HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 202
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 562/13, Beschluss v. 28.01.2014, HRRS 2014 Nr. 202
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 6. Juni 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen in Tatmehrheit mit versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub in Tatmehrheit mit uneidlicher Falschaussage zu einer (Gesamt-)Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Daneben hat es Verfall von Wertersatz in Höhe von 4.500 Euro angeordnet. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Das Urteil ist insgesamt angefochten.
Die in der Revisionsbegründung des Pflichtverteidigers enthaltene Beschränkung der Revision, nach der die Verurteilung des Angeklagten im Fall 4 der Urteilsgründe wegen falscher uneidlicher Aussage (§ 153 StGB) von der Anfechtung ausgenommen sein sollte, ist nicht wirksam. Zwar handelt es sich bei dieser Beschränkung nicht - wie vom Wahlverteidiger angenommen - um eine Revisionsrücknahme. Vielmehr wurde der Umfang der Revision des Angeklagten erst durch die Revisionsbegründungsschrift des Pflichtverteidigers rechtlich bindend festgelegt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 1991 - 4 StR 105/91, BGHSt 38, 4). Die Revisionsbeschränkung ist jedoch unwirksam, weil die Voraussetzungen einer teilweisen Anfechtbarkeit des Urteils insoweit nicht vorliegen.
Eine Teilanfechtung setzt voraus, dass sie sich auf einen abtrennbaren Teil des Urteils bezieht und die übrigen Tatvorwürfe losgelöst und getrennt von diesem Fall beurteilt werden können (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Februar 1956 - 2 StR 25/56, BGHSt 10, 100). Das ist hier nicht der Fall. Der Angeklagte wurde im Fall 4 der Urteilsgründe deshalb verurteilt, weil er in der Hauptverhandlung gegen K. bestritten hatte, zusammen mit dem Zeugen C. von K. Haschisch gekauft und dabei gewesen zu sein, als eine größere Menge Haschisch an K. übergeben worden sei (UA S. 10). Die Haschischerwerbe bei K. sind aber Gegenstand der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 1 und 3 der Urteilsgründe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Ob der Angeklagte diese Taten begangen hat und sich deshalb (nach Belehrung gemäß § 55 StPO) im Strafverfahren gegen K. einer uneidlichen Falschaussage schuldig gemacht hat, kann hier aber nur einheitlich beurteilt werden. Denn hat er die von ihm bestrittenen Taten nicht begangen, hat er insoweit durch Bestreiten seiner Tatbeteiligung im Verfahren gegen K. auch keine falschen Angaben gemacht, die eine Verurteilung gemäß § 153 StGB rechtfertigen könnten.
2. Die Revision des Angeklagten hat mit der Verfahrensrüge Erfolg, das Landgericht habe nicht in die Hauptverhandlung eingeführt, dass mit dem Zeugen C. in dessen Verfahren als Angeklagten eine Verfahrensabsprache getroffen worden ist, welche die Benennung weiterer Tatbeteiligter zum Gegenstand hatte.
a) Der zulässig erhobenen Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) liegt folgendes Geschehen zugrunde:
Das Landgericht hat den Angeklagten in den Fällen 1 bis 3 der Urteilsgründe wegen Taten im Zusammenhang mit Betäubungsmittelgeschäften verurteilt, die der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen gemeinsam mit dem Zeugen C. begangen hat. Im Fall 4 der Urteilsgründe hat das Landgericht als uneidliche Falschaussage des Angeklagten gewertet, dass der Angeklagte im Verfahren gegen den Rauschgiftlieferanten K. seine Beteiligung an den Rauschgiftgeschäften mit diesem bestritten hatte.
Seine Überzeugung vom Ablauf der Betäubungsmittelgeschäfte, einer damit zusammenhängenden räuberischen Erpressung u.a. (Fall 2 der Urteilsgründe) sowie von der Täterschaft des Angeklagten stützt das Landgericht maßgeblich auf die Angaben des Zeugen C. als Mittäter des Angeklagten bei diesen Taten. Im Rahmen der Würdigung der Glaubhaftigkeit der Angaben dieses Zeugen berücksichtigt das Landgericht, dass C. die ihm zur Last gelegten Taten zwar zunächst bestritten habe, in der gegen ihn gerichteten Hauptverhandlung aber eingeräumt und den Angeklagten als Geldgeber für den Rauschgiftkauf bezeichnet habe. Die ohne Belastungseifer gemachten Aussagen des Zeugen wiesen eine deutliche Aussagekonstanz sowie erheblichen Detailreichtum auf, enthielten Realkennzeichen und würden durch die Aussagen weiterer Zeugen bestätigt (UA S. 16 f.).
Keine Erwähnung in den Urteilsgründen findet der der Strafkammer bekannte Umstand, dass der Zeuge C. den Angeklagten erstmals als seinen Begleiter benannte, nachdem in der gegen ihn unter derselben Vorsitzenden geführten Hauptverhandlung eine Verständigung stattgefunden hatte. Darin war zwischen den Verfahrensbeteiligten vereinbart worden, was auch in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen wurde, dass C. im Falle eines umfassenden Geständnisses "sowie bei Offenlegung eines weitergehenden Betäubungsmittelgeschäftes sowie Benennung weiterer Tatbeteiligter zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als vier Jahren verurteilt werde".
b) Bei dieser Sachlage musste es sich dem Landgericht aufdrängen, dass es die mit dem Zeugen C. in dessen Verfahren getroffene Verfahrensabsprache in die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten einführen und C. s Aussage auch vor dem Hintergrund dieser Verfahrensabsprache würdigen musste. Denn bei der Aussage des Zeugen C. handelte es sich auch aus Sicht des Landgerichts trotz der die Richtigkeit dieser Aussage stützenden Angaben weiterer Zeugen um eine für das Verfahren entscheidungserhebliche Zeugenaussage, zumal das Landgericht nicht allen Zeugen glaubt. Die Verständigung im Verfahren gegen den Zeugen C. war vom Landgericht zu würdigen, weil es sich um eine Verfahrensabsprache zu Lasten Dritter (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 6. November 2007 - 1 StR 370/07, BGHSt 52, 78, 83 und Urteil vom 29. November 2011 - 1 StR 287/11, wistra 2011, 180 Rn. 14) und damit auch des Angeklagten handelte. Das Landgericht hatte deshalb zu prüfen, ob der Zeuge C. in seinem eigenen Verfahren irrig geglaubt haben könnte, eine Falschaussage zu Lasten des Angeklagten sei für ihn günstiger als wahre Angaben (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2012 - 1 StR 438/11, StV 2012, 393 und vom 15. Januar 2003 - 1 StR 464/02, BGHSt 48, 161, 168) und ob er im Verfahren gegen den Angeklagten nur deshalb bei dieser Aussage geblieben ist, um sich nicht selbst zu widersprechen, obwohl das gegen ihn geführte Verfahren bereits abgeschlossen war. Da die Möglichkeit eines solchen Irrtums nicht davon abhängt, ob die Verfahren gegen C. und den Angeklagten verbunden waren oder nicht, bestand die Notwendigkeit der Würdigung der Verständigung unabhängig davon, ob diese mit einem anderen Tatbeteiligten im selben oder in einem anderen Verfahren stattgefunden hat. Was zu würdigen ist, muss auch in die Hauptverhandlung eingeführt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 - 1 StR 438/11, StV 2012, 393).
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Würdigung der mit dem Zeugen C. in dessen Strafverfahren getroffenen Verfahrensabsprache dessen den Angeklagten belastender Aussage in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten geringeres Gewicht beigemessen und hinsichtlich aller vier dem Angeklagten zur Last liegenden Taten zu einer anderen Überzeugung gelangt wäre. Zwar hat das Landgericht die Verurteilung des Angeklagten nicht allein auf die Aussage des Zeugen gestützt; vielmehr hat es seine Überzeugung aus einer Gesamtwürdigung mehrerer Zeugenaussagen geschöpft. Jedoch wird deutlich, dass das Landgericht der Aussage des Zeugen C. als unmittelbar Tatbeteiligtem zentrale Bedeutung für die Überzeugungsbildung beigemessen hat. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer tatrichterlicher Aufklärung und Entscheidung.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf die Vorschrift des § 157 Abs. 1 StGB hin. Denn, sollte das neue Tatgericht wieder zu denselben Feststellungen hinsichtlich der Betäubungsmitteldelikte gelangen, liegt es nahe, dass der Angeklagte im Verfahren gegen K. nur deshalb die Unwahrheit gesagt hat, um von sich die Gefahr abzuwenden, wegen dieser Delikte bestraft zu werden.
HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 202
Externe Fundstellen: NStZ 2014, 287; StV 2014, 392
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel