HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1204
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 284/21, Beschluss v. 22.09.2021, HRRS 2021 Nr. 1204
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 17. März 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts geführte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Die getrennt von ihrem Ehemann lebende Geschädigte W. holte den erheblich alkoholisierten Angeklagten, der zuvor mit ihrer besten Freundin liiert gewesen war, auf dessen Anruf am 5. Juli 2020 gegen 0.30 Uhr mit ihrem Pkw vom Bahnhof in L. ab, um ihn bei sich in der Wohnung schlafen zu lassen, nachdem er behauptet hatte, den letzten Zug zu seinem Wohnort versäumt zu haben. Im Fahrzeug begrüßten sie sich mit einem „gegenseitigen“ Zungenkuss; die Geschädigte sagte zu dem Angeklagten jedoch, dass sie ihn nicht liebe. In der Wohnung der Geschädigten nahmen beide im Wohnzimmer jeweils am entgegengesetzten Ende auf einer Couch Platz, wobei der Angeklagte immer näher zur Geschädigten „rutschte“. Als der Angeklagte dann neben der Geschädigten saß, legte sie ihre Hand auf sein Knie und er seine Hand auf ihren Oberschenkel und anschließend seinen rechten Arm um ihren Körper. Er berührte die Geschädigte oberhalb der Kleidung am Oberkörper und an der Brust und schließlich unterhalb der Kleidung. Er fasste ihr dabei in die Hose und in die von ihr getragene Erwachsenenwindel und führte zumindest ein paar Finger in ihre Vagina ein, woraufhin ihn die Geschädigte aufforderte, dies zu unterlassen. Der Angeklagte entgegnete, dass sie das doch auch wolle, und beließ zunächst seine Finger bzw. seine Hand in ihrer Vagina. Danach entkleidete der Angeklagte die Geschädigte und forderte sie auf, sich hinzulegen. Sie kam dieser Aufforderung nach; der Angeklagte drehte sie auf den Bauch und vollzog gegen ihren körperlichen Widerstand, ihre Hände über ihren Kopf festhaltend, mehrere Minuten an ihr den für sie schmerzbehafteten Analverkehr, obwohl sie äußerte, dass er aufhören solle und dass er ihr weh tue. Als die Geschädigte versuchte, sich zur Seite zu drehen, ließ der Angeklagte von ihr ab und forderte sie auf, mit ihm ins Schlafzimmer zu gehen. Er fasste die Geschädigte bei der Hand; sie ging mit ihm ins Schlafzimmer, wo er sie rücklings auf das Bett drückte. Ohne dass die Geschädigte einen entgegenstehenden Willen äußerte oder sich sonst widersetzte - woraus der Angeklagte folgerte, dass die Geschädigte einverstanden sei - vollzog der Angeklagte an ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss. Die Geschädigte äußerte nunmehr während des Geschlechtsverkehrs, dass sie ihn möge, und fand zudem Gefallen daran. Der Angeklagte ließ schließlich von der Geschädigten ab, nachdem er zunächst nochmals Sex mit ihr haben wollte, sie dies aber ablehnte, was er akzeptierte. Nachdem sich der Angeklagte im Wohnzimmer zum Schlafen gelegt hatte, kam sie ihm mit ihrem Kopf so nahe, dass er ihr Kinn an seinem Gesicht spürte. Im Anschluss daran begab sich die Geschädigte auf ihren Balkon und besprach sich mit ihrer Freundin, die früher die Lebensgefährtin des Angeklagten gewesen war. Diese kam schließlich zur Wohnung der Geschädigten und verständigte die Polizei, nachdem die Geschädigte von sich aus keine Anzeige erstatten wollte.
b) Der Angeklagte hat sich im Wesentlichen dahin eingelassen, dass die sexuellen Handlungen einvernehmlich gewesen seien. Als die Geschädigte geäußert habe, dass der (Anal-)Verkehr auf der Wohnzimmercouch ihr weh tue, habe er sofort damit aufgehört. Der Geschlechtsverkehr habe entgegen der Behauptung der Geschädigten nicht im Wohnzimmer, sondern im Schlafzimmer stattgefunden.
Die Geschädigte hat bei ihrer polizeilichen Zeugeneinvernahme angegeben, dass sowohl die manuelle als auch die anale und vaginale Penetration gegen ihren geäußerten Willen und gegen ihren nach außen erkennbaren körperlichen Widerstand vom Angeklagten vorgenommen worden seien. Die sexuellen Handlungen hätten sämtlich auf der Couch im Wohnzimmer stattgefunden. In der Hauptverhandlung glich die Geschädigte von sich aus ihre Aussage zum Teil der Einlassung des Angeklagten an. Der vaginale Geschlechtsverkehr habe im Schlafzimmer stattgefunden; sie habe sich hierbei weder verbal noch körperlich zur Wehr gesetzt. Auch wenn ihr der Vaginalverkehr gefallen habe, bleibe es für sie eine Vergewaltigung. Es treffe zu, dass sie ihm danach, als er auf der Wohnzimmercouch am Einschlafen war, über den Kopf gestreichelt und sich auch über ihn gebeugt habe. Es sei eine gute Frage, warum sie das getan habe.
2. Die Verurteilung des Angeklagten hält einer sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht frei von Rechtsfehlern ist (§ 261 StPO).
a) Allerdings ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Es bestehen jedoch besondere Anforderungen an die Begründung und Darstellung der Überzeugungsbildung, wenn das Tatgericht - wie vorliegend - seine Feststellungen im Rahmen der Aussage-gegen-Aussage-Konstellation zum eigentlichen Tatgeschehen allein auf die Angaben der Geschädigten stützt. In einer solchen Konstellation, in der die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, ob das Tatgericht den Angaben der einzigen Belastungszeugin folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass es alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegung einbezogen hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. August 2020 - 1 StR 178/20 Rn. 8; vom 12. Februar 2020 - 1 StR 612/19 Rn. 4 und vom 18. März 2020 - 1 StR 67/20 Rn. 7).
b) Diesen Anforderungen wird das Urteil des Landgerichts nicht in vollem Umfang gerecht.
aa) Das Landgericht hat die Angaben der Geschädigten, die diese in der Hauptverhandlung getätigt hat, der Verurteilung zugrunde gelegt. Lediglich hinsichtlich des Vaginalverkehrs hat es eine strafbare Handlung verneint, weil der Angeklagte auch angesichts seiner erheblichen Alkoholisierung den entgegenstehenden Willen der Geschädigten nicht habe erkennen können. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat die Strafkammer berücksichtigt, dass die Geschädigte ihre Aussage in wesentlichen Punkten zu ihren Angaben vor der Polizei abgeändert hat und des Weiteren, dass die Aussagekonstanz als äußerst eingeschränkt (UA S. 51 ff.) zu beurteilen war. Gleichwohl hat sie bei der Glaubhaftigkeitsbeurteilung der Aussage der Geschädigten diese als erlebnisbasiert bewertet und hierbei auch Umstände berücksichtigt, bei denen ihre Angaben inhaltlich konstant waren (UA S. 54 ff.) und ausreichend Realkennzeichen aufwiesen (UA S. 56 ff.). Aus diesen Gesichtspunkten der Glaubhaftigkeitsanalyse hat die Strafkammer unter anderem die „Richtigkeit“ der Angaben der Geschädigten abgeleitet.
bb) Die Berücksichtigung dieser Umstände begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die vom Landgericht als konstant bewerteten und die als Realkennzeichen herangezogenen Gesichtspunkte sind im Wesentlichen ungeeignet, um ein fehlendes Einverständnis der Geschädigten mit den sexuellen Handlungen zu widerlegen. Sie sprechen weder für noch gegen eine Überwindung eines entgegenstehenden Willens der Geschädigten und stehen im Übrigen auch im Einklang mit den Angaben des Angeklagten. Der Umstand, dass die DNA des Angeklagten an den Handgelenken der Geschädigten festgestellt worden ist, vermag allein die Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten nicht zu bestätigen.
3. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Fehlerhaftigkeit der Glaubhaftigkeitsanalyse. Die Sache ist daher insgesamt neu zu verhandeln und zu entscheiden.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1204
Externe Fundstellen: StV 2022, 211
Bearbeiter: Christoph Henckel