HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 418
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 293/23, Beschluss v. 13.02.2024, HRRS 2024 Nr. 418
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 6. Januar 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrügen nicht mehr ankommt.
1. Die Verurteilung wegen Betruges (§ 263 StGB) wird von den Feststellungen nicht getragen.
a) Nach diesen steuerte der Angeklagte am 31. Dezember 2016 einen Lkw, dessen Halterin und Leasingnehmerin seine Mutter war, absichtlich gegen einen geparkten Pkw einer vormaligen Mitangeklagten, an dem ein leichter Streifschaden entstand. In einer von herbeigerufenen Polizeibeamten erstellten Unfallmitteilung findet sich die Angabe des Angeklagten, er sei „beim Abbiegen an das Fahrzeug gekommen“. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde der Schaden an dem geparkten Pkw durch einen weiteren Anstoß vertieft, um einen höheren „Versicherungsschaden“ geltend machen zu können. Die Strafkammer vermochte nicht sicher festzustellen, ob auch dieser Schaden von dem Angeklagten bewirkt wurde und wie dies im Einzelnen geschah. Der Angeklagte wusste allerdings von dieser weiteren Beschädigung und billigte sie.
Danach füllte der Angeklagte einen von seiner Mutter als Versicherungsnehmerin mitunterzeichneten Fragebogen zu dem Schadensereignis „vom 31. Dezember 2016“ aus, in dem er wahrheitswidrig angab, beim Abbiegen bemerkt zu haben, dass „es sehr eng wird zu dem parkenden Kfz.“; er habe dann zurückfahren wollen, aber statt des Rückwärtsgangs den Vorwärtsgang eingelegt. Auf Verlangen eines Rechtsanwalts der früheren Mitangeklagten zahlte der Versicherer des Lkw 3.927,87 €. Eine weitere Zahlung, die der Rechtsanwalt unter Vorlage einer unechten Reparaturrechnung forderte, wurde verweigert. Der Angeklagte selbst veranlasste die Übersendung der polizeilichen Unfallmitteilung an den Versicherer, um den Schaden an dem Lkw regulieren zu lassen. Nachdem eine Zahlung nicht erfolgt war, schrieb die Mutter des Angeklagten an den Versicherer und bat unter Vorlage einer Freigabeerklärung der Leasinggeberin um Erstattung des laut einem Gutachten an dem Lkw entstandenen Schadens. Der Versicherer zahlte den geforderten Betrag abzüglich eines Selbstbehalts.
Der Angeklagte wollte sich und die Halterin des beschädigten Pkw rechtswidrig bereichern, da er wusste, dass kein Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Reparaturkosten hinsichtlich beider beteiligter Fahrzeuge bestand.
b) Diesen Feststellungen können die Voraussetzungen eines - vollendeten - Betruges weder hinsichtlich des geltend gemachten Haftpflichtschadens noch des Kaskoschadens entnommen werden. Sie ergeben nicht, dass der Versicherer eine Auszahlung der jeweiligen Versicherungssumme irrtumsbedingt vornahm und ihm hierdurch ein Vermögensschaden entstanden ist, weil Ansprüche in Höhe der gezahlten Versicherungssummen gegen ihn tatsächlich nicht bestanden.
Im Einzelnen gilt insoweit das Folgende:
aa) Die in der rechtlichen Würdigung des Urteils gegebene Begründung, dass „aufgrund des vorsätzlich herbeigeführten Schadens gem. §§ 81, 103 VVG keine Ersatzpflicht der Versicherung“ bestanden habe, wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen. Nach der Vorschrift des § 81 VVG ist der Schadensversicherer (hier der Kfz-Kaskoversicherer) nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Versicherungsfall herbeiführt; nach § 103 VVG gilt Gleiches für den Haftpflichtversicherer. Die Feststellungen ergeben jedoch schon nicht, dass die Versicherungsnehmerin, die Mutter des Angeklagten, die geltend gemachten Schäden an dem von ihr geleasten Lkw und an dem geparkten Pkw vorsätzlich herbeigeführt hat, also für sie auch nur mit- oder mittelbar ursächlich geworden ist (vgl. zum Kausalitätserfordernis näher MüKo-VVG/Looschelders, 3. Aufl., § 81 Rn. 42 f. mwN; BeckOK-VVG/Ruks, 22. Ed., § 103 Rn. 6 mwN).
bb) Auch ein anderer rechtlicher Grund, aus dem der Versicherer leistungsfrei sein könnte, kann den Feststellungen des Landgerichts weder in Bezug auf die Kasko- noch die Haftpflichtversicherung entnommen werden.
(1) Kaskoversicherung
(a) Der festgestellte Vorsatz des Angeklagten selbst lässt für sich genommen den Anspruch der Versicherungsnehmerin auf Erstattung des an ihrem versicherten Fahrzeug eingetretenen Schadens nicht entfallen. Sie muss ihn sich namentlich nicht unter dem Gesichtspunkt der Repräsentantenhaftung zurechnen lassen. Zwar ist in der Schadensversicherung anerkannt, dass der Versicherungsnehmer im Rahmen des Risikoausschlusses gemäß § 81 VVG auch für das Verhalten seiner mit der Vertrags- oder Risikoverwaltung betrauten Repräsentanten einzustehen hat (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 2009 - XII ZR 94/07, JR 2010, 290, 291 f. m. Anm. Looschelders/Paffenholz; BGH, Beschluss vom 5. Juli 2016 - 4 StR 512/15, NStZ 2017, 290, 291; zu § 61 VVG aF BGH, Urteil vom 14. Mai 2003 - IV ZR 166/02, NJWRR 2003, 1250, 1251; MüKo-VVG/Looschelders, 3. Aufl., § 81 Rn. 121 ff.; BeckOK-StVR/Rixecker, 22. Ed., § 81 VVG Rn. 48 ff.). Repräsentant ist, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten ist und darin selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer handeln darf; die bloße Überlassung der Obhut über die versicherte Sache reicht dafür nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2020 - 4 StR 652/19 Rn. 11 mwN; zu § 61 VVG aF BGH, Urteil vom 21. April 1993 - IV ZR 34/92, NJW 1993, 1862, 1864 mwN; Karczewski in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 4. Aufl., § 81 Rn. 67).
Umstände, die eine Stellung des Angeklagten als Repräsentant in diesem Sinn belegen könnten, hat das Landgericht nicht festgestellt. Die Urteilsgründe verhalten sich nicht dazu, aus welchem Grund und in welchem Umfang der Angeklagte Zugriff auf das versicherte Fahrzeug hatte, als er es für die Tat nutzte.
Ebenso wenig ergibt sich eine Repräsentantenstellung der mit dem Angeklagten möglicherweise nicht identischen, unbekannt gebliebenen Person, die den Schaden an dem geparkten Pkw durch den zweiten Anstoß vertiefte, zumal insoweit nicht einmal eine Nutzung des versicherten Lkw festgestellt ist.
(b) Auch die Voraussetzungen der zur Leistungsfreiheit des Versicherers führenden Verletzung einer vertraglichen Aufklärungsobliegenheit der Versicherungsnehmerin hat die Strafkammer nicht festgestellt. Die Mutter des Angeklagten unterzeichnete zwar einen Unfallfragebogen, der unwahre Angaben des Angeklagten zu dem Hergang des gemeldeten Unfalls enthielt. Die Urteilsgründe ergeben aber nicht, dass sie hierbei vorsätzlich oder wenigstens grob fahrlässig handelte und hierdurch (mit Wissen und Wollen des Angeklagten) den gemäß § 28 Abs. 2 VVG der Leistungsfreiheit oder einem Leistungskürzungsrecht vorausgesetzten subjektiven Tatbestand erfüllte. Zwar kann ein Vorsatz des aufklärungspflichtigen Versicherungsnehmers oder die Verletzung einer eigenständigen Erkundigungspflicht (vgl. dazu BGH, Urteil vom 22. Oktober 2014 - IV ZR 242/13, NJW 2015, 949 Rn. 22 mwN) im Einzelfall schon dann gegeben sein, wenn der Versicherungsnehmer den Angaben eines Dritten blind vertraut oder ihm deren Wahrheitsgehalt gleichgültig ist (vgl. Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl., § 28 Rn. 51; allg. zum bedingten Vorsatz MüKo-VVG/Wandt, 3. Aufl., § 28 Rn. 226 mwN). Auch dieses kann den knappen Feststellungen des Urteils betreffend die Schadensmeldung aber nicht sicher entnommen werden.
Umstände, aufgrund deren die Versicherungsnehmerin sich die vorsätzlich unwahren Angaben des Angeklagten in dem Unfallfragebogen zurechnen lassen müsste, sind ebenfalls nicht festgestellt. Im Bereich der Obliegenheitsverletzung kommt eine Zurechnung fremden Wissens zwar über die hier nicht festgestellte Repräsentantenhaftung hinaus kraft Vertretung in einer Wissenserklärung in Betracht. Ob dies hier bereits deshalb ausscheidet, weil die Versicherungsnehmerin nach den Feststellungen den vom Angeklagten ausgefüllten Unfallfragebogen mitunterzeichnet hat, wodurch sie sich deren Inhalt zu eigen gemacht haben könnte (vgl. Rixecker in Langheid/Rixecker, aaO, § 28 Rn. 51 mwN), kann dahinstehen. Denn eine Zurechnung der Kenntnis eines Wissenserklärungsvertreters setzte voraus, dass die Versicherungsnehmerin den Angeklagten mit der Erfüllung der ihr aus dem Kaskoversicherungsvertrag obliegenden Aufklärung des Versicherers betraut und der Angeklagte diese Obliegenheit statt ihrer erfüllt hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom 2. Juni 1993 - IV ZR 72/92, NJW 1993, 2112, 2113). Dies lassen die knappen Feststellungen zu der Korrespondenz mit dem Kaskoversicherer nicht erkennen.
(2) Haftpflichtversicherung
Auch ein hinter der insoweit ausgezahlten Versicherungssumme zurückbleibender Anspruch aus der Haftpflichtversicherung ist durch die Feststellungen des Landgerichts nicht belegt.
(a) Der festgestellte Vorsatz des Angeklagten (und der Person, die die Schadensvertiefung an dem unfallgegnerischen Pkw verursacht hat) lässt die Haftung der Versicherungsnehmerin als Halterin aus § 7 Abs. 1 StVG unberührt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 1962 - VI ZR 184/61, NJW 1962, 1676; BeckOGK/ Walter, Stand: 1. Januar 2022, § 7 StVG Rn. 99.1 mwN). Die Voraussetzungen einer sog. Schwarzfahrt im Sinne des § 7 Abs. 3 StVG, die die Halterhaftung entfallen ließe, sind hinsichtlich keines der beiden Schadensereignisse festgestellt; zudem würde hierdurch die Haftung des gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 KfzPflVV mitversicherten Fahrers (§ 7 Abs. 1 i.V.m. § 18 StVG) nicht berührt (vgl. a. OLG Nürnberg, Urteil vom 7. Juni 2011 - 3 U 188/11, r+s 2012, 65).
(b) Den Urteilsgründen kann auch eine Einwilligung der vormaligen Mitangeklagten als Eigentümerin des beschädigten Pkw, welche als Rechtfertigungsgrund Schadensersatzansprüche wegen der Eigentumsverletzung ausschlösse (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 1977 - VI ZR 206/75; BeckOGK/Walter, Stand: 1. Januar 2022, § 7 StVG Rn. 116), nicht entnommen werden.
(c) Auch versicherungsrechtliche Gründe für eine Leistungsfreiheit des Haftpflichtversicherers sind nicht dargetan. Der vom Landgericht angenommene Risikoausschluss gemäß § 103 VVG erweist sich nicht deshalb als zutreffend, weil sich die Versicherungsnehmerin das vorsätzliche Verhalten des Angeklagten zurechnen lassen müsste. Eine solche Zurechnung folgt hier nicht aus § 47 Abs. 1 VVG. Zwar stellt diese Vorschrift für den Fall einer Versicherung für fremde Rechnung Kenntnis und Verhalten des Versicherten Kenntnis und Verhalten des Versicherungsnehmers gleich (vgl. MüKo-VVG/Langheid, 3. Aufl., § 47 Rn. 3); auch handelt es sich bei der Kfz-Haftpflichtversicherung insoweit, als sie die gemäß § 2 Abs. 2 KfzPflVV mitversicherten Personen betrifft, um eine Fremdversicherung im Sinne des § 43 VVG (BeckOK-StVR/Bouwmann, 22. Ed., § 43 VVG Rn. 4; BeckOK-VVG/Marlow, 22. Ed., § 43 Rn. 30). Dies führt im Rahmen des § 103 VVG jedoch nicht zu einer vollständigen Leistungsfreiheit des Haftpflichtversicherers bei vorsätzlichem Handeln des mitversicherten Fahrers. Vielmehr tritt diese nur gegenüber dem vorsätzlich handelnden Versicherten, nicht aber auch im Verhältnis zu dem Versicherungsnehmer - betreffend dessen Halterhaftung (§ 7 Abs. 1 StVG) - ein (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2016 - 4 StR 512/15 Rn. 10 mwN; zu § 152 VVG aF BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 - VI ZR 55/12, BGH, NJW 2013, 1163 Rn. 20 mwN; Schimikowski in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 4. Aufl., § 103 Rn. 10; BeckOGK/Walter, Stand: 1. Januar 2022, § 7 StVG Rn. 306; Koch in Bruck/Möller, VVG, 10. Aufl., § 103 Rn. 54; MüKo-VVG/Maier, 2. Aufl., Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Rn. 65). Auch der diesbezügliche Direktanspruch der Geschädigten (§ 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG) bleibt daher insoweit bestehen (vgl. zu § 3 PflVG aF BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 - VI ZR 55/12, NJW 2013, 1163 Rn. 20).
Ob die Zurechnungsfrage anders zu beantworten wäre, wenn der mitversicherte Fahrer zugleich die Stellung eines Repräsentanten hätte (vgl. für die Kfz-Haftpflichtversicherung verneinend OLG Nürnberg, Urteil vom 14. September 2000 - 8 U 1855/00, NJWRR 2001, 100, 101; OLG Köln, Urteil vom 30. Mai 2000 - 9 U 130/99; MüKo-VVG/Maier, 2. Aufl., Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Rn. 66; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl., § 28 Rn. 48; wohl auch BGH, Urteil vom 20. Mai 1969 - IV ZR 616/68, NJW 1969, 1387), kann offenbleiben, weil das Landgericht wie bereits ausgeführt eine Repräsentantenstellung des Angeklagten oder eines anderen Fahrers des Lkw nicht festgestellt hat.
2. Der Schuldspruch unterliegt daher der Aufhebung, was zugleich dem Rechtsfolgenausspruch die Grundlage entzieht. Da weitere Feststellungen, die eine Verurteilung wegen vollendeten Betruges tragen könnten, nicht ausgeschlossen erscheinen, bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.
Um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat auch sämtliche Urteilsfeststellungen auf.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 418
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede