HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 229
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 399/16, Urteil v. 21.12.2016, HRRS 2017 Nr. 229
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 15. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen hat.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der beiden Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit zwei tateinheitlichen Fällen der Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit zwei tatmehrheitlichen Fällen der Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Mit ihrer auf die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beschränkten Revision rügt die Staatsanwaltschaft ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts.
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Angeklagte hatte sich geweigert, in einem gegen Unbekannt geführten Ermittlungsverfahren freiwillig eine Speichelprobe abzugeben, weshalb seine Wohnung am 26. März 2015 gegen 6.00 Uhr von Spezialkräften der Polizei gewaltsam geöffnet wurde, um eine gerichtlich angeordnete zwangsweise Blutentnahme durchzuführen. In diesem Rahmen beleidigte der zu diesem Zweck fixierte und gesicherte Angeklagte zwei Polizeibeamte und drohte einem Beamten, dass er ihn umbringen werde, wenn er die Möglichkeit dazu bekomme.
Nachdem die Blutentnahme durchgeführt, die Sicherung gelöst worden war und die eingesetzten Polizeibeamten die Wohnung sukzessive verlassen hatten, verhielt sich der Angeklagte zunächst ruhig, versetzte aber an der Wohnungstür unvermittelt einem Polizeibeamten mit der rechten geballten Faust einen sehr wuchtigen Schlag ins Gesicht, so dass dieser in die Hocke ging. Der Beamte erlitt dadurch ein Schwindelgefühl, eine rechtsseitige Gesichtsprellung mit leichter Schwellung sowie eine leichte Halswirbeldistorsion mit starken Schmerzen, die mehrere Tage anhielten.
Nach erneuter Sicherung des Angeklagten durch die Polizeibeamten zeigte dieser einem Polizeibeamten seinen ausgestreckten rechten Mittelfinger und äußerte: „Fick‘ Dich in den Arsch, wir sind Feinde“. Nachdem der Angeklagte auf Grund einer vorläufigen Festnahme zum Polizeipräsidium verbracht worden war, bezeichnete er einen am vorherigen Einsatz nicht beteiligten Polizeibeamten als „Du Arschloch“ und spuckte ihm zudem aus ein bis zwei Meter Entfernung in das Gesicht sowie auf dessen Kleidung.
2. Der Angeklagte ist bisher wegen Erschleichens von Leistungen in vier Fällen vorgeahndet und im Jahr 2013 zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt worden. Vor den verfahrensgegenständlichen Taten gab es gegen den Angeklagten in den Jahren 2012 bis 2014 mehrere Ermittlungsverfahren, die jeweils nach § 153 oder § 154 StPO eingestellt wurden und deshalb nicht zu weiteren Verurteilungen führten. Insoweit hat das Landgericht gleichwohl folgende Feststellungen getroffen (UA S. 73-75): So hat der Angeklagte im Rahmen eines Gerangels nach einer Fahrscheinkontrolle einen Mitarbeiter der U-Bahn-Wache beleidigt und so in den Unterarm gebissen, dass dieser dadurch eine blutende Wunde erlitt. Bei einer weiteren Kontrolle in der U-Bahn hat der Angeklagte einem Mitarbeiter einen Schlag ins Gesicht sowie jeweils links und rechts in den Rumpf versetzt, wodurch dieser eine leichte Prellung im Gesicht und Schmerzen erlitt. In weiteren Ermittlungsverfahren setzte der Angeklagte mehrfach Notrufe ab, beleidigte die Beamten, die diese Gespräche entgegennahmen, und kündigte an, jeden „abzuschlachten“, der versuche seine Mutter zu töten, wobei er ein Messer zu Hause habe. Es erfolgten auch Bedrohungen und Beleidigungen eines Mitarbeiters des Kreisverwaltungsreferats. In der Wohnung des Angeklagten konnten bei Durchsuchungsmaßnahmen Munition für Langwaffen und pyrotechnische Gegenstände sichergestellt werden.
3. Der Angeklagte erkrankte im Jahr 2009 erstmals an Schizophrenie, weshalb eine stationärpsychiatrische Behandlung erforderlich war, wobei er auch medikamentös behandelt wurde. Im Anschluss an die stationäre Therapie folgte eine mehrere Monate andauernde weitere ambulante Behandlung. Das sachverständig beratene Landgericht geht davon aus, dass der Angeklagte auch im Tatzeitraum an einer paranoiden Schizophrenie mit unvollständiger Remission und damit an einer krankhaften seelischen Störung als Eingangsmerkmal i.S.d. § 20 StGB litt. Da es sich hierbei um ein Störungsbild handele, welches das Motivationsgefüge und Tatverhalten entscheidend geprägt habe, sei beim Angeklagten von einer erheblichen Minderung der Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 21 StGB auszugehen. Im Rahmen der einstweiligen Unterbringung im zu Grunde liegenden Verfahren verweigerte der Angeklagte jegliche Medikation und zeigte keine Krankheitseinsicht.
4. Im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 63 StGB für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kommt das Landgericht zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte zwar die rechtswidrigen Taten im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen habe. Nach umfangreicher Gesamtwürdigung verneint das Landgericht aber die erforderliche Gefährlichkeitsprognose, da es an der notwendigen Erheblichkeit der für die Zukunft vom Angeklagten zu erwartenden Straftaten mangele. Zwar rage auch die verfahrensgegenständliche vorsätzliche Körperverletzung grundsätzlich in den Bereich mittlerer Kriminalität hinein. Ihr könne aber im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose nur ein geringes Gewicht beigemessen werden, da die Aggression einer Ausnahmesituation entspringe (UA S. 71). Auch aus den jeweils gemäß § 153 oder § 154 StPO eingestellten weiteren staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren ergebe sich keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für schwere Störungen des Rechtsfriedens durch den Angeklagten.
Die Revision des Angeklagten ist überwiegend begründet. Die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Die Ausführungen des Landgerichts zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft und ermöglichen dem Senat keine Nachprüfung, ob es zu Recht eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt ausgeschlossen und eine erhebliche Verminderung der Schuld bejaht hat.
a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (BGH, Urteil vom 1. Juli 2015 - 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319 und Beschluss vom 12. März 2013 - 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519 jeweils mwN). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist der Richter für die Tatsachenbewertung jeweils auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2016 - 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135 und vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146).
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe im vorliegenden Fall nicht gerecht.
Zwar ist das Landgericht zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die beim Angeklagten durch den Sachverständigen diagnostizierte paranoide Schizophrenie mit unvollständiger Remission unter das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung i.S.d. § 20 StGB eingeordnet werden kann. Die weiteren Ausführungen des Landgerichts zu den Auswirkungen und zum Schweregrad dieser Erkrankung sind aber widersprüchlich. So wird einerseits davon ausgegangen, dass beim Angeklagten eine wahnhafte Störung bestanden habe, die sowohl zum Vorliegen einer Wahnstimmung als auch zu einer Wahnwahrnehmung geführt habe, so dass letztlich eine konstruktive Auseinandersetzung mit ihm nicht möglich gewesen sei. Durch die vom Angeklagten geführte Diskussion habe sich der Wahn verhärtet und die Erkrankung verstärkt (UA S. 42 und 47). Anderseits kommt das Landgericht aber letztlich zum Ergebnis, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit „weder vollständig aufgehoben noch die Einsichtsfähigkeit beeinträchtigt gewesen“ sein soll, weil der Angeklagte „insbesondere zu ruhig und zu klar gewesen“ sei (UA S. 46), wobei diese Wertung in einem Spannungsverhältnis zu den Bekundungen des Sachverständigen Dr. Dr. C. steht. Dieser hat den nach der Tat inhaftierten Angeklagten aufgesucht und ihn nicht nur als laut, sondern als „hasserfüllt, ablehnend und furchteinflößend“ (UA S. 47 aE) geschildert. Damit bleibt auf Grund dieser widersprüchlichen Wertungen letztlich offen, in welchem Umfang sich die vom Sachverständigen attestierte Erkrankung des Angeklagten bei der Begehung der konkreten Tat ausgewirkt hat.
2. Da der Senat deshalb nicht auszuschließen vermag, dass der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit und nicht nur im Zustand verminderter Schuldfähigkeit handelte, muss über den Schuldspruch und die strafrechtlichen Rechtsfolgen der Tat insgesamt neu verhandelt und entschieden werden.
3. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen beruhen aber auf einer mangelfreien Beweiswürdigung und sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann insoweit aber ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat ebenfalls Erfolg. Die Nichtanordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die Nichtanordnung der Maßregel nach § 63 StGB beschränkt (§ 344 Abs. 1 StPO).
2. Die Nichtanordnung der Maßregel nach § 63 StGB ist rechtsfehlerhaft. Zwar ist das Landgericht von einer zumindest erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt i.S.d. § 21 StGB ausgegangen, jedoch weist die zur Verneinung der Maßregel führende Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts durchgreifende Wertungsfehler auf.
a) Eine Unterbringung nach § 63 StGB darf lediglich dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 3. September 2015 - 1 StR 255/15, NStZ-RR 2016, 198 mwN; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 63 Rn. 15 und 16 mwN). Dies setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 - 1 StR 445/16; vom 18. Juli 2013 - 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383; vom 16. Juni 2014 - 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571; vom 19. August 2014 - 3 StR 243/14, StV 2016, 732; Urteil vom 28. Oktober 2015 - 1 StR 142/15, NStZ-RR 2016, 40; BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 - 2 BvR 298/12, NStZ-RR 2014, 305).
Diese durch die Rechtsprechung herausgebildeten Anforderungen sind durch die neue Fassung des § 63 Satz 1 StGB dahingehend konkretisiert worden, dass nur die Erwartung solcher erheblicher rechtswidriger Taten ausreicht, durch die die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht von vornherein ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschlüsse vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 f.; vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 76 f.).
b) Die Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 - 1 StR 445/16; vom 16. Januar 2013 - 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141; vom 1. Oktober 2013 - 3 StR 311/13, NStZ-RR 2014, 42; vom 2. September 2015 - 2 StR 239/15; vom 3. Juni 2015 - 4 StR 167/15, StV 2016, 724) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Taten von ihm infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 - 2 BvR 298/12, NStZ-RR 2014, 134; BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306). Diesem schon von der Rechtsprechung entwickelten besonderen Darlegungserfordernis gibt die seit dem 1. August 2016 geltende und über § 2 Abs. 6 StGB anzuwendende Neuregelung in § 63 Satz 2 StGB eine klare gesetzliche Fassung (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften, BT-Drucks. 18/7244, S. 22-24).
c) Diesen aufgezeigten Anforderungen genügt die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht, da sie in sich widersprüchlich ist und den festgestellten Sachverhalt nur unzureichend würdigt.
Das Landgericht hat im Rahmen seiner Erwägungen zwar auf der einen Seite zutreffend beachtet, dass im Rahmen der Gesamtabwägung zur Gefährlichkeit des Angeklagten einer in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichenden Tat nur eingeschränktes Gewicht beizumessen sein kann, wenn Auslöser für diese Tat eine vom Angeklagten als äußerst bedrohlich empfundene Ausnahmesituation war (BGH, Urteil vom 8. Juni 2011 - 5 StR 134/11, RuP 2011, 245). Auf der anderen Seite geht das Landgericht auch rechtsfehlerfrei davon aus, dass bei der Gefährlichkeitsprognose im Rahmen der Gesamtwürdigung von Tat und Täter neben den verfahrensgegenständlichen auch frühere Taten mit zu berücksichtigen sind, selbst wenn die diesbezüglichen Verfahren nach § 153 oder § 154 StPO eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 StR 437/03).
Die diese beiden Gesichtspunkte berücksichtigenden Wertungen des Landgerichts dürfen jedoch nicht - wie hier - in Widerspruch zueinander stehen. Unabhängig von der Frage, ob es sich bei dem verfahrensgegenständlichen Polizeieinsatz bereits um eine derartige Ausnahmesituation für den Angeklagten handelte, belegen die Feststellungen des Landgerichts zu den weiteren Ermittlungsverfahren, dass der Angeklagte durch die Begehung vorsätzlicher Körperverletzungen im Bereich der mittleren Kriminalität in Erscheinung getreten ist. Bei beiden Vorfällen im Zusammenhang mit Fahrscheinkontrollen handelte es sich jedenfalls um keine Ausnahmesituationen im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung, sondern um ganz gewöhnliche Geschehnisse im Alltag. Alle bisherigen Taten des Angeklagten stellen sich damit - wie vom Sachverständigen auch ausgeführt - als unmittelbare Reaktion auf eine bestimmte vorangegangene, vom Angeklagten „krankheitsbedingt als vermeintliches Unrecht empfundener Situationen“ dar (UA S. 68) und belegen den vom Landgericht angenommenen Obersatz, dass „vom Angeklagten auch in Zukunft Straftaten von ähnlicher Schwere zu erwarten sind, wie sie vom Angeklagten auch in der Vergangenheit begangen worden sind“ (UA S. 67). Das einseitige Abstellen des Landgerichts auf die „Ausnahmesituation“ bei den verfahrensgegenständlichen Taten zur Verneinung der Gefährlichkeitsprognose steht damit in Widerspruch zu den Feststellungen des Landgerichts in Bezug auf die übrigen Taten, denen nur eine völlig untergeordnete Bedeutung beigemessen wird. Völlig unberücksichtigt im Rahmen der Gesamtabwägung bleibt zudem, dass der Angeklagte auch mehrfach Notrufe absetzte und ankündigte, jeden „abzuschlachten“, der versuche seine Mutter zu töten, wobei sich in seiner Wohnung Munition und pyrotechnische Gegenstände befanden. Gleiches gilt für die Feststellung des Landgerichts, dass der Angeklagte im Rahmen der Begutachtung durch den Sachverständigen ein Klappmesser mit sich führte, dieses aber nicht als Waffe verwendete, sondern auf den Tisch legte (UA S. 74). Ausgehend von den beim Angeklagten festgestellten Wahngedanken mit inadäquaten Affekten in Form von erheblich verminderter Impulskontrolle (UA S. 44) sind die abschließenden Wertungen des Landgerichts, dass beim Angeklagten zwar mit erneuten Beleidigungen und Bedrohungen zu rechnen sei, aber nicht mit weiteren schwerwiegenderen Straftaten (UA S. 76), nicht tragfähig. Dies gilt umso mehr als das Landgericht auch im Rahmen der Prognoseentscheidung zur Ablehnung der Strafaussetzung zur Bewährung ebenfalls davon ausgeht, dass der Angeklagte krankheitsbedingt weitere Straftaten begehen wird (UA S. 63).
Mit aufzuheben sind auch die insoweit getroffenen Feststellungen des Landgerichts, um dem neuen Tatrichter eine umfassende und widerspruchsfreie Entscheidung zu ermöglichen.
Für die neue Hauptverhandlung, die auch das bis dahin gezeigte Verhalten des Angeklagten in den Blick zu nehmen hat, weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin: Da sich der Angeklagte nach den bisherigen Feststellungen des Landgerichts in der Zeit vom 26. März 2015 bis zum 15. Februar 2016 über zehn Monate in der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO befunden hat, ist diese Freiheitsentziehung gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB auf eine etwaige im neuen Verfahren zu verhängende Freiheitsstrafe anzurechnen, so dass eine Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung schon begrifflich ausscheidet. Ohne dass es auf die bedenklichen Ausführungen des Landgerichts zur Sozialprognose oder Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 Abs. 3 StGB) ankäme, müsste die dann bereits vollzogene Freiheitsstrafe als unbedingte ausgeurteilt werden (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2014 - 1 StR 36/14, NStZ-RR 2014, 138). Im Fall der Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB hätte der Angeklagte i.S.d. § 67b Abs. 1 Satz 2 StGB auch keine „Freiheitsstrafe zu verbüßen“, weil diese durch Anrechnung des erlittenen Freiheitsentzugs nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB erledigt wäre (BGH, Beschluss vom 25. August 1993 - 5 StR 500/93, StV 1994, 260).
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 229
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 170
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede