HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 924
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 204/13, Beschluss v. 23.07.2013, HRRS 2013 Nr. 924
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 8. Februar 2013 wird
a) das Verfahren in den Fällen 1. bis 5. der Urteilsgründe eingestellt; insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben aa) hinsichtlich der Fälle 7. und 8. der Urteilsgründe, bb) im gesamten Strafausspruch.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zehn tatmehrheitlicher Fälle des Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht, in drei Fällen jeweils zugleich mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern und in zwei weiteren Fällen jeweils zugleich mit sexuellem Missbrauch von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Dem liegen folgende Feststellungen zugrunde:
Der mit Urteil des Landgerichts Regensburg vom 27. Juni 2006 unter anderem wegen sexuellen und schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilte Angeklagte war am 7. Januar 2010 aus der Strafhaft entlassen worden. Mit Beschluss vom 17. November 2009 hatte das Landgericht den Eintritt der Führungsaufsicht für die Dauer von fünf Jahren ab Haftentlassung festgestellt und dem Verurteilten für diesen Zeitraum untersagt, Kontakt zu Kindern und Jugendlichen aufzunehmen, mit ihnen zu verkehren, sie zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen oder sich mit ihnen alleine in abgeschlossenen Räumlichkeiten oder an wenig frequentierten Örtlichkeiten aufzuhalten.
Der Angeklagte hatte diese Weisungen verstanden. Gleichwohl schloss er sich ab Juni 2010 einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen an, die regelmäßig in einem Park Fußball spielte. Er besuchte mit Mitgliedern der Gruppe Frei- bzw. Hallenbäder (Fälle 1. und 2.), nahm einzelne Jugendliche allein in seinem Auto mit (Fälle 3. und 4.) und ließ sich von einem Jugendlichen zuhause besuchen (Fall 5.). Dem im April 2012 zur Gruppe hinzu gestoßenen 13-jährigen F. näherte sich der Angeklagte in der Absicht, ihn zu sexuellen Handlungen zu ermutigen. Neben anderem - namentlich sexualisierten Chatbotschaften (Fall 6.) und entsprechenden Reden während einer Heimfahrt im Auto (Fall 10.) - näherte sich der Angeklagte dem Jungen dreimal auch körperlich: In einem Fall (Fall 9.) drückte er dem neben ihm sitzenden F. den Deckel einer Trinkflasche mindestens drei Sekunden lang gegen den mit einer Jacke bedeckten, bekleideten Penis, woraufhin F. den Angeklagten zur Abwehr in den Oberarm biss. Bei zwei anderen Gelegenheiten (Fälle 7. und 8.) berührte der Angeklagte den Jungen am bekleideten Oberkörper, als dieser wiederum - einmal am Spielfeldrand, einmal im Auto - neben ihm saß.
Die auf die - näher ausgeführte - Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet i. S. v. § 349 Abs. 2 StPO.
Hinsichtlich der Fälle 1. bis 5. der Urteilsgründe ist das Verfahren einzustellen, weil es insoweit an dem gemäß § 145a Satz 2 StGB erforderlichen Strafantrag fehlt. Der am 2. Mai 2012 vom Leiter der Führungsaufsichtsstelle gestellte Strafantrag umfasst nur die zum Nachteil des Kindes F. begangenen Taten (Fälle 6. bis 10.), nicht aber solche zum Nachteil anderer Kinder (Fälle 1. bis 5.). Auch der im Antrag in Bezug genommene polizeiliche Ermittlungsbericht enthält hinsichtlich bestimmter Taten des Angeklagten zum Nachteil weiterer Kinder und Jugendlicher keine konkreten Anhaltspunkte, sondern allenfalls vage Andeutungen. Eine Ergänzung des Strafantrags ist innerhalb der Antragsfrist nicht erfolgt.
Bei der Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin hält die Entscheidung des Landgerichts, soweit der Angeklagte in den Fällen 7. und 8. der Urteilsgründe auch wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176a Abs. 1 StGB) verurteilt worden ist, rechtlicher Prüfung nicht stand.
Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen eine Bewertung der diesen Fällen zugrunde liegenden Berührungen des bekleideten Oberkörpers des Kindes als sexuelle Handlungen "von einiger Erheblichkeit" (§ 184g Nr. 1 StGB) nicht. Berührungen anderer Körperstellen als der Geschlechtsteile (zu diesen Fällen vgl. Senat, Urteil vom 14. August 2007 - 1 StR 201/07, NStZ 2007, 700; BGH, Urteil vom 6. Mai 1992 - 2 StR 490/91, NStZ 1992, 432 f.; BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 4 StR 23/92, BGHSt 38, 212 f.) stellen nicht ohne Weiteres Handlungen "von einiger Erheblichkeit" dar; zur Beurteilung der Erheblichkeit hätte es jedenfalls näherer Feststellungen vor allem zu Art, Intensität und Dauer dieser Berührungen bedurft (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Juni 2009 - 5 StR 168/09, vom 30. Januar 2001 - 4 StR 569/00, NStZ 2001, 370 mwN, und vom 8. September 1999 - 3 StR 357/99, NStZ-RR 1999, 357).
Von einer abschließenden Entscheidung in der Sache (§ 354 Abs. 1 StPO) sieht der Senat ab. Er vermag nicht auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung ergänzende Feststellungen zur Erheblichkeit der sexuellen Handlungen, gegebenenfalls auch zur Frage, ob der Angeklagte durch sein Verhalten zu solchen Handlungen unmittelbar angesetzt hatte, getroffen werden können.
1. Die materiell-rechtliche Nachprüfung des Urteils in den Fällen 6., 9. und 10. der Urteilsgründe deckt im Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
2. Indes können die hier verhängten Einzelstrafen keinen Bestand haben. Das Landgericht hat bei der Bemessung der Strafen straferschwerend gewürdigt, dass der Angeklagte vielfältige ihm unterbreitete Hilfsangebote "in den Wind geschlagen" und es vorgezogen habe, "den Umstand, dass er sich mit Kindern und Jugendlichen regelmäßig traf und Fußball spielte, zu verschweigen und für sich zu behalten." Dies lässt besorgen, das Landgericht habe bei der Strafzumessung strafschärfend zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass dieser sein strafbares Verhalten nicht offenbart habe. Das ist im Hinblick auf den auch bei der Strafzumessung geltenden Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 46 Rn. 49 mwN) rechtsfehlerhaft.
3. Die Einstellung des Verfahrens in den Fällen 1. bis 5. der Urteilsgründe sowie die Aufhebungen bzw. Teilaufhebungen in den Fällen 6. bis 10. der Urteilsgründe führen zum Wegfall der Gesamtstrafe.
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 924
Externe Fundstellen: NStZ 2013, 708; NStZ-RR 2013, 374
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel