HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 502
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 674/10, Urteil v. 12.04.2011, HRRS 2011 Nr. 502
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 12. August 2010, soweit es den Angeklagten P. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben:
a) im Falle II. A. 4. der Urteilsgründe und
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen verschiedenen Betäubungsmitteldelikten zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Wegen fünf Taten (darunter der Fall II. A. 4. der Urteilsgründe mit der Einsatzstrafe von zwei Jahren und drei Monaten) wurde gegen ihn unter Einbeziehung einer Vorverurteilung die Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verhängt und wegen weiterer drei Taten eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten. Im Übrigen wurde er freigesprochen.
Die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird, richtet sich dagegen, dass das Landgericht im Falle II. A. 4. der Urteilsgründe nur unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln angenommen, aber ein bewaffnetes Handeltreiben (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) abgelehnt hat.
Die wirksam auf diese Tat und den Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten beschränkte Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat mit der Sachrüge Erfolg. Eines Eingehens auf die Verfahrensrüge bedarf es daher nicht.
Das Landgericht hat zu Fall II. A. 4. der Urteilsgründe folgende Feststellungen getroffen:
In der Wohnung des Angeklagten P. wurden zehn Kilogramm Amphetamin gelagert, um von ihm und anderen gewinnbringend verkauft zu werden. Ein Teil des Rauschgifts wurde veräußert. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich in der Wohnung des Angeklagten eine Schusswaffe, zwei runde Holzstöcke und ein großer Holzstock mit einem Metallhaken. Die Schusswaffe hatte der Angeklagte mit Munition und zwei Magazinen erworben zu seinem "eigenen Schutz, insbesondere im Falle von Problemen bei Drogengeschäften" (UA S. 23).
Das Landgericht hat das Vorliegen eines bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln abgelehnt, weil es nicht feststellen konnte, ob die Schusswaffe geladen war oder schussbereit gemacht werden konnte. Auch sei die Einlassung des Angeklagten nicht zu widerlegen, dass die beiden runden Holzstöcke ihm nur zum Schutz vor dem eigenen Hund dienten und der große Holzstock mit Metallhaken lediglich ein Andenken an seine frühere Tätigkeit in einer Papierfabrik darstelle.
Die Verurteilung im Falle II. A. 4. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die zugrunde liegende Beweiswürdigung beruht auf durchgreifenden Rechtsfehlern.
Das Revisionsgericht hat es allerdings grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten nicht zu überwinden vermag; dies gilt auch für die Verwirklichung der Voraussetzungen einer Qualifikation.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt darüber hinaus, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind.
Auch darf der Tatrichter entlastende Angaben eines Angeklagten, für die keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, nicht ohne weiteres seiner Entscheidung zugrunde legen, nur, weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt. Die Zurückweisung einer Einlassung erfordert auch nicht, dass sich ihr Gegenteil positiv feststellen lässt. Vielmehr muss sich der Tatrichter aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung bilden (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 18. Januar 2011 - 1 StR 600/10 mwN).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es fehlt die gebotene Gesamtwürdigung, die Einzelwürdigung ist lückenhaft, es werden überspannte Anforderungen gestellt und die nicht nahe liegende Einlassung des Angeklagten wird als unwiderlegbar angesehen.
1. Im vorliegenden Fall war der Tatrichter gehalten, eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen und durfte nicht nur isoliert die Schusswaffe und die sonstigen Gegenstände i.S.d. § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG abhandeln. Hierbei war zu erörtern, dass der Angeklagte erhebliche Mengen Rauschgift in seiner Wohnung lagerte und - wie die anderen Taten belegen - auch nicht zum ersten Mal. Weiter war zu sehen, dass er die Schusswaffe und die beiden runden Holzstöcke jedenfalls "zur Wehr" bereit hielt und vor allem, dass sich insgesamt drei i.S.d. § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG potentielle "Waffen" gleichzeitig in seiner Wohnung zusammen mit dem Rauschgift befanden.
2. Hinsichtlich der Schusswaffe liegt insoweit eine Lücke in der Beweiswürdigung vor, als nicht erörtert wird, dass der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen diese Waffe zu seinem Schutz ausdrücklich mit Munition/Magazin erworben hat. Es hätte daher nachvollziehbarer Darlegung bedurft, dass er die Munition/Magazin nicht griffbereit aufbewahrt hat. Zur lediglichen Drohung mit der (leeren) Waffe - wovon das Landgericht ausgeht - hätte er keine Munition kaufen müssen.
3. Soweit das Landgericht die Einlassung des Angeklagten für plausibel erachtet, dass die beiden runden Holzstöcke, die auch nach Auffassung des Tatrichters "objektiv geeignet waren, Menschen erhebliche Verletzungen zuzufügen" (UA S. 23), nur zum Schutz vor dem eigenen Hund bestimmt waren, werden die Anforderungen an die Überzeugungsbildung überspannt und wird vorschnell die Einlassung des Angeklagten als unwiderlegbar angesehen. Der auf UA S. 31 hierfür gegebene allgemein gehaltene Erklärungsversuch, der für den Einzelfall nicht tatsachenfundiert ist, reicht jedenfalls nicht aus.
4. Auch die Überlegungen des Tatrichters zu dem großen Holzstock mit Metallhaken sind rechtsfehlerhaft. Zum einen hätte es einer Verifizierung der nicht nahe liegenden Annahme bedurft, dass es sich insoweit nur um ein "Andenken an die frühere Tätigkeit des Angeklagten in einer Papierfabrik" (UA S. 23 oben) handelt und deshalb nicht zu einem Einsatz bestimmt war. Zum anderen hätte nachvollziehbar dargelegt werden müssen, weshalb der Stock (halb versteckt) unter dem Sofa aufbewahrt wurde. Die Erwägung, dass dieser Angeklagte nicht mit "bürgerlichen Maßstäben" (UA S. 31) betrachtet werden könne, ist dafür nicht ausreichend.
5. Die Urteilsausführungen (UA S. 23 und 30) lassen im Übrigen besorgen, dass der Tatrichter von einem zu engen Verständnis des Begriffs "Mitsichführen" ausgegangen ist.
Ein Mitsichführen i.S.d. § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG liegt dann vor, wenn der Täter die Schusswaffe oder den "sonstigen Gegenstand" bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich ihrer jederzeit bedienen kann. Der Wille des Täters die Waffe gegebenenfalls einzusetzen, ist nicht erforderlich. Für die subjektive Seite genügt das Bewusstsein der Verfügbarkeit über die Schusswaffe (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 28. Februar 1997 - 2 StR 556/96, BGHSt 43, 8, 10, 14 mwN).
Die Aufhebung der Verurteilung im Falle II. A. 4. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten nach sich.
Die weiteren dieser Gesamtfreiheitsstrafe zugrunde liegenden Einzelstrafen und die zweite Gesamtfreiheitsstrafe (mit den dieser zugrunde liegenden Einzelstrafen) sind durch die wirksame Beschränkung der Revision nicht angefochten und bleiben schon von daher bestehen.
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 502
Bearbeiter: Karsten Gaede