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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 357

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 594/08, Urteil v. 05.03.2009, HRRS 2009 Nr. 357


BGH 4 StR 594/08 - Urteil vom 5. März 2009 (LG Landau)

Tätliche Beleidigung ("Sprühregenfall"; spürbare körperliche Einwirkung); nachträgliche Gesamtstrafbildung (Zäsurwirkung).

§ 185 2. Alt. StGB; § 55 Abs. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Macht der Angeklagte um seine Missachtung auszudrücken mit nahezu geschlossenem Mund ein einem starken Ausatmen ähnliches Geräusch, wodurch zugleich Speichel in Form einer Art "Sprühregens" aus etwa 20 cm Abstand im Gesicht des Opfers auftritt, erfüllt diese spürbare körperliche Einwirkung auf das Opfer den objektiven Tatbestand einer tätlichen Beleidigung.

2. Gemäß § 55 Abs. 1 StGB ist eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Einer Vorverurteilung kommt diesbezüglich dann keine Zäsurwirkung zu, wenn sämtliche in ihr abgeurteilten Taten schon in eine frühere Vorverurteilung einzubeziehen sind (BGH, Beschluss vom 20. September 2007 - 4 StR 431/07).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft - zu b) auch auf die Revision des Angeklagten - wird das Urteil des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 21. Mai 2008

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte im Fall II 2 b der Urteilsgründe der tätlichen Beleidigung schuldig ist,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.

2. Die weiter gehenden Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten werden verworfen.

3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen; die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, wegen Beleidigung in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung, in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Verleumdung in zwei tateinheitlichen Fällen und mit Verleumdung in drei tateinheitlichen Fällen, sowie wegen Beleidigung in zwei Fällen, jeweils begangen in zwei tateinheitlichen Fällen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt; außerdem hat es eine Maßregelanordnung nach §§ 69, 69 a StGB getroffen.

Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision rügt die Staatsanwaltschaft umfassend die Verletzung materiellen Rechts. Insbesondere beanstandet sie, dass die Strafkammer den Angeklagten im Fall II 2 b der Urteilsgründe nicht wegen tätlicher Beleidigung, § 185 2. Alternative StGB, verurteilt hat, und dass von einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB abgesehen wurde. Der Angeklagte rügt ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts; er wendet sich vor allem gegen die Verurteilung wegen Körperverletzung und wegen Beleidigungen sowie gegen den Strafausspruch.

I.

Revision der Staatsanwaltschaft

1. Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass die Strafkammer den Angeklagten im Fall II 2 b der Urteilsgründe nicht wegen tätlicher Beleidigung, § 185 2. Alternative StGB, verurteilt hat.

a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen zeigte der Angeklagte dem Zeugen P., einem Mitarbeiter des Ordnungsamtes, seine Missachtung dadurch, dass er ein einem starken Ausatmen mit nahezu geschlossenem Mund ähnliches Geräusch machte, wodurch zugleich, was er zumindest billigend in Kauf nahm, Speichel in Form einer Art "Sprühregens" aus etwa 20 cm Abstand im Gesicht des Zeugen auftraf.

Dieses Verhalten stellt eine unmittelbar spürbare körperliche Einwirkung auf das Opfer dar, aus der sich zugleich dessen Geringschätzung ergibt. Es erfüllt daher den Tatbestand der tätlichen Beleidigung, § 185 2. Alternative StGB (vgl. OLG Zweibrücken NJW 1991, 240, 241; vgl. auch Hilgendorf in LKStGB 11. Aufl. § 185 Rdn. 15; Regge in MünchKomm StGB § 185 Rdn. 38; Lenckner in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 185 Rdn. 18; Fischer StGB 56. Aufl. § 185 Rdn. 18).

Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

b) Die Änderung des Schuldspruchs zwingt hier nicht zur Aufhebung der insoweit verhängten Einzelstrafe von einem Monat Freiheitsstrafe. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei einer der Schuldspruchänderung entsprechenden Subsumtion des Geschehens auf eine höhere Einzelstrafe erkannt hätte, und zwar auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Landgericht für die weiteren Beleidigungstaten unter Zugrundelegung des Strafrahmens der ersten Alternative des § 185 StGB ebenfalls Einzelstrafen von einem Monat verhängt hat. Diese Taten weisen gegenüber dem Fall II 2 b der Urteilsgründe erschwerende Umstände auf: In den Fällen 4 und 7 hat sich der Angeklagte jeweils der Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht; der Fall 5 ist dadurch gekennzeichnet, dass die Beleidigung nicht wie hier spontan, sondern im Rahmen einer schriftlich erstatteten Strafanzeige begangen wurde.

2. Mit Erfolg beanstandet die Staatsanwaltschaft ferner, dass das Landgericht von einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung abgesehen hat, weil es den Regelungsgehalt des § 55 Abs. 1 StGB verkannt hat.

a) Nach dieser Vorschrift ist eine nachträgliche Gesamtstrafe dann zu bilden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Der Angeklagte ist vor der Verurteilung im vorliegenden Verfahren bereits mehrfach verurteilt worden, unter anderem durch die Urteile des Amtsgerichts Landau vom 29. Juni 2005, 1. März 2006, 5. Juli 2006 und 29. November 2006 sowie das Urteil des Amtsgerichts Ludwigshafen vom 28. März 2007. Wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt, sind diese Verurteilungen noch nicht erledigt.

Bis auf die Taten vom 29. November 2005 und 16. März 2006 aus dem Urteil des Amtsgerichts Landau vom 29. November 2006 wurden sämtliche diesen Verfahren zu Grunde liegenden Taten vor der Verurteilung durch das Urteil des Amtsgerichts Landau vom 29. Juni 2005 begangen und sind daher mit den in jenem Urteil verhängten Strafen gesamtstrafenfähig.

Die für den Fall II 1 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe ist mit den für die beiden vorgenannten Taten aus dem Urteil des Amtsgerichts Landau vom 29. November 2006 erkannten Strafen gesamtstrafenfähig, da die Tat am 6. August 2006 - also vor diesem Urteil - begangen worden ist. Aus den übrigen sechs vom Landgericht Landau verhängten Einzelstrafen ist eine weitere Gesamtstrafe zu bilden. Die Verurteilung durch das Amtsgericht Ludwigshafen vom 28. März 2007 kann deswegen keine Zäsurwirkung entfalten, weil die ihr zu Grunde liegenden Taten vor dem Urteil des Amtsgerichts Landau vom 29. Juni 2005 begangen worden sind, sodass insofern eine Gesamtstrafe zu bilden ist. Einer Vorverurteilung kommt dann keine Zäsurwirkung zu, wenn sämtliche in ihr abgeurteilten Taten schon in eine frühere Vorverurteilung einzubeziehen sind (BGH, Beschluss vom 20. September 2007 - 4 StR 431/07; vgl. auch Fischer aaO § 55 Rdn. 12).

b) Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, nach § 354 Abs. 1 b Satz 1 StPO zu verfahren. Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung obliegt somit dem nach § 462 a Abs. 3 Satz 1 StPO zuständigen Gericht.

3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revision der Staatsanwaltschaft keinen Rechtsfehler aufgedeckt.

II.

Revision des Angeklagten

Das Rechtsmittel hat zum Schuldspruch und zu den (Einzel-) Strafaussprüchen keinen Erfolg. Soweit - wie vorstehend dargestellt - eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung unterblieben ist, stellt dies einen auch auf die Revision des Angeklagten zu berücksichtigenden Rechtsfehler dar.

III.

Angesichts des nur geringen Teilerfolgs der Revisionen kann der Senat die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittel nach § 473 Abs. 1, 2 und 4 StPO selbst treffen (vgl. BGHR StPO § 354 Abs. 1 b Satz 1 Entscheidung 2).

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 357

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2009, 172

Bearbeiter: Karsten Gaede