HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 1090
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: EGMR, Nr. 29705/05, Beschluss v. 02.06.2009, HRRS 2009 Nr. 1090
Der 1944 geborene Beschwerdeführer, Herr S. K., ist deutscher Staatsangehöriger und in N. wohnhaft. Vor dem Gerichtshof wurde er von Herrn H. Borggräfe, Rechtsanwalt in Frankfurt am Main, vertreten. Die deutsche Regierung ("die Regierung") wurde durch ihre Verfahrensbevollmächtigte, Frau Ministerialdirigentin A. Wittling-Vogel vom Bundesministerium der Justiz, vertreten.
Der von den Parteien vorgebrachte Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen.
Der Beschwerdeführer war Geschäftsführer der Hafenbetriebe Ludwigshafen, einem im Eigentum der öffentlichen Hand stehenden Unternehmen. Im Herbst 2003 leitete die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Korruption ein. Am 30. November 2004 erließ das Amtsgericht Kaiserslautern Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer. Das Amtsgericht führte aus, der Beschwerdeführer sei dringend verdächtig, in seiner Position als Geschäftsführer Unternehmen bei der Vergabe von Aufträgen bevorzugt und hierfür persönliche Vorteile entgegengenommen zu haben. Der dringende Tatverdacht ergebe sich aus den Aussagen der beiden Mitangeklagten B. und W. sowie dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen. Das Amtsgericht war darüber hinaus der Auffassung, dass bei dem Beschwerdeführer Fluchtgefahr bestehe.
Der Beschwerdeführer wurde am 2. Dezember 2004 festgenommen und in Untersuchungshaft genommen.
Am 11. Januar 2005 ordnete das Amtsgericht Kaiserslautern zur Sicherung der Ansprüche der Geschädigten den dinglichen Arrest in das Privatvermögen des Beschwerdeführers an.
Am 16. April 2005 beantragte der Verteidiger des Beschwerdeführers bei der Staatsanwaltschaft Kaiserlautern Akteneinsicht. Er wies darauf hin, dass der Beschwerdeführer sich ohne Kenntnis des Akteninhalts nicht zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen äußern könne. Mit Schreiben vom selben Datum beantragte der Verteidiger des Beschwerdeführers beim Amtsgericht Kaiserslautern die Außervollzugssetzung des Haftbefehls. Es liege keine Fluchtgefahr vor. Darüber hinaus wies er darauf hin, dass er die Verteidigung des Beschwerdeführers nicht ohne Akteneinsicht vorbereiten könne.
Mit Schreiben vom 18. April 2005 teilte die Staatsanwaltschaft dem Verteidiger des Beschwerdeführers mit, dass ihm nach § 147 Abs. 2 StPO (siehe unten "Das einschlägige innerstaatliche Recht") die Akteneinsicht versagt werde, da diese den Untersuchungszweck gefährden würde.
Am 25. April 2005 übermittelte der Staatsanwalt dem Verteidiger des Beschwerdeführers einen ersten Zwischenbericht des Polizeipräsidiums Rheinland-Pfalz vom 9. Februar 2005 über den Stand der Ermittlungen und erklärte, einer weitergehenden Akteneinsicht stehe § 147 Abs. 2 StPO entgegen. Die in dem Zwischenbericht erwähnten Beweisgrundlagen, zu denen eine beträchtliche Zahl von Unterlagen und Zeugenaussagen gehörten, wurden dem Beschwerdeführer nicht zugänglich gemacht.
Am 26. April 2005 wies das Amtsgericht Kaiserslautern den Antrag des Beschwerdeführers auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls mit der Begründung zurück, dass der dringende Tatverdacht nach dem aktuellen Ermittlungsstand fortbestehe. Darüber hinaus bestehe erhebliche Fluchtgefahr.
Am 27. April 2005 beantragte der Verteidiger des Beschwerdeführers beim Landgericht Kaiserslautern die gerichtliche Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht. Er wies darauf hin, dass er durch die Versagung der Akteneinsicht daran gehindert sei, die Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft anzufechten. Insbesondere sei er nicht in der Lage, den Wahrheitsgehalt der Aussagen der Mitbeschuldigten zu überprüfen, da diese ihm nicht zur Verfügung stünden.
Am 10. Mai 2005 legte der Verteidiger des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 26. April 2005 Beschwerde ein. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Artikel 5 Absatz 4 der Konvention sowie auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts trug er vor, aufgrund des Prinzips der Waffengleichheit ein Recht auf Akteneinsicht zu haben, da diese für die Anfechtung der Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft erforderlich sei. Der von der Staatsanwaltschaft übermittelte erste Zwischenbericht reiche zur Rechtfertigung der weiteren Untersuchungshaft nicht aus.
Am 17. Mai 2005 wies das Landgericht Kaiserslautern den Antrag des Beschwerdeführers auf Akteneinsicht mit der Begründung zurück, eine vollständige Akteneinsicht gefährde den Untersuchungszweck. Das Gericht wies darauf hin, dass dem Beschwerdeführer Einsicht in den ersten Zwischenbericht gewährt worden sei. Ein zweiter Zwischenbericht, der alle relevanten Gesichtspunkte enthalte, welche die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigten, werde derzeit erstellt und nach Fertigstellung unverzüglich dem Verteidiger des Beschwerdeführers übersandt. Das Landgericht erachte dies im gegenwärtigen Verfahrensstadium für hinreichend.
Am 23. Mai 2005 übermittelte der Staatsanwalt dem Verteidiger des Beschwerdeführers einen zweiten Zwischenbericht des Polizeipräsidiums Rheinland-Pfalz vom 20. Mai 2005 über den Stand der Ermittlungen und erklärte, einer weitergehenden Akteneinsicht stehe § 147 Abs. 2 StPO entgegen. Die in dem Zwischenbericht erwähnten Beweismittel wurden dem Beschwerdeführer nicht zugänglich gemacht.
Am 14. Juni 2005 ordnete das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken die Fortdauer der Untersuchungshaft des Beschwerdeführers an und erklärte die Haftbeschwerde des Beschwerdeführers für erledigt. Aufgrund der Ermittlungsergebnisse, insbesondere der Einlassungen des Mitbeschuldigten B. und der Angaben des Zeugen E. sowie der noch andauernden Auswertung der sichergestellten Unterlagen, war das Oberlandesgericht der Auffassung, dass der Beschwerdeführer dringend verdächtig sei, sich in einer Vielzahl von Fällen in der im Haftbefehl geschilderten Weise strafbar gemacht zu haben. Das Gericht war darüber hinaus der Auffassung, bei dem Beschwerdeführer bestehe Fluchtgefahr, und dieser könne mit weniger einschneidenden Maßnahmen nicht begegnet werden.
Am 29. Juni 2005 legte der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde gegen den dinglichen Arrest in sein Privatvermögen ein.
Am 7. Juli 2005 legte der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde gegen die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft ein.
Am 20. Juli 2005 lehnte das Bundesverfassungsgericht es unter Hinweis auf die maßgeblichen Bestimmungen seiner Verfahrensordnung ohne weitere Begründung ab, die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers gegen die Fortdauer der Untersuchungshaft zur Entscheidung anzunehmen.
Am 10. August 2005 beantragte der Staatsanwalt beim Amtsgericht Kaiserslautern, die Fortdauer der Untersuchungshaft des Beschwerdeführers anzuordnen und den Haftbefehl dem aktuellen Ermittlungsstand anzupassen.
Am 12. August 2005 bestimmte das Amtsgericht Kaiserslautern den Termin zur mündlichen Verhandlung über die Haft des Beschwerdeführers auf den 22. August 2005.
Am 17. August 2005 legte der Verteidiger des Beschwerdeführers seine Stellungnahme vor. Zunächst gab er an, dass ihm eine ausführlichere Stellungnahme zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft nicht möglich sei, da seine umfassenden Bemühungen um Akteneinsicht erfolglos geblieben seien. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs trug er vor, dass die weitere Fortdauer der Haft des Beschwerdeführers rechtswidrig sei. Darüber hinaus beantragte er nochmals die Gewährung von Akteneinsicht.
Am Ende der mündlichen Verhandlung vom 22. August 2005 händigte der Staatsanwalt dem Verteidiger des Beschwerdeführers einen dritten Zwischenbericht des Polizeipräsidiums vom 16. August 2005 aus. Am selben Tag ersetzte das Amtsgericht den ursprünglichen Haftbefehl vom 30. November 2004 durch einen neuen Haftbefehl.
Am 24. August 2005 beantragte der Verteidiger des Beschwerdeführers bei der Staatsanwaltschaft Einsicht in das Sachverständigengutachten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, auf das der Staatsanwalt bei der mündlichen Verhandlung Bezug genommen hatte.
Am 24. August 2005 übersandte der Staatsanwalt dem Beschwerdeführer die Niederschriften der Einlassungen der drei Mitangeklagten B., E. und S. Eine weitergehende Akteneinsicht wurde nach § 147 Abs. 2 StPO verweigert, da die Einsicht den Untersuchungszweck gefährden würde.
Am 25. August 2005 teilte der Staatsanwalt dem Beschwerdeführer mit, dass er keine Einsicht in das Wirtschaftsprüfungsgutachten gewähren könne, da das Gutachten nicht von der Staatsanwaltschaft, sondern vom Aufsichtsrat des Unternehmens in Auftrag gegeben worden sei.
Am 14. September 2005 ordnete das Pfälzische Oberlandesgericht, nachdem sich der Beschwerdeführer schriftlich geäußert hatte, die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten an und wies seinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Begründung zurück, dass das Verfahren in der Regel schriftlich geführt werde und erst am 22. August 2005 eine ausführliche mündliche Verhandlung stattgefunden habe.
Am 13. Dezember 2005 hob das Pfälzische Oberlandesgericht den Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer mit der Begründung auf, dass die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht länger gerechtfertigt sei, da die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen nicht hinreichend beschleunigt habe. Der Beschwerdeführer wurde am selben Tag aus der Haft entlassen.
Am 19. Januar 2006 hob das Bundesverfassungsgericht als Kammer mit drei Richtern den Beschluss über den dinglichen Arrest in das Privatvermögen des Beschwerdeführers auf. Nach Auffassung des Verfassungsgerichts wurde der grundgesetzlich geschützte Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör durch das den dinglichen Arrest in sein Vermögen betreffende Verfahren verletzt. Die dem Beschwerdeführer zugestellten polizeilichen Ermittlungsberichte reichten im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs nicht aus, da der Beschwerdeführer nicht in die Lage versetzt worden sei, die diesen Berichten zugrunde liegenden Beweismittel zu überprüfen.
§§ 112 ff. StPO behandeln die Untersuchungshaft. Nach § 112 Abs. 1 darf die Untersuchungshaft gegen einen Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Ein Haftgrund besteht, wenn bestimmte Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2) oder Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3) besteht.
Nach § 147 Abs. 1 StPO ist der Verteidiger befugt, die Akten, die dem Gericht vorgelegt worden sind oder noch vorgelegt werden, einzusehen und Beweisstücke zu besichtigen. Nach Absatz 2 dieser Bestimmung kann die Einsicht in die Akten oder einzelne Aktenstücke oder die Besichtigung der Beweisstücke bis zum Abschluss der Ermittlungen versagt werden, wenn deren Zweck andernfalls gefährdet wäre.
Die Einsicht in die Aufzeichnungen über die Vernehmung des Beschuldigten und über solche richterliche Untersuchungshandlungen, bei denen dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet worden ist oder hätte gestattet werden müssen, sowie in die Gutachten von Sachverständigen darf dem Verteidiger in keiner Lage des Verfahrens versagt werden (§ 147 Abs. 3). Über die Gewährung der Akteneinsicht entscheidet während des vorbereitenden Verfahrens die Staatsanwaltschaft, danach der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts (§ 147 Abs. 5). Befindet sich der Beschuldigte in Haft, so kann er eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die die Akteneinsicht verweigert, beantragen (a.a.O).
Der Beschwerdeführer rügte nach Artikel 5 Absatz 4 der Konvention, dass seinem Anwalt im Haftprüfungsverfahren die Akteneinsicht verwehrt worden sei, weshalb er die Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft nicht wirksam habe anfechten können.
Unter Bezugnahme auf Artikel 5 Abs. 4 der Konvention behauptete der Beschwerdeführer, in dem Prüfungsverfahren sei der Grundsatz der Waffengleichheit missachtet worden, denn die Ablehnung, seinem Anwalt Akteneinsicht zu gewähren, habe es ihm unmöglich gemacht, sich durch eine überzeugende Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Anschuldigungen wirksam zu verteidigen. Artikel 5 Abs. 4 lautet wie folgt:
"Jede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, hat das Recht zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheidet und ihre Entlassung anordnet, wenn die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist."
Am 3. März 2009 ging beim Gerichtshof eine Erklärung der Regierung vom 16. Februar 2009 ein, die, soweit maßgeblich, wie folgt lautet:
"1. Der Gerichtshof hat in diesem Verfahren einen Vorschlag zur gütlichen Einigung unterbreitet, den die Bundesregierung mit Erklärung vom 15. Dezember 2008 angenommen hat. Mit Bezugsschreiben hat der Gerichtshof nunmehr das Schreiben des Beschwerdeführers vom 8. Januar 2009 übersandt, in dem dieser mitteilt, mit dem Abschluss des vom Gerichtshof vorgeschlagenen Vergleichs nicht einverstanden zu sein.
2. Die Bundesregierung möchte daher - durch eine einseitige Erklärung - anerkennen, dass das Verfahren, mit dem der Beschwerdeführer die Rechtmäßigkeit der gegen ihn angeordneten Untersuchungshaft angefochten hat, nicht im Einklang mit Art. 5 Abs. 4 der Konvention stand, da dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers nicht in der erforderlichen Weise Akteneinsicht gewährt wurde.
3. Die Bundesregierung ist bereit, im Falle der Streichung dieses Individualbeschwerdeverfahrens durch den Gerichtshof die Entschädigungsforderungen des Beschwerdeführers in Höhe von 5.500,00 € anzuerkennen. Mit diesem Betrag in Höhe von 5.500,00 € würden sämtliche Ansprüche des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der o. g. Individualbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland und des Landes Rheinland-Pfalz, insbesondere die Entschädigung des Beschwerdeführers (auch für Nichtvermögensschäden), Kosten und Auslagen, als abgegolten gelten. Einen Betrag von 5.500,00 € hält die Bundesregierung im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs in vergleichbaren Fällen für angemessen.
4. Die Bundesregierung beantragt daher, dass dieses Individualbeschwerdeverfahren gemäß Art. 37 Abs. 1c) EMRK aus dem Register gestrichen wird.
Die Anerkennung der Verletzung von Art. 5 Abs. 4 der Konvention sowie der Entschädigungsforderung in Höhe von 5.500,00 € durch die Bundesregierung stellt einen "anderen Grund" im Sinne dieser Vorschrift dar."
In seiner schriftlichen Erwiderung vom 9. März 2009 äußerte der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf sein Schreiben vom 8. Januar 2009 die Ansicht, dass ihn die in der Erklärung der Bundesregierung genannte Summe nicht angemessen für den körperlichen, seelischen und finanziellen Schaden entschädige, den er dadurch erlitten habe, dass seinem Anwalt im April 2005 Akteneinsicht versagt worden sei; er forderte eine Entschädigung in Höhe von 50.000 €. Hätten die Staatsanwaltschaft und das Amtsgericht Kaiserslautern die vollständige Akteneinsicht am 18. bzw. 26 April 2005 nicht versagt, so der Beschwerde-führer, wäre seine Freilassung wahrscheinlich Mitte Mai 2005 statt am 13. Dezember 2005 angeordnet worden. Er forderte eine Entschädigung von mindestens 250 € für jeden Tag dieses Zeitraums, d.h. 210 Tage, in Bezug auf den materiellen und immateriellen Schaden. Der Beschwerdeführer verwies in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Januar 2006 in dem Parallelverfahren betreffend den dinglichen Arrest in sein Vermögen und wies darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht den Streitwert auf 50.000 € festgesetzt habe. Der Beschwerdeführer führte aus, diese Summe könne auch in Bezug auf den Wert des von ihm im vorliegenden Fall erlittenen Schaden als angemessene Richtschnur betrachtet werden.
Der Gerichtshof stellt eingangs fest, dass die Parteien nicht in der Lage waren, sich in der vorliegenden Rechtssache über die Bedingungen eines Vergleichs zu einigen. Er erinnert daran, dass Verfahren zur Erzielung einer gütlichen Einigung nach Artikel 38 Abs. 2 der Konvention vertraulich sind und Artikel 62 Abs. 2 der Verfahrensordnung darüber hinaus bestimmt, dass im Rahmen dieser Verhandlungen geäußerte schriftliche oder mündliche Mitteilungen, Angebote oder Eingeständnisse im streitigen Verfahren nicht erwähnt oder geltend gemacht werden dürfen. Die oben wiedergegebene Erklärung wurde von der Regierung am 16. Februar 2009 jedoch außerhalb der Verhandlungen über eine gütliche Einigung abgegeben, weshalb der Gerichtshof sein weiteres Vorgehen auf diese Erklärung stützt.
Der Gerichtshof erinnert daran, dass er nach Artikel 37 der Konvention jederzeit während des Verfahrens entscheiden kann, eine Beschwerde in seinem Register zu streichen, wenn die Umstände Grund zu einer der in Absatz 1 Buchstabe a, b oder c genannten Annahmen geben. Insbesondere kann der Gerichtshof nach Artikel 37 Abs. 1 Buchstabe c eine Rechtssache in seinem Register streichen, wenn: "eine weitere Prüfung der Beschwerde aus anderen vom Gerichtshof festgestellten Gründen nicht gerechtfertigt ist."
Artikel 37 Abs. 1 in fine enthält folgende Maßgabe: "Der Gerichtshof setzt jedoch die Prüfung der Beschwerde fort, wenn die Achtung der Menschenrechte, wie sie in dieser Konvention und den Protokollen dazu anerkannt sind, dies erfordert."
Der Gerichtshof erinnert daran, dass er unter bestimmten Umständen eine Beschwerde nach Artikel 37 Abs. 1 Buchstabe c der Konvention auch dann aufgrund einer einseitigen Erklärung einer beschwerdegegnerischen Regierung streichen kann, wenn der Beschwerdeführer die weitere Prüfung der Rechtssache wünscht. Zu diesem Zweck prüft der Gerichtshof die Erklärung sorgfältig im Lichte der Kriterien, die sich aus seiner Rechtsprechung ergeben (siehe Tahsin Acar ./. Türkei [GK], Individualbeschwerde Nr. 26307/95, Rdnr. 75-77, ECHR 2003-VI; und ebenfalls Haran ./. Türkei, Individualbeschwerde Nr. 25754/94, Rdnr. 23, Urteil vom 26. März 2002, Akman ./. Türkei (Streichung), Individualbeschwerde Nr. 37453/97, Rdnr. 30-31, ECHR 2001-VI, Meriakri ./. Republik Moldau (Streichung), Individualbeschwerde Nr. 53487/99, Rdnr. 30-32, 1. März 2005; MacDonald ./. Vereinigtes Königreich (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 301/04, 6. Februar 2007 und O. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 31384/02, 11. September 2007).
Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass in der vorliegenden Sache die Frage aufgeworfen wird, ob das Verfahren, in dem der Beschwerdeführer die Rechtmäßigkeit seiner Untersuchungshaft anfechten wollte, im Einklang mit Artikel 5 Abs. 4 der Konvention stand, insbesondere ob der Beschwerdeführer, dessen Anwalt im gerichtlichen Haftprüfungsverfahren die Akteneinsicht verwehrt wurde, in den Genuss eines kontradiktorischen Verfahrens gekommen ist, in dem die Waffengleichheit zwischen den Prozessparteien sichergestellt war.
Der Gerichtshof ruft in diesem Zusammenhang in Erinnerung, dass er bereits in mehreren Fällen einen Verstoß gegen Artikel 5 Abs. 4 der Konvention festgestellt hat, wenn dem Verteidiger im Haftprüfungsverfahren die Akteneinsicht versagt wurde (siehe Schöps ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 25116/94, ECHR 2001-I; Lietzow ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 24479/94, ECHR 2001-I; Garcia Alva ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 23541/94, 13. Februar 2001; und Laszkiewicz ./. Polen, Individualbeschwerde Nr. 28481/03, 15. Januar 2008).
Die Bundesregierung erkennt in ihrer Erklärung an, dass das Verfahren, mit dem der Beschwerdeführer die Rechtmäßigkeit der gegen ihn angeordneten Untersuchungshaft angefochten hat, nicht im Einklang mit Art. 5 Abs. 4 der Konvention stand, da dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers nicht in der erforderlichen Weise Akteneinsicht gewährt wurde. Ferner hält der Gerichtshof die vorgeschlagene Entschädigungssumme, die den in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Beträgen entspricht, für akzeptabel.
Im Hinblick auf die vorstehenden Erwägungen und die besonderen Umstände der Rechtssache ist der Gerichtshof der Auffassung, dass eine weitere Prüfung der Beschwerde nicht länger gerechtfertigt ist (Artikel 37 Abs. 1 Buchstabe c der Konvention). Der Gerichtshof ist überzeugt, dass die Achtung der Menschenrechte, wie sie in der Konvention und den Protokollen dazu definiert sind, keine weitere Prüfung der Beschwerde erfordert (Artikel 37 Abs. 1 in fine der Konvention).
Aus diesen Gründen entscheidet der Gerichtshof einstimmig, die Beschwerde in seinem Register zu streichen.
[Redaktioneller Hinweis: Zugrunde liegt eine Übersetzung des BMJ. Die Entscheidung ist im Original auf der Homepage des EGMR abrufbar.]
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 1090
Bearbeiter: Karsten Gaede