuchungsgegenstand, die dort seit dem 16. Dezember 2013 entstanden oder in Gewahrsam genommen worden sind, und ersuchte das BMVI um Vorlage bis zum 24. Januar 2020.
Zur Erfüllung dieses Beweisbeschlusses legte das BMVI in zwölf Tranchen insgesamt rund 46.000 Blatt Akten vor. Nachdem der Leiter des Ministerbüros des BMVI unter dem 13. Mai 2020 gegenüber dem Untersuchungsausschuss eine Vollständigkeitserklärung (Anlage 4 zur Antragsschrift vom 26. April 2021) abgegeben hatte, übermittelte das BMVI dem Ausschuss mit Schreiben vom 1. Juli 2020 (Anlage 5 zur Antragsschrift vom 26. April 2021) einen Ordner mit circa 320 Blatt Unterlagen, bei dem es sich um eine „Nachlieferung, die auf ein Büroversehen zurückzuführen“ sei, handele. In diesem Ordner befanden sich zumindest auch E-Mails zwischen dem Abteilungsleiter Leitung, Kommunikation des BMVI und Bundesminister S., die über einen Bundestags-Account von Bundesminister S. ( ... @bundestag.de) empfangen beziehungsweise versandt worden waren.
In einer Vollständigkeitserklärung vom 16. Juli 2020 (Anlage 6 zur Antragsschrift vom 26. April 2021) erklärte Bundesminister S. gegenüber dem Untersuchungsausschuss, „dass meine Abgeordneten-E-Mail-Postfächer hinsichtlich des Untersuchungsauftrags des 2. UA der 19. WP der guten Ordnung halber - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - auf untersuchungsgegenständliche Daten geprüft wurden. Untersuchungsgegenständliche Daten wurden, soweit in den genannten Postfächern festgestellt, bereits unter den an das BMVI gerichteten Beweisbeschlüssen nach bestem Wissen und Gewissen vollständig vorgelegt.“
3. Am 10. September 2020 beschloss der Untersuchungsausschuss gemäß § 10 Abs. 1 PUAG die Einsetzung eines Ermittlungsbeauftragten, der in Vorbereitung der weiteren Befassung des Ausschusses die Kommunikation von Bundesminister S. über seine beim Deutschen Bundestag eingerichteten Abgeordneten-Accounts mit Bezug zum Untersuchungsgegenstand zwischen dem 1. August 2018 und dem 27. Juli 2019 sichten und auswählen sollte. Am 13. Oktober 2020 bestellte der Ausschussvorsitzende im Einvernehmen mit der stellvertretenden Vorsitzenden und im Benehmen mit den Obleuten aller Fraktionen Herrn Rechtsanwalt M. zum Ermittlungsbeauftragten. In einem Gespräch zwischen dem Ermittlungsbeauftragten und Bundesminister S. am 1. Dezember 2020 wurde unter anderem als Termin zur Durchführung der Sichtung und Auswahl der E-Mails der 18. Dezember 2020 vereinbart. Am 16. Dezember 2020 wurde dem Ermittlungsbeauftragten mitgeteilt, dass der Termin am 18. Dezember 2020 nicht stattfinden könne und Bundesminister S. seine Zustimmung zur Sichtung der E-Mails durch den Ermittlungsbeauftragten bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs über den Antrag vom 7. Dezember 2020 zurückstelle (vgl. dazu im Einzelnen Zwischenbericht des Ermittlungsbeauftragten des 2. Untersuchungsausschusses der 19. Wahlperiode M. vom 25. Januar 2021, Ausschussdrucksache 19[29] 170, Anlage 10 zur Antragsschrift vom 26. April 2021). Am 1. April 2021 kündigte Bundesminister S. die Zusammenarbeit mit dem Ermittlungsbeauftragten unter Berufung auf die verfassungsmäßigen Rechte eines Abgeordneten auf, zudem seien dem Ausschuss entsprechende Dokumente bereits vorgelegt worden.
4. Darauf stellten die Antragsteller unter dem 8. April 2021 (Ausschussdrucksache 19[29] 181, Anlage 7a zur Antragsschrift vom 26. April 2021) folgenden Beweisantrag:
„A. Es wird Beweis erhoben zum gesamten Untersuchungsauftrag (BT-Drs. 19/15543) durch Ersuchen um Herausgabe (§ 29 Abs. 1 PUAG) des Schriftverkehrs, gespeicherter Dokumente, in Dateien oder auf andere Weise gespeicherter Daten und sonstiger sächlicher Beweismittel, auch in digitaler Form, die kumulativ 1. durch die Nutzung eines der folgenden E-Mail-Accounts:
..,
bundestags.de; ..,
bundestag.de; …; ..,
bundestag.de; ..,
bundestag.de; ..,
bundestag.de; ..,
bundestag.de;
2. im Zeitraum zwischen dem 1.8.2018 und dem 28.11.2019 - hilfsweise dem 27.7.2019 - entstanden sind oder erzeugt wurden,
3. als Absender oder Adressaten das Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur oder eine/n der dort Bediensteten a. … b. … c. … d. … e. … f. … g. … h. … i. … j. …,
4. sowie im „Betreff“, auch in möglichen Kombinationen, einen oder mehrere der folgenden Begriffe bzw. Namen und Bezeichnungen aufweisen:
AG Grundsatzfragen, AG Leistung, AG Leistungsbestimmung, AG Vertrag, AGLB, automatische Kontrolle, Autoticket, AT, Betreiber, Erhebung, Vertrag Erhebung, EuGH, Eventim, Hinweise, Projekt Infrastrukturabgabe, Infrastrukturabgabe, Innenvereinbarung, Presseinfo, Presseinformation, Presseanfrage, Projekt ISA, ISA, (ISA), Jahresscheibe, Kapsch, Kündigung, Mautverträge, Maut-Verträge, Neuigkeitenzimmer, Paspagon, PKW-Maut, Re:WG:AW: Infrastrukturabgabe, Straßenbenutzungsgebühr, Tagesinfo, Tagesinformation, Taskforce, TaskForce, Toll Collect, TollCollect, TollCollect, Vergabe, SeV, Untersuchungsausschuss, WG:Infrastrukturabgabe gem. § 29 Abs. 1 PUAG bei Bundesminister S., MdB, Deutscher Bundestag, 11011 Berlin.
Es wird darum gebeten, die Beweismittel bis 2 Wochen nach Zustellung vorzulegen und ggfs. Teillieferungen vorab zu übermitteln.
B. Für den Fall der Weigerung des Gewahrsamsinhabers wird für diese Beweismittel der Geheimhaltungsgrad GEHEIM festgelegt (§ 29 Abs. 3 iVm § 30 Abs. 1 PUAG).
C. Mit der Durchführung der o.g. Beweisaufnahme wird der bereits bestellte Ermittlungsbeauftragte Rechtsanwalt M. beauftragt.“
5. Der Untersuchungsausschuss lehnte den Beweisantrag vom 8. April 2021 in seiner Sitzung am 15. April 2021 „mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition“ ab. In der Aussprache über den Antrag hatte sich zuvor von der Mehrheit lediglich der Abgeordnete L., MdB, für die CDU/CSU-Fraktion zu Wort gemeldet und erklärt: „Wir lehnen den Antrag als unzulässig ab.“ Für die SPD-Fraktion hatte sich niemand geäußert (vgl. S. 9 f. des Protokolls der 48. Sitzung vom 15. April 2021, Anlage 7b zur Antragsschrift vom 26. April 2021).
6.
a) In ihrer Antragsschrift vom 26. April 2021 führen die Antragsteller aus, mit ihrem Beweisantrag begehrten sie vor allem Aufklärung über eine durch Bundesminister S. beziehungsweise sein Abgeordnetenbüro am 13. September 2019 an den Abteilungsleiter im BMVI G. weitergeleitete E-Mail, in der es um den Vorschlag eines bislang unbekannten Absenders ging, mit den Betreibern der Maut ein „Moratorium“ zu vereinbaren, um möglicherweise das völlige Scheitern des Projekts nach dem Urteil des EuGH abzuwenden. Auch im Übrigen bestehe fortdauernd Grund zu der Annahme, dass weiterer E-Mail-Verkehr zum Untersuchungsgegenstand über die genannten E-Mail-Accounts des Abgeordneten S. erfolgte, der dem Ausschuss nicht vorgelegt worden sei (wird weiter ausgeführt).
Die Antragsteller sind der Auffassung, die Ablehnung des Beweisantrags ohne nähere Begründung schränke die Möglichkeiten effektiven Rechtsschutzes der Minderheit in unzulässiger Weise ein. Unabhängig von der Rechtsfrage, ob der angerufene Ermittlungsrichter im Verfahren nach § 17 Abs. 4 PUAG bei Vorliegen der Voraussetzungen den Beweisbeschluss grundsätzlich selbst zu erlassen oder nur eine Feststellungsentscheidung zu treffen habe, erscheine hier eine solche Gestaltungsentscheidung, wie sie der Hauptantrag begehrt, erforderlich. Der Untersuchungsausschuss habe sich auf die Zusammenarbeit von Bundesminister S. mit dem Ermittlungsbeauftragten bei der Sichtung und Auswertung der über die Abgeordneten-Accounts getätigten E-Mail-Kommunikation zum Untersuchungsgegenstand verlassen. Die Beendigung der Kooperation durch Bundesminister S. am 1. April 2021 sei völlig überraschend geschehen; keiner der zur Begründung genannten Umstände sei neu gegenüber dem Zeitpunkt der Zusage einer Kooperation mit dem Ermittlungsbeauftragten gewesen. Durch dieses Vorgehen sei wertvolle Zeit verloren gegangen. Der Untersuchungsausschuss erstelle derzeit seinen Abschlussbericht, die Plenardebatte sei für den 24. Juni 2021 vorgesehen. Die Ausschussmehrheit habe durch ihr Vorgehen im Verfahren 1 BGs 42/21 nach dem Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 29. Januar 2021 gezeigt, dass sie nicht gewillt sei, gerichtliche Entscheidungen zügig umzusetzen beziehungsweise anzufechten. Am 11. Februar 2021 habe die Mehrheit in einer Tischvorlage beantragt, gegen die Entscheidung Rechtsmittel einzulegen und dessen aufschiebende Wirkung zu beantragen. Diese Vorlage sei mit Mehrheit am 11. Februar 2021 beschlossen, die Beschwerde gegen den Beschluss vom 29. Januar 2021 aber erst mit Schriftsatz vom 18. März 2021 eingelegt worden. Es sei daher weiterer Zeitverlust zu besorgen, der die Aufklärung erheblich erschwere, wenn hier eine Feststellungsentscheidung statt einer Gestaltungsentscheidung ergehe.
Die Antragsteller beantragen:
„A.: Der Ermittlungsrichter möge - mit dem Ziel, dem 2. Untersuchungsausschuss der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages zum Untersuchungsauftrag gehörende Beweise zu übermitteln - Beweis erheben durch Ersuchen um Herausgabe (§ 29 Abs. 1 PUAG) des Schriftverkehrs, gespeicherter Dokumente, in Dateien oder auf andere Weise gespeicherter Daten und sonstiger sächlicher Beweismittel, auch in digitaler Form, die - kumulativ -
1. durch die Nutzung eines der folgenden E-Mail-Accounts:
..,
bundestags.de;
…@bundestag.de; …; ..,
bundestag.de; ..,
bundestag.de; ..,
bundestag.de; ..,
bundestag.de;
2. im Zeitraum zwischen dem 1.8.2018 und dem 28.11.2019 - hilfsweise dem 27.7.2019 - entstanden sind oder erzeugt wurden,
3. als Absender oder Adressaten das Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur oder eine/n der dort Bediensteten a. … b. … c. … d. … e. … f. … g. … h. … i. … j. …,
4. sowie im „Betreff“, auch in möglichen Kombinationen, einen oder mehrere der folgenden Begriffe bzw. Namen und Bezeichnungen aufweisen:
AG Grundsatzfragen, AG Leistung, AG Leistungsbestimmung, AG Vertrag, AGLB, automatische Kontrolle, Autoticket, AT, Betreiber, Erhebung, Vertrag Erhebung, EuGH, Eventim, Hinweise, Projekt Infrastrukturabgabe, Infrastrukturabgabe, Innenvereinbarung, Presseinfo, Presseinformation, Presseanfrage, Projekt ISA, ISA, (ISA), Jahresscheibe, Kapsch, Kündigung, Mautverträge, Maut-Verträge, Neuigkeitenzimmer, Paspagon, PKW-Maut, Re:WG:AW: Infrastrukturabgabe, Straßenbenutzungsgebühr, Tagesinfo, Tagesinformation, Taskforce, TaskForce, Toll Collect, TollCollect, TollCollect, Vergabe, SeV, Untersuchungsausschuss, WG:Infrastruktur gem. § 29 Abs. 1 PUAG bei Bundesminister S., MdB, Deutscher Bundestag, 11011 Berlin.
Es wird darum gebeten, die Beweismittel bis 2 Wochen nach Zustellung vorzulegen und ggfs. Teillieferungen vorab zu übermitteln.
B. Hilfsweise wird beantragt, wie folgt zu erkennen:
Es wird festgestellt, dass der 2. Untersuchungsausschuss der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages aufgrund des Beweisantrages der Antragsteller vom 8.4.2021 (A-Drs. 19[29] 181) verpflichtet ist, Beweis zu erheben zum gesamten Untersuchungsauftrag durch Ersuchen um Herausgabe (§ 29 Abs. 1 PUAG) des dort befindlichen Schriftverkehrs, gespeicherter Dokumente, in Dateien oder auf andere Weise gespeicherter Daten und sonstiger sächlicher Beweismittel, auch in digitaler Form, die - kumulativ - s.o. (Hauptantrag) Nr. 1-4“ 6.b) Der Antragsgegner beantragt, den Antrag der Antragsteller vom 26. April 2021 zurückzuweisen.
Der Antragsgegner ist der Ansicht, Haupt- und Hilfsantrag seien schon unzulässig, weil sie in dieser Form nicht Gegenstand der Beschlussfassung des Ausschusses gewesen seien. Der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachte Beweisantrag unterscheide sich in der Sache wesentlich von demjenigen Antrag, über den der Untersuchungsausschuss in seiner Sitzung vom 15. April 2021 entschieden habe, da der ursprüngliche Beweisantrag unter C. eine Einschaltung des Ermittlungsbeauftragten bei der Durchführung der Beweiserhebung vorgesehen gehabt habe, die in dem Antrag an den Ermittlungsrichter nicht mehr enthalten sei. Die nachträgliche Änderung des Beweisantrags betreffe auch keine bloße Nebensächlichkeit. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Ablehnung des ursprünglichen Beweisantrags durch die Mehrheit als unzulässig in der Ausschusssitzung vom 15. April 2021 allein auf die konkrete Durchführungsmodalität der Beweiserhebung, nämlich die Heranziehung des Ermittlungsbeauftragten, bezogen gewesen sei, weil der Beweisantrag auf einer Verbindung der Herausgabe nach § 29 Abs. 1 PUAG und der Beauftragung eines Ermittlungsbeauftragten nach § 10 PUAG beruhe. Zudem sei der Hauptantrag unzulässig, weil im Verfahren nach § 17 Abs. 4 PUAG ein Antrag auf unmittelbaren gerichtlichen Erlass eines Beweisbeschlusses nicht statthaft sei.
Der Hilfsantrag sei unbegründet, weil die begehrte Beweiserhebung rechtswidrig gewesen wäre. § 29 Abs. 1 PUAG biete keine taugliche Rechtsgrundlage für ein Herausgabeverlangen gegenüber Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Verpflichtungsadressaten des § 29 Abs. 1 PUAG seien nur natürliche Personen und juristische Personen des Privatrechts. Abgeordnete des Deutschen Bundestages seien keine Privatpersonen, sondern übten mit dem freien Mandat nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ein besonderes öffentliches Amt aus. Das Herausgabeersuchen des Beweisantrages sei jedoch ausdrücklich nicht an die Privatperson, sondern an den „Bundestagsabgeordneten S. MdB“ gerichtet. Die vorzulegenden E-Mails befänden sich auch nicht im Gewahrsam einer Privatperson. Der Antrag könne auch nicht ohne Weiteres auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt werden. Gegenstand der Entscheidung des Untersuchungsausschusses sei nur der jeweilige Antrag der Minderheit in seiner konkret gestellten Form. Der Ausschuss habe den Antrag der Minderheit nicht eigenmächtig durch einen neuen Antrag, der sich auf eine andere Rechtsgrundlage stütze, ersetzen oder einfach gegen dessen Wortlaut anders auslegen können. Dies wäre mit dem Minderheitenschutz des Beweisantragsrechts nach § 17 Abs. 2 PUAG nicht vereinbar gewesen. Auch im gerichtlichen Verfahren sei Gegenstand nur der konkrete Beweisantrag, wie er gestellt und von der Ausschussmehrheit abgelehnt wurde. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs sei nicht befugt, den Inhalt des Beweisantrags abzuändern. Im Untersuchungsausschussgesetz finde sich auch keine Rechtsgrundlage, auf die ein Herausgabeverlangen gegenüber einem Abgeordneten gestützt werden könne. Das gesamte Untersuchungsrecht des Deutschen Bundestages sei auf die Kontrolle der Exekutive zugeschnitten; § 18 Abs. 1 PUAG zähle darum nur die Bundesregierung und die Bundesverwaltung, nicht aber Mitglieder des Deutschen Bundestages zu den vorlageverpflichteten öffentlichen Stellen.
Das als Antrag auf Erhebung der Beweise gemäß § 17 Abs. 4 PUAG statthafte Begehren der Antragsteller bleibt ohne Erfolg. Der Hauptantrag ist unzulässig; der Hilfsantrag ist unbegründet.
1. Der Hauptantrag - einschließlich des darin enthaltenen zeitbezogenen Hilfsantrags - ist unzulässig.
a) Die Unzulässigkeit folgt indes nicht bereits aus der vom Antragsgegner bemühten Argumentation, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Ablehnung des ursprünglichen Beweisantrags vom 8. April 2021 durch die Mehrheit allein auf der konkreten Durchführungsmodalität der Beweiserhebung, nämlich der Heranziehung des Ermittlungsbeauftragten, beruhe. Dem Antragsgegner ist es nach dem die gesamte Rechtsordnung umspannenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf eine solche - allerdings ohnehin fernliegende - Argumentation zu berufen. Trotz der verfassungsrechtlich verankerten Pflicht (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. April 2002 - 2 BvE 2/01, juris Rn. 107, BVerfGE 105, 197, 225), die Ablehnung eines Beweisantrags der qualifizierten Minderheit nachvollziehbar zu begründen, hat die Ausschussmehrheit vorliegend nämlich keine inhaltliche Begründung gegeben, nachdem vor der Abstimmung lediglich der Abgeordnete L., MdB, für die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion erklärt hatte, den Antrag als unzulässig abzulehnen, und sich für die SPD-Fraktion niemand geäußert hatte. Dass nicht erkennbar ist, aus welchem konkreten Grund der Beweisantrag abgelehnt wurde, hat die Ausschussmehrheit damit selbst herbeigeführt. Die Berufung auf einen angeblich nicht auszuschließenden Ablehnungsgrund verstößt deshalb gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens.
b) Der Hauptantrag ist jedoch unzulässig, weil er nach seiner eindeutigen Formulierung eine Beweiserhebung durch den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs erstrebt.
Die Beweiserhebung ist ureigene Aufgabe des Untersuchungsausschusses (vgl. Art. 44 Abs. 1 GG und die einfachgesetzliche Konkretisierung in § 17 Abs. 1 PUAG). Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs „entscheidet“ gemäß § 17 Abs. 4 PUAG „über die Erhebung der Beweise“, erhebt sie aber nicht selbst. Das Verfahren nach § 17 Abs. 4 PUAG ist der Sache nach ein einfachgesetzliches (kontradiktorisches) Organstreitverfahren, in dem grundsätzlich allein Feststellungsentscheidungen getroffen werden können (vgl. dazu im Einzelnen BGH, Beschluss vom 6. Februar 2019 - 3 ARs 10/18, Rn. 33 ff. mwN). Ob es eine Ausnahmekonstellation geben kann, in der eine Verpflichtungs- oder sogar eine - hier beantragte - Gestaltungsentscheidung ergehen kann oder gar getroffen werden muss, kann vorliegend dahinstehen. Die Antragsteller haben keine durchgreifenden Anhaltspunkte vorgetragen, wonach der Untersuchungsausschuss nicht gewillt wäre, gerichtliche Entscheidungen zeitnah umzusetzen. Maßgeblich hierfür ist allein das Verhalten des Antragsgegners. Der Ausschussvorsitzende hat jedoch auf den ihm am Nachmittag des 29. Januar 2021 (einem Freitag) zugestellten Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 29. Januar 2021 - 1 BGs 42/21 bereits an dem darauffolgenden Dienstag, den 2. Februar 2021, die damals beschlussgegenständlichen Verkehrsdaten bei dem Präsidenten des Deutschen Bundestages angefragt. Nach dessen Antwortschreiben vom 5. Februar 2021 bestand keine Eilbedürftigkeit mehr, weil dadurch feststand, dass die Daten unwiederbringlich gelöscht, mithin unerreichbar waren und es daher auf die zuvor in dem Verfahren nach § 17 Abs. 4 PUAG aufgeworfenen Rechtsfragen nicht ankam (vgl. dazu bereits BGH [ER], Beschluss vom 22. März 2021 - 1 BGs 124/21).
2. Der auf die Feststellung einer Verpflichtung zu der beantragten Beweiserhebung gerichtete Hilfsantrag ist zulässig, aber unbegründet.
a) Der Zulässigkeit des Hilfsantrags steht insbesondere nicht entgegen, dass in der Antragsschrift vom 26. April 2021 nicht auch die in der Ausschussdrucksache 19(29) 181 unter B. und C. des Beweisantrags vom 8. April 2021 aufgeführten Bestandteile wiedergegeben werden. Indem der Hilfsantrag ausdrücklich auf die Ausschussdrucksache 19(29) 181 Bezug nimmt, bringt er hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass dieser Antrag zum Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung gemacht werden soll. Jedenfalls ist der im Ausschuss gestellte Antrag vom 8. April 2021 in dem Hilfsantrag als Minus enthalten, denn die Herausgabe der E-Mails an den nach § 10 Abs. 1 PUAG bestellten Ermittlungsbeauftragten ist weniger intensiv als eine Herausgabe an den gesamten Ausschuss. Entsprechendes gilt für den Wegfall der etwaige Zwangsmaßnahmen vorbereitenden Einstufung der Beweismittel als geheim.
b) Der Hilfsantrag ist unbegründet; die begehrte Beweiserhebung ist unzulässig.
aa) Eine Beweiserhebung ist unzulässig, wenn sie von dem Untersuchungsgegenstand nicht gedeckt ist oder gegen verfassungsrechtliche, gesetzliche oder geschäftsordnungsmäßige Vorschriften verstößt; darüber hinaus kann ein Beweisantrag abgelehnt werden, wenn das Antragsrecht missbräuchlich ausgeübt wird (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 17. Juni 2009 - 2 BvE 3/07, BVerfGE 124, 78, 118 ff.; BGH, Beschluss vom 6. Februar 2019 - 3 ARs 10/18, Rn. 19).
bb) Die von den Antragstellern beantragte Beweiserhebung steht mit den einfachgesetzlichen Regelungen des Untersuchungsausschussgesetzes über die Beweiserhebung nicht in Einklang; sie kann nicht auf § 29 Abs. 1 PUAG gestützt werden.
(1) Die §§ 29, 30 PUAG sind nach einhelliger Auffassung nur auf Herausgabeverlangen gegenüber Privaten anwendbar, nicht auf die Vorlage von Unterlagen durch öffentliche Stellen (vgl. etwa Klein in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 93. EL, Art. 44 Rn. 183 f.; Groh in v. Münch/Kunig, GG-Kommentar, 7. Aufl. 2021, Art. 44 Rn. 60; Georgii in Waldhoff/Gärditz, PUAG-Kommentar, § 29 Rn. 3 ff.; Brocker in BeckOK, Grundgesetz, 46. Edition, Art. 44, Rn. 59; Glauben/Brocker, Handbuch mit Kommentierung zum PUAG, 3. Aufl., Kapitel 15, Rn. 17 und § 29 Rn. 1). Die Vorlagepflicht öffentlicher Stellen bemisst sich ausschließlich nach § 18 PUAG (Georgii in Waldhoff/Gärditz, PUAG-Kommentar, § 29 Rn. 5; Brocker in Glauben/Brocker, Handbuch mit Kommentierung zum PUAG, 3. Aufl., § 29 Rn. 1).
Die Antragsteller stützen den Beweisantrag vom 8. April 2021 explizit auf § 29 Abs. 1 PUAG, begehren jedoch - ebenfalls ausdrücklich - ein Ersuchen um Herausgabe „bei Bundesminister S., MdB“ (S. 2 der Ausschussdrucksache 19[29] 181, Anlage 7a zur Antragsschrift vom 26. April 2021) und beziehen den Antrag inhaltlich auf dessen „dienstliche Kommunikation“ mit bestimmten Ministeriumsangehörigen (a.a.O., S. 6). Die dienstliche Korrespondenz eines Bundesministers mit Angehörigen seines Ministeriums zu dienstlichen Angelegenheiten unterfällt der Vorlagepflicht nach § 18 PUAG. Ob dies auch dann gilt, wenn der Bundesminister Dienstgeschäfte als Minister und damit als Mitglied der Bundesregierung über E-Mail-Accounts abwickelt, die ihm vom Deutschen Bundestag aufgrund seiner (gleichzeitigen) Funktion als Abgeordneter zur Verfügung gestellt wurden, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung. Die als Bundesminister geführte dienstliche Kommunikation wird nicht dadurch zu einer privaten, dass statt des vom Ministerium bereitgestellten E-Mail-Accounts ein Abgeordneten-Account genutzt wird. Auch Abgeordnete des Deutschen Bundestags sind Amtsträger (vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 11. Oktober 2006 - 2 BvE 1-4/06, BVerfGE 118, 277, 323; Klein in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 93. EL, Art. 38 Rn. 191; Dreier/Morlok, GG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, Art. 38 Rn. 146); die streitgegenständlichen E-Mail-Accounts stellt die Bundestagsverwaltung zur Verfügung. Die von den Antragstellern mit ihrem Beweisantrag begehrten E-Mails sind danach jedenfalls nicht im Gewahrsam der Privatperson S..
(2) Der in dem Antrag mehrfach ausdrücklich und eindeutig erklärte Wille eines Vorgehens nach §§ 29, 30 PUAG lässt keine Auslegung dahin zu, die Antragsteller stützten die von ihnen erstrebte Beweiserhebung zumindest auch auf die für dienstliche E-Mails eines Bundesministers tatsächlich geltende Vorlagepflicht nach § 18 PUAG.
In der schriftlichen Begründung des Beweisantrags vom 8. April 2021 ist zwar im Zusammenhang mit Art. 44 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 10 GG davon die Rede, die „Amtsführung eines Bundesministers“ sei keine Grundrechtsausübung und der Beweisantrag beziehe sich allein auf „dienstliche“ Kommunikation mit bestimmten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BMVI zum Thema des Untersuchungsauftrags. Den Antrag selbst stützen die Antragsteller jedoch eindeutig auf § 29 Abs. 1 PUAG. Die Vorschrift wird in dem eigentlichen Antragstext zweimal zitiert. So stellen die Antragsteller explizit ein Ersuchen um „Herausgabe (§ 29 Abs. 1 PUAG)“ und beantragen unter Buchstabe C., „für den Fall einer Weigerung des Gewahrsamsinhabers wird für diese Beweismittel der Geheimhaltungsgrad GEHEIM festgelegt (§ 29 Abs. 3 i.V.m. § 30 Abs. 1 PUAG)“. In der Begründung des Beweisantrags betonen sie, im Falle einer Weigerung von Bundesminister S., dem Beweisbeschluss Folge zu leisten, wäre ein Antrag nach § 29 Abs. 3 PUAG („Ordnungs- und Zwangsmittel“) zum Bundesgerichtshof erforderlich, weshalb der Ausschuss vorsorglich für diesen Fall die Einstufung der Beweismittel nach § 30 Abs. 1 PUAG beschließen solle.
cc) Dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs ist es verwehrt, in dem vorliegenden Verfahren darüber zu befinden, ob der Untersuchungsausschuss auf der Grundlage von § 18 PUAG zu der in der Sache begehrten Beweiserhebung verpflichtet ist.
Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs entscheidet über die Erhebung „bestimmter Beweise“, so dass in dem Verfahren nach § 17 Abs. 4 PUAG der Inhalt des Beweisantrags gegenüber der vorherigen Befassung im Ausschuss nicht abgeändert werden darf (vgl. Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 29. Januar 2021 - 1 BGs 42/21, Rn. 28). Nicht ausgeschlossen ist zwar die Heranziehung einer anderen Rechtsgrundlage, die den - inhaltlich identisch bleibenden - Beweisantrag trägt, denn insoweit handelt es sich um Rechtsanwendung. Allerdings geht es vorliegend nicht lediglich um die Frage der richtigen Rechtsgrundlage, sondern um die Anwendung eines gänzlich anderen Regelungsregimes. Das Untersuchungsausschussgesetz differenziert bei sächlichen Beweismitteln strikt zwischen der Erhebung von Beweisen aus dem öffentlichen Raum und der Erhebung von Beweisen, die sich im Gewahrsam Privater befinden. Dahinter steht der Gedanke, dass öffentliche Stellen entweder kraft parlamentarischer Verantwortlichkeit oder kraft Amtshilfe grundsätzlich zur Kooperation verpflichtet sind, während Private grundrechtlich geschützte Abwehransprüche gegen eine Inanspruchnahme zu Beweiszwecken haben, so dass eine Beweismittelbeschaffung bei Privaten als Grundrechtseingriff zu rechtfertigen ist (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 1987 - 2 BvR 1178, 1179, 1191/86, BVerfGE 77, 1, 53; Dreier/Morlok, GG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, Art. 44 Rn. 53; Gärditz in Waldhoff/Gärditz, PUAG-Kommentar, § 18 Rn. 1). Anders als bei den unmittelbar an die Verfassung gebundenen öffentlichen Stellen, bei denen die Mitwirkung aufgrund ihrer Pflichtenstellung im Rechtsstaat des Grundgesetzes eine Selbstverständlichkeit darstellt, bedarf es dementsprechend bei Privaten auch Regelungen über eine zwangsweise Durchsetzung der Herausgabe. Die aus ihrer unmittelbaren Bindung an das Grundgesetz folgende Vorlagepflicht öffentlicher Stellen aus Art. 44 Abs. 1 GG, konkretisiert durch § 18 PUAG, ist damit umfassender als die Herausgabepflicht Privater nach § 29 PUAG, die sich - anders als Amtsträger im Rahmen ihrer Dienstausübung - gegenüber einem Untersuchungsausschuss auf ihre Grundrechte berufen können. Dies steht ebenso wie der ausdrücklich erklärte Willen der Antragsteller auch einer - seinen Gegenstand unverändert lassenden - Umdeutung des auf § 29 PUAG gestützten Beweisantrags in einen solchen nach § 18 PUAG entgegen.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 665
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede