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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 32

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 305/17, Beschluss v. 11.10.2017, HRRS 2018 Nr. 32


BGH 1 StR 305/17 - Beschluss vom 11. Oktober 2017 (LG München I)

Tatrichterliche Beweiswürdigung (Darstellung im Urteil: keine Wiedergabe der Beweisaufnahme, revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 261 StPO; § 267 Abs. 1 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 9. Januar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.

Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensbeanstandungen und die ausgeführte Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt bereits auf sachlichrechtliche Fehler hin zur Aufhebung einschließlich der vom Landgericht getroffenen Feststellungen. Auf die Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.

1. Die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen zum Schuldspruch wegen Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB aF; § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB) beruhen auf einer lückenhaften und deshalb durchgreifend rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung.

a) Lückenhaft ist die Würdigung der Beweise insbesondere dann, wenn das tatrichterliche Urteil nicht erkennen lässt, dass der Tatrichter alle Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, in seine Ãœberlegungen einbezogen und dabei nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Juli 2017 - 3 StR 188/17 mwN).

b) Solche Lücken enthält das angefochtene Urteil.

aa) Das Landgericht hat folgende Feststellungen zum Kerngeschehen der Vergewaltigung vor allem auf die als glaubhaft bewerteten Angaben der Nebenklägerin gestützt:

Nachdem die Nebenklägerin und ihre Freundin, die Zeugin M., den Angeklagten und dessen Begleiter in einer Diskothek kennengelernt, dort gemeinsam getanzt sowie Alkohol konsumiert hatten, verlor die Nebenklägerin ihre Freundin aus den Augen und suchte diese. Mit der unzutreffenden Behauptung, die Zeugin M. sei bereits mit seinen Begleitern in ein Hotel vorgefahren, konnte der Angeklagte die Nebenklägerin veranlassen, ebenfalls mit einem Taxi zu diesem Hotel zu fahren. In dem zunächst angefahrenen Hotel der Kette“ O.“ wollte der Portier den 500-EuroSchein des Angeklagten aber nicht wechseln, so dass er sich gemeinsam mit der Nebenklägerin zu einem anderen Hotel dieser Kette, dem späteren Tatort, fahren ließ. Nach Eintreffen bezahlte der Angeklagte ein Zimmer in bar für eine Nacht im Voraus. Die Nebenklägerin dachte sich zunächst nichts dabei, dass weder die Zeugin M. noch die Begleiter des Angeklagten sich dort befanden. Im Anschluss an zunächst einvernehmlich ausgetauschte Küsse wurde der Angeklagte zudringlich. Auf einmal, ohne dass sich die Nebenklägerin daran erinnern konnte, wie es dazu gekommen war, war sie nackt und der Angeklagte versuchte vaginal mit seinem Penis in sie einzudringen. Im weiteren Verlauf des Geschehens kam es mehrfach zu ungeschütztem Vaginalverkehr, obwohl die Nebenklägerin immer wieder versuchte, den Angeklagten wegzustoßen und ihren Körper wegzudrehen.

bb) Der Einlassung des Angeklagten, es habe lediglich einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gegeben, ist das Landgericht nicht gefolgt, sondern hat die Aussagen der Nebenklägerin zugrunde gelegt. Die beweiswürdigenden Erwägungen, mit denen das Landgericht von zum Kerngeschehen des mehrfachen, durch Gewalt erzwungenen Vaginalverkehrs glaubhaften Angaben ausgeht, halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Bei der Beurteilung des Wahrheitsgehalts dieser Aussagen hat das Landgericht sich aufdrängende Umstände nicht erkennbar bedacht und nicht in die gebotene Gesamtwürdigung eingestellt.

Ausweislich der Beweiswürdigung lag für die Nebenklägerin der ausschlaggebende Grund zur Erstattung der Strafanzeige gegen den Angeklagten in dem Umstand, dass dieser sie durch Vortäuschen, ihre Freundin sei bereits in dem Hotel und sie würden sie dort treffen, aus der Diskothek weg und in das Hotel gelockt habe (UA S. 73). Als Kriterium für die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen zum eigentlichen Tatgeschehen hat das Landgericht maßgeblich auf die Konstanz der Angaben über die Fahrt von der Diskothek bis zu dem zweiten“ O.“ abgestellt (UA S. 69 und 70). Es gebe keinen Grund dafür, dass die Nebenklägerin sich die Komplikation der fehlenden Bereitschaft des Portiers im ersten Hotel, einen 500-EuroSchein anzunehmen, ausgedacht habe (UA S. 70).

Das Landgericht hat sich bei der Bewertung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin nicht näher damit befasst, dass die Angaben über das von der Nebenklägerin selbst als wesentliches Motiv für die Anzeigeerstattung genannte Locken in das Hotel mit dem Versprechen, die Zeugin M. dort zu treffen, in sich widersprüchlich sind. Ausweislich der im Urteil dargelegten Aussage der Nebenklägerin hat der Angeklagte ihr schon bei dem Vorschlag, in ein Hotel zu fahren, eine“ O. -Karte“ gezeigt. Bereits dies gab Anlass, näher zu erwägen, wie damit der erfolglose Versuch zu vereinbaren ist, in dem ersten angefahrenen Hotel ein Zimmer anzumieten. Erst recht hätte es vertiefter Erörterung für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Aussagen der Nebenklägerin bedurft, welche nachvollziehbare Grundlage es für sie gegeben haben sollte, von der Anwesenheit der Zeugin M. in dem zweiten angefahrenen“ O.“ ausgehen zu können. Denn nach den sonst getroffenen Feststellungen und der zugrundeliegenden Beweiswürdigung kann der Zeugin M. die Anmietung eines Zimmers in einem anderen als dem zunächst mit dem Taxi angefahrenen Hotel nicht bekannt gewesen sein. Angesichts der von der Nebenklägerin dem Wunsch, die Zeugin M. wieder zu treffen, beigelegten Bedeutung für ihre Bereitschaft, dem Angeklagten in ein Hotel zu folgen, genügt die Erwägung, die Nebenklägerin sei trotz des geschilderten Ablaufs nicht misstrauisch geworden, nicht dem Gebot, alle für die Beweiswürdigung bedeutsamen Umstände in diese einzubeziehen.

Eine umfassende Beurteilung des Realbezugs und der Zuverlässigkeit der Angaben der Nebenklägerin war zudem deshalb geboten, weil ihre Darstellung des Kerngeschehens der Tat in dem Hotelzimmer wenig detailreich ist und die Nebenklägerin gerade auch in Bezug auf die Ereignisse dort Erinnerungslücken aufweist. Soweit das Landgericht beweiswürdigend von einem sehr individuellen Geschehen durch den mehrfachen Wechsel zwischen Festhalten und Loslassen der Nebenklägerin durch den Angeklagten ausgeht, findet dieser Schluss keine ausreichende Grundlage in den dargelegten Inhalten der Aussagen der Nebenklägerin. Diese hat sich bereits, gegebenenfalls noch durch ihre Alkoholisierung erklärbar (vgl. UA S. 64 f.), nicht an den eigentlichen Beginn des Vergewaltigungsgeschehens erinnern können. Die zur Erzwingung des angegebenen mehrfachen vaginalen Geschlechtsverkehrs durch den Angeklagten eingesetzte Gewalt wird von der Nebenklägerin bezüglich der konkreten Art der Anwendung in pauschaler Weise beschrieben. Ausweislich der Wiedergabe in den Urteilsgründen hat er die Nebenklägerin „überall festgehalten, an den Armen, den Handgelenken und den Beinen“, zum Teil habe der Angeklagte sie auch „von hinten aufs Bett gedrückt“ (UA S. 20). Dabei kann es sich bereits nach dem Aussageinhalt nicht um ein einheitliches Geschehen handeln. In zeitlicher Hinsicht vermochte die Nebenklägerin die Vorgänge jedoch nicht einzuordnen (UA S. 21). Sie konnte sich zudem weder daran erinnern, ob der Angeklagte ein von ihr beschriebenes Würgen am Hals eingesetzt hat, um mit seinem Penis in sie einzudringen, noch daran, ob der Angeklagte auch auf weitere Arten als vaginal ein Eindringen versucht hat. Angesichts dieser Umstände hätte es für die rechtlich gebotene lückenlose Beweiswürdigung einer umfassenden Würdigung aller indiziell bedeutsamen Aspekte bedurft, um von der durch das Tatgericht angenommenen Konstanz der Angaben der Nebenklägerin zum Kerngeschehen auf die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen dazu schließen zu können.

In die erforderliche Gesamtwürdigung hätte das Landgericht zudem die Angaben der Zeugin M. über das Verhalten der Nebenklägerin in der Tatnacht einbeziehen müssen. Die Zeugin hat angegeben, sie habe die Nebenklägerin, die sie schon lange kenne, noch nie so „willig“ gesehen, normalerweise sei die Nebenklägerin nicht so, dass sie mit jemanden mitgehe (UA S. 30). Vor dem Hintergrund des vom Angeklagten angegebenen einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs und der vorstehend aufgezeigten Umstände in der Aussage der Nebenklägerin zum Kerngeschehen war eine Berücksichtigung der Einschätzung der Zeugin M. bei der Würdigung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin rechtlich geboten.

2. Die lückenhafte Beweiswürdigung, auf der die Verurteilung insgesamt beruht, führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils einschließlich der getroffenen Feststellungen. Der Rechtsfehler wirkt sich notwendig auf diese aus (§ 353 Abs. 2 StPO).

3. Der Senat weist im Hinblick auf die sich aus § 267 Abs. 1 Satz 1, § 261 StPO ergebenden Anforderungen an tatrichterliche Urteile darauf hin, dass die Beweiswürdigung keine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme enthalten, sondern lediglich belegen soll, warum bestimmte bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschluss vom 25. Juli 2017 - 3 StR 111/17 mwN). Insbesondere ist es nicht veranlasst, die Inhalte von Zeugenaussagen in ihren Einzelheiten mitzuteilen, auf die es für die Beweiswürdigung des Tatgerichts nicht ankommt. Das gilt erst recht, wenn die Urteilsgründe die breit wiedergegebenen Zeugenaussagen als in der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt oder nicht verwertet bezeichnen.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 32

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede