HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 1112
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: LG_Bochum, 2 Qs 2/09, Beschluss v. 07.08.2009, HRRS 2009 Nr. 1112
Die Beschwerden der Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 10.04.2008 (64 Gs 1491/08) werden verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden den Beschuldigten auferlegt.
Die Beschwerden sind unbegründet.
Die angefochtene Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung ist zu Recht ergangen (§§ 94 Abs. 1 und 2, 98 Abs. 1 S. 1, 102, 105 Abs. 1 S. 1 StPO).
1. Die Rüge der Beschuldigten, das Amtsgericht Bochum sei örtlich nicht zuständig gewesen, greift nicht durch. Das Amtsgericht Bochum war zuständig, weil die Staatsanwaltschaft, die den der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Antrag gestellt hat, ihren Sitz im Bezirk dieses Gerichts hat (§ 162 Abs. 1 S. 1 StPO).
Ob die Staatsanwaltschaft Bochum ihrerseits für das Ermittlungsverfahren örtlich zuständig ist, ist für die Rechtmäßigkeit der richterlichen Untersuchungs- und Beschlag-nahmeanordnung bedeutungslos. Denn der Ermittlungsrichter darf eine beantragte Untersuchungshandlung nach dem Wortlaut des § 162 Abs. 1 S. 1 StPO - die Norm sagt "die Staatsanwaltschaft", nicht etwa "die zuständige Staatsanwaltschaft" - nicht deshalb ablehnen, weil er die den Antrag stellende Staatsanwaltschaft für örtlich unzuständig hält (vgl. Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, § 162 Rdnr. 16; Plöd, in: KMR, Stand April 2009, § 162 Rdnr. 14; Patzak, in: Beck'scher Online-Kommentar zur StPO, Stand 01.04.2009, § 162 Rdnr. 14).
2. Ohne Erfolg wenden sich die Beschuldigten auch gegen den Verdacht, sie hätten in fünf Fällen durch die gemeinschaftliche Abgabe unrichtiger bzw. unvollständiger Einkommensteuererklärungen nahezu 100.000 EUR Einkommensteuern hinterzogen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO i. V. m. §§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 20, 25 EStG a. F., §§ 25 Abs. 2, 53 Abs. 1 StGB).
a) Im Sinne eines Anfangsverdachts ist von folgendem Geschehen auszugehen:
Die Beschuldigten waren zumindest bis 2006 wirtschaftlich Berechtigte der am 17.01.2000 gegründeten Stiftung X mit Sitz in Vaduz (Liechtenstein). Die Stiftung verfügte zwischen 2002 und 2006 über ein Kapital von mindestens ... Euro, das bei der LGT Bank (ebenfalls Vaduz) angelegt war und eine jährliche Rendite von wenigstens 5% abwarf. Der Beschuldigte B1 war darüber hinaus wirtschaftlich Berechtigter der am 14.6.2000 gegründeten und am 15.06.2000 gelöschten Stiftung Y mit Sitz in Vaduz, die Konten bei der LGT Bank und einer Bank G in L. unterhielt. Das Kapital dieser Stiftung und der Verbleib des Geldes sind unbekannt. Die Beschuldigten, die beim Finanzamt zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden, gaben in ihren Steuerklärungen für die Jahre 2002 bis 2006 die jährlichen Kapitalerträge aus der Stiftung X von mindestens ... Euro nicht an. Hierdurch wurden die Einkommensteuern um ... Euro (2002), ... Euro (2003), ... Euro (2004), ... Euro (2005) und ... Euro (2006) zu gering festgesetzt (vgl. im Einzelnen die Berechnung der Mehrsteuer in der Anlage zum Verdachtsprüfungsvermerk/Vorermittlungsergebnis vom 02.01.2008).
Der Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der Stiftung X im Wesentlichen aus den Widmungserklärungen des Beschuldigten B1 vom 10.01 und 25.07.2000, dem Kontoauszug der LGT Bank vom 01.01.2002, der ein Stiftungskapital von rund ... CHF ausweist, und deren Vermerk über die Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Personen vom 13.07.2001. Bezüglich der Stiftung X folgt der Verdacht aus dem Vermerk der LGT Bank über die Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person vom 04.07.2001 sowie aus einer undatierten Notiz mit der Mand.-Nr. TH- ...
a) Die Beweismittel sind entgegen dem Einwand der Beschuldigten nicht etwa wegen ihrer Herkunft aus einem "Datendiebstahl" zum Nachteil der LGT Treuhand und/oder deshalb unverwertbar, weil der Bundesnachrichtendienst die "gestohlenen" Daten angekauft und den Finanzbehörden übergeben hat.
Dies gilt selbst dann, wenn dabei nach innerstaatlichem Recht rechtswidrig oder gar strafbar gehandelt worden sein sollte (vgl. Kammerbeschluss vom 22. April 2008). Auch auf einen bei der Beweismittelbeschaffung angeblich verübten Völkerrechtsverstoß - Umgehung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.04.1959 und/oder des Übereinkommens über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten vom 08.11.1990 - berufen sich die Beschuldigten vergeblich.
aa) Zweifelhaft ist schon, ob die Übereinkommen überhaupt umgangen wurden. Dagegen spricht, dass der "Datendiebstahl" der Bundesrepublik Deutschland entgegen der Ansicht der Beschuldigten nach der Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen Nr. 56/83 über die Verantwortlichkeit der Staaten für völker-rechtswidrige Handlungen vom 12.12.2001/28.02.2002 gerade nicht zugerechnet werden kann. Der Hinweis der Beschwerde auf Art. 2 der Resolution geht fehl, weil der Artikel nach seinem Wortlaut ("... wenn ein Verhalten ... zurechenbar ist ...") die Zurechenbarkeit nicht regelt, sondern vielmehr voraussetzt. Die Voraussetzungen der Zurechnungsregeln nach Art. 4 ff. der Resolution sind nicht erfüllt. Insbesondere wurde der "Datendiebstahl" auch nach dem Vorbringen der Beschuldigten nicht etwa im Auftrag, unter der Leitung oder unter der Kontrolle der Bundesrepublik begangen (vgl. Art. 8 der Resolution).
bb) Selbst wenn eines der Übereinkommen (oder gar beide) tatsächlich umgangen worden sein sollte(n), wäre dies unschädlich. Zwar kann sich auch aus der Verletzung eines völkerrechtlichen Vertrags, der dem Beschuldigten - wie hier - keine persönlichen Rechte gewährt, ein Beweisverwertungsverbot ergeben (vgl. BGHSt 34, 334). Dabei handelt es sich allerdings um eine Ausnahme, die nur für den Fall gilt, dass die Verwertung eines Beweismittels, das außerhalb eines vereinbarten Rechtshilfeverkehrs erlangt wurde, selbst völkerrechtswidrig ist (vgl. BGHSt 37, 30; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, Einl. Rdnr. 56 d). So verhält es sich im Streitfall aber nicht. Vielmehr ist das möglicherweise völkerrechtswidrige Geschehen, das in dem "Datendiebstahl" und dem Ankauf der "gestohlenen" Daten lag, bereits abgeschlossen. Durch die Benutzung der Daten in dem Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigten werden die Übereinkommen nicht erneut beeinträchtigt. In einem solchen Fall hat es bei dem Grundsatz der Verwertbarkeit des "völkerrechtswidrigen" Beweismittels sein Bewenden (vgl. BGH, aaO; Meyer-Goßner, aaO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.
[Redaktioneller Hinweis: Im Rahmen der Anonymisierung der Entscheidung wurden fiktive Anfangsbuchstaben für die Beteiligten eingefügt. Vgl. zur rechtlichen Beurteilung die Besprechung von Heine in HRRS 2009 Heft 12. Vgl. zu den nach der Rechtsprechung des EGMR möglichen völkerrechtlichen Beweisverwertungsverboten gemäß Art. 6 (iVm 8) EMRK auch demnächst mwN Gaede JR 2010, Heft 1, da die hier vorliegende Konstellation der umgangenen Rechtshilfe und der zusätzlichen Verletzung des Rechts weiterer Konventionsstaaten gerade für ein Beweisverwertungsverbot spricht, das originär auf der völkerrechtlich-menschenrechtlichen Ebene angesiedelt ist.]
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 1112
Externe Fundstellen: NStZ 2010, 351
Bearbeiter: Karsten Gaede