hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 554

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 641/17, Beschluss v. 22.03.2018, HRRS 2018 Nr. 554


BGH 1 StR 641/17 - Beschluss vom 22. März 2018 (LG Ravensburg)

Besondere Schwere der Schuld (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB; § 211 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 27. September 2017 im Ausspruch über die besondere Schwere der Schuld aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat nur zum Ausspruch über die besondere Schuldschwere Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen tötete der Angeklagte seine von ihm getrennt lebende Ehefrau, indem er sie im Schlafzimmer des vormals gemeinsam genutzten Hauses bis zur Bewusstlosigkeit würgte, sie vom Bett herunter zog und anschließend unter Zuhilfenahme eines Bettbezugs in den Heizungskeller im Erdgeschoss verbrachte. Dort schlang er ihr einen sogenannten Kälberstrick um den Hals, den er zuvor an zwei an der Decke befindlichen Heizungsrohren angebracht hatte, und ließ seine Ehefrau, der er spätestens jetzt das von ihr getragene Nachthemd ausgezogen hatte, sodass sie nur noch mit einem Slip bekleidet war, rückwärts in die Schlaufe des Kälberstricks fallen. Hierdurch sollte der Anschein erweckt werden, dass seine Ehefrau einen Suizid begangen und sich selbst im Heizungsraum erhängt habe. Der Tod trat nach dem Transport in den Heizungskeller entweder aufgrund des vorangegangenen Würgens oder durch das dortige Erhängen ein.

Nach den Feststellungen des Landgerichts fasste der Angeklagte den Tatentschluss nach der Trennung von seiner Ehefrau und dem Auszug aus dem gemeinsam genutzten Haus. Hintergrund für die Tat war die schwierige persönliche und güterrechtliche Situation des Angeklagten. Der Angeklagte litt nach den Feststellungen seit mehreren Jahren an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung, die sich spätestens ab September 2014 insbesondere in einem gesteigerten Misstrauen gegen die sexuelle Treue seiner Ehefrau sowie einem sehr starken Beharren auf der - nicht wahnhaften - Überzeugung auswirkte, dass seit Beginn der 1990er Jahre eine inzestuöse Beziehung zwischen seiner Ehefrau und ihrem Vater bestanden habe. Aufgrund dieser Persönlichkeitsstörung verschlechterte sich die Beziehung endgültig. Belastet wurde die Ehe zudem durch den Umstand, dass lediglich die Ehefrau des Angeklagten als Eigentümerin des gemeinsam genutzten Hausgrundstücks im Grundbuch eingetragen war und der Angeklagte auf der Grundlage eines formnichtigen schuldrechtlichen Vertrages zuletzt vehement die anteilsmäßige Eigentumsübertragung verlangte, was seine Ehefrau jedoch ablehnte. Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte seine Ehefrau beseitigen, da er sie nach der Trennung als Hindernis zwischen ihm und einem Zusammenleben mit seinen drei Kindern in dem ihm zustehenden Wohnhaus sah.

2. Das Landgericht ist von der Verwirklichung der Mordmerkmale der Heimtücke sowie der Habgier und der niedrigen Beweggründe ausgegangen. Neben der Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe gemäß § 211 StGB hat es nach zusammenfassender Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit die besondere Schuldschwere nach § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB festgestellt.

II.

1. Die Begründung, mit der das Landgericht die besondere Schuldschwere im Sinne des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB bejaht hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar obliegt es dem Tatrichter, unter Würdigung aller hierfür erheblichen Umstände die Schuld des Angeklagten im Sinne der §§ 46, 57a StGB zu gewichten; das Revisionsgericht darf seine Wertung nicht an die Stelle derjenigen des Tatrichters setzen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 20. August 1996 - 4 StR 361/96, BGHSt 42, 226, 227; Urteil vom 27. Juni 2012 - 2 StR 103/12, NStZ-RR 2012, 339 jeweils mwN). Doch auch nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab erweist sich die tatrichterliche Entscheidung als rechtsfehlerhaft.

Das Landgericht hat schulderschwerend gewertet, dass der Angeklagte seine von ihm getötete Ehefrau - durch das nahezu vollständige Entkleiden - noch im Tod und darüber hinaus weiter herabgewürdigt habe (UA S. 170). Diese Wertung wird von den Feststellungen nicht getragen. Das Landgericht hat festgestellt, der Angeklagte habe seiner Ehefrau das Nachthemd ausgezogen und es zusammen mit anderen Textilien in die Waschmaschine gegeben, um die Spuren seiner Tat wie beispielsweise Blut, Urin, Kot oder Speichel des Opfers zu beseitigen (UA S. 108, 110). Damit nicht vereinbar ist aber die Wertung, es habe ein weiteres Herabwürdigen des Opfers durch das Ausziehen des Nachthemds stattgefunden oder sei von dem Angeklagten gar intendiert gewesen.

Überdies begegnet die Relativierung des Gewichts der - zugunsten des Angeklagten gewerteten - paranoiden Persönlichkeitsstörung bei der Bemessung der Schuldschwere rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat insoweit darauf abgehoben, dass die paranoide Persönlichkeitsstörung - welche die Strafkammer gestützt auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen rechtsfehlerfrei festgestellt hat - gerade nicht ursächlich für die Tatbegehung gewesen sei (UA S. 170). Diese Wertung berücksichtigt jedoch nicht ausreichend die weitere Feststellung, dass sich das Verhältnis der Eheleute aufgrund der bei dem Angeklagten bestehenden paranoiden Persönlichkeitsstörung massiv verschlechtert und letztlich zur Trennung der Eheleute geführt habe; unter anderem vor dem Hintergrund dieser schwierigen persönlichen Situation habe der Angeklagte den Entschluss gefasst, seine Ehefrau zu töten (UA S. 3 f.; 24). Danach stellt sich die paranoide Persönlichkeitsstörung des Angeklagten als ursächlich für die Schwierigkeiten in und das Scheitern der Ehe dar, die in der weiteren Entwicklung zu der Tat des Angeklagten geführt haben. Dieser Umstand wäre bei der Gesamtwürdigung ebenfalls zu berücksichtigen gewesen.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht. Die Sache bedarf daher insoweit erneuter Entscheidung. Die tatsächlichen Feststellungen können bestehen bleiben, da es sich um reine Wertungsfehler handelt. Das neue Tatgericht kann ergänzende, zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen.

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Angeklagten als unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 554

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 334; StV 2020, 91

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede