HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 851
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 649/13, Beschluss v. 10.04.2014, HRRS 2014 Nr. 851
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 4. Juni 2013 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Kreditbetruges zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 3.500 Euro verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die mit der näher ausgeführten Sachrüge und Verfahrensrügen begründet wird, hat keinen Erfolg.
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte war im Tatzeitpunkt (März 2009) der für Finanz- und Betriebswirtschaft zuständige Vorstand und stellvertretende Vorsitzende des Vorstands der P., der Rechtsnachfolgerin der P. AG (beide nachfolgend: P.). Ein Kredit über 10 Mrd. Euro lief zum 24. März 2009 aus, wodurch für P. eine Anschlussfinanzierung notwendig wurde. Deshalb kam es zu Verhandlungen zwischen einem von der B. (nachfolgend: B.) geführten Bankenkonsortium und P. Infolge der Finanzkrise herrschte gerade im Bereich der Automobilindustrie eine restriktive Kreditvergabepolitik. Die Kreditverhandlungen gestalteten sich bis zur Unterzeichnung des Kreditvertrages am 24./25. März 2009 schwierig. Zuletzt war der zeitliche Druck sehr hoch; bis kurz vor Abschluss gab es ein realistisches Risiko, dass der neue Kredit nicht - wie notwendig - bis zum 24. März 2009 zustande kam.
Für die Refinanzierung des Altkredits benötigte P. 8,5 Mrd. Euro. Darüber hinaus sollte es P. durch den Kredit aber auch ermöglicht werden, seine Beteiligung an der V. AG von 50,8 % um 20 % auf über 70 % aufzustocken. P. verfolgte schon seit mehreren Jahren das Ziel, eine bestimmte Mehrheit der Aktien der V. AG zu übernehmen. Hierzu hatte P. seit 2005 mit der M. Bank acht verschiedene Optionsstrategien vereinbart, die jeweils den Aufbau einer Derivate-Position in Stamm- und Vorzugsaktien der V. AG bis zu einer jeweils näher bestimmten Stückzahl zum Gegenstand hatten. Zum Zeitpunkt der Kreditverhandlungen Ende 2008/Anfang 2009 hatte P. durch verschiedene dieser Optionsstrategien bereits 50,8 % der Aktien der V. AG übernommen. Es gab weitere Optionen auf zusätzliche 20,058 % der V. -Stammaktien. Der Großteil der noch vorhandenen Optionen bestand in der Kombination der gleichen Anzahl von Kauf- und Verkaufsoptionen mit einem fixen Ausübungspreis, wodurch bezüglich des avisierten späteren Erwerbs im Endeffekt der bereits feststehende Nettokaufpreis - unabhängig von der weiteren Kursentwicklung - festgeschrieben wurde. Die Optionen hatten Laufzeiten zwischen einer Woche und einem Monat und wurden jeweils bei Fälligkeit, sofern nicht gekündigt wurde, abgerechnet und automatisch neu abgeschlossen ("gerollt").
Für die B. war von zentraler Bedeutung, ob P. über eine Aufstockung von V. -Stammaktien in der Lage sein würde, durch Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages Zugriff auf den Cash-Flow der V. AG zu erlangen, auch weil P. zu diesem Zeitpunkt über eine geringe Liquidität verfügte. Zudem bestand das strategische Interesse der B. darin, sich durch die Beteiligung an dem Kredit als Ankerbank eines zukünftigen führenden Automobilherstellers unter Leitung von P. zu positionieren. In den Verhandlungen über den Kreditvertrag ging es deshalb in einer Reihe von Besprechungen um das Thema, wie der Beteiligungsaufbau bislang vor sich gegangen war und wieviel Geld P. noch benötigt, um die geplante Aufstockung bei der V. AG zu realisieren. Nicht nur für die zukünftigen Ertragschancen der B., sondern auch für die Einschätzung, ob der Kredit von P. zurückgezahlt werden konnte, war - wie jeder wusste - für die B. von entscheidender Bedeutung, ob der weitere Beteiligungsaufbau für P. mit den verfügbaren bzw. aufgrund des Kredits zur Verfügung stehenden Finanzmitteln erreichbar war.
Vor diesem Hintergrund teilte der für die B. maßgeblich verhandelnde Zeuge S. dem Angeklagten am 11. Februar 2009 mit, dass die B. zur Entscheidung über den Kreditantrag noch nähere Informationen, insbesondere über die von P. gehaltenen Derivatepositionen, benötigt. In einem Telefongespräch und zwei Treffen erläuterte der Angeklagte dem Zeugen S. und weiteren B. -Mitarbeitern die wesentlichen Kennzahlen der von P. gehaltenen Optionen. Zuletzt kam man überein, dass die B. dem Angeklagten ihr aufgrund der bisherigen Erläuterungen gewonnenes Verständnis der Optionspositionen übersenden und der Angeklagte die inhaltliche Richtigkeit dieser Angaben schriftlich bestätigen werde, indem er das Schreiben unterzeichnet und an die B. zurückschickt.
Am 19. März 2009 bestätigte der Angeklagte gegenüber der B. schriftlich, dass P. aktuell einzig auf Barausgleich gerichtete Kaufoptionen für Stammaktien der V. AG hält, die mit derselben Anzahl von Verkaufsoptionen kombiniert sind, dass der zukünftig für die Ausübung dieser Optionen zu zahlende Betrag nach Abzug der Erlöse aus der Ausübung dieser Optionen und hierfür geleisteter Sicherheiten 70 Euro pro Stammaktie und insgesamt 4,1 Mrd. Euro für alle Aktien beträgt. Diese Angaben waren - wie der Angeklagte wusste - falsch. Tatsächlich hielt P. auch ca. 45 Mio. isolierte Verkaufs-Optionen und der tatsächliche Betrag für den Kauf weiterer 20 % der Stammaktien betrug nach Abzug der Erlöse aus der Ausübung dieser Optionen und nach Abzug hierfür geleisteter Sicherheiten rund 5,53 Mrd. Euro, also 1,4 Mrd. Euro mehr, als der Angeklagte bestätigt hatte.
Der daraufhin am 24./25. März 2009 von P. und der B. unterzeichnete Kreditvertrag sah ein Kreditvolumen von 10 Mrd. Euro sowie die Möglichkeit einer Aufstockung des Gesamtdarlehensbetrages auf 12,5 Mrd. Euro vor. Im Gegenzug verpfändete P. einen erheblichen Anteil seiner V. -Stammaktien. Von dem ursprünglichen Plan, einen Teilbetrag des Kredits in Höhe von 4 Mrd. Euro nur zweckgebunden für die geplante Aufstockung der V. -Stammaktion um 20 % auszureichen, hatte die B. zwar Abstand genommen, es war aber allen Beteiligten klar, dass der die Refinanzierungssumme von 8,5 Mrd. Euro übersteigende Betrag genau diesem Zweck dienen sollte.
Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
1. Bezüglich der Verfahrensrügen verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Zuschrift vom 26. November 2013.
2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der näher ausgeführten Sachrüge ergibt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Über die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift hinaus sieht der Senat Anlass zu folgenden Anmerkungen:
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand.
aa) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, der sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden hat (§ 261 StPO). Die tatsächlichen Schlussfolgerungen des Tatgerichts müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2013 - 1 StR 403/13 mwN). Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich soweit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (st. Rspr.; vgl. BGH, aaO mwN). Bei der Auslegung von mündlichen oder schriftlichen Erklärungen, wie hier bei der Auslegung der schriftlichen Bestätigung vom 19. März 2009, kommt dem Tatrichter ein Spielraum zu, den das Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfen kann (vgl. BGH, Urteil vom 13. Mai 2004 - 5 StR 73/03, NJW 2004, 2248, 2250, insoweit in BGHSt 49, 147 nicht abgedruckt; Urteil vom 9. Februar 2006 - 5 StR 423/05, NStZ-RR 2006, 175, 176; hierzu näher auch Wittig GA 2000, 267).
bb) Nach diesen Maßstäben ist die Beweiswürdigung des Landgerichts im Ergebnis nicht zu beanstanden.
(1) Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten ist der Schluss der Kammer nicht nur nachvollziehbar, sondern naheliegend, dass es bei der im Original in englischer Sprache abgefassten schriftlichen Erklärung des Angeklagten vom 19. März 2009 um die Bestätigung desjenigen Betrages ging, den P. nach Abzug von auf diese Optionen entfallenden Sicherheiten und Erträgen noch tatsächlich in Zukunft benötigte, um wie geplant seinen Anteil an der V. AG um 20 % aufzustocken. Diese Schlussfolgerung stützt die insoweit sachverständig beratene Kammer auf eine Vielzahl von Zeugenaussagen und schriftliche Unterlagen, vor allen Dingen aber auf die offen zu Tage liegenden wirtschaftlichen Interessen des Kreditgebers B. .
Auf dieser Grundlage hält sie die Einlassung des Angeklagten für widerlegt, der im Kern vorbringt, bei den angegebenen Zahlen habe es sich nicht um die zukünftig für die Optionsausübung benötigte Liquidität, sondern darum gehandelt, wie viel die Anteilsaufstockung P. insgesamt, also unter Berücksichtigung der mit diesen Optionen in der Vergangenheit erwirtschafteten Gewinne oder Verluste, kostet. Im Einklang mit der Kammer hält es der Senat für fernliegend, dass es im Rahmen von Kreditverhandlungen dem Kreditgeber in einem für ihn entscheidend wichtigen Punkt, bei dem er ausdrücklich eine schriftliche Bestätigung anfordert, darum gehen könnte, welche Gewinne oder Verluste in der Vergangenheit angefallen sind. Wirtschaftlich entscheidend ist in einer solchen Situation - für jedermann ersichtlich - nicht die Vergangenheit, sondern vielmehr der künftige Kreditbedarf.
(2) Dass dieses von allen Mitarbeitern der B. ausdrücklich geteilte Verständnis auch dasjenige des Angeklagten war, hat die Kammer vor dem Hintergrund der offensichtlichen Interessenlage der B. aus einer Vielzahl von Umständen gefolgert (Wortlaut der schriftlichen Erklärung des Angeklagten vom 19. März 2009, dem Angeklagten bekannte Zusammensetzung der Kreditsumme auf der Grundlage von Verhandlungen über die Zweckbindung eines Teilbetrages in Höhe von 4 Mrd. Euro, Begriffsverwendung im "Kickoff-Meeting" am 3. Februar 2009, E-Mails des Zeugen S. vom 26. Februar 2009 und 3. März 2009). Soweit die Kammer in diesem Zusammenhang bei der Berechnung UA S. 34 versehentlich versäumt haben könnte, den in der Berechnung des Zeugen Pe. UA S. 26 genannten Teilbetrag in Höhe von 10,6 Mrd. Euro abzuziehen, schließt der Senat aufgrund der Vielzahl von jeweils für sich tragfähigen Beweiswürdigungserwägungen, die im Kern auf das wirtschaftliche Interesse des Kreditgebers an der Kenntnis zukünftig benötigter Liquidität (nicht an in der Vergangenheit erwirtschafteten Gewinnen oder Verlusten) zurückgehen, aus, dass sich ein solcher Fehler auf die Beweiswürdigung der Kammer zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben könnte. Im Übrigen zeigt die Revision zwar alternative Verständigungsmöglichkeiten und Berechnungsmodelle, aber keinen durchgreifenden Rechtsfehler bei der ausführlichen und überzeugenden Beweiswürdigung des Landgerichts auf.
b) Die nach dem Vorstehenden rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Der Schluss der Kammer, dass die schriftliche Bestätigung des Angeklagten vom 19. März 2009 eine relevante schriftliche Falschangabe im Sinne von § 265b Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b StGB ist, die für den Kreditnehmer vorteilhaft und für die Kreditentscheidung erheblich war, ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zutreffend.
aa) Entgegen der Auffassung der Revision ist für die Auslegung schriftlicher unrichtiger Angaben im Rahmen von § 265b Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b StGB - wie bei der Auslegung sonstiger Erklärungen auch - nicht nur auf die schriftlich verkörperten Angaben selbst, sondern auch auf ihren Kontext abzustellen. Dies ergibt sich zum einen aus dem Sinn und Zweck der Norm, die als abstraktes Gefährdungsdelikt nicht nur das Vermögen potentieller Kreditgeber (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 1989 - 4 StR 643/88, BGHSt 36, 130, 131), sondern auch die Funktionsfähigkeit des Kreditwesens schützen soll (vgl. BT-Drucks. 7/5291 S. 14, 16; vgl. auch Wiedner in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 265b StGB Rn. 2 f. mwN). Zum anderen zeigt dies auch der Vergleich mit der zweiten Alternative von § 265b Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b StGB, die schriftliche unvollständige Angaben den schriftlichen unwahren Angaben gleichsetzt. Dass schriftliche Angaben unvollständig sind, lässt sich in aller Regel nicht der schriftlichen Erklärung selbst, sondern nur außerhalb der Erklärung liegenden Umständen entnehmen. Da das Gesetz in beiden Fällen Schriftlichkeit voraussetzt, ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit diesem Tatbestandsmerkmal eine Einschränkung der üblichen Auslegungsmethoden formulieren wollte. Die Gesetzesmaterialien enthalten für eine solche, den Wortlaut einschränkenden Interpretation ebenfalls keinen Anhaltspunkt.
bb) Nach den Feststellungen der Kammer erfolgten die falschen Angaben auch vor der abschließenden Kreditentscheidung und waren deshalb für die Kreditentscheidung erheblich. Soweit der Rechtsmittelführer im Zusammenhang mit der Beanstandung dieser Sichtweise urteilsfremde Unterlagen vorträgt, ist dies im Rahmen der Sachrüge unbehelflich; eine erfolgreiche Verfahrensrüge ist insoweit nicht erhoben (siehe oben unter 1.).
cc) Für die von der Revision geforderte teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs von § 265b StGB in Fällen, in denen ein Kreditausfallrisiko des Kreditgebers durch ausreichende Sicherheiten oder gar eine Übersicherung praktisch ausgeschlossen werden kann, sieht der Senat vorliegend keinen Anlass. Zum einen enthält schon das Urteil keine hinreichenden Feststellungen dazu, dass durch die Verpfändung von V. -Stammaktien und die Pflicht zur Nachsicherung ein Kreditausfall mit Sicherheit ausgeschlossen war. Dies ist vielmehr eine Interpretation des Revisionsführers auf der Grundlage damaliger (urteilsfremder) Aktienkurse. Zum anderen ist aufgrund des zweifachen Schutzzwecks der Norm (siehe oben unter aa), ihrer bewussten Gestaltung als abstraktes Gefährdungsdelikt durch den Gesetzgeber (vgl. BT-Drucks. 7/5291 S. 14) und der Tatsache, dass selbst bei Verpfändung im Kreditvergabezeitpunkt werthaltiger Sicherheiten aufgrund der Unwägbarkeiten wirtschaftlicher Entwicklungen ein zukünftiger Kreditausfall nie "absolut ausgeschlossen" werden kann (vgl. zu diesem Maßstab einer teleologischen Einschränkung bei abstrakten Gefährdungsdelikten BGH, Urteil vom 24. April 1975 - 4 StR 120/75, BGHSt 26, 121, 124 f.), eine teleologische Reduktion nicht veranlasst.
HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 851
Externe Fundstellen: NStZ 2015, 342
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel