HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1005
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 188/17, Urteil v. 13.07.2017, HRRS 2017 Nr. 1005
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Kleve vom 8. Dezember 2016 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
I. Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen, weil es nicht mit der zur Verurteilung erforderlichen Sicherheit festzustellen vermochte, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegte Straftat tatsächlich beging. Hiergegen richtet sich die - vom Generalbundesanwalt vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet wird.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Mit ihrer Anklage hatte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last gelegt, seine Schwägerin, bei der er zur Untermiete wohnte, aus Anlass der von ihr ausgesprochenen Wohnungskündigung, mit der sie den Angeklagten unter Druck setzten wollte, oder aus einem sonstigen Grund mit vierzig Messerstichen getötet zu haben.
2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Zur Tatzeit wohnte der Angeklagte in der Wohnung der Getöteten. Sein Bruder, der Zeuge F. L., wohnte in der Nachbarwohnung, die der Angeklagte angemietet und ihm überlassen hatte. Da die Getötete das Zusammenleben mit den Brüdern ihres verstorbenen Ehemannes als schwierig empfand, teilte sie am 1. Juni 2016 ihrem Vermieter mit, dass sie deshalb kündigen und sich eine andere Wohnung mieten werde; am nächsten Tag erklärte sie ihm gegenüber jedoch, dass die Kündigung nicht ernst gemeint sei und sie lediglich dem Angeklagten aufzeigen wollte, dass „das süße Leben vorbei“ sei.
Am 2. Juni 2016 wurde gegen 11:00 Uhr auf dem Computer im Zimmer des Angeklagten eine Website mit dem Bild der durch zahlreiche Messerstiche getöteten amerikanischen Schauspielerin Sharon Tate aufgerufen. Es ließ sich indes nicht feststellen, dass der Angeklagte die Website aufsuchte, da der Computer sowohl von ihm als auch von seinem Bruder genutzt wurde und nicht mit einem Passwort gesichert war. Am selben Tag wurde D. L. zwischen 12:45 und 15:57 Uhr auf ihrer Couch im Wohnzimmer mit 40 Messerstichen getötet. Anschließend verbrachte der Täter die Leiche in die Raummitte und legte sie so ab, dass ihre Stellung in etwa derjenigen der Leiche von Sharon Tate auf der zuvor im Internet aufgerufenen Bilddatei entsprach.
Nach der Tat lief der Angeklagte, der behauptet, die Leiche aufgefunden und zunächst an einen Suizid gedacht zu haben, mehrfach durch die Blutlache, in der die Getötete lag, und verteilte das Blut in der Wohnung. Dabei trug er zunächst Schuhe, dann lief er in Socken und schließlich barfuß in der Wohnung umher. Seine Jogginghose kam an Vorder- und Rückseite großflächig mit Blut der Getöteten in Kontakt. Gegen 15:40 Uhr ging der Angeklagte in die Nachbarwohnung zu seinem Bruder, teilte diesem mit, dass seine Schwägerin tot in ihrer Wohnung liege, und ging dann zurück in die Tatortwohnung. Er alarmierte um 15:57 Uhr telefonisch die Polizei und teilte mit: „Die liegt hier tot oder was. Das sieht alles so inszeniert aus.“ Auf die Frage der am Tatort eintreffenden Polizeibeamten, was passiert sei, erklärte der Angeklagte, dass er seine Schwägerin tot vorgefunden habe und anschließend in der Wohnung herumgelaufen sei; die Leiche sei bereits kalt gewesen.
3. Das Landgericht vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte seine Schwägerin D. L. getötet hat; es hat nicht ausschließen können, dass der Bruder des Angeklagten, der Zeuge F. L., oder ein unbekannter Dritter die Tat beging.
II. Der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung stand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist keinen Rechtsfehler auf.
1. Kann das Tatgericht Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten nicht überwinden, so ist dies vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen. Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatrichters, dem allein es obliegt, sich unter dem Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht kann demgegenüber nur prüfen, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen stellt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. August 2015 - 3 StR 226/15, juris Rn. 5). Lückenhaft ist die Würdigung der Beweise insbesondere dann, wenn das Urteil nicht erkennen lässt, dass der Tatrichter alle Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, in seine Überlegungen einbezogen und dabei nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 2015 - 3 StR 635/14, juris Rn. 3). Liegt ein solcher Rechtsfehler nicht vor, ist die tatrichterliche Würdigung auch dann hinzunehmen, wenn ein anderes Ergebnis ebenso möglich gewesen wäre oder gar näher gelegen hätte (BGH, Urteil vom 17. April 2014 - 3 StR 27/14, NStZ-RR 2014, 279, 280; BGH, Urteil vom 10. März 2016 - 3 StR 450/15, juris Rn. 16; BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 - 4 StR 569/15, StraFo 2016, 347 mwN).
2. Nach diesen Maßstäben hält das landgerichtliche Urteil rechtlicher Prüfung stand.
a) Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt, dass das Schwurgericht im Grundsatz in einer umfassenden Beweiswürdigung dargelegt hat, weshalb es sich die erforderliche Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten nicht verschaffen konnte. Er sieht einen Rechtsfehler gleichwohl darin, dass das Landgericht die Angabe des Angeklagten, die Leiche seiner Schwägerin sei bereits kalt gewesen, als er sie auffand, nicht beweiswürdigend in Beziehung zu der „Vermutung“ gesetzt habe, dass das Blut von der Blutlache vom Couchtisch auf den Schuh des Angeklagten tropfte, als er diese auffand. Diese Einlassung und die „Hypothese“ des Schwurgerichts würden sich aber gegenseitig ausschließen. Denn falls die Leiche im Zeitpunkt des Auffindens bereits kalt gewesen wäre, müsste auch das Blut der Blutlache - das nach Angaben der dazu gehörten Sachverständigen bereits nach etwa 15 Minuten außerhalb des Körpers zähflüssig werde - bereits geronnen gewesen sein, was ein Auftropfen vom Couchtisch auf den Schuh verhindert hätte. Auf diesen Widerspruch in der Beweiswürdigung hätte das Landgericht eingehen müssen; da dies unterblieben sei, liege ein Erörterungsmangel vor.
b) Ein durchgreifender Rechtsfehler ist damit nicht aufgezeigt.
Die ausgeführte Sachrüge weist keinen Widerspruch in der Würdigung der tatsächlich festgestellten und der Beweiswürdigung zugrunde gelegten Beweismittel und Indizien auf; sie sieht lediglich einen Widerspruch zwischen der Einlassung des Angeklagten und einer im Urteil erwähnten „Vermutung“ zur Entstehung der Blutabtropfspur. Aus Rechtsgründen war das Schwurgericht indes nicht gehalten, eine bloß hypothetische Erwägung ausdrücklich in Beziehung zu der möglicherweise beweiserheblichen Erklärung des Angeklagten zu setzen und sie ausführlicher als geschehen im Rahmen der Gesamtschau in die Würdigung einzustellen. Es ist - wie dargelegt - allein Sache des Tatgerichts, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Es stellt keinen Rechtsfehler dar, wenn dieses bloßen Vermutungen über Geschehensabläufe nicht ein solches Gewicht beimisst, dass es deren vertiefter Erörterung im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit anderen Beweisanzeichen für erforderlich erachtet.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1005
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 385
Bearbeiter: Christian Becker