HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 764
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 606/14, Urteil v. 09.06.2015, HRRS 2015 Nr. 764
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 6. August 2014 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.
Seine dagegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts reiste der aus dem Irak stammende Angeklagte 2002 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein unter Falschpersonalien gestellter Asylantrag wurde 2005 rechtskräftig abgelehnt. Seitdem wurden ihm immer wieder jeweils zeitlich befristete Duldungen erteilt, weil die Ausländerbehörden wegen (vermeintlich) fehlender Ausweisdokumente von einem tatsächlichen Abschiebehindernis ausgingen. Ende November 2008 wurde der Angeklagte aus der Bundesrepublik ausgewiesen; die zuständige Ausländerbehörde setzte jedoch die Abschiebung wegen nach ihrem Kenntnisstand weiterhin bestehender Abschiebehindernisse aus und sprach eine weitere Duldung aus.
Nachdem der Angeklagte seine wahre Identität offenbart und der zuständigen Ausländerbehörde Ausweispapiere vorgelegt hatte, ordnete diese seine Abschiebung für den 4. Februar 2014 an. Allerdings gewährte dieselbe Behörde dem Angeklagten am 13. Januar 2014 eine weitere, bis zum 14. April 2014 befristete Duldung. Eine Woche nach Ergehen dieser Duldungsverfügung beauftragte die Ausländerbehörde dennoch die zuständige Polizeidirektion L. damit, die angeordnete Abschiebung am 4. Februar 2014 durch Verbringung des Angeklagten zum Flughafen in Frankfurt/Main zu vollziehen. Von dort aus sollte er nach Erbil (Irak) abgeschoben werden. In dem an die Polizeidirektion gerichteten Schreiben teilte die Ausländerbehörde mit, die Abschiebung sei gegenüber dem Angeklagten schriftlich angekündigt und diesem aufgetragen worden, sich am festgesetzten Tag für die Durchführung der Abschiebung bereitzuhalten. Tatsächlich war eine entsprechende Ankündigung gegenüber dem Angeklagten jedoch versehentlich nicht erfolgt.
2. Da die zuständige Polizeidirektion von einer Information des Angeklagten über die Abschiebung ausging und dieser nicht als gewaltbereit galt, wurden zwei uniformierte Beamte mit üblicher Ausrüstung und Kleidung, ohne Schutzkleidung, mit der Durchführung der Abschiebung beauftragt. Als die Beamten am frühen Morgen des 4. Februar 2014 an der Wohnungstür des Angeklagten klingelten und ihn von der Abschiebung informierten, war dieser völlig überrascht. Auf die Aufforderung hin, sich auszuweisen, händigte der Angeklagte den Polizeibeamten „seine Duldung“ aus. Zugleich erklärte er, er werde nicht freiwillig mitkommen und wolle das Land nicht verlassen.
Der Aufforderung der inzwischen in die Wohnung gelangten Beamten, sich anzukleiden, kam der Angeklagte nicht nach. Vielmehr konnte er, von den Polizeibeamten unbemerkt, ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von ca. 20 cm ergreifen. Dieses Messer setzte er sich an den Hals. Durch die von den Polizeibeamten ernst genommene Suiziddrohung, veranlasste er diese, ihm die Ausfertigung der Duldungsverfügung zurückzugeben und seine Wohnung wieder zu verlassen.
3. Während die Beamten Verstärkung anforderten, begab sich der Angeklagte unter Mitnahme des Küchenmessers auf den Balkon seiner Wohnung und gelangte durch Überklettern einer Trennwand auf den Balkon der Nachbarwohnung. Dort versteckte er sich in einem Geräteschuppen. Dabei hoffte er darauf, dort nicht gefunden zu werden und so der Abschiebung zu entgehen. Für den Fall der als möglich erwarteten Entdeckung wollte er sein Entkommen mittels seines Messers erzwingen (UA S. 9).
4. Etwa 30 Minuten nach der Alarmierung trafen die polizeilichen Verstärkungen ein. Drei der hinzugekommenen Beamten suchten auf dem Balkon der Nachbarwohnung nach dem Angeklagten. Unter ihnen war PHM E., der u.a. mit einem Kettenhemd geschützt war. Ein zweiter der den Balkon absuchenden Beamten war mit einer Maschinenpistole bewaffnet.
Im Rahmen der Suche versuchte PHM E., die Schiebetür des dem Angeklagten als Versteck dienenden Geräteschuppens aufzuziehen. Dies misslang jedoch zunächst, weil der Angeklagte die Tür von innen zuhielt. Als der Polizeibeamte E. daraufhin den Krafteinsatz verstärkte, konnte er die Tür so weit öffnen, dass der hinter ihm stehende Kollege den Angeklagten in dem Schuppen entdeckte und diesen sofort aufforderte, sich auf den Boden zu legen. PHM E. zog nunmehr die Tür vollständig auf. Der Angeklagte hatte dieses erwartet und war entschlossen, das Messer einzusetzen, um sich so den Weg freizukämpfen und der beabsichtigten Abschiebung zu entgehen. Mit dem in der rechten Hand gehaltenen Messer stach er daher sofort schnell hintereinander mit horizontalen, bogenartigen Bewegungen mindestens drei Mal in Richtung der linken Schulter und des Oberkörpers von PHM E. Einer der wuchtig geführten Stiche traf den metallenen Türrahmen der Hütte und führte dort eine Beschädigung herbei. Der Angeklagte, dem die Schutzbekleidung des Beamten nicht bekannt war, rechnete damit, dass PHM E. durch die Stiche getötet werden könnte. Dies kümmerte ihn jedoch nicht (UA S. 20). Diese mögliche Folge war dem Angeklagten „gleichgültig“ (UA S. 21). Der Beamte konnte jedoch reflexartig zurückweichen, so dass er durch die Stiche nicht verletzt wurde. Sofort nach der Ausweichbewegung trat PHM E. wieder nach vorn und konnte dem nunmehr aus der Hütte hinaustretenden Angeklagten mit dem Einsatzstock das Messer aus der Hand schlagen. Anschließend gelang es den drei auf dem Balkon eingesetzten Beamten, den sich wehrenden Angeklagten zu Boden zu bringen und ihm Handfesseln anzulegen.
Ob zumindest einer der Stiche PHM E. getroffen hatte und eine Verletzung lediglich durch das getragene Kettenhemd verhindert worden war, hat das Landgericht nicht aufzuklären vermocht.
Es hat eine Rechtfertigung des Angeklagten auf der Grundlage von § 32 StGB ausgeschlossen. Im Zeitpunkt der Ausführung der Stiche habe kein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff gegen ihn vorgelegen. Zudem habe er nicht mit Verteidigungs-, sondern mit Angriffswillen gehandelt, weil es ihm darum ging, seine Flucht zu ermöglichen (UA S. 24). Einen freiwilligen Rücktritt vom Totschlagsversuch hat es verneint.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Das Landgericht hat auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung ebenfalls ohne Rechtsfehler einen bedingten Tötungsvorsatz bei dem Angeklagten festgestellt.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat bedingten Tötungsvorsatz, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen getrennt voneinander geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH, Urteile vom 14. August 2014 - 4 StR 163/14 Rn. 15, NJW 2014, 3382, 3383; vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13 Rn. 7; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 701 Rn. 34 f. mwN). In die Prüfung sind dabei neben der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung und der konkreten Angriffsweise des Täters auch seine psychische Verfassung bei Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen (BGH, Urteile vom 14. August 2014 - 4 StR 163/14 Rn. 15, NJW 2014, 3382, 3383; vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13 Rn. 7; vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582 mwN).
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht.
a) Das Landgericht hat das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes ohne Rechtsfehler auf die von dem Angeklagten angenommene erhebliche objektive Gefährlichkeit seines Vorgehens gegen den Polizeibeamten E. gestützt. Diese ist durch die Beschaffenheit des Messers mit einer Klingenlänge von 20 cm, die auch in der Beschädigung des metallenen Türrahmens zum Ausdruck kommende Wucht der Stiche sowie ihrer Ausführung in Richtung des Oberkörpers des Beamten ausreichend mit tatsächlichen Umständen belegt.
Die von dem Polizeibeamten E. getragene Schutzkleidung in Gestalt eines Kettenhemdes war nicht als gegen die Wissenskomponente des bedingten Tötungsvorsatzes sprechender Aspekt zu berücksichtigen. Der Tatrichter hat mit rechtsfehlerfreien Erwägungen ausgeschlossen, dass dem Angeklagten das Vorhandensein derartiger Schutzbekleidung durch die nunmehr eingesetzten Polizisten bekannt war. Soweit das Landgericht dies auch darauf gestützt hat, dass die beiden zunächst mit dem Vollzug der Abschiebung beauftragten Polizeibeamten dem Angeklagten ohne Schutzkleidung gegenüber getreten sind, handelt es sich um einen möglichen Schluss, der revisionsrechtlich hinzunehmen ist.
b) Die Billigung des als möglich erkannten Todeseintritts, dem der Angeklagte gleichgültig gegenüberstand, hat das Landgericht mit dem von diesem selbst angegebenen unbedingten Fluchtwillen gleichfalls ohne Rechtsfehler begründet. Sonstige Umstände in seiner Person und der Tatausführung stehen dem Willenselement nicht entgegen.
Zwar kann bei einer - hier aus der Sicht des Angeklagten - generell lebensgefährlichen Gewalttat, die spontan, unüberlegt und in affektiver Erregung begangen wird, aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten auf eine billigende Inkaufnahme des Erfolgseintritts geschlossen werden (siehe BGH, Urteile vom 14. August 2014 - 4 StR 163/14 Rn. 18, NJW 2014, 3382, 3383 mwN; vom 17. Juli 2013 - 2 StR 139/13, NStZ-RR 2013, 343; vom 16. August 2012 - 3 StR 237/12, NStZ-RR 2012, 369, 370; vom 25. November 2010 - 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338 f.). Das Vorliegen solcher Besonderheiten hat das Landgericht jedoch verneint. Insbesondere konnte es sachverständig beraten einen Affekt bei dem Angeklagten ausschließen (UA S. 22 f.). Auch eine spontane Ausführung lag erkennbar nicht vor. Der Angeklagte hat vielmehr planvoll sein Verlassen der Wohnung und das Verbergen in der Gartenhütte auf dem Nachbarbalkon durchgeführt. Zudem hatte er während des wenigstens halbstündigen Versteckens in der Hütte genügend Zeit, sein weiteres Vorgehen zu überdenken (UA S. 23 f.). Insgesamt hat das Landgericht damit auch hinsichtlich der Willenskomponente des bedingten Tötungsvorsatzes eine ausreichende Gesamtbewertung der maßgeblichen objektiven und subjektiven Umstände vorgenommen.
Im Ergebnis ist die Annahme eines rechtwidrigen Handelns des Angeklagten rechtlich nicht zu beanstanden. Die gegen den Polizeibeamten E. geführten drei Messerstiche waren weder durch Notwehr gemäß § 32 StGB noch durch einen sonstigen Erlaubnissatz gerechtfertigt.
1. Der Angeklagte sah sich zwar im Zeitpunkt der Messerstiche einem unmittelbar bevorstehenden und damit gegenwärtigen Angriff auf seine durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Fortbewegungsfreiheit seitens des Polizeibeamten ausgesetzt. Dieser Angriff war jedoch nicht im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB rechtswidrig.
a) Der - in dem vorgenannten Sinn - Rechtmäßigkeit des bevorstehenden Zugriffs durch den Polizeibeamten E. stand nicht entgegen, dass der Vollzug der durch die zuständige Ausländerbehörde materiell rechtmäßig angeordneten Abschiebung am 4. Februar 2014 (noch) nicht erfolgen durfte, weil dem Angeklagten eine über diesen Termin hinausreichende, bis zum 14. April 2014 befristete Duldung (§ 60a AufenthG) erteilt worden war. Eine Duldung setzt den Vollzug der Abschiebung zeitweilig aus (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 11 B 676/15 Rn. 2; Bauer in Renner/ Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., AufenthG § 60a Rn. 16).
Die am 20. Januar 2014 erfolgte Beauftragung der Polizeidirektion L. mit dem Vollzug der Abschiebung seitens der zuständigen Ausländerbehörde stellt sich weder als gemäß § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG möglicher wirksamer Widerruf der am 13. Januar 2014 dem Angeklagten erteilten Duldung noch als deren wirksame Rücknahme dar. Denn Rücknahme oder Widerruf wären jedenfalls dem Angeklagten nicht bekannt gegeben (§ 41 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG Baden-Württemberg) worden. Die Voraussetzungen, unter denen eine Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes durch Vermittlung einer anderen Behörde - hier der Polizeidirektion L. - erfolgen kann (zu diesen Voraussetzungen BVerwG, Beschlüsse vom 16. November 2010 - 6 B 58/10, Buchholz 402.44 VersG Nr. 18; vom 5. Mai 1997 - 1 B 129/96, Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 11), lagen ersichtlich nicht vor. Für eine Beauftragung der Polizeidirektion, einen Rücknahme- oder Widerrufsbescheid bezüglich der Duldung an den Angeklagten auszuhändigen, bestehen keine Anhaltspunkte. Vielmehr spricht die seitens der zuständigen Ausländerbehörde der beauftragten Polizeidirektion am 20. Januar 2014 übermittelte (unzutreffende) Information, dem Angeklagten sei die Abschiebung angekündigt worden, gegen die Möglichkeit, die Ausländerbehörde habe die am 13. Januar 2014 erteilte Duldung widerrufen oder zurückgenommen und mit der Bekanntgabe dieses Verwaltungsaktes die Vollzugspolizei beauftragt.
Ungeachtet der Aussetzung der Vollziehbarkeit der Abschiebung wegen der erneuten Duldungsverfügung war aber das auf die Ingewahrsamnahme des Angeklagten zum Zwecke der Abschiebung gerichtete Verhalten von PHM E. kein rechtswidriger Angriff im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB.
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestimmt sich die Rechtmäßigkeit - sowohl bezüglich § 32 Abs. 2 StGB als auch § 113 Abs. 3 StGB - des Handelns von staatlichen Hoheitsträgern bei der Ausübung von Hoheitsgewalt weder streng akzessorisch nach der materiellen Rechtmäßigkeit des dem Handeln zugrundeliegenden Rechtsgebiets (meist des materiellen Verwaltungsrechts) noch nach der Rechtmäßigkeit entsprechend dem maßgeblichen Vollstreckungsrecht (vgl. BGH, Urteile vom 31. März 1953 - 1 StR 670/52, BGHSt 4, 161, 164; vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 363 sowie die Nachw. bei Rönnau/Hohn in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., Band 2, § 32 Rn. 117; Erb in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Band 1, § 32 Rn. 75; siehe auch BVerfG [1. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom 30. April 2007 - 1 BvR 1090/06 Rn. 26 ff. bzgl. der Rechtmäßigkeit bei § 113 Abs. 3 StGB). Die Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Handelns in einem strafrechtlichen Sinne hängt vielmehr lediglich davon ab, dass „die äußeren Voraussetzungen zum Eingreifen des Beamten“ gegeben sind, „er also örtlich und sachlich zuständig“ ist, er die vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten einhält und der Hoheitsträger sein - ihm ggf. eingeräumtes - Ermessen pflichtgemäß ausübt (BGH, Urteile vom 31. März 1953 - 1 StR 670/52, BGHSt 4, 161, 164; vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 365; weitere umfassende Nachw. bei Rönnau/Hohn aaO § 32 Rn. 117 Fn. 332; Erb aaO § 32 Rn. 75 Fn. 159). Befindet sich allerdings der Hoheitsträger in einem schuldhaften Irrtum über die Erforderlichkeit der Amtsausübung, handelt er willkürlich oder unter Missbrauch seines Amtes, so ist sein Handeln rechtswidrig (BGH, Urteil vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 363; in der Sache ebenso bereits BGH, Urteil vom 31. März 1953 - 1 StR 670/52, BGHSt 4, 161, 164 f.; siehe auch BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom 29. April 1991 - 1 BvR 7/90, NJW 1991, 3023 sowie Erb, Festschrift für Gössel, 2002, S. 217, 230 f.).
c) Diese Auslegung des einfachen Gesetzesrechts mit der teilweisen Ablösung des strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriffs im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB (und § 113 Abs. 3 StGB) von der Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Handelns nach Maßgabe der jeweils einschlägigen außerstrafrechtlichen Rechtsvorschriften ist entgegen der von Teilen der Strafrechtswissenschaft (etwa Paeffgen in Nomos Kommentar zum StGB, 4. Aufl., Band 2, § 113 Rn. 39 ff. mwN) vorgetragenen Kritik verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, [1. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom 30. April 2007 - 1 BvR 1090/06 Rn. 26 ff. bzgl. der Rechtmäßigkeit bei § 113 Abs. 3 StGB).
d) Der Senat hält an der bisherigen Rechtsprechung (vgl. aber BGH, Urteil vom 2. November 2011 - 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272, 273 mit Anm. Erb JR 2012, 207, 209 f.) fest. Die gegen diese in der Strafrechtswissenschaft erhobenen Einwände (siehe etwa Rönnau/Hohn aaO Rn. 119; Kindhäuser in Nomos Kommentar zum StGB, 4. Aufl., Band 1, § 32 Rn. 69) werden den für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 StGB maßgeblichen Besonderheiten der Situation nicht ausreichend gerecht, in der sich ein Bürger drohenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen durch einen Hoheitsträger ausgesetzt sieht.
aa) Der Bundesgerichtshof hat bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit (im Sinne von § 32 StGB und § 113 StGB) von hoheitlichem Handeln stets in den Blick genommen, in welcher Lage sich (Polizei)Vollzugsbeamte bei Ausübung hoheitlicher Tätigkeit befinden (vgl. BGH, Urteile vom 31. März 1953 - 1 StR 670/52, BGHSt 4, 161, 164; vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 365 f.; siehe auch BVerfG [1. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom 30. April 2007 - 1 BvR 1090/06 Rn. 29 und 36). Diese müssen sich in der konkreten Situation in der Regel unter einem gewissen zeitlichen Druck auf die Ermittlung eines äußeren Sachverhalts beschränken, ohne die Rechtmäßigkeit des eigenen Handelns auf der Grundlage des materiellen Rechts oder des (Verwaltungs-)Vollstreckungsrechts bis in alle Einzelheiten klären zu können (siehe BVerfG und BGH jeweils aaO). Das Bundesverfassungsgericht hat vor dem dargestellten Hintergrund bezüglich der Auslegung des Rechtmäßigkeitsbegriffs in § 113 Abs. 3 StGB verfassungsrechtlich akzeptiert, dass bei der Notwendigkeit umgehenden behördlichen Einschreitens eine Pflicht des betroffenen Bürgers zur Befolgung einer wirksamen, wenn auch gegebenenfalls rechtswidrigen Diensthandlung besteht (BVerfG aaO Rn. 29). Er muss die Amtshandlung grundsätzlich hinnehmen und kann erst nachträglich eine Feststellung der eventuellen Rechtmäßigkeit der Maßnahme erreichen (BVerfG aaO mwN).
bb) Von diesen Grundsätzen geht auch das Verwaltungsvollstreckungsrecht aus. Ihm liegt der Gedanke zugrunde, der betroffene Bürger habe eine Pflicht zur Duldung von Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung auch dann, wenn nicht sämtliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen gegeben sind (vgl. Erb, Festschrift für Gössel, S. 217, 227 mwN). Dies ergibt sich aus den (einfach)gesetzlichen Regelungen über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Vollstreckungsmaßnahmen in den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen (etwa § 12 Satz 1 Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz Baden-Württemberg [LVwVG]; siehe auch Stammberger in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 10. Aufl., § 18 VwVG Rn. 14; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl., § 32 Rn. 13). Der Betroffene ist darauf beschränkt, nachträglichen Rechtsschutz einzuholen. Es ist mit dem Ausschluss der aufschiebenden Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsvollstreckungsmaßnahmen wertungsmäßig nicht zu vereinbaren, gegen solche Maßnahmen dem Betroffenen im Fall ihrer Rechtswidrigkeit das Notwehrrecht aus § 32 StGB einzuräumen (zutreffend Erb aaO).
cc) Die spezifische Auslegung der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB (und § 113 Abs. 3 StGB) bei hoheitlichem Handeln trägt auch dem Umstand Rechnung, dass die eingesetzten Vollzugsbeamten im Dienst der staatlichen Ordnung tätig werden, die wiederum die Sicherung der Rechtsordnung insgesamt gewährleistet (BGH, Urteile vom 31. März 1953 - 1 StR 670/52, BGHSt 4, 161, 164; vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 365 f.). Die Entlastung des Vollzugsbeamten von dem Risiko, dass sich bei einer ex post erfolgenden Prüfung der Rechtmäßigkeit seines hoheitlichen Handelns am Maßstab meist des materiellen Verwaltungsrechts oder des Verwaltungsvollstreckungsrechts seine ex ante unter den konkreten Bedingungen seines Handelns vorgenommene Rechtmäßigkeitsbeurteilung als unzutreffend erweist und dem von der Maßnahme betroffenen Bürger dann eine ggf. gewaltsame Verteidigung gegen den Hoheitsträger offen stünde, dient gerade im demokratischen Rechtsstaat der Sicherung der Entschlusskraft der eingesetzten Vollzugsbeamten (siehe insoweit bereits BGH, Urteil vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 366 und 367). Wird - wie hier - der hoheitlich handelnde Beamte mit der Vollstreckung einer durch eine andere Behörde angeordneten Verwaltungsmaßnahme beauftragt, darf er sich grundsätzlich auf die Rechtmäßigkeit der ihm übertragenen Vollstreckung verlassen. Umgekehrt muss die beauftragende Behörde von dem Vollzug der Maßnahme durch die angewiesene Behörde und deren dort konkret betraute Beamte ausgehen können. Derartige Weisungsverhältnisse bilden im Rechtsstaat das notwendige Bindeglied, um die demokratische Legitimation für die Ausübung von Staatsgewalt sowie die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung gewährleisten zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. November 2014 - 2 C 24/13 Rn. 30; siehe auch grundlegend BVerfGE 93, 37, 66 ff. bzgl. der Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung). Der von der angeordneten Verwaltungsvollstreckung Betroffene wird durch die ihm auferlegte Pflicht zur Duldung einer sich im Nachhinein als - gemessen an den einschlägigen außerstrafrechtlichen Vorschriften - rechtswidrig erweisenden hoheitlichen Maßnahme nicht rechtlos gestellt. Ihm steht die nachträgliche gerichtliche Rechtmäßigkeitsprüfung (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) vollständig zur Verfügung.
dd) Darüber hinaus führte die Gewährung des Notwehrrechts gegen hoheitliches Handeln zu nicht akzeptablen Konsequenzen im Hinblick auf die Rechtsgüter des betroffenen Bürgers auf der einen Seite und derjenigen des ausführenden Beamten auf der anderen Seite. Der von einer - nach dem maßgeblichen materiellen Recht oder Vollstreckungsrecht - rechtswidrigen hoheitlichen Maßnahme betroffene Bürger befindet sich in einer völlig anderen tatsächlichen Lage als derjenige, der sich einem rechtswidrigen Angriff auf seine Rechtsgüter durch Private ausgesetzt sieht. Innerhalb der Grenzen seiner Duldungspflicht (siehe unten Rn. 34) ist die Eingriffsintensität der staatlichen Maßnahme durch die für hoheitliches Handeln bestehenden Schranken, vor allem den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (dazu im hier relevanten Zusammenhang BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom 29. April 1991 - 1 BvR 7/90, NJW 1991, 3023) begrenzt. Es droht typischerweise kein endgültiger Verlust des beeinträchtigten Rechtsguts.
Auf der anderen Seite wäre der Vollzugsbeamte bei Gewährung des Notwehrrechts gegen sein hoheitliches Handeln der Gefahr erheblicher Rechtsgutsbeeinträchtigungen in einer Situation ausgesetzt, in der er ohne ihm vorwerfbaren Irrtum von der Rechtmäßigkeit der hoheitlichen Vollstreckungsmaßnahme ausgeht. Gerade bei Notwehrhandlungen gegen bewaffnete Polizeibeamte im Rahmen des Vollzugs durch andere Behörden angeordneter Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung wird eine zur endgültigen und sicheren Abwehr des Angriffs führende „Verteidigung“ häufig gleichsam notwendig die Tötung der eingesetzten Beamten umfassen (Erb, Festschrift für Gössel, S. 217, 222). Gegen eine solche „Verteidigung“ dürfte sich der Beamte nicht rechtmäßig wehren. Eine ihm zumutbare legale Verhaltensalternative bliebe ihm dann nicht. Entweder handelt er entgegen dem ihm erteilten Vollstreckungsauftrag oder er macht sich durch eine Abwehr der dann nicht rechtswidrigen Verteidigung des von seiner hoheitlichen Maßnahme betroffenen Bürgers strafbar.
ee) Daher folgt der Senat nicht einer in der Strafrechtswissenschaft vertretenen Auffassung, die bei - am materiellen Verwaltungsrecht oder dem Verwaltungsvollstreckungsrecht gemessen - rechtswidrigem Handeln des Hoheitsträgers auch strafrechtlich von einem rechtswidrigen Angriff i.S.v. § 32 Abs. 2 StGB ausgeht, dem vom hoheitlichen Handeln Betroffenen aber lediglich ein (eingeschränktes) Notwehrrecht gewährt (so etwa Amelung JuS 1986, 329, 337; Rönnau/Hohn aaO § 32 Rn. 134 mwN; der Sache nach über eine Einschränkung des Notwehrrechts über das Merkmal „geboten“ wie diese auch OLG Hamm JR 2010, 361 f. mit krit. Anm. T. Zimmermann). Eine solche Rechtsauffassung wird weder den beschriebenen (oben Rn. 27-31) tatsächlichen noch den rechtlichen Besonderheiten des möglichen Notwehrrechts des einzelnen Bürgers gegen das Handeln von staatlichen Hoheitsträgern gerecht. Insbesondere verkennt sie, dass bei dem Vorgehen gegen bewaffnete Polizeibeamte deren Tötung oder zumindest deren gravierende Verletzung meist die allein eine sichere und endgültige Angriffsabwehr gewährleistende „Verteidigungshandlung“ wäre (Rn. 32).
e) Die Grenzen der Pflicht zur Duldung einer nach den maßgeblichen außerstrafrechtlichen Rechtsvorschriften rechtswidrigen hoheitlichen Maßnahme sind dort erreicht, wo diese mit dem Grundsatz der Rechtsbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) schlechthin unvereinbar sind (BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom 29. April 1991 - 1 BvR 7/90, NJW 1991, 3023; in der Sache ebenso BGH, Urteil vom 31. März 1953 - 1 StR 670/52, BGHSt 4, 161, 164). Das ist jedenfalls bei Willkür und bei Nichtigkeit des Verwaltungshandelns der Fall (BVerfG und BGH jeweils aaO). Bei der Verwaltungsvollstreckung endet die Duldungspflicht des Betroffenen auch bei der Nichtigkeit von Verwaltungsakten (§§ 43, 44 LVwVfG) im Schweregrad entsprechenden Verletzungen der Voraussetzungen der Verwaltungsvollstreckung (Erb, Festschrift für Gössel, S. 217, 230; ähnlich T. Zimmermann JR 2010, 361, 365 „offensichtlich bösgläubige und amtsmissbräuchliche Vollstreckungshandlungen“). Das Handeln ist dann stets rechtswidrig im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB.
f) Bei Anwendung der vorstehenden rechtlichen Maßstäbe war der unmittelbar bevorstehende Angriff durch PHM E. auf das Freiheitsrecht des Angeklagten nicht gemäß § 32 Abs. 2 StGB rechtswidrig.
aa) Der Polizeibeamte E. handelte, wie die übrigen mit dem Vollzug der Abschiebung beauftragten Polizeibeamten, nach den getroffenen Feststellungen innerhalb seiner örtlichen und sachlichen Zuständigkeit aufgrund des seitens der ihrerseits zuständigen Ausländerbehörden erteilten Auftrags zur Verwaltungsvollstreckung. Hinsichtlich der Durchführung des Vollzugs der Abschiebung sind durch die beauftragte Polizei die wesentlichen Förmlichkeiten eingehalten worden. Das gilt auch für die Durchführung der Vollstreckung zur Nachtzeit (vgl. § 9 Abs. 2 LVwVG). Gemäß § 9 Abs. 1 LVwVG bedarf diese einer Erlaubnis der Vollstreckungsbehörde. Wie sich aus dem Gesamtzusammenhang des angefochtenen Urteils ergibt, hatte die Ausländerbehörde eine solche Erlaubnis erteilt. Denn sie hatte der unmittelbar beauftragten Polizeidirektion L. mitgeteilt, dem Angeklagten als Abzuschiebenden sei die Abschiebung angekündigt und diesem aufgetragen, sich ab 3.00 Uhr morgens unter seiner Wohnanschrift bereitzuhalten (UA S. 7/8).
bb) Der bevorstehende Zugriff durch PHM E. erweist sich auch nicht aufgrund der Umstände des konkreten Einzelfalls als rechtswidrig im Sinne des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs. Weder befand er sich in einem schuldhaften Irrtum über die Erforderlichkeit der Amtsausübung noch handelt er willkürlich oder unter Missbrauch seines Amtes (Rn. 25). Das gilt selbst dann, wozu das Landgericht allerdings keine Feststellungen getroffen hat, wenn ihm durch Information seitens der zunächst eingesetzten Polizeibeamten B. und K. bekannt gewesen sein sollte, dass der Angeklagte diesen eine Duldungsverfügung gezeigt, anschließend aber wieder zurückverlangt hatte.
(1) Das Fehlen eines schuldhaften Irrtums über die Erforderlichkeit der Ingewahrsamnahme des Angeklagten ergibt sich aus folgenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen:
Der Polizeidirektion L. war durch das Regierungspräsidium Ka. als zuständiger Ausländerbehörde der Auftrag zum Vollzug der Abschiebung für den 4. Februar 2014 erteilt worden. Der Polizeidirektion war weiter mitgeteilt worden, dass dem Angeklagten die Abschiebung für den genannten Termin angekündigt und ihm aufgegeben war, sich am fraglichen Tag ab 3.00 Uhr für den Transport bereitzuhalten. Diese Informationen waren auch an den in der Tatnacht diensthabenden Einsatzleiter des mit dem Vollzug durch die Polizeidirektion beauftragten Polizeireviers 3 in S. gelangt (UA S. 8). Die am 13. Januar 2014 dem Angeklagten erteilte Duldung als Vollzugshindernis war dem zuständigen Einsatzleiter daher zunächst ebenso wenig bekannt wie den zunächst mit dem Vollzug der Abschiebung beauftragten Polizeibeamten (POM B. und POM’in K.). Anhaltspunkte für das Bestehen des Vollzugshindernisses aus § 60a AufenthG ergaben sich nach Beginn des Vollzugs lediglich aus dem Hinweis des Angeklagten auf die Duldung sowie dem kurzzeitigen Zugriff (UA S. 8 und 9) von POM B. und POM’in K. auf die bei dem Angeklagten vorhandenen Ausfertigung der Duldung vom 13. Januar 2014. Selbst wenn den zur Verstärkung herbeigerufenen Polizeibeamten, darunter PHM E., das Vorhandensein der Ausfertigung einer über den Abschiebetermin hinausreichenden Duldung ebenfalls bekannt geworden sein sollte, führte dies für den Polizeibeamten nicht dazu, dass er in ihm vorwerfbarer Weise die verwaltungsvollstreckungsrechtliche Rechtswidrigkeit der Durchführung verkannt hätte.
Den beauftragten Polizeibehörden lagen aufgrund Mitteilung der zuständigen Ausländerbehörde Informationen vor, aus denen sich zunächst eindeutig die Rechtmäßigkeit des Vollzugs der Abschiebung ergab. Allein der Hinweis des Angeklagten auf die Duldung und das kurzzeitige bildliche In-den-Händen-Halten der Ausfertigung durch die beiden zunächst eingesetzten Polizeibeamten konnten keine solchen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vollzugs hervorrufen, die zu einem schuldhaften Irrtum über den Vollzug der angeordneten Verwaltungsvollstreckung führen konnten. Eine nähere Prüfung des Inhalts und der Echtheit der Duldung hat der Angeklagte bereits gegenüber POM B. und POM’in K. selbst vereitelt, indem er die Rückgabe der Ausfertigung durch seine Suiziddrohung erzwungen hat. Eine Klärung des Vorhandenseins einer wirksam erteilten, über den 4. Februar 2014 hinausreichenden Duldung durch Rücksprache mit dem zuständigen Regierungspräsidium Ka. war angesichts der Tageszeit (zwischen 4.00 und 4.30 Uhr) nicht möglich. Wegen der eindeutigen Informationen und der Beauftragung durch das Regierungspräsidium war daher für PHM E. (wie auch die übrigen eingesetzten Polizeibeamten) nicht ohne Weiteres erkennbar, dass die Abschiebung des Angeklagten wegen der erneut erteilten Duldung am fraglichen Tag verwaltungsvollstreckungsrechtlich nicht gestattet war.
(2) Das hoheitliche Handeln der zur Vollstreckung der angeordneten Abschiebung eingesetzten Polizeivollzugsbeamten, damit auch des Polizeibeamten E., war angesichts des vorstehend Ausgeführten nicht willkürlich. Ebenso wenig lagen Verletzungen des Verwaltungsvollstreckungsrechts vor, die in ihrem Schweregrad Nichtigkeitsgründen des Verwaltungsakts entsprechen würden.
g) Schließlich stehen auch die sonstigen Verhältnisse des konkreten Einzelfalls der Anwendung des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs bei hoheitlichem Handeln nicht entgegen. Die damit einhergehende Duldungspflicht des von einer hoheitlichen Maßnahme Betroffenen darf diesem zumutbar auferlegt werden, weil kein endgültiger Rechtsverlust droht, sondern eine nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit eröffnet ist (dazu oben Rn. 30). Vorliegend verfügte der Angeklagte über eine Ausfertigung der bis zum 14. April 2014 befristeten Duldungsverfügung. Zwischen dem polizeilichen Zugriff gegen 4.30 Uhr und dem Abflug des Flugzeugs nach Erbil (Irak) vom Flughafen Frankfurt/Main um 10.10 Uhr verblieb genügend Zeit, um durch die Vollzugspolizeibeamten mittels Nachfrage bei der zuständigen Ausländerbehörde nach Beginn deren regelmäßiger Dienstzeit klären zu lassen, ob die Voraussetzungen für die Vollstreckung der Abschiebung vorlagen oder diese (noch) durch eine wirksam erteilte Duldung gehindert war. Es drohte daher im Hinblick auf das Recht zum Aufenthalt im Inland bis zum Ablauf der Duldungsfrist dem Angeklagten kein endgültiger Rechtsverlust. Die Freiheitsentziehung bis zu der Klärung der vollstreckungsrechtlichen Rechtslage durch Einschaltung der Ausländerbehörde musste der Angeklagte aus den für das Bestehen eines spezifischen strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs bei hoheitlichem Handeln maßgeblichen Gründen gerade dulden und durfte sich nicht mit erheblicher Gewaltanwendung dagegen wehren.
2. Auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts kommen andere Rechtfertigungsgründe zu seinen Gunsten ebenfalls nicht in Betracht.
Anhaltspunkte für das Fehlen schuldhaften Verhaltens ergeben sich aus dem angefochtenen Urteil ebenfalls nicht.
1. Die sachverständig beratene Strafkammer hat eine Aufhebung der Schuldfähigkeit des Angeklagten ohne Rechtsfehler verneint.
2. Nach den ausreichend getroffenen Feststellungen befand sich der Angeklagte auch nicht in einem die Bestrafung aus einer vorsätzlichen Tat ausschließenden Erlaubnistatbestandsirrtum (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2013 - 1 StR 449/13, NStZ 2014, 30 f. mwN). Der Angeklagte hatte bereits gegenüber den zunächst eingesetzten Polizeibeamten B. und K. angekündigt, nicht freiwillig mitzukommen und das Land nicht verlassen zu wollen (UA S. 8). Bei dem Einsatz des Messers kam es ihm darauf an, die von ihm erwartete Festnahme und daran anschließende Abschiebung zu verhindern (UA S. 9). Dass er sich über tatsächliche Umstände geirrt haben könnte, deren wirkliches Vorliegen einen von der Rechtsordnung anerkannten Rechtfertigungsgrund begründen würde, der ihm die als möglicherweise tödlich erkannten Messerstiche gestattete, ist nicht ersichtlich.
3. Ebenso wenig belegen die Feststellungen einen Erlaubnisirrtum als besondere Erscheinungsform des Verbotsirrtums (§ 17 StGB). Weitere Ausführungen dazu waren nicht geboten. Dem Angeklagten kam es allein auf die Ermöglichung seiner Flucht an. Über die Rechtmäßigkeit des Messereinsatzes als Mittel zum Erreichen dieses Ziels hat er nicht erkennbar reflektiert.
Ein unmittelbar aus dem Verfassungsrecht resultierendes Verbot, den Angeklagten für die gegen den Polizeibeamten gerichteten Messerstiche zu bestrafen, besteht nicht. Selbst wenn die Vollstreckung der Abschiebeanordnung wegen des aus der Duldung folgenden Vollzugshindernisses verwaltungsvollstreckungsrechtlich nicht rechtmäßig gewesen sein sollte, schließt dies eine Bestrafung des Angeklagten wegen der durch die Messerstiche rechtswidrig verwirklichten Straftat nicht aus (vgl. BVerfG [1. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom 30. April 2007 - 1 BvR 1090/06 Rn. 53 f.).
Die Strafzumessung des Tatgerichts enthält ebenfalls keine revisiblen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
1. Die Strafzumessung, zu der auch die Frage gehört, ob ein minder schwerer Fall vorliegt (BGH, Urteile vom 24. März 2015 - 5 StR 6/15 Rn. 7 mwN; vom 26. Februar 2015 - 1 StR 574/14 Rn. 15; Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 5 StR 530/07, NStZ-RR 2008, 310 f.), ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen und gegeneinander abzuwägen (BGH, Urteile vom 24. März 2015 - 5 StR 6/15 Rn. 7; vom 31. Juli 2014 - 4 StR 216/14 Rn. 4). Welchen Umständen er bestimmendes Gewicht beimisst, ist im Wesentlichen seiner Beurteilung überlassen (st. Rspr.; siehe etwa BGH, Urteil vom 2. August 2012 - 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336 f.; BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 5 StR 530/07, NStZ-RR 2008, 310 f.; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 146 mwN).
Das Revisionsgericht darf die der Entscheidung des Tatrichters über das Vorliegen eines minder schweren Falls zugrunde liegende Wertung nicht selbst vornehmen, sondern lediglich daraufhin überprüfen, ob dem Tatrichter ein Rechtsfehler unterlaufen ist (siehe BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 - 1 StR 574/14 Rn. 16; Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 5 StR 530/07, NStZ-RR 2008, 310 f.).
2. Derartige der Revision zugängliche Rechtsfehler bei der Anwendung von § 213 StGB weist das angefochtene Urteil nicht auf.
a) Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen von § 213 Alt. 1 StGB (zu diesen ausführlich BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 - 1 StR 574/14 Rn. 18 ff.) bestehen nicht.
b) Die Verneinung eines sonst minder schweren Falls gemäß § 213 Alt. 2 StGB hält ebenfalls sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
Das Landgericht ist von der gebotenen Gesamtbewertung aller relevanten Umstände (Fischer aaO § 213 Rn. 12; H. Schneider in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Band 4, § 213 Rn. 49 jeweils mwN) ausgegangen. In diese hat es zugunsten des Angeklagten eingestellt, dass er nicht über die bevorstehende Abschiebung informiert worden war und wegen der bis zum 14. April 2014 befristeten Duldung auch nicht mit dieser rechnen konnte. Zudem hat das Landgericht zugunsten des Angeklagten die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland und seine besondere Lage wegen der Konfrontation mit der bevorstehenden Abschiebung in den frühen Morgenstunden berücksichtigt. Damit hat es, auch wenn es die Bedeutung der Duldung als Vollzugshindernis rechtlich nicht vollständig erfasst hat, inhaltlich die für die Entscheidung über das Vorliegen eines minder schweren Falls bestimmenden, aus der Verwaltungsvollstreckung resultierenden Umstände gewürdigt. Dass es diese Aspekte auch im Zusammenhang mit der wegen der von PHM E. getragenen Schutzkleidung geringen objektiven Gefährlichkeit der Messerstiche nicht für die Annahme eines minder schweren Falls hat genügen lassen, ist nach dem vorgenannten Prüfungsmaßstab hinzunehmen.
Das Abstellen des Landgerichts auf die aus Sicht des Angeklagten besonders gefährliche Vorgehensweise angesichts der Art und Wucht der Stiche sowie der konkreten Beschaffenheit des Messers als bestimmende Gründe gegen einen minder schweren Fall lässt Rechtsfehler ebenfalls nicht erkennen.
Gleiches gilt, soweit es aus den nämlichen Gründen den Strafrahmen des § 213 StGB auch unter Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes aus § 23 Abs. 2 StGB nicht herangezogen, sondern den Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemildert hat. Auch innerhalb des gewählten Strafrahmens sind keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten zu erkennen.
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 764
Externe Fundstellen: BGHSt 60, 253; NJW 2015, 3109 ; NStZ 2015, 574 ; StV 2016, 276
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel