HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 359
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 440/21, Beschluss v. 26.01.2022, HRRS 2022 Nr. 359
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 14. Juni 2021 aufgehoben
a) im Strafausspruch im Fall C. II. der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Der Strafausspruch im Fall C. II. der Urteilsgründe sowie der Gesamtstrafenausspruch halten einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
1. Die Strafzumessung ist Aufgabe des Tatrichters. Er allein ist aufgrund des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, in der Lage, die für die Strafzumessung bestimmenden entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 29. Oktober 2020 - 1 StR 346/20 Rn. 3; vom 15. Juni 2016 - 1 StR 72/16 Rn. 10 mwN; vom 19. Januar 2012 - 3 StR 413/11 Rn. 4 und vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349). Nur in diesem Rahmen kann eine „Verletzung des Gesetzes“ im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO anzunehmen sein. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist dagegen ausgeschlossen (BGH aaO).
2. Die Zumessungserwägungen des Landgerichts sind trotz dieses eingeschränkten Prüfungsumfangs nicht frei von Rechtsfehlern.
a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts (UA S. 16) forderte der Angeklagte die mit ihm zusammenlebende Geschädigte nach dem Abendessen zum Geschlechtsverkehr auf. Als die Geschädigte ihm mehrfach deutlich machte, dass sie auf Grund eines vaginalen Krampfes dazu nicht in der Lage sei, da sie starke Schmerzen habe, drang der Angeklagte trotz ihres entgegenstehenden Willens ohne Kondom mit seinem erigierten Penis in die Vagina der Geschädigten ein, was bei ihr zu Schmerzen im Unterleib führte. Da der Angeklagte auch selbst beim Eindringen Schmerzen am Penis verspürte, musste er den Geschlechtsverkehr abbrechen, ohne dass er zum Samenerguss kam.
b) Das Landgericht hat die Strafe dem Strafrahmen des § 177 Abs. 6 StGB entnommen und ein Entfallen der Regelwirkung verneint. Die sehr knapp gehaltenen Ausführungen zur Strafzumessung (UA S. 59) berücksichtigen dabei zu Gunsten des Angeklagten nur seine schwierige Herkunftssituation sowie das nur kurze Eindringen in die Geschädigte ohne Samenerguss sowie zu seinen Lasten seine - teilweise auch wegen Gewaltdelikten einschlägigen - Vorahndungen. Diese Erwägungen lassen aber wesentliche für die Strafzumessung bestimmende Gesichtspunkte (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) außer Betracht. So wurde die Tat nach den Feststellungen des Landgerichts innerhalb einer seit Monaten zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten bestehenden Beziehung begangen, die zwar auch durch zahlreiche - vom Landgericht ausführlich dargestellte - Auseinandersetzungen (UA S. 12-15) geprägt war, wobei die beiden täglich, oft sogar mehrfach, einverständlich geschlechtlich verkehrten (UA S. 12), auch noch nach der verfahrensgegenständlichen Tat. Die Geschädigte hat sich nach ihren eigenen Angaben vor der Tat gemäß dem täglichen Ritual selbst ausgezogen und sich nackt auf die Matratze gelegt (UA S. 27), ohne dass der Angeklagte mit Gewalt darauf hingewirkt hätte. Die Spezifika dieser Beziehung, die durch das ambivalente Verhalten der Geschädigten mitgeprägt war, hätte bei der Strafzumessung in den Blick genommen und erörtert werden müssen, weil es für die Beurteilung der Täterpersönlichkeit und das Maß seiner Pflichtwidrigkeit (§ 46 Abs. 2 StGB) von wesentlicher Bedeutung gewesen wäre.
c) Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler, weil der Senat angesichts der hohen Strafe für den bisher nur durch Geldstrafen sowie eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten vorgeahndeten Angeklagten nicht ausschließen kann, dass das Landgericht bei Berücksichtigung dieser dargestellten bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte auf eine mildere Strafe erkannt hätte.
d) Die Aufhebung des Strafausspruchs bei dieser Tat bedingt auch die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.
3. Die bisherigen Feststellungen zur Strafzumessung bleiben aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO), da sie von den aufgezeigten Erörterungsmängeln nicht berührt werden. Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 359
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede