HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 370
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: KG, 2 Ws 511/09, Beschluss v. 14.01.2010, HRRS 2010 Nr. 370
Auf die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt T. wird der Beschluss des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskamrner - vom 8. September 2009 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufgehoben.
Der Antrag des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet verworfen.
Der Gefangene hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
I. Der Antragsteller verbüßt derzeit aufgrund des Urteils des Landgerichts Berlin vom 10. August 2008 - (511) 31 Js 2535/03 KLs (844/05) - eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten wegen Betruges in drei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus den Urteilen des Landgerichts Berlin vom 2. Oktober 2003 - (520) 70 Js 311/03 KLs (35/03) - und vom 16. Juli 2003 - (534) 71 Js 1325/96 KLs (32/97) -. Zwei Drittel der Strafe waren am 8. Februar 2009 vollstreckt; das Strafende ist für den 10. April 2012 notiert.
Der Gefangene beantragte über seine Verfahrensbevollmächtigte unter dem 8. Mai und 16. Juli 2007 Einsicht in seine Krankenakte durch Übersendung von genau bezeichneten Befunden und erweiterte seinen Antrag unter dem 20. August 2007 dahin, daß er die Aushändigung von Kopien aller Untersuchungsergebnisse/Befunde der ärztlichen Untersuchungen aus dem letzten Dreivierteljahr begehrte. Dem kam die Anstaltsärztin teilweise nach und lehnte die Übersendung weiterer Teile der Krankenakte unter dem 20. Juli und 31. August 2007 mit der Begründung ab, bei den erforderten Unterlagen handele es sich um handschriftliche Vermerke zu den Untersuchungen, auf deren Einsichtnahme kein Anspruch bestehe.
Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 7. September 2007 begehrt der Gefangene, die Justizvollzugsanstalt zu verpflichten, ihm vollständige Einsicht in seine Krankenakte, hilfsweise Einsicht in die objektivierbaren Befunde und Behandlungsergebnisse zu gewähren. Durch den angefochtenen Beschluß vom 8. September 2009 hat die Strafvollstreckungskammer die Anstalt verpflichtet, dem Gefangenen vollständige Einsicht in seine Krankenakte zu gewähren. Der Anspruch des Gefangenen ergebe sich aus § 185 Satz 1 StVollzG in Verbindung mit seinem aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. In Übereinstimmung mit der Ausführungsvorschrift der Senatsverwaltung für Justiz zu § 185 StVollzG (vom 30. November 1998, Anmerkung des Senats) könne entweder die Verfahrensbevollmächtigte des Gefangenen Einsicht in die Krankenakte nehmen oder die Akte dem Gefangenen gegen Kostenerstattung vollständig kopiert überlassen bzw. Kopien der begehrten Befunde zur Verfügung gestellt werden.
Der Anstaltsleiter hat gegen den ihm am 17. September 2009 zugestellten Beschluß am 15. Oktober 2009, bei Gericht eingegangen am 16. Oktober 2009, Rechtsbeschwerde eingelegt und gleichzeitig beantragt, den Vollzug des angefochtenen Beschlusses bis zur Entscheidung über das Rechtsmittel auszusetzen.
Der Senat hat mit Beschluß vom 17. Dezember 2009 den Vollzug des landgerichtlichen Beschlusses ausgesetzt.
II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde (§ 118 StVollzG) erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG. Die Begründung der angefochtenen Entscheidung läßt es geboten erscheinen, deren Nachprüfung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
2. Das Rechtsmittel ist begründet und führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Da die Sache spruchreif ist, entscheidet der Senat gemaß § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG anstelle der Strafvollstreckungskammer. Er gibt dem Antrag des Leiters der Justizvollzugsanstalt T. statt.
Die Strafvollstreckungskammer hat sich des Problems angenommen, ob der Gefangene vo1lständig in seine Krankenakten einsehen darf - anstatt nur in die objektiven Befunde - und einen Anspruch bejaht, ohne sich zuvor der rechtlich vorrangigen Frage zuzuwenden, ob der Antragsteller den Anforderungen des § 185 StVollzG gemäß ausreichend dargelegt hatte, ob ein Anspruch auf Akteneinsicht bestand, weil eine Auskunft gegenüber der Akteneinsicht nicht ausreiche. An einem solchen Anspruch fehlt es hier indes.
a) Obergerichtlich ist geklärt, daß sich das Akteneinsichtsrecht des Gefangenen nach § 185 StVollzG richtet und er gemäß dieser Vorschrift nach Maßgabe des § 19 BDSG in erster Linie Anspruch auf Auskunft hat und ihm die Akteneinsicht nur zusteht, soweit eine Auskunft für die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen nicht ausreicht und er hierfür auf die unmittelbare Einsichtnahme angewiesen ist (vgl. OLG Hamm NStZ 2002, 615; Senat StV 2008, 93 und Beschluß vom 5. September 2007 - 2/5 Ws 700/06 Vollz - bei JURIS = NStZ-RR 2008, 327 Ls). Hinsichtlich der Einsichtnahme in die Gesundheitsakten (vgl. § 183 Abs. 2 Satz 2 StVollzG), insbesondere in die Krankenunterlagen und -blätter bestehen gegenüber der Einsichtnahme in die Gefangenenpersonalakte grundsätzlich keine Besonderheiten, auch wenn es sich hierbei in der Regel um besonders sensible Daten handelt (vgl. Arloth, StVollzG 2. Aufl., § 185 Rdn. 6). Nach dem Gesetzeswortlaut stehen Auskunft und Akteneinsicht in einem Stufenverhaltnis: Die Auskunft ist zunächst unbeschränkt, die Akteneinsicht dazu an sich subsidiär (vgl. Senat, Beschluß vom 5. September 2007 - 2/5 Ws 700/06 Vollz -; Arloth § 185 StVollzG Rdn. 1).
Dem Wortlaut des § 185 StVollzG ist eindeutig zu entnehmen, daß das Akteneinsichtsrecht nicht unbeschränkt und ohne Angabe von Gründen gewahrt werden soll. Vielmehr erfordert die Wahrnehmung eines solchen Rechts die Darlegung, daß eine Auskunft für die Wahrung der rechtlichen Interessen des Betroffenen nicht ausreicht und er hierzu auf Akteneinsicht angewiesen ist (vgl. OLG Nürnberg ZfStrVo 2005, 297; OLG Frankfurt am Main, Beschluß vom 24. September 2004 - 3 Ws 872/04 (StVollz) - NStZ-RR 2005, 64 - LS; OLG Koblenz ZfStrVo 2003; 301,302; OLG Hamm NStZ 2002, 615; OLG München ZfStrVo 2001, 362; OLG Dresden NStZ 2000, 392; Senat, Beschluß vom 5. September 2007 - 5 Ws 700/06 Vollz - ).
Aus dem in § 185 StVollzG enthaltenen Hinweis auf § 19 BDSG folgt, daß es der Darlegung eines rechtlichen Interesses bedarf. Denn nach § 185 StVollzG wird dem Betroffenen sogar ein Anspruch auf Auskunft nur nach Maßgabe des § 19 BDSG gewährt, der sogar dieses Recht formal und inhaltlich einschränkt (§ 19 Abs. 1 Sätze 2 und BDSG, vgl. Senat a.a.O.). Dieses Recht kann entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht unmittelbar aus seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung geltend gemacht werden (so aber Weichert ZfStrVo 2000, 88). Denn § 19 BDSG dient gerade der Durchsetzung dieses Rechts der Bürger. Macht die Norm dieses jedoch von einem besonderen Informationsinteresse abhängig, so muß dies schon über den allgemeinen Anspruch auf informationelle Selbstbestimmung hinausgehen (vgl. OLG Hamm a.a.O.); ein Rechtsanspruch auf Akteneinsicht besteht nicht (vgl. LSG Berlin, Urteil vom 24. September 1997 - L 9 Kr 9/07 - bei JURIS; Senat, Beschluß vom 5. September 2007 - 2 Ws 700/06 Vollz -).
b) Da schon das Recht auf Auskunft nach § 185 StVollzG zwar als Regelfall (vgl. OLG Hamm a.a.O.), aber gemäß § 19 BDSG nicht schrankenlos gewährt wird, gilt letzteres nach dem Wortlaut des § 185 StVollzG für den Anspruch auf Akteneinsicht erst recht. Ein solcher Anspruch auf Akteneinsicht besteht nur, wenn der Gefangene geltend macht, daß aufgrund bestimmter Umstände eine Auskunftserteilung nicht ausreiche und er der Akteneinsicht bedürfe (vgl. OLG Hamm a.a.O.; OLG Dresden a.a.O.). Dabei wird überwiegend auch verlangt, daß der Gefangene konkret vortragen muß, warum die Auskunft nicht ausreiche oder dass sie unrichtig oder unvollständig erteilt worden sei (vgl. OLG Dresden a.a.O.; OLG Frankfurt am Main, Beschluß vom 24. September 2004 - 3 Ws 872/04 (StVollz) -) und er darlegt, daß er seine Rechte ohne die Akteneinsicht nicht geltend machen könne (vgl. OLG München a.a.O.).
Hierzu hat der Antragsteller, der zuvor keine Auskunft beantragt hatte, nichts vorgetragen.
In seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 7. September 2007 (Seite 2) führt er lediglich aus: "Es wurde bereits in Jahr 2006 ein Antrag auf Unterbrechung der Haft zur Prüfung der Haftfähigkeit des Antragstellers gestellt, der durch die Staatsanwaltschaft - Hauptabteilung Vollstreckung - bis heute nicht beschieden wurde. Der Antragsteller kämpft seit Beginn seiner Inhaftierung nicht nur um adäquate Behandlung, sondern auch um Transparenz in bezug auf die Unterlagen über seinen Gesundheitszustand."
Im Schriftsatz vom 15. April 2008 (Seite 2) behauptet er pauschal, daß das "Interesse des Antragstellers an einer umfassenden Kenntnis der medizinischen Dokumentation evident" sei. Diesem Vorbringen läßt sich keine konkrete Darlegung entnehmen, daß der Gefangene auf die Unterlagen zur Durchsetzung eines bestimmten Anspruchs bzw. zur Vorbereitung eines bestimmten gerichtlichen Verfahrens angewiesen ist. Insofern liegt der Fall anders als der Sachverhalt, der dem OLG Brandenburg (OLGSt StVollzG § 185 Nr.1 = StV 2008, 308 = StraFO 2008, 154) zur Entscheidung vorlag und dem die Strafvollstreckungskammer weithin gefolgt ist. Entgegen deren Auffassung hat der Antragsteller gerade nicht konkret behauptet, daß die begehrte Akteneinsicht im Zusammenhang mit der Frage seiner Haftfähigkeit und seiner Begutachtung stehe und er sein Anliegen, für haftunfähig erachtet zu werden, nur durch die Einsicht in seine Krankenakte als Teil der Gefangenpersonalakte durchsetzen könne. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall, denn mit ihrem Schreiben vom 25. Januar 2008 erklärt die Verteidigerin ausdrücklich, dem hiesigen Verfahren unabhängig von der von der Prüfung der Haftfähigkeit Fortgang zu geben.
c) Soweit im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, daß für die Geltendmachung der Akteneinsicht eine nähere Darlegung eines rechtlichen Interesses nicht erforderlich sei, der Hinweis, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wahrnehmen zu wollen, ausreiche und der Gefangene stets ein rechtliches Interesse daran habe zu erfahren, was die Vollzugsbehörde über ihn weiß, da er Rechtsbeeinträchtigungen durch unzulässige Datenspeicherungen nur geltend machen könne, wenn er sie kenne (vgl. Weichert a.a.O.; Linkhorst, Das Akteneinsichtsrecht des Strafgefangenen nach § 185 StVollzG, Seite 31 ff., 172 ff., jew. mit weit. Nachw.), entspricht dies der neueren Entwicklung im Informationsfreiheitsrecht. Die Kontrolle der Verwaltung im Interesse der Allgemeinheit hat insbesondere in den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Lander in Berlin im "Gesetz zur Förderung der Informationsfreiheit im Land Berlin" (IFG) - ihren Niederschlag gefunden, das auf den vorliegenden Fall allerdings nicht anwendbar ist. Denn die begehrte Akteneinsicht dient nicht dem Zweck dieses Gesetzes (vgl. § 1 IFG), Verwaltungsvorgänge zur Förderung der demokratischen Meinungs- und Willensbildung der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Ferner geht die bundesrechtliche Vorschrift des § 185 StVollzG den landesrechtlichen Normen vor (vgl. OLG Dresden a.a.O.). Der Bundesgesetzgeber hat bislang davon abgesehen, auch die Informationsrechte der Gefangenen zu stärken, sondern sie willentlich auf der Schutzebene belassen, die vor dem Inkrafttreten der vorbezeichneten Informationsfreiheitsgesetze dem gesetzlichen Standard entsprachen. Der Berliner Landesgesetzgeber, dem die Zuständigkeit für den Strafvollzug zukommt, hat daran bislang nichts geändert. Den Gerichten ist es nicht erlaubt, den Gesetzgeber zu korrigieren (vgl. BVerfGE 36, 375, 394 = NJW 1998, 519, 520; Senat, Beschluß vom 5. September 2007 - 2 Ws 700/06 Vollz -).
d) In Berlin ist dieser Zustand - soweit es allgemein um Gefangenpersonalakten geht - umso mehr hinnehmbar, da Rechtsanwälte und Verteidiger nach Nr. 1 Abs. 2 der Ausführungsvorschrift der Senatsverwaltung für Justiz zu § 185 StVollzG (ABI. Nr. 64/ 18.12.1998), die zwar nach Nr. 3 Abs. 1 am 30. November 2009 außer Kraft getreten, aber nach Auskunft der Senatsverwaltung für Justiz vom 18. Dezember 2009 bis zum Erlaß einer neuen Regelung weiterhin maßgebend ist, Einsicht in die Personalakten (vgl. Nr. 59 VGO) nehmen können, soweit kein Ausschlußgrund nach § 19 Abs. 4 BPSG besteht. Dadurch, dass dieses Recht unabhängig von den Ansprüchen des Gefangenen gewährt wird, erweitern sich die Informationsmöglichkeiten, wie sie dem gesetzlichen Regelfall zugrunde liegen, in dem das Recht des Verteidigers von dem des Gefangenen abgeleitet ist (vgl. OLG Dresden a.a.O.). Nach Nr. 2 dieser Vorschrift erfolgt für den Gefangenen selbst die Auskunft auf Verlangen durch Aushändigung von Ablichtungen gegen Kostenerstattung. Damit wird dem Informationsinteresse des Gefangenen ausreichend Rechnung getragen. Für die Gesundheitsakten (vgl. Nr. 60 VGO) gilt dies freilich nur bezüglich der Aufzeichnungen über medizinisch-naturwissenschaftliche objektivierbare Befunde und Berichte über Behandlungsmaßnahmen. So ist die Vollzugsbehörde im Streitfall auch verfahren, soweit die Verteidigerin Akteneinsicht verlangt hat und dies aus eigenem Recht tun konnte.
Die Entscheidung des Senats über die vom Landgericht bejahte Frage indes, ob dann, wann der Gefangene (oder der Verteidiger aus von dem Gefangene abgeleiteten Recht) den Anspruch auf Einsichtnahme in seine Krankenakten geltend macht, einer Beschränkung auf die medizinisch-naturwissenschaftlich objektivierbaren Befunde und Berichte über Behandlungsmaßnahmen unterliegt oder ob eine Abwägung im Einzelfall (vg1. BVerfG NJW 1999, 1777) erforderlich wird und eine pauschale Beschränkung nicht. möglich ist (vgl. BVerfG NJW 2006, 1116 = StV 2007, 421 = JZ 2007, 91 mit Anm. Klatt betreffend die Akteneinsicht im Maßregelvollzug; OLG Brandenburg OLGSt StVollzG § 185 Nr. 1 = StV 2008, 308 = StraFO 2008, 154 betreffend die Untersuchungshaft), kann der Gefangene in diesem Verfahren nicht erreichen. Denn sein Anspruch scheitert bereits daran, daß er sein rechtliches Interesse im Sinne von § 185 StVollzG nicht näher substantiiert hat.
e) Dieselben Erwägungen gelten auch für den geltend gemachten Hilfsantrag auf Einsicht in die objektivierbaren Befunde. Auch insoweit hat der Antragsteller sein rechtliches Interesse für die Notwendigkeit einer Einsichtnahme aus eigenem Recht nicht dargetan. Im übrigen hat der Antragsteller, dem unstreitig Unterlagen übersandt worden sind, nicht darlegt, welche objektivierbaren Unterlagen bzw. Berichte über Behandlungsmaßnahmen ihm noch fehlen. Daß der Verteidigerin ihrerseits in diesem Umfang aufgrund der Anordnung der Senatsverwaltung für Justiz Einsicht zu gewähren ist, folgt aus dem vorher Gesagten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG.
[Redaktioneller Hinweis: Vgl. zu dieser Entscheidung die Besprechung von Bung, Heft 5 HRRS 2010.]
HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 370
Bearbeiter: Ulf Buermeyer