HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 4
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 142/20, Beschluss v. 14.10.2020, HRRS 2021 Nr. 4
1. Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 21. Oktober 2019, soweit es ihn betrifft, aufgehoben
a) im Strafausspruch,
b) soweit der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe weiterer 3.273,77 Euro den Betrag von 2.511,27 Euro übersteigt; im Umfang des darüber hinausgehenden Betrages von 762,50 Euro entfällt die Einziehungsanordnung.
2. Auf die Revision des Angeklagten Kr. wird das vorgenannte Urteil, soweit es ihn betrifft, aufgehoben
a) im Strafausspruch,
b) soweit der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe weiterer 2.752,70 Euro den Betrag von 1.768,10 Euro übersteigt; im Umfang des darüber hinausgehenden Betrages von 984,60 Euro entfällt die Einziehungsanordnung.
3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten K. und Kr. werden verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel dieser Angeklagten, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs und versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in zehn Fällen sowie wegen Betrugs in fünf Fällen und versuchten Betrugs in 38 Fällen - bei Freisprechung im Übrigen - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Den Angeklagten Kr. hat es wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs und versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in elf Fällen sowie Betrugs in zwei Fällen und versuchten Betrugs in zwei Fällen - bei Freisprechung im Übrigen - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen den Mitangeklagten L. (vormals S.) hat es wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs und versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in elf Fällen sowie wegen Betrugs in sieben Fällen und versuchten Betrugs in 40 Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verhängt. Zudem hat es gegen die Angeklagten, zum Teil als Gesamtschuldner, die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet.
Gegenstand der Verurteilung ist die unberechtigte Abmahnung von Gewerbetreibenden im Online-Videospielhandel wegen Verstößen gegen das Jugendschutzgesetz durch die Angeklagten K. und Kr., beides Rechtsanwälte, in Zusammenarbeit mit dem Mitangeklagten L., der zwar vorgab, ebenfalls einen solchen Handel zu betreiben, nach den Urteilsfeststellungen aber keine wesentliche Geschäftstätigkeit entfaltete, um hierdurch für alle Angeklagten eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu schaffen.
Mit ihren Revisionen wenden sich die Angeklagten gegen ihre Verurteilung und beanstanden dabei jeweils die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel erzielen mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I. Revision des Angeklagten K.
1. Die Verfahrensrügen haben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts näher ausgeführten Gründen keinen Erfolg.
2. Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten K. ergeben. Demgegenüber hält der Strafausspruch sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand (nachfolgend a)). Die Einziehungsanordnung hat zum Teil zu entfallen (nachfolgend b)).
a) Der Strafausspruch des Landgerichts enthält einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten K. und hat daher keinen Bestand.
aa) Im Rahmen der Prüfung, ob besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB vorliegen, die eine Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen, hat das Landgericht ausgeführt, das Fehlen von Vorstrafen sei bei dem Angeklagten K. „nichts Besonderes“ und daher nur ein durchschnittlicher Milderungsgrund. Denn bei einem Rechtsanwalt, dessen Zulassung noch nicht widerrufen worden sei, sei das Fehlen von Vorstrafen der Regelfall. Diese Erwägung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie lässt besorgen, das Landgericht habe dem Strafmilderungsgrund, nicht vorbestraft zu sein, bei dem Angeklagten K. allein deshalb geringeres Gewicht beigemessen, weil er dem Berufsstand der Rechtsanwälte angehört. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es indes nicht zulässig, die straffreie Lebensführung eines Täters mit der Begründung unberücksichtigt zu lassen, dass Straffreiheit eine Selbstverständlichkeit sei (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 1982 - 3 StR 110/82 mwN; vgl. auch Fischer, StGB, 67. Aufl., § 46 Rn. 37b). Dies gilt auch für Rechtsanwälte. Bereits die Abschwächung des Strafmilderungsgrundes der Unbestraftheit mit dieser Erwägung stellt hier einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler dar. Da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Landgericht den Strafmilderungsgrund straffreier Lebensführung bei der Strafzumessung und im Rahmen der gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB vorzunehmenden Gesamtwürdigung unterschiedlich gewichtet hat, kann der Strafausspruch insgesamt keinen Bestand haben. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne diesen Rechtsfehler niedrigere Strafen verhängt hätte.
bb) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind von dem Wertungsfehler nicht betroffen und haben daher Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann zur Strafzumessung ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
b) Die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nur zum Teil stand. Sie hat zu entfallen, soweit die vom Landgericht gegen den Angeklagten K. angeordnete Einziehung weiterer 3.273,77 Euro den Betrag von 2.511,27 Euro übersteigt.
Das Landgericht hat im Rahmen der Einziehungsentscheidung die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe weiterer 3.273,77 Euro angeordnet. Es hat dabei nicht beachtet, dass sich ein Teilbetrag hiervon in Höhe von 762,50 Euro auf einen Tatvorwurf zum Nachteil des Geschädigten B. bezieht, hinsichtlich dessen das Verfahren in der Hauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Der dieser Tat zugeordnete Tatertrag von 762,50 Euro hätte daher nur noch nach § 76a Abs. 3 StGB im selbstständigen Einziehungsverfahren eingezogen werden können, was allerdings einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 435 StPO vorausgesetzt hätte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. April 2019 - 1 StR 54/19 Rn. 16 und vom 18. Dezember 2018 - 1 StR 407/18 Rn. 13). Fehlt es - wie hier - an einem solchen Antrag, steht der dennoch ausgesprochenen Einziehung das Verfahrenshindernis der fehlenden Anhängigkeit entgegen (vgl. BGH, aaO; Beschluss vom 9. Januar 2018 - 3 StR 605/17 Rn. 8).
II. Revision des Angeklagten Kr.
1. Die Verfahrensrügen haben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts näher ausgeführten Gründen keinen Erfolg.
2. Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten Kr. ergeben. Demgegenüber hält der Strafausspruch sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand (nachfolgend a)). Die Einziehungsanordnung hat teilweise zu entfallen (nachfolgend b)).
a) Der Strafausspruch des Landgerichts enthält einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten Kr. und hat daher keinen Bestand.
aa) Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht beim Angeklagten Kr. mehrfach entscheidend darauf abgestellt, dass er seine Stellung als Organ der Rechtspflege missbraucht habe. Dies wiege derart schwer, dass trotz der aufgeführten Strafmilderungsgründe - u.a. der bisherigen Straffreiheit - weder ein minder schwerer Fall des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in Betracht komme noch die Indizwirkung des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB entfalle. Diese Ausführungen, die die Stellung des Angeklagten Kr. als Organ der Rechtspflege besonders hervorheben, lassen in der Gesamtschau mit der Bewertung der beruflichen Stellung des Angeklagten K. bei dessen Strafzumessung besorgen, dass das Landgericht bei dem Angeklagten Kr. dessen Tätigkeit als Rechtsanwalt bei dem Strafzumessungsgesichtspunkt der fehlenden Vorstrafen in gleicher Weise rechtsfehlerhaft gewichtet und das Fehlen von Vorstrafen als „nichts Besonderes“ angesehen hat. Dies führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.
bb) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind von dem Wertungsfehler nicht betroffen und haben daher Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann zur Strafzumessung ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
b) Auch die den Angeklagten Kr. betreffende Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nur zum Teil stand. Sie hat zu entfallen, soweit die vom Landgericht gegen diesen Angeklagten angeordnete Einziehung von weiteren 2.752,70 Euro den Betrag von 1.768,10 Euro übersteigt.
Das Landgericht hat im Rahmen der Einziehungsentscheidung die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe weiterer 2.752,70 Euro angeordnet.
Es hat dabei nicht beachtet, dass insoweit das Verfahren hinsichtlich des Tatvorwurfs zum Nachteil des Geschädigten D. in der Hauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Der dieser Tat zugeordnete Tatertrag von 984,60 Euro konnte nur noch nach § 76a Abs. 3 StGB im selbstständigen Einziehungsverfahren eingezogen werden. Da ein diesbezüglicher Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 435 StPO nicht vorliegt, steht der Einziehung des Wertes von Taterträgen in diesem Umfang ein Verfahrenshindernis entgegen.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 4
Externe Fundstellen: StV 2021, 188
Bearbeiter: Christoph Henckel