HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 99
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 594/13, Beschluss v. 18.11.2013, HRRS 2014 Nr. 99
Die Revision des Angeklagten und Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 4. Juli 2013 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten und Beschuldigten (nachfolgend: Beschuldigter) von den ihm im Strafverfahren vorgeworfenen Taten freigesprochen. Wegen dieser Taten und derjenigen, wegen derer das Sicherungsverfahren gegen ihn betrieben wird, hat es allerdings gemäß § 63 StGB seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Den Vollzug der Maßregel hat es zur Bewährung ausgesetzt.
Der Unterbringung liegt die Begehung von insgesamt 14 rechtswidrigen Taten durch den Beschuldigten zugrunde. Bei diesen handelt es sich überwiegend um Beleidigungen und Bedrohungen (hier vor allem Drohungen mit der Tötung der Bedrohten) sowie in einem Fall (II.3. der Urteilsgründe) um eine vorsätzliche Körperverletzung und in einem weiteren Fall (II.9. der Urteilsgründe) 1 2 um den Versuch einer gefährlichen Körperverletzung. Die Taten richteten sich in der Mehrzahl gegen Personen aus der Nachbarschaft des Beschuldigten.
Gegen das Urteil wendet sich die Revision des Beschuldigten, mit der er die näher ausgeführte Sachrüge erhebt.
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Das Tatgericht hat im Ergebnis ohne Rechtsfehler die Voraussetzungen der Maßregel gemäß § 63 StGB angenommen.
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Taten auf diesem Zustand beruht (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12; vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304). Dabei muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH jeweils aaO, siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
a) Der Bestand des Urteils wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das sachverständig beratene Landgericht als Eingangsmerkmale gemäß §§ 20, 21 StGB entweder eine auf einer wahnhaften Störung (ICD-10: F22.0) oder einer paranoiden Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.0) beruhende "andere schwere seelische Abartigkeit" oder eine durch eine paranoide Schizophrenie (ICD-10: F20.0) bedingte "krankhafte seelische Störung" angenommen hat. Zwar bedarf es grundsätzlich schon im Hinblick auf den symptomatischen Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den Anlasstaten sowie deren Bedeutung im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose der Feststellung, welche Ursachen bei dem Beschuldigten zu welchem von §§ 20, 21 StGB erfassten Zustand geführt haben (siehe nur van Gemmeren in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 63 Rn. 37 und 45; siehe auch BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - 2 StR 1/03, NStZ-RR 2003, 168). Ausnahmsweise kann jedoch auf eine zweifelsfreie Aufklärung verzichtet werden, wenn mehrere Störungen in Betracht kommen, die aber jeweils die Schuldfähigkeit des Täters sicher beeinträchtigen (vgl. BGH aaO). Allerdings muss der Tatrichter bei einer solchen Konstellation im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose jede der die Schuldfähigkeit beeinträchtigenden Ursachen auf ihre Bedeutung für die Beurteilung der zukünftigen Gefährlichkeit des Täters hin gesondert untersuchen (BGH aaO; siehe auch van Gemmeren aaO Rn. 45).
Beidem ist das Tatgericht noch gerecht geworden. Aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils lässt sich entnehmen, dass die bei dem Beschuldigten vorliegende dauerhafte Erkrankung durch wahnhafte Fehlinterpretationen des Verhaltens Dritter, vor allem solcher aus seiner Nachbarschaft, ihm gegenüber geprägt ist (UA S. 18 und 21). Nach den getroffenen Feststellungen und den Ausführungen des Tatgerichts im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose bezieht der Beschuldigte an sich völlig neutrale Geschehnisse auf sich und fühlt sich aufgrund der krankheitsbedingten Fehleinordnung in seiner Person angegriffen (UA S. 21). Sein eigenes beleidigendes, Gewalttätigkeiten androhendes und in Einzelfällen auch tatsächlich gewalttätiges Verhalten bewertet er - wiederum krankheitsbedingt - als normale und angemessene Gegenreaktion auf das Verhalten insbesondere seiner Nachbarn, aber auch seiner Umwelt insgesamt (UA S. 18 und 21, 23). In Bezug auf dieses Krankheitsbild hat das Tatgericht auf der Grundlage rechtsfehlerfreier Feststellungen dargelegt, dass dieses entweder dem Eingangsmerkmal einer krankhaften seelischen Störung oder einer schweren seelischen Abartigkeit zuzuordnen und aufgrund der Erkrankung die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zumindest erheblich beeinträchtigt ist. Eine weitere Aufklärung der Grunderkrankung, die möglicherweise eine sichere Zuweisung zu einem der beiden genannten Merkmale gemäß §§ 20, 21 StGB ermöglicht hätte, ist dem Tatgericht (auch) wegen der fehlenden Bereitschaft des Beschuldigten, sich für die Erstellung eines Gutachtens gesondert explorieren zu lassen, nicht möglich gewesen.
Das Urteil zeigt - wenn auch sehr knapp - trotz der fehlenden eindeutigen Klassifizierung der beschriebenen chronifizierten Grunderkrankung einen symptomatischen Zusammenhang zwischen dieser und der Begehung der Anlasstaten auf. Sämtliche Anlasstaten seien auf die wahnhafte Fehlinterpretation der Verhaltensweisen seiner Umwelt sowie die völlig situationsunangemessene Reaktion des Beschuldigten als Beharren auf seinen vermeintlichen Rechten zurückzuführen (UA S. 20 f.). Das Tatgericht trägt im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose dem Erfordernis Rechnung, angesichts der nicht eindeutigen Zuordnung des Krankheitszustandes des Beschuldigten die möglichen Ursachen der feststehenden Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit gesondert auf ihre Bedeutung für die zukünftige Gefährlichkeit zu untersuchen. Insoweit stellt es im Ergebnis ohne Rechtsfehler im Hinblick auf sämtliche in Betracht kommenden Einordnungen des Krankheitsbildes des Beschuldigten darauf ab, dass er wegen der wahnbedingten Fehlwahrnehmung der Verhaltensweisen von Personen in seiner Umgebung deren Verhalten stets auf sich bezieht, von einem Angriff auf seine Rechte ausgeht und sich gegen die entsprechenden Personen mit Bedrohungen und - wegen der zugleich vorhandenen aggressiv-impulsiven Reaktionen - mit erheblichen Körperverletzungen "zur Wehr setzen" wird.
b) Das Urteil bedarf auch nicht deshalb der Aufhebung, weil das Tatgericht festgestellt hat, aufgrund seines Zustandes sei bei dem Beschuldigten die Fähigkeit, das Unrecht seiner Taten einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, sicher erheblich vermindert gewesen, nicht ausschließbar sei dieser sogar unfähig gewesen, das Tatunrecht einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (UA S. 11). Zwar kann im Grundsatz weder bei § 20 noch bei § 21 StGB offen bleiben, ob die jeweilige Anwendung auf der Aufhebung oder der erheblichen Beeinträchtigung der Einsichts- oder der Steuerungsfähigkeit beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304; LK-StGB/Schöch, 12. Aufl., § 20 Rn. 80; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 21 Rn. 5 mwN; zu einem Ausnahmefall kumulativen Fehlens von Einsichts- und Steuerungsfähigkeit BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167 f.). Es lässt sich hier jedoch wiederum dem Gesamtzusammenhang des Urteils unter Berücksichtigung der Erwägungen zur Gefährlichkeitsprognose noch entnehmen, dass das Tatgericht von einer sicher feststehenden erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit und von einer nicht ausschließbaren Aufhebung der Einsichtsfähigkeit im Zeitpunkt der Begehung der Anlasstaten ausgegangen ist (UA S. 18). Das Landgericht hat sich auf der Grundlage einer eigenständigen Überprüfung insoweit der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, angesichts des durch die Wahnvorstellungen hervorgerufenen Realitätsverlustes sei eine Aufhebung des Realitätsbezuges nicht auszuschließen. Sollte ein solcher trotz der Wahnvorstellungen noch erhalten geblieben sein, bestehe sicher wegen der die Krankheit begleitenden psychotischen oder psychose-nahen Handlungsantriebe eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. In der Gesamtschau lassen sich damit die für die Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB notwendigen Feststellungen über die Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten entnehmen.
2. Im Ergebnis tragen die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen auch die weiteren Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB, insbesondere die zukünftige Gefährlichkeit.
a) Soweit die Revision sich gegen die die Feststellungen zur Gefährlichkeitsprognose tragende Beweiswürdigung richtet, zeigt sie aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 22. Oktober 2013 genannten zutreffenden Gründen keinen revisiblen Rechtsfehler auf. Auch die Ausführungen in dem Schriftsatz des Verteidigers vom 8. November 2013 weisen keinen auf die lediglich erhobene Sachrüge hin zu berücksichtigenden Rechtsfehler aus.
b) Den Darlegungsanforderungen an die Gefährlichkeitsprognose wird ebenfalls genügt.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf wegen der Schwere des mit ihr verbundenen Eingriffs lediglich angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dafür ist zwar nicht erforderlich, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 und vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 jeweils mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht völlig ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 f.). Dazu ist regelmäßig eine besonders eingehende Würdigung der Person des bzw. der Beschuldigten, vor allem der Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstaten, notwendig (BGH aaO).
Das Tatgericht hat den vorgenannten Maßstab berücksichtigt und im Ergebnis ohne Rechtsfehler näher dargelegt, warum nicht nur die mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Körperverletzungsdelikte, sondern auch die Bedrohungen, die in der Vergangenheit stets Todesdrohungen zum Inhalt gehabt haben, eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Rechtsfriedens besorgen lassen. Zutreffend wird darauf verwiesen, dass die massiven Bedrohungen mit näher beschriebenen Tötungsarten nicht lediglich irreal seien, wie sich u.a. aus dem Einsatz gefährlicher Gegenstände wenigstens bei einer Anlasstat ableiten lässt.
Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose hinreichend das Ausbleiben weiterer Anlasstaten seit der Entlassung des Beschuldigten aus der vorläufigen Unterbringung im Oktober 2011 berücksichtigt. Da nach der Überzeugung der Kammer dieser Umstand im Wesentlichen auf der bis März 2013 fortlaufend erfolgten ambulanten psychiatrischen Behandlung mit entsprechender, die Symptomatik dämpfender Medikation beruht, die zukünftig nicht ohne weiteres sicher gestellt werden kann, konnte sie ohne Rechtsfehler von der Gefahr zukünftiger erheblicher Straftaten des Beschuldigten ausgehen.
c) Der Gesamtzusammenhang des Urteils belegt auch die Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet bei der Anordnung (und der Vollstreckung) der Unterbringung gemäß § 63 StGB, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist (BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 789/13; BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 - 2 StR 220/13). Dementsprechend darf die Unterbringung nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 5 StR 215/07, NStZ-RR 2007, 300, 301; BGH aaO). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Oktober 1985 - 2 BvR 1150/80 u.a., BVerfGE 70, 297, 313). Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Beschuldigten und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken (BGH aaO).
Vorliegend hat sich das Tatgericht zwar auf die Bewertung beschränkt, die Unterbringung des Beschuldigten stehe nicht außer Verhältnis zu den von ihm zukünftig zu erwartenden Straftaten. Allerdings hat es sich, teils im Rahmen der Feststellungen zur Schuldfähigkeit, teils im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose, mit den im vorstehenden Absatz genannten Umständen befasst. Dabei hat das Landgericht jedenfalls im Zusammenhang mit den Darlegungen zur Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung auch die Möglichkeiten der Einwirkungen auf den Beschuldigten erörtert.
HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 99
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2014, 75
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel